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Gustav Freytag: Soll und Haben. Roman in sechs Büchern
Erstdruck: Leipzig (Hirzel) 1855.
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors. Herausgegeben von Karl-Maria Guth. Berlin 2016.
Textgrundlage ist die Ausgabe: Gustav Freytag: Soll und Haben. Vollständiger Text nach der Erstausgabe Leipzig 1855, durchgesehen von Meinhard Hasenbein. Mit einem Nachwort von Hans Mayer, Anmerkungen von Anne Anz sowie einer Zeittafel und Literaturhinweisen, München: Hanser, 1977 bzw. München: Deutscher Taschenbuchverlag, 1978.

Produktbeschreibung
Gustav Freytag: Soll und Haben. Roman in sechs Büchern

Erstdruck: Leipzig (Hirzel) 1855.

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth.
Berlin 2016.

Textgrundlage ist die Ausgabe:
Gustav Freytag: Soll und Haben. Vollständiger Text nach der Erstausgabe Leipzig 1855, durchgesehen von Meinhard Hasenbein. Mit einem Nachwort von Hans Mayer, Anmerkungen von Anne Anz sowie einer Zeittafel und Literaturhinweisen, München: Hanser, 1977 bzw. München: Deutscher Taschenbuchverlag, 1978.


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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2014

Kein Buch für den Giftschrank

Antisemitisch oder ein Roman über Vorurteile? Gustav Freytags Bestseller "Soll und Haben" zählt zu den umstrittensten Büchern seiner Zeit. Aber wie wurde der Text damals gelesen?

Die von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebene Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte" hat im Juli eine Sondernummer zum Thema Antisemitismus herausgegeben. Darin gibt der Politikwissenschaftler Gideon Botsch einen Überblick über verschiedene historische Formen von Antisemitismus. Der moderne Antisemitismus ist eine vergleichsweise junge Erscheinung. Er entstand im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert und operierte mit einer biologischen Rassentheorie, die ihn von früheren Formen des christlichen Antijudaismus und Judenhasses unterschied, auch wenn er vielfach ältere Stereotype in sich aufgenommen hatte.

Ziemlich genau an der Schwelle zu dieser Entwicklung erschien in Deutschland ein Roman, der die Geschichte der bürgerlichen Sozialisation eines jungen Kaufmannslehrlings erzählt und diese mit einer zweiten Lebensgeschichte, der eines jüdischen Altersgenossen, kontrastiert: "Soll und Haben" von Gustav Freytag (bei Salomon Hirzel in Leipzig, 1855). Der durchaus unterhaltsame und anrührende Roman wurde zu einem Bestseller und erschien bis 1965 in mehr als einer Million Exemplaren.

Als Rainer Werner Fassbinder in den siebziger Jahren eine Verfilmung plante, kam es zu einer lebhaften Diskussion angesichts der antisemitischen Stereotype, die sich in dem Buch zuhauf finden. Zwar betonte der vorgesehene Drehbuchautor Herbert Knopp, dass es keinesfalls beabsichtigt sei, die im Roman vertretene Weltanschauung schlicht zu reproduzieren, sondern vielmehr, sie "darstellen". Aber der WDR-Intendant Friedrich-Wilhelm von Sell zog das Filmprojekt zurück.

Ein Unwohlsein blieb. Denn dem Autor Gustav Freytag rundweg antisemitische Propaganda unterstellen konnte man nicht, hatte er doch später im Leben allzu deutlich gegen den aufkeimenden Antisemitismus seiner Zeit Position bezogen. So sprach man denn von einer zeittypischen "Ambivalenz" (Hannah Burdekin) in der Haltung Juden gegenüber, die sich bei zahlreichen Autoren der Zeit, darunter auch bei Fontane, beobachten lässt. Was aber, wenn Freytag sich lediglich einer hergebrachten Vorurteilskultur bedient und sich diese für eine komisch-karikierende Darstellung zunutze gemacht hätte - ebenso wie bei anderen Gegensätzen wie Alter/Jugend, Männer/Frauen, Bürgertum/Adel, Europa/Amerika - , wenn er von allem "modernen Antisemitismus" also noch ganz unberührt gewesen wäre? Von der moralischen Brisanz, die seine Juden-Stereotype für den Blick nach 1945 unweigerlich annehmen mussten, konnte er 1855 jedenfalls noch nichts wissen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Zeitgenossen eigentlich auf Freytags Darstellungen reagierten; ob sie als Teil derselben Kultur seine Judendarstellungen als literarische Konfigurationen unproblematisierter Schemata oder als eine spezifisch judenfeindliche Schlagseite wahrgenommen haben.

Wer dieser Frage nachgeht, kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Zwar lassen sich in etwa zwei Dritteln der erreichbaren Rezeptionszeugnisse keinerlei Bezugnahmen auf das Jüdische in Freytags Roman nachweisen. Das restliche Drittel aber zeiht Freytag ausdrücklich einer deutlichen Unausgewogenheit in der Darstellung und einer Verkennung der gesellschaftlichen Wirklichkeit bezüglich des Beitrags der jüdischen Bevölkerungsanteile für die deutsche Kulturentwicklung. In einem Fall fällt sogar der Vorwurf des "Judenhasses".

Freytags Bedienung der Judenklischees war für seine Zeitgenossen also keine durchgängig unauffällige Eigenschaft des Romans, sondern wurde in Teilen durchaus als kommentierungsbedürftige Abweichung empfunden; besonders in der jüdischen Presse, aber nicht nur dort. Selbst Theodor Fontane, der ja an derselben "Ambivalenz" litt und in seiner Rezension vorweg bemerkte: "Der Verf. mag uns glauben, wir zählen nicht zu den Judenfreunden", meinte: "Aber trotz alledem würden wir Anstand nehmen in dieser Einseitigkeit unsere Abneigung zu betätigen. Wohin soll das führen? Die Juden sind mal da und bilden einen nicht unwesentlichen Teil unserer Gesellschaft, unseres Staates. Zugegeben, dass es besser wäre, sie fehlten, oder wären anders, wie sie sind, so wird uns doch umgekehrt der Verf. darin beipflichten, dass es nur zwei Mittel gibt, sie los zu werden: das mittelalterliche Hepp, Hepp mit Schafott und Scheiterhaufen, oder jene allmähliche Amalgamierung, die der stille Segen der Toleranz und Freiheit ist. Es erscheint uns als eine Pflicht des Schriftstellers - und je höher er steht um so mehr - alle Empfindungen zu nähren, die jener Toleranz günstig sind, und der Verf. selbst wird kaum von sich behaupten können, dass er dieser Forderung nachgekommen sei."

Ein anderer Rezensent fand, Freytag habe gerade die "schlimmste Sorte des Judentums" zur Darstellung gebracht und in seiner Absicht, "das jüdische Wucherwesen aufs grellste zu beleuchten", versäumt, diesen negativen Kontrastfiguren auch "ein edleres Gegenbild" beizugesellen. Ein dritter fand, Freytag habe den "Rassenkampf des Judentums um den Besitz von Grund und Boden in der herbsten Schroffheit, wie sie die Wirklichkeit kaum bietet, geschildert", zeigte sich also bereits angesteckt von der rassentheoretischen Interpretation gesellschaftlicher Zustände, ohne jedoch der Gesellschaftsdiagnose in Freytags Roman zuzustimmen.

Auffällig ist es, dass die judenfeindliche Tendenz von Freytags Roman, wenn überhaupt, fast nur im Verbund mit deutlicher Ablehnung derselben vermerkt wurde. Affirmative Bezugnahmen finden sich kaum. Das einzige bislang bekannte Rezeptionsdokument, das eine deutlich antisemitische Haltung verrät, ist die pointierende Inhaltsangabe in einer Zeitungsrezension: "Zwei Väter, ein Christ und ein Jude, entlassen eines Morgens zu gleicher Zeit ihre Söhne auf die Wanderschaft. Der Christ sagt zu seinem Sohne: ,dass du nur immer recht handelst!' Der Jude zu dem seinigen: ,dass du nur immer recht handelst!'". Er lobt den Roman außerdem für die Absicht, "das Hätscheln des Fremden aus der Mode zu bringen", und stimmt damit ausdrücklich einer vermeintlichen Autorintention zu.

Ansonsten finden sich affirmative Bezugnahmen auf den potentiell antisemitischen Gehalt von Freytags Roman nur im Rahmen des religiös motivierten Antijudaismus, wie im Fall eines Artikels des Theologen Sebastian Brunner in seiner "Wiener Kirchenzeitung", in welchem er insinuierend fragt: "Sind die Figuren in Freytags Roman unwahr oder hat nicht jeder ganz ähnliche Leute schon kennen gelernt - der in einer Gegend lebt, die mit Herren aus dem gelobten Lande gefüllt sind?"

Die bürgerliche Presse zeigte sich entweder unempfindlich oder ablehnend gegenüber den unfreundlichen Juden-Klischees. Auch von jüdischer Seite wurde der Roman nicht automatisch als Beleidigung angesehen. Die jüdische Schriftstellerin Fanny Lewald zum Beispiel pries das Buch als "den ersten Roman, dessen Lektüre mir durchweg Vergnügen bereitete", und als Unterhaltungslektüre der bürgerlichen Bildungsschicht wurde es auch in jüdischen Familien ohne Bedenken als Geburtstags- und Bar-Mitzwa-Geschenk weitergereicht. Eine Verbreitung von Judenhass durch Romanlektüre wurde von den Zeitgenossen in der Regel nicht befürchtet; nur Rabbi Zacharias Frankel bezichtigte Freytag in der "Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums", "Hass des Andersglaubenden verbreiten" zu wollen, argumentierte also wiederum innerhalb der theologischen Opposition von Christen- und Judentum und noch nicht in Reaktion auf einen "modernen", Rassentheorie und politischen Nationalismus umgreifenden Antisemitismus.

Ein Roman, der bis nach 1945 gut verkauft wurde, hat freilich eine längere und kompliziertere Wirkungsgeschichte. Die Untersuchung der Erstrezeption ist informativ, was die eigentliche Textbedeutung angeht. Doch sie erzählt noch nicht das Ende der Geschichte. Der für seine antisemitische Einstellung berüchtigte Literaturhistoriker Adolf Bartels (1862 bis 1945) stellt in seiner Geschichte der deutschen Literatur von 1901 "einen Fortschritt innerhalb der nationalen Entwicklung" durch Freytags Roman fest, da dieser "deutsches Wesen im instinktiv erkannten Gegensatz zum jüdischem" zur Anschauung bringe. Wenn das Werk inzwischen auch in mancher Hinsicht etwas altmodisch wirke, so seien die Judendarstellungen darin doch "um so wertvoller", als sie - "sichtbarlich ohne Abneigung geschaffen und nur aus deutschem Instinkt heraus" - "so treffend ausgefallen" seien. 1926 erscheint eine gekürzte (und man kann sagen: dem Zeitgeist angepasste) Ausgabe des Buches, und die ungebrochene Popularität des Romans bis in die Nachkriegszeit zeigt, dass er jedenfalls vielfache Anschlüsse bereithielt.

Freytags "Soll und Haben" ist nichts für den Giftschrank und keine als solch intendierte antisemitische Hetzschrift; gegen anachronistischen Lektüren dieser Art sollte die Untersuchung der Erstrezeption ein Warnschild aufgestellt haben. Aber es gilt, zwischen Absicht und Funktion der Darstellung zu unterscheiden. Plane Antisemitismus-Vorwürfe mögen zu kurz greifen, aber die Bildsphäre "des Jüdischen" als Erklärungsmodell für Zeitdiagnosen war durch diesen Roman gegeben. Mag es auch nicht zu einer unmittelbaren Beförderung von Judenhass beigetragen haben, eine Vorlage für einfache Antworten auf komplexe Gegenwartsprobleme im literarischen Medium lag damit vor, und es oblag wohl der Differenziertheit der einzelnen Leser, inwieweit sie diese poetische Antwort von den wirklich zu treffenden zu unterscheiden vermochten.

KATJA MELLMANN

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