Heitere Tage, mondhelle Nächte, frische Meeresbrisen. Doch was tun, wenn keiner da ist, um all das gebührend zu würdigen? Das Ehepaar Brasen betreibt ohne großen Zuspruch ein Hotel an der Ostküste Jütlands. Erst eine Zeitungsannonce bringt den Umschwung. Die Sommerfrischler strömen nur so herbei, und die Nöte der Brasens sind plötzlich ganz andere.
Bündigkeit und Prägnanz, mit der Herman Bang seine Figuren entwickelt, sind unübertroffen. Kein Wort zuviel, kein ornamentales Beiwerk, keinerlei atmosphärische Wattierung, dafür liebevoll skizzierte Details, die sich unversehens zu einem Ganzen runden. Szene um Szene, scheinbar beiläufig, entsteht das Bild einer Epoche. Eine sonnenhungrige Gesellschaft etwa, wenn sie wie ein Heuschreckenschwarm im Hotel einfällt und im Handumdrehen aller Beschaulichkeit den Garaus macht, steht beispielhaft für die Geburt des Tourismus aus dem Geiste des Geschäftssinns. Neben der titelgebenden Geschichte enthält unser Band zwei weitere Meisterwerke des "dänischen Cechov". In "Die Raben" hat sich eine vielköpfige Schar versammelt, hinter deren Familiensinn der pure Eigennutz lauert. "Fräulein Caja" schließlich führt uns in die Welt eines Pensionats, wo oberflächliches Geschwätz verhindert, daß zwei Liebende zueinanderfinden.
Bang versteht sich meisterlich auf präzise Milieustudien. Bei ihm hat es stets etwas Anrührendes zu sehen, wie ungelenk die Menschen versuchen, einen Zipfel von dem zu erhaschen, was sie für Glück halten.
Bündigkeit und Prägnanz, mit der Herman Bang seine Figuren entwickelt, sind unübertroffen. Kein Wort zuviel, kein ornamentales Beiwerk, keinerlei atmosphärische Wattierung, dafür liebevoll skizzierte Details, die sich unversehens zu einem Ganzen runden. Szene um Szene, scheinbar beiläufig, entsteht das Bild einer Epoche. Eine sonnenhungrige Gesellschaft etwa, wenn sie wie ein Heuschreckenschwarm im Hotel einfällt und im Handumdrehen aller Beschaulichkeit den Garaus macht, steht beispielhaft für die Geburt des Tourismus aus dem Geiste des Geschäftssinns. Neben der titelgebenden Geschichte enthält unser Band zwei weitere Meisterwerke des "dänischen Cechov". In "Die Raben" hat sich eine vielköpfige Schar versammelt, hinter deren Familiensinn der pure Eigennutz lauert. "Fräulein Caja" schließlich führt uns in die Welt eines Pensionats, wo oberflächliches Geschwätz verhindert, daß zwei Liebende zueinanderfinden.
Bang versteht sich meisterlich auf präzise Milieustudien. Bei ihm hat es stets etwas Anrührendes zu sehen, wie ungelenk die Menschen versuchen, einen Zipfel von dem zu erhaschen, was sie für Glück halten.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.04.2007„Sehen können – das ist das ganze Geheimnis der Kunst”: Zum 150. Geburtstag des Schriftstellers Herman Bang
Der Lichtschreiber
Sonnenfluten, Schattenspiel: Der Erzählband „Sommerfreuden”
Der Astronom John Herschel prägte im frühen 19. Jahrhundert den Begriff „Fotografie”. Wörtlich heißt das „Lichtschreiben”, und nichts charakterisiert Herman Bangs Kunst mehr. Wie wirkungsvoll und elegant setzt der dänische Schriftsteller, der vor 150 Jahren, am 20. April 1857 geboren wurde, in seinen Erzählungen das Licht! Ein schmeichelndes, fast zärtliches zuweilen, das hässliche Lebensspuren im Gesicht einer Figur glättet, kraftvolle Sonnenfluten dann auch, vielfach reflektiert von den Wellen. Oft wirft er ein mit einer Art Blitzlicht-Effekt erbarmungsloses Schlaglicht auf Menschen. Und schon folgt der nächste Lichtwechsel: In dunklen Ladengängen leuchtet noch an grellen Sommertagen die Petroleumlampe, deren Schein Sensen und Hacken wie Marterinstrumente erscheinen lässt.
