Ebenso einfühlsam wie schonungslos porträtiert der 30-jährige Amerikaner Adrian Tomine in "Sommerblond" die emotionale Zerrissenheit seiner Generation. In drei melancholischen Erzählungen gewährt er Einblicke in das zuweilen abwegige Streben seiner Protagonisten nach Zuwendung und Anerkennung. Tomine gelingt in eindringlichen, naturalistischen Bildern ein Comic, lohnend wie ein guter zeitgenössischer Roman (Nick Hornby).
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.11.2004Alltags-Blitzlicht: Adrian Tomines Comics ohne Bumm und Peng
Adrian Tomine arbeitet wie ein Blitzlicht. Für den kurzen Augenblick, in dem der Auslöser gedrückt wird, ist die Szenerie hell ausgeleuchtet. In diesem Moment klinkt sich der amerikanische Comic-Zeichner in das Leben seiner Protagonisten ein und hält alles, was er sieht, mit dem Stift fest, auch das Unschöne, Peinliche. Und plötzlich ist das Licht erloschen - und genau so unvermittelt verlässt Tomine seine Figuren wieder, lässt sie allein mit ihrem Schicksal und den Leser mit dem, was er gesehen hat.
Diese eigenwillige Dramaturgie ohne rechten Anfang und ohne eindeutiges Ende verwendet der dreißig Jahre alte Amerikaner auch in „Sommerblond” (Reprodukt-Verlag, Berlin 2004. 102 Seiten, 15 Euro) . Mit dieser Sammlung dreier Comic-Kurzgeschichten, die vor zwei Jahren in den USA auf den Markt kam, präsentiert sich Tomine endgültig als feinsinniger Alltagsbeobachter. Er gehört zu jener jungen Generation amerikanischer Zeichner, deren Stil oftmals europäisch geprägt ist, und die in ihren Geschichten vom Leben der Leute nebenan erzählt, ganz ohne Bumm und Peng.
So auch in „Sommerblond”: Diese Geschichten streben nicht zwangsläufig auf einen Höhepunkt zu, es gibt keinen Showdown, keine knackige Pointe. Dafür kämpfen hier ganz normale Menschen mit ganz normalen Problemen, versuchen sich durch ihren Alltag von Leben, Liebe, Sex und Job zu navigieren. Es sind manchmal hilflose Versuche, am Rand des Scheiterns. Doch Tomine hütet sich, einen Ausweg zu zeichnen. Alle Geschichten enden mit Bildern von den Gesichtern der Figuren, deren Blicke hilflos ins Irgendwo gerichtet sind, unsicher und traurig. In der titelgebenden Geschichte „Sommerblond” geht Tomine noch einen Schritt weiter, fügt an das letzte noch ein allerletztes Panel: ganz schwarz ausgemalt.
Trotz aller Melancholie ist „Sommerblond” ist kein trauriges Buch. Tomine zeichnet und schreibt, als führe er ein naturwissenschaftliches Experiment aus. Seine Szenerien erinnern an Versuchsanordnungen im Labor. Exakt schaut er hin, beobachtet seine Figuren und ihre Umwelt: wie sie reden, wie sie miteinander umgehen, was sie machen, wenn sie alleine sind. Und hat er das Gefühl, genug zu wissen, dann bringt er jene Abenteuer des Alltags zu Papier - in klar strukturierten Geschichten, schnörkellos erzählt und ebenso gezeichnet.
Tomine liebt die Zwischentöne im Zwischenmenschlichen. Seiner Beobachtungsgabe und seiner zeichnerischen Exaktheit entgehen auch Kleinigkeiten nicht: die Werbeplakate in der U-Bahn etwa oder die mit Kreide geschriebenen Tagesangebote im Sandwich-Shop. Auf diese Weise hält Tomine gewissenhaft das Treiben seiner Figuren fest. So gelingt es ihm auch, Erinnerungen beim Leser zu wecken: Wie war es denn damals mit dem Mädchen, das mal wollte, dann jedoch wieder nicht so recht? Oder mit dem Mitbewohner, der ein ewiges Rätsel blieb? Und mit den Parties, bei denen man sich fehl am Platz fühlte, vielleicht weil sie immer eine Spur zu ordinär waren? So wird die Lektüre von „Sommerblond” zum Blitzlicht für Szenen aus der Vergangenheit. Längst vergangene Geschichten - dramatisch damals, doch aus der Distanz lässt sich wunderbar darüber lachen.
MICHAEL SCHLEICHER
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Adrian Tomine arbeitet wie ein Blitzlicht. Für den kurzen Augenblick, in dem der Auslöser gedrückt wird, ist die Szenerie hell ausgeleuchtet. In diesem Moment klinkt sich der amerikanische Comic-Zeichner in das Leben seiner Protagonisten ein und hält alles, was er sieht, mit dem Stift fest, auch das Unschöne, Peinliche. Und plötzlich ist das Licht erloschen - und genau so unvermittelt verlässt Tomine seine Figuren wieder, lässt sie allein mit ihrem Schicksal und den Leser mit dem, was er gesehen hat.
Diese eigenwillige Dramaturgie ohne rechten Anfang und ohne eindeutiges Ende verwendet der dreißig Jahre alte Amerikaner auch in „Sommerblond” (Reprodukt-Verlag, Berlin 2004. 102 Seiten, 15 Euro) . Mit dieser Sammlung dreier Comic-Kurzgeschichten, die vor zwei Jahren in den USA auf den Markt kam, präsentiert sich Tomine endgültig als feinsinniger Alltagsbeobachter. Er gehört zu jener jungen Generation amerikanischer Zeichner, deren Stil oftmals europäisch geprägt ist, und die in ihren Geschichten vom Leben der Leute nebenan erzählt, ganz ohne Bumm und Peng.
So auch in „Sommerblond”: Diese Geschichten streben nicht zwangsläufig auf einen Höhepunkt zu, es gibt keinen Showdown, keine knackige Pointe. Dafür kämpfen hier ganz normale Menschen mit ganz normalen Problemen, versuchen sich durch ihren Alltag von Leben, Liebe, Sex und Job zu navigieren. Es sind manchmal hilflose Versuche, am Rand des Scheiterns. Doch Tomine hütet sich, einen Ausweg zu zeichnen. Alle Geschichten enden mit Bildern von den Gesichtern der Figuren, deren Blicke hilflos ins Irgendwo gerichtet sind, unsicher und traurig. In der titelgebenden Geschichte „Sommerblond” geht Tomine noch einen Schritt weiter, fügt an das letzte noch ein allerletztes Panel: ganz schwarz ausgemalt.
Trotz aller Melancholie ist „Sommerblond” ist kein trauriges Buch. Tomine zeichnet und schreibt, als führe er ein naturwissenschaftliches Experiment aus. Seine Szenerien erinnern an Versuchsanordnungen im Labor. Exakt schaut er hin, beobachtet seine Figuren und ihre Umwelt: wie sie reden, wie sie miteinander umgehen, was sie machen, wenn sie alleine sind. Und hat er das Gefühl, genug zu wissen, dann bringt er jene Abenteuer des Alltags zu Papier - in klar strukturierten Geschichten, schnörkellos erzählt und ebenso gezeichnet.
Tomine liebt die Zwischentöne im Zwischenmenschlichen. Seiner Beobachtungsgabe und seiner zeichnerischen Exaktheit entgehen auch Kleinigkeiten nicht: die Werbeplakate in der U-Bahn etwa oder die mit Kreide geschriebenen Tagesangebote im Sandwich-Shop. Auf diese Weise hält Tomine gewissenhaft das Treiben seiner Figuren fest. So gelingt es ihm auch, Erinnerungen beim Leser zu wecken: Wie war es denn damals mit dem Mädchen, das mal wollte, dann jedoch wieder nicht so recht? Oder mit dem Mitbewohner, der ein ewiges Rätsel blieb? Und mit den Parties, bei denen man sich fehl am Platz fühlte, vielleicht weil sie immer eine Spur zu ordinär waren? So wird die Lektüre von „Sommerblond” zum Blitzlicht für Szenen aus der Vergangenheit. Längst vergangene Geschichten - dramatisch damals, doch aus der Distanz lässt sich wunderbar darüber lachen.
MICHAEL SCHLEICHER
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die drei neuen Comic-Stories des Amerikaners Adrian Tomine kommen schön "lakonisch und subtil" wie eh und je daher, freut sich Rezensent Christian Gasser. Auch wenn sich seine Protagonisten - da gibt es die arbeitslose Telefonverkäuferin, den verklemmten Voyeur oder den Highschool-Außenseiter - in ihrer "depressiven Grundstimmung" stark ähneln, so ändere dies nichts an der Tatsache, dass Tomine "ein begnadeter" Comic-Erzähler ist. Die Stärke des Autors liegt für Gasser in seinem klaren, aber zugleich "subtilen" Strich. Im neuen Buch lässt Tomine zum Entzücken des Kritikers sogar ein wenig Hoffnung auf den melancholischen Gesichtern seiner Figuren erscheinen. Ein Autor, "der genau weiß, was er sagen" und zeigen muss.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH