Dieses Buch legt auf der Basis von 150.000 Seiten Abhörprotokollen erstmals eine überzeugende Mentalitätsgeschichte des Krieges vor. In von Briten und Amerikanern eigens eingerichteten Lagern wurden deutsche Kriegsgefangene aller Ränge und Waffengattungen heimlich abgehört. Sie sprachen über militärische Geheimnisse, über ihre Sicht auf die Gegner, auf die eigene Führung und auf die Judenvernichtung. Das Buch zeigt die Kriegswahrnehmung von Soldaten in historischer Echtzeit und vermittelt eine faszinierende und erschreckende Innenansicht des Zweiten Weltkriegs durch jene Soldaten, die große Teile Europas verwüsteten. Zudem wird im Vergleich zu anderen Kriegen herausgearbeitet, was am Fühlen und Handeln der deutschen Soldaten spezifisch für den Nationalsozialismus war und was nicht.
Sachbuch in einer neuer Dimension: Buch PLUS tausende Seiten Quellen im Originalwortlaut. Dieses Buch legt auf einer einzigartigen Quellengrundlage erstmals eine überzeugende Mentalitätsgeschichte des Krieges vor. Auf der Grundlage von 150.000 Seiten Abhörprotokolle deutscher Soldaten in britischer und amerikanischer Gefangenschaft wird das Wissen um die Mentalität der Soldaten auf eine völlig neue Basis gestellt. In eigens eingerichteten Lagern wurden Kriegsgefangene aller Waffengattungen und Ränge heimlich abgehört. Sie sprachen über militärische Geheimnisse, über ihre Sicht auf die Gegner, auf die Führung und auch auf die Judenvernichtung. Das Buch liefert eine Rekonstruktion der Kriegswahrnehmung von Soldaten in historischer Echtzeit - eine ungeheuer materialreiche Innenansicht des Zweiten Weltkriegs durch jene Soldaten, die große Teile Europas verwüsteten.
Sachbuch in einer neuer Dimension: Buch PLUS tausende Seiten Quellen im Originalwortlaut. Dieses Buch legt auf einer einzigartigen Quellengrundlage erstmals eine überzeugende Mentalitätsgeschichte des Krieges vor. Auf der Grundlage von 150.000 Seiten Abhörprotokolle deutscher Soldaten in britischer und amerikanischer Gefangenschaft wird das Wissen um die Mentalität der Soldaten auf eine völlig neue Basis gestellt. In eigens eingerichteten Lagern wurden Kriegsgefangene aller Waffengattungen und Ränge heimlich abgehört. Sie sprachen über militärische Geheimnisse, über ihre Sicht auf die Gegner, auf die Führung und auch auf die Judenvernichtung. Das Buch liefert eine Rekonstruktion der Kriegswahrnehmung von Soldaten in historischer Echtzeit - eine ungeheuer materialreiche Innenansicht des Zweiten Weltkriegs durch jene Soldaten, die große Teile Europas verwüsteten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.2011Von der moralischen Innenseite des Kriegs
Abhörprotokolle als Quelle: Sönke Neitzel und Harald Welzer ziehen aus Schilderungen deutscher Wehrmachtssoldaten weitreichende Schlüsse über das Verhalten von Truppen im Kampfeinsatz.
Nicht politische Ideologien, sondern Kleingruppenerfahrungen sind entscheidend für die Kampfkraft von Soldaten, ihre Tötungsbereitschaft wie ihre Durchhaltefähigkeit. Neben dem Vertrauen in die Kompetenz der Offiziere ist es vor allem die Erfahrung von Kameradschaft, die eine Truppe zusammenhält und sie auch dann noch weiterkämpfen lässt, wenn die politisch-militärische Lage aussichtslos geworden ist. Diese klassische Einsicht der Militärsoziologie wird auf der Grundlage neuer Quellen nun auch wieder für die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg geltend gemacht, und dies gilt, so der Historiker Sönke Neitzel und der Sozialpsychologe Harald Welzer, auch und gerade für den Krieg der Wehrmacht im Osten. Die nationalsozialistische Ideologie, die Gegenüberstellung von Herren- und Untermenschen sowie der Antisemitismus haben danach für das Agieren der deutschen Soldaten eine weit geringere Rolle gespielt, als dies zuletzt in vielen Publikationen behauptet worden ist.
Die einzige Ausnahme, die Neitzel und Welzer gelten lassen, sind die Massenerschießungen jüdischer Zivilisten, bei deren Beschreibung durch Wehrmachtssoldaten eine starke antisemitische Grundierung erkennbar ist. Wo sie fehlte, führte das dazu, dass sich die Soldaten von solchen Aktionen mehr oder minder deutlich distanzierten. Aber sobald von den Opfern solcher Massenerschießungen behauptet wurde, es handele sich um Partisanen oder Partisanenunterstützer, änderte sich das: Dann griffen die Vorstellungen von Rache und Vergeltung, und auch jene Soldaten, die sonst der NS-Propaganda skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden, waren dann zu rücksichtslosem Waffengebrauch bereit.
Der Referenzrahmen, innerhalb dessen Ereignisse und Entwicklungen interpretiert werden, so Neitzel und Welzer, ist für das eigene Handeln und dessen Rechtfertigung entscheidend; in diesen Referenzrahmen können auch Versatzstücke von Ideologien eingehen, aber viel wichtiger sind die allgemeine Vorstellung vom Krieg und von besonderen Arten des Kriegs. In diesem Sinne haben Neitzel und Welzer dann auch die Aussagen von Wehrmachtsangehörigen über den Feind und ihre Art des Kämpfens mit Äußerungen amerikanischer Soldaten aus dem Vietnamkrieg oder dem jüngsten Krieg im Irak parallelisiert. Sie sind dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine relevanten Unterschiede gibt. Deswegen haben sie ihr Buch auch nicht im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg und die deutsche Wehrmacht betitelt, wiewohl es hauptsächlich darum geht, sondern ihm den allgemeinen Titel "Soldaten" gegeben.
Das Wissen über die seelische und moralische Innenausstattung von in westliche Kriegsgefangenschaft geratenen Wehrmachtssoldaten wird zum Schlüssel für das Innenleben von Soldaten überhaupt, und der Zweite Weltkrieg bildet das Modell eines großen Krieges im Allgemeinen. Das ist eine provokative Botschaft, über die in den kommenden Monaten nicht nur in der Historikerzunft heftig diskutiert werden dürfte; es ist zugleich eine Revision, zumindest Umakzentuierung des Wehrmachtsbildes, wie es in der großen Ausstellung des Hamburger Reemtsma-Instituts gezeichnet worden ist.
Was aber ist das Material, auf das Neitzel und Welzer diese weitreichenden Thesen stützen? Seit Kriegsbeginn hörten die Briten, später dann auch die Amerikaner in Gefangenschaft geratene deutsche Soldaten ab. Die Räume, in denen sich die Gefangenen aufhielten, wurden "verwanzt", die interessant erscheinenden Äußerungen aufgezeichnet, anschließend verschriftlicht und auf diese Weise eine Sammlung von Quellen angelegt, die ihresgleichen sucht. Das Erstaunliche ist eigentlich, dass diese Quellen nicht schon früher herangezogen und genutzt worden sind.
So ist es Sönke Neitzel vorbehalten geblieben, als Erster die Fülle des Materials zu identifizieren und eine Reihe von Forschungsprojekten zu dessen systematischer Auswertung in Gang zu setzen. Dabei ist sehr bald klargeworden, dass man sich diesen "Schatz" nicht aneignen kann, wenn man ihn allein einer historischen Quellenkritik unterzieht, sondern es eines interdisziplinären Zugriffs bedarf; und dazu hat der im Bereich der historischen Erinnerungsforschung ausgewiesene Sozialpsychologe Harald Welzer, der seine Methoden und Fragestellungen bereits mehrfach am Material der NS-Zeit erprobt hat, entscheidend beigetragen.
Es ist ein durch und durch heikler Typ von Quelle, mit dem man es hier zu tun hat: Da ist die Situation des Belauschens selbst, dann die spezifische Art des Zusammenbringens von Gesprächspartnern, die der Direktive folgte, dass die Abgehörten einander möglichst viel erzählen sollten - wobei die Möglichkeit des Übertreibens und Prahlens nie auszuschließen ist -, schließlich der Einsatz von Agenten, also gefangenen Wehrmachtssoldaten, die inzwischen für die Briten oder Amerikaner arbeiteten und gezielt bestimmte Themen ansprachen oder die Unterhaltung in eine bestimmte Richtung lenkten. Dabei interessierten sich die Briten vorwiegend für Kommandeure und Stabsoffiziere, um Informationen über neue Waffen und strategisches Denken zu bekommen, während die Amerikaner ein Bild von der Stimmung in der Wehrmacht insgesamt bekommen wollten und deswegen auch einfache Soldaten belauschten. Neitzel und Welzer wissen, dass sie nur ein bestimmtes Segment der Wehrmacht "mitbelauschen", weil es sich ja nur um in Afrika, Italien oder im Westen gefangen genommene Soldaten handelt. Einige von ihnen hatten jedoch zuvor im Osten gekämpft, und davon erzählen sie auch. Aber es ist fraglos, dass sie in russischer Kriegsgefangenschaft, wo sie unmittelbar mit ihren Taten konfrontiert werden konnten, anders darüber gesprochen oder geschwiegen hätten.
Es sind die spezifischen Rahmenbedingungen amerikanischer oder britischer Gefangenschaft, die in die Unterhaltungen immer einfließen und bei der Auswertung der Quellen berücksichtigt werden müssen. Neitzel und Welzer haben das in hohem Maße getan. Und sie haben darüber hinaus auch die gruppendynamischen Konstellationen in Rechnung gestellt, in denen sich die Berichtenden befanden. Schließlich haben sie auch nicht außer Acht gelassen, dass sich die Einstellung zum Krieg während dessen Verlauf änderte und in den verschiedenen Teilstreitkräften und Waffengattungen erkennbare Unterschiede hinsichtlich Gewalterfahrung und Durchhaltewillen bestanden. Die quellenkritische Reflexion der Autoren ist also vorbildlich.
Aber lassen sich aus einem insgesamt doch begrenzten Material so weitreichende Schlüsse ziehen? Einer davon lautet, dass die Intensität der Kampferfahrung und das zeitweilige Empfinden des Ausgeliefertseins die Bereitschaft fördern, sich von den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konvention dispensiert zu fühlen. Auch eine Vorstellung von "Fairness" spielt bei der Bereitschaft, sich ans Kriegsrecht zu halten, offenbar eine wichtige Rolle. Aus dem Ersten Weltkrieg weiß man, dass bei der Eroberung eines Grabens die Bedienungsmannschaften von Maschinengewehren, auch wenn sie kapitulierten, zumeist getötet wurden, während mit Karabinern bewaffnete Soldaten gute Aussichten hatten, gefangen genommen zu werden.
Auch den englischen Langbogenschützen des späten Mittelalters drohte der Tod, wenn sie französischen Rittern in die Hände fielen. Man hat das in der Regel darauf zurückgeführt, dass sie kein Lösegeld zahlen konnten. Haben Neitzel und Welzer mit ihren Überlegungen recht, dann ist für diese Behandlung die Art des Kampfes über die Distanz hinweg entscheidend, nicht das fehlende Lösegeld. Über diese Generalisierungen hätte man gern mehr erfahren und würde sich ihre stärkere Absicherung wünschen. Das aber ändert nichts daran: Es ist ein großes Buch, das Neitzel und Welzer geschrieben haben.
HERFRIED MÜNKLER
Sönke Neitzel und Harald Welzer: "Soldaten". Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 521 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Abhörprotokolle als Quelle: Sönke Neitzel und Harald Welzer ziehen aus Schilderungen deutscher Wehrmachtssoldaten weitreichende Schlüsse über das Verhalten von Truppen im Kampfeinsatz.
Nicht politische Ideologien, sondern Kleingruppenerfahrungen sind entscheidend für die Kampfkraft von Soldaten, ihre Tötungsbereitschaft wie ihre Durchhaltefähigkeit. Neben dem Vertrauen in die Kompetenz der Offiziere ist es vor allem die Erfahrung von Kameradschaft, die eine Truppe zusammenhält und sie auch dann noch weiterkämpfen lässt, wenn die politisch-militärische Lage aussichtslos geworden ist. Diese klassische Einsicht der Militärsoziologie wird auf der Grundlage neuer Quellen nun auch wieder für die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg geltend gemacht, und dies gilt, so der Historiker Sönke Neitzel und der Sozialpsychologe Harald Welzer, auch und gerade für den Krieg der Wehrmacht im Osten. Die nationalsozialistische Ideologie, die Gegenüberstellung von Herren- und Untermenschen sowie der Antisemitismus haben danach für das Agieren der deutschen Soldaten eine weit geringere Rolle gespielt, als dies zuletzt in vielen Publikationen behauptet worden ist.
