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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2008

Das Meer und die Kunst, ein Kanu zu bauen

Die Autorin Milda Drüke, die sich fernab von Zeitgeistreportagen in alternativen Weltreisen immer wieder aufmacht, "um die Natur von Meeren und Menschen zu erfahren", begibt sich in diesem Buch zu einem zweihundert Meilen vor dem Inselfestland Papua-Neuguineas gelegenen Eiland: Zufällig erfuhr sie von Panyata als Insel des legendären Kanubaums, wo man das Kunsthandwerk des melanesischen Bootsbaus nach alten Riten, Überlieferungen und Beschwörungsformeln, welche die Widerstandsfähigkeit des Gefährts im Sturm stärken sollen, praktiziert. Vier Monate lang nimmt die Autorin als Auftraggeberin eines Kanus - sie entlohnt die Kanubauer mit Fischkonserven namens "Solomon Blue" - am solidargemeinschaftlichen Inselalltag teil, studiert sie die Soziologie und allmählichen Erosionen der Tauschgesellschaft. In Gesprächen mit den Dorfältesten rekonstruiert Drüke lokale Märchen und Mythen etwa über den in seinem Innern roten Kanubaum und dessen Ursprung als Samenkorn im Schoß einer schwangeren Frau, deren Name Bebeta war. Der rituelle Kanubau und die damit verbundenen Interaktionen, Komplikationen und kulturellen Missverständnisse, die beinahe in einem Streik enden, stehen vordergründig im erzählerischen Fokus des Buchs. Vielmehr gibt das Leben auf Panyata aber der Autorin, die wegen ihrer ablaufenden Aufenthaltsgenehmigung immer wieder - kleingeistig, wie sie später erkennt - darum bangt, das Kanu je segeln zu sehen, Anlass zu Reflexionen über die Relativität von Zeit, über die Kulturgebundenheit von Träumen und Tabus, Privatsphäre und Öffentlichkeit und den in der teilnehmenden Beobachtung verlorengegangenen Paradiescharakter. Ohne die Einwohner Panyatas als edle Wilde zu stilisieren - im Mikrokosmos der Insel gibt es Eifersucht, patriarchalische Strukturen, Bildungsnotstand, Abhängigkeit von Zigaretten und Kautabak -, evoziert sie in meditativen Bilderbögen deren "kraftvolle Langsamkeit" und lernt mit "melanesischer Gelassenheit" eurozentrische Maßstäbe abzulegen. Dabei spricht sie auch über Rückkoppelungseffekte der Kolonialisierung, Missionierung und Zivilisierung auf den Clanzusammenhalt als Sozialversicherung und Fundament melanesischer Kultur: Milda Drüke überzeugt mit einem realistischen Sittengemälde und Porträts von Menschen, die im Zurückgeworfensein auf das Wesentliche von einem anderen Weltbild erzählen.

sg

"Solomon Blue. Bei den Inselbewohnern Papua-Neuguineas" von Milda Drüke. Frederking & Thaler Verlag, München 2007. 256 Seiten. Gebunden, 19,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2007

Dosenfisch unter dem Kanubaum
Ein Bootsbau gibt Einblick in die Gesellschaft eines Inselvolkes in Papua-Neuguinea
Es hat sich offenbar nichts verändert, seit Georg Forster 1777 seine „Reise um die Welt” mit Captain Cook veröffentlichte. Europäer fahren in fremde Länder, tauschen Eisennägel und Glasperlen gegen Früchte, Wasser und Hausschweine, beobachten die Landschaft und die Einheimischen, porträtieren sie, segeln weiter, und wenn sie zu Hause angekommen sind, gibt es viele, die lesen wollen, wie es denn da zugeht, in Ländern, die sie bisher nur mit Menschenfressern und freier Liebe in Verbindung gebracht haben.
Milda Drüke, einst Weltumseglerin, ist in eines der fremdesten Länder gereist, nach Papua-Neuguinea, um dort, auf einer Insel, 200 Meilen vor der Küste, den Bau eines traditionellen Kanus mitzuerleben und zu beschreiben. Insel des Kanubaums heißt Panyata, weil dort die von Natur aus gleichmäßig gekrümmten Bäume wachsen, aus denen seit je die großen Segelkanus gebaut werden. Und wenn die Autorin nach tagelanger Fahrt endlich in einer Hütte in Panyata betelnusskauenden Männern und Frauen gegenüber sitzt und ein Kanu in Auftrag geben will, da könnte die Szene auch 1706 und nicht 2006 gespielt haben: „Dann sagt der Alte: Es ist Tradition, die Kanubauer für ihre Arbeit mit warmen Mahlzeiten zu bezahlen. Sie essen Fisch, Fleisch und Reis und möchten Tee trinken, Zigaretten rauchen und Kautabak kauen. Bist du bereit, all das gegen ihre Arbeit zu tauschen?” Die Arbeiter wollen aber keinen frischen Fisch, sie wollen, weil es etwas ist, was man mit Geld bezahlen muss, Konservenfisch, am liebsten von der Marke Solomon Blue. Und als man sich handelseinig ist, da verteilt die Dimdim, wie die weiße Frau genannt wird, Kautabak und Zigaretten und löst damit „seliges Lächeln auf allen Gesichtern aus”.
Ginge es nur um diesen Kanubau, die Sehnsucht der passionierten Seglerin, einen archaischen, mit vielen Mythen aufgeladenen Bootsbau zu erleben und ihre Gedanken- und Gefühlsausbrüche dabei, müsste man das Buch nicht unbedingt lesen. Glücklicherweise aber ist der Bootsbau nur der Katalysator, der, nach und nach der Autorin und uns Lesern das Innere einer nur auf den ersten Blick paradiesischen Gesellschaft begreifbar macht. Da ist der geizige Gemischtwarenhändler, dem sie den Dosenfisch abkauft und der im ganzen Dorf unbeliebt ist, schließlich aber das Kanu bekommen wird, weil er zwei Planken gespendet hat. Da ist der Chefbootsbauer, der seine Frau schlägt, weil er nicht will, dass sie an einem Korbballturnier teilnimmt. Da ist die Frau, die sich das Leben nimmt, weil sie nach acht Kindern müde ist, die katholischen Missionare ihr aber das Verhüten nicht erlauben. Und dass das System, wonach jeder mit jedem teilt und tauscht, was er hat, nur so lange funktioniert, bis Zigaretten und Kautabak knapp werden, ist auch eine wertvolle Erkenntnis, welche die Insel ein großes Stück an Europa heranrückt.
Weil Drüke so völlig auf die Hilfe der Einheimischen angewiesen ist und ihnen neben Rauchwerk und Kautabak großen Respekt entgegen bringt, wird auch ihr vertraut. Zu ihrer Gastgeberin, einer alleinerziehenden Mutter, entsteht sogar eine Freundschaft, die für Drüke wichtiger ist als jeder Dosenfisch und Kautabak: Denn vor allem durch sie erhält die Autorin Einblick in die fremde und verschlossene Gesellschaft. Als das Kanu endlich fertig ist, kurz bevor sie abreisen muss, ist es längst zu einer Nebensache geworden. HANS GASSER
Jeder teilt mit jedem – das geht nur solange gut, bis Kautabak und Zigaretten knapp werden
Milda Drüke
Solomon Blue
Bei den Inselbewohnern Papua-Neuguineas. Verlag Frederking & Thaler, München 2007. 252 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Im Zentrum des Buches, das die Weltumseglerin Milda Düke über ihre Reise auf eine Insel in Papua-Neuguinea geschrieben hat, steht der von ihr selbst in Auftrag gegebene Bau eines Segelkanus, erklärt Hans Gasser. Ginge es allerdings nur um diesen Bootsbau und die geschäftlichen Verhandlungen darum, wäre das Buch nicht halb so interessant. Aber weil die Autorin immer tiefer in die Gesellschaft der Inselbewohner eindringt und feststellen muss, dass hier beileibe keine Idylle zu finden ist, erntet sie das Wolhwollen der Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH