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August 1963. In einem Sommercamp verbringen zehn- bis fünfzehnjährige Pfadfinderinnen fernab von ihren Familien die Ferien. Tagaus tagein werden sie auf Trab gehalten. Sie marschieren, turnen, reiten, schießen, schwimmen... und stecken die Köpfe zusammen: Lenny, Alma, Delia und Cap. Bald erweist sich freilich, daß jede der vier Unzertrennlichen dunkle Geheimnisse mit sich herumträgt. Einfühlsam bechreibt Jayne Anne Philips die beklemmende Erfahrung des Erwachsenwerdens.

Produktbeschreibung
August 1963. In einem Sommercamp verbringen zehn- bis fünfzehnjährige Pfadfinderinnen fernab von ihren Familien die Ferien. Tagaus tagein werden sie auf Trab gehalten. Sie marschieren, turnen, reiten, schießen, schwimmen... und stecken die Köpfe zusammen: Lenny, Alma, Delia und Cap. Bald erweist sich freilich, daß jede der vier Unzertrennlichen dunkle Geheimnisse mit sich herumträgt. Einfühlsam bechreibt Jayne Anne Philips die beklemmende Erfahrung des Erwachsenwerdens.
Autorenporträt
Jayne Anne Phillips wurde 1952 in Virginia geboren und unterrichtete nach ihrem Studium am Radcliff College in Cambridge, Mass. Sie hat zahlreiche Literaturstipendien erhalten, u.a. das Guggenheim Fellowship. Ihr Roman "Maschinenträume" wurde in 14 Sprachen übersetzt. Auf deutsch erschienen auch zahlreiche Kurzgeschichten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.09.1996

Das Böse aus dem Rucksack
Jayne Anne Philipps beobachtet junge Mädchen am Lagerfeuer

Jayne Anne Philipps ist eine wunderbare Erzählerin. Seit ihrem hochgelobten und umschwärmten Erstling "Das himmlische Tier" (1979) verfügt sie über alle Fähigkeiten, die man zu diesem Metier benötigt: Sie erfaßt ihre Figuren mit großer Intensität; sie schreibt ein klingendes, äußerst melodiöses, oft beinahe psalmisches Amerikanisch, leuchtend präzis in den Metaphern und Bildern; und sie arbeitet mit einem unmerklichen, raschen Wechsel der Erzählperspektiven, der die Handlungsmomente einer Geschichte in ein Kaleidoskop von miniaturhaften Außen- und Innenansichten zerlegt. Dabei bleibt der Gesamtton dieser Prosa sehr ruhig; ihr Untergrund ist jedoch Trauer, und wenn diese Trauer sich durchzusetzen beginnt, bekommt der sowieso schon weiche Prosaton etwas Gleitendes, Traumhaftes, als ginge es dieser Autorin letztlich darum, der Verwesung der Dinge beizuwohnen.

"Das himmlische Tier" war eine Sammlung von siebenundzwanzig Short stories, die meisten kaum ein paar Seiten lang. Genauer gesagt, handelte es sich um eine Galerie sehr exakter Porträts. Wie überscharfe Blitze hoben sie die prägnanten Züge der Gestalten aus einem diffusen Dunkel hervor. "Überholspur" (1987), die zweite Sammlung, kam mit sieben Texten unterschiedlicher Länge aus, darunter waren längere, meisterhafte Erzählungen, aber auch kürzere Blitzgewitter in der Bauart von früher. Zwischen diesen beiden Erzählungsbänden war 1984 der erste Roman erschienen, "Maschinenträume"; die Kritiker taten sich damit schwerer als mit den Short stories, doch "Maschinenträume" war einfach etwas anderes als die Kurzgeschichten, eine über einen längeren Zeitraum gespannte Familiengeschichte, und man sollte, gerade in einem Fall, wo eine Autorin abweicht von ihren Anfängen, nicht in die stumpfe Gewohnheit verfallen, ihr ausgerechnet das vorzuhalten.

Jayne Anne Philipps könnte - ganz ohne Zweifel - einen der großen Romane unseres Jahrhunderts schreiben. Doch auch "Sommercamp" ist höchstens ein Versuch und provoziert weniger die Frage nach den Fähigkeiten dieser Autorin als vielmehr die nach ihren Möglichkeiten. Auch diesmal ist die stilistische Virtuosität unübersehbar (Karin Kersten hat diese manchmal geradezu betörend sinnlichen Sätze in ein schimmernd weiches und doch zupackendes Deutsch übertragen); bestimmte Abschnitte liest man zwei- oder dreimal, weil die darin angebotene Sicht auf Menschen und Dinge einzigartig ist. In den körnigen Details bleibt dieser Roman haften, ist er eine Fundgrube meisterhafter Beschreibung und suggestiver Atmosphärenstreuung.

Problematischer ist schon der Umgang mit den zentralen Figuren. "Sommercamp" ist ein Roman für Erwachsene, dessen Handlung nahe am Jugendroman angesiedelt ist. Den größten Raum nehmen vier junge Mädchen ein, die in einem ländlichen Camp die Entfernung vom Elternhaus genießen. Jayne Anne Philipps hat sich alle Mühe gegeben, in die Psychologie dieser jungen Geschöpfe einzudringen und ihre Anspannung zwischen Kindheit und Erwachsenwerden zu erforschen. Das alles ist sehr genau gezeichnet, aufs äußerste sensibel, ein einziger Wärmestrom von Verständnis und Einfühlung. Und doch beginnen einen diese jungen Wesen nach einiger Zeit zu langweilen. Denn um zu fesseln, ist die Pubertät dieser Gestalten zu wenig radikal, zu unterdrückt. Vierhundert Seiten sind zuviel für diesen Stoff.

Was den Roman jedoch vor allem schwerfällig macht, sind die männlichen Gestalten. Da es sich beim Sommercamp um ein Mädchencamp handelt, sind diese Mannsbilder an den unheimlichen Rändern der Hauptszenerie aufgebaut. Und beinahe alle schleppen einen großen Rucksack voller Faulkner-Motive mit sich herum. Das Böse, die lauernde Sexualität, das Triebhaft-Abgründige - das ist hier nicht nur von Faulkner adaptiert, es ist derart von seinen Darstellungen geprägt, daß man immer wieder aufstöhnt, wenn eine Mannsbestie, vom Alkohol geschwächt, vom Teufel verfolgt, von Mordlust gepackt, über den Weg läuft. Hier hat Jayne Anne Philipps ihre Erzählkunst verlassen, hier schnitzt sie gnadenlos an ihren Klischees, es ist zum Gähnen, und man begreift es nicht.

Der ganzen Problematik ihres Erzählens kommt man jedoch erst näher, wenn man sich die Erzählkomposition dieses Romans klarmacht. Die Autorin hat sich nämlich einen eigenen Weg gesucht, um dem sturen Handlungsaufbau, Kapitel für Kapitel, zu entgehen. Statt dessen gestaltet sie so etwas wie einen Reigen der zentralen Figuren; von Abschnitt zu Abschnitt wechselt daher die Perspektive, und im Mittelpunkt jedes dieser kleinen Erzählausschnitte steht jeweils eine Person.

Das ist originell, es erlaubt auch Abwechslung, andererseits kommt die Autorin nicht drum herum, zu Beginn jedes Abschnitts neu auszuholen, sich langsam in die wieder neu auftretende Person zu vertiefen. Das müßte kein Fehler sein; in diesem Fall jedoch stehen die Retardierungsmomente der Entwicklung der Handlung (vor allem auf den letzten einhundertfünfzig Seiten) im Wege. Denn Jayne Anne Philipps hat wohl selbst gemerkt, daß ihr mit der Zeit die Handlung auszugehen drohte. Was statt Handlung übrigblieb, waren die Elemente ihrer Short stories, meisterhafte Porträts junger Mädchen, Stimmungsbilder; so etwas gestaltet aber noch keinen langen Roman.

Als die Gefahr erkannt war, hat Jayne Anne Philipps zur Notwehr gegriffen. Sie hat sich ein furchtbares Ende ausgedacht, sie hat all ihre Figuren zu diesem furchtbaren Ende abkommandiert, und sie läßt jede ihrer Figuren dieses furchtbare Ende erleben, jede für sich, jede noch einmal, als ginge es um einen Elementarkurs in erzählerischer Gründlichkeit. Und so werden die Faulknerschen Rucksackgespenster herausgelassen, und sie fahren wie die Furien in die Leiber der jungen Mädchen und in die Teufelskörper der Holzschnittmänner, und man begreift plötzlich, warum Jayne Anne Philipps ihrem Roman ein Motto aus Rilkes "Duineser Elegien" ("Ein jeder Engel ist schrecklich") vorangestellt hatte: Rilkes Zeile ist gleichsam der Kitsch-Kommentar zum kitschigen Schluß dieses Buches selbst.

Virtuos im Stil, beharrlich wie immer, hat Jayne Anne Philipps in diesem Roman einen Fehler nach dem anderen gemacht. Als sollte diese ganz künstliche Spannung, die zum Thema des Romans werden sollte, statt dessen jedoch in trüben Seen und dunklen Wäldern verschwand, ihre zusätzliche Weihe erhalten, hat der Roman viele Symbole und Zeichen mitbekommen, damit der Leser Stielaugen mache und damit er erfahre, wessen der Himmel ist und wessen die Hölle.

Spätestens hier ist man als Jayne-Anne-Philipps-Verehrer dann doch enttäuscht. Hat diese große Autorin solchen Symbolfirlefanz nötig? Und warum flieht sie in ihren Romanen so beharrlich zurück in die sechziger Jahre, als Gut und Böse so kaltkriegerisch getrennt waren? Der Verdacht liegt nahe, daß sie der Gegenwart ausweicht. "Sommercamp" ist der Roman einer inneren Blockade; es ist der völlig überanstrengte Versuch, sich die Welt beinahe gewaltsam gefügig zu machen.

Am ehrlichsten ist der große Epilog der letzten zehn Seiten, wo das einzige wirkliche Kind dieser vierhundert Seiten, wunderbarerweise ein Junge, den Nachwirkungen des Geschehens nachspürt: erschöpft, aber rührend intensiv, im (mehrseitigen) Blick auf ein einäugiges Kaninchen. Das arme Tier ist die Allegorie dieses Romans. HANNS-JOSEF ORTHEIL.

Jayne Anne Philipps: "Sommercamp". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Karin Kersten. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1996. 409 Seiten, geb., 48,- DM.

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