Die einzige Ausnahme, die Neitzel und Welzer gelten lassen, sind die Massenerschießungen jüdischer Zivilisten, bei deren Beschreibung durch Wehrmachtssoldaten eine starke antisemitische Grundierung erkennbar ist. Wo sie fehlte, führte das dazu, dass sich die Soldaten von solchen Aktionen mehr oder minder deutlich distanzierten. Aber sobald von den Opfern solcher Massenerschießungen behauptet wurde, es handele sich um Partisanen oder Partisanenunterstützer, änderte sich das: Dann griffen die Vorstellungen von Rache und Vergeltung, und auch jene Soldaten, die sonst der NS-Propaganda skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden, waren dann zu rücksichtslosem Waffengebrauch bereit.
Der Referenzrahmen, innerhalb dessen Ereignisse und Entwicklungen interpretiert werden, so Neitzel und Welzer, ist für das eigene Handeln und dessen Rechtfertigung entscheidend; in diesen Referenzrahmen können auch Versatzstücke von Ideologien eingehen, aber viel wichtiger sind die allgemeine Vorstellung vom Krieg und von besonderen Arten des Kriegs. In diesem Sinne haben Neitzel und Welzer dann auch die Aussagen von Wehrmachtsangehörigen über den Feind und ihre Art des Kämpfens mit Äußerungen amerikanischer Soldaten aus dem Vietnamkrieg oder dem jüngsten Krieg im Irak parallelisiert. Sie sind dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine relevanten Unterschiede gibt. Deswegen haben sie ihr Buch auch nicht im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg und die deutsche Wehrmacht betitelt, wiewohl es hauptsächlich darum geht, sondern ihm den allgemeinen Titel "Soldaten" gegeben.
Das Wissen über die seelische und moralische Innenausstattung von in westliche Kriegsgefangenschaft geratenen Wehrmachtssoldaten wird zum Schlüssel für das Innenleben von Soldaten überhaupt, und der Zweite Weltkrieg bildet das Modell eines großen Krieges im Allgemeinen. Das ist eine provokative Botschaft, über die in den kommenden Monaten nicht nur in der Historikerzunft heftig diskutiert werden dürfte; es ist zugleich eine Revision, zumindest Umakzentuierung des Wehrmachtsbildes, wie es in der großen Ausstellung des Hamburger Reemtsma-Instituts gezeichnet worden ist.
Was aber ist das Material, auf das Neitzel und Welzer diese weitreichenden Thesen stützen? Seit Kriegsbeginn hörten die Briten, später dann auch die Amerikaner in Gefangenschaft geratene deutsche Soldaten ab. Die Räume, in denen sich die Gefangenen aufhielten, wurden "verwanzt", die interessant erscheinenden Äußerungen aufgezeichnet, anschließend verschriftlicht und auf diese Weise eine Sammlung von Quellen angelegt, die ihresgleichen sucht. Das Erstaunliche ist eigentlich, dass diese Quellen nicht schon früher herangezogen und genutzt worden sind.
So ist es Sönke Neitzel vorbehalten geblieben, als Erster die Fülle des Materials zu identifizieren und eine Reihe von Forschungsprojekten zu dessen systematischer Auswertung in Gang zu setzen. Dabei ist sehr bald klargeworden, dass man sich diesen "Schatz" nicht aneignen kann, wenn man ihn allein einer historischen Quellenkritik unterzieht, sondern es eines interdisziplinären Zugriffs bedarf; und dazu hat der im Bereich der historischen Erinnerungsforschung ausgewiesene Sozialpsychologe Harald Welzer, der seine Methoden und Fragestellungen bereits mehrfach am Material der NS-Zeit erprobt hat, entscheidend beigetragen.
Es ist ein durch und durch heikler Typ von Quelle, mit dem man es hier zu tun hat: Da ist die Situation des Belauschens selbst, dann die spezifische Art des Zusammenbringens von Gesprächspartnern, die der Direktive folgte, dass die Abgehörten einander möglichst viel erzählen sollten - wobei die Möglichkeit des Übertreibens und Prahlens nie auszuschließen ist -, schließlich der Einsatz von Agenten, also gefangenen Wehrmachtssoldaten, die inzwischen für die Briten oder Amerikaner arbeiteten und gezielt bestimmte Themen ansprachen oder die Unterhaltung in eine bestimmte Richtung lenkten. Dabei interessierten sich die Briten vorwiegend für Kommandeure und Stabsoffiziere, um Informationen über neue Waffen und strategisches Denken zu bekommen, während die Amerikaner ein Bild von der Stimmung in der Wehrmacht insgesamt bekommen wollten und deswegen auch einfache Soldaten belauschten. Neitzel und Welzer wissen, dass sie nur ein bestimmtes Segment der Wehrmacht "mitbelauschen", weil es sich ja nur um in Afrika, Italien oder im Westen gefangen genommene Soldaten handelt. Einige von ihnen hatten jedoch zuvor im Osten gekämpft, und davon erzählen sie auch. Aber es ist fraglos, dass sie in russischer Kriegsgefangenschaft, wo sie unmittelbar mit ihren Taten konfrontiert werden konnten, anders darüber gesprochen oder geschwiegen hätten.
Es sind die spezifischen Rahmenbedingungen amerikanischer oder britischer Gefangenschaft, die in die Unterhaltungen immer einfließen und bei der Auswertung der Quellen berücksichtigt werden müssen. Neitzel und Welzer haben das in hohem Maße getan. Und sie haben darüber hinaus auch die gruppendynamischen Konstellationen in Rechnung gestellt, in denen sich die Berichtenden befanden. Schließlich haben sie auch nicht außer Acht gelassen, dass sich die Einstellung zum Krieg während dessen Verlauf änderte und in den verschiedenen Teilstreitkräften und Waffengattungen erkennbare Unterschiede hinsichtlich Gewalterfahrung und Durchhaltewillen bestanden. Die quellenkritische Reflexion der Autoren ist also vorbildlich.
Aber lassen sich aus einem insgesamt doch begrenzten Material so weitreichende Schlüsse ziehen? Einer davon lautet, dass die Intensität der Kampferfahrung und das zeitweilige Empfinden des Ausgeliefertseins die Bereitschaft fördern, sich von den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konvention dispensiert zu fühlen. Auch eine Vorstellung von "Fairness" spielt bei der Bereitschaft, sich ans Kriegsrecht zu halten, offenbar eine wichtige Rolle. Aus dem Ersten Weltkrieg weiß man, dass bei der Eroberung eines Grabens die Bedienungsmannschaften von Maschinengewehren, auch wenn sie kapitulierten, zumeist getötet wurden, während mit Karabinern bewaffnete Soldaten gute Aussichten hatten, gefangen genommen zu werden.
Auch den englischen Langbogenschützen des späten Mittelalters drohte der Tod, wenn sie französischen Rittern in die Hände fielen. Man hat das in der Regel darauf zurückgeführt, dass sie kein Lösegeld zahlen konnten. Haben Neitzel und Welzer mit ihren Überlegungen recht, dann ist für diese Behandlung die Art des Kampfes über die Distanz hinweg entscheidend, nicht das fehlende Lösegeld. Über diese Generalisierungen hätte man gern mehr erfahren und würde sich ihre stärkere Absicherung wünschen. Das aber ändert nichts daran: Es ist ein großes Buch, das Neitzel und Welzer geschrieben haben.
HERFRIED MÜNKLER
Sönke Neitzel und Harald Welzer: "Soldaten". Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 521 S., geb., 22,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Als durchaus "spektakulären Fund" bezeichnet Rezensent Klaus Bittermann die Abhörprotokolle deutscher Kriegsgefangener, die Sönke Neitzel im britischen Nationalarchiv entdeckt und nun zusammen mit Harald Welzer ausgewertet und veröffentlicht hat. Erschreckend, wie roh und mitleidlos diese Männer von Frauen erzählen, die sie vergewaltigt haben ("Mensch, was haben die geflucht!") oder von den Menschen, die sie getötet haben ("Die Pferde taten mir leid, die Menschen gar nicht"). Mit der Analyse der Protokolle scheint Bittermann allerdings nicht ganz einverstanden zu sein, zumindest wirft seine Besprechung Fragen auf: Kann all diese Brutalität unter die Kategorie "entfesselte Gewalt des Krieges" subsumiert werden? War denn die Vernichtung der europäischen Juden nur ein exzessives Massaker? Ohne es als Kritik zu formulieren, weist Bittermann auch auf die "ideologischen Zurichtung" der deutschen Soldaten hin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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