Selbst die Abwesenheit von Licht inszeniert Bang, wenn er etwa den Blick auf eine traurige Ansammlung von Kerzen lenkt, die – statt im Kronleuchter zu glänzen – nur noch beleidigend peinlich herumliegen, als Zeichen einer demütigend abgelehnten Einladung. Das Licht ersetzt bei Bang auch noch die Uhren: „Die Schatten der Häuser zeichneten sich in gewohnter Schärfe ab; sie kamen und wurden länger und verschwanden, immer in der gleichen Weise. Es war, als benötige man in diesem Ort überhaupt keine Uhr, so pünktlich bewegten sich die Schatten.”
Doch steckt viel mehr in Bang, wie gerade die Titelerzählung der Sammlung „Sommerfreuden” beweist. Ein Hotelierspaar am Rande des Ruins wartet hier auf Gäste. Die Betten, die Handtüchter, die Zimmer selbst sind heruntergekommen, der Zusammenbruch steht unmittelbar bevor. Nicht nur die Hotelpächter, den ganzen Ort hat die Lähmung hoffnungslosen Wartens ergriffen. Als Skizze faszinierte schon das allein, doch plötzlich lässt der Autor die Erzählung explodieren. Es treffen gleich zwei Dutzend Gäste ein, auf die niemand vorbereitet ist. Eine Hetzjagd beginnt, ebenso verzweifelt wie das Warten zuvor, denn an allem fehlt es: an Dienstboten, Speisen, Geschirr. Immer noch schlimmer wird das Tohuwabohu, bis die hungrigen Gäste wild trampeln und an die Teller schlagen. Bang gönnt dem Leser dazwischen kurze Ruhepausen des Tändelns, um anschließend noch wirkungsvoller die Nerven zu peitschen. Das ersehnte Glück, viele Gäste zu haben, beschert den Hoteliers eine Kette von Katastrophen und bricht ihnen am Ende das Genick.
Drehbuchautoren, Kameraleute, Regisseure könnten von Herman Bang viel lernen. Das gilt für alle drei Erzählungen des von Aldo Keel wiederum wunderbar übersetzten und kommentierten Bandes, wobei die „Die Raben”, eine böse Satire über Erbengier, und „Fräulein Caja”, ein Tag im Leben einer unglückliche Pensionswirtin, fein gesponnene Kammerspiele sind, weniger dramatisch als „Sommerfreuden”. Die Fülle an Figuren und Geschichten, die Bang in diesen drei Texten aufbietet, würde anderen Autoren für ein Lebenswerk genügen. Er dagegen stellt in ein paar Sätzen ganze Schicksale vor den Leser hin und eilt weiter.
Oberflächlich könnte das wirken, wenn man oberflächlich liest. Auch das bereitet übrigens Vergnügen. Größer wird es, beachtet man all die kleinen Signale, die auf große Geheimnisse, begrabene Hoffnungen, soziale Umbrüche deuten. Das Dänemark des ausgehenden 19. Jahrhunderts setzte seine Bewohner ja einem erschreckenden Wandel aus. Die Industrialisierung und Verstädterung lösten die Stabilität der zuvor landwirtschaftlich orientierten Nation auf. Unsicherheit und Orientierungslosigkeit ergriff viele Menschen. Bang zeigt, wie in dieser Situation die alten Regeln oft nur noch äußerlich befolgt werden, wie Zynismus sich breit macht und welche Opfer diese Entwicklung kostet, vor allem unter Frauen. Am erstaunlichsten ist vielleicht, dass selbst seine literarischen Karikaturen berühren. Etwas Besonderes steckt auch in ihnen, etwas, das Herman Bang mit seiner Kompositionskunst und variationsreichen Sprachmusik zum Leuchten bringt.ROLF-BERNHARD ESSIG
HERMAN BANG: Sommerfreuden. Erzählungen. Aus dem Dänischen übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort von Aldo Keel. Manesse Verlag, Zürich 2007. 348 Seiten, 19,90 Euro.
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Der Lichtschreiber
Sonnenfluten, Schattenspiel: Der Erzählband „Sommerfreuden”
Der Astronom John Herschel prägte im frühen 19. Jahrhundert den Begriff „Fotografie”. Wörtlich heißt das „Lichtschreiben”, und nichts charakterisiert Herman Bangs Kunst mehr. Wie wirkungsvoll und elegant setzt der dänische Schriftsteller, der vor 150 Jahren, am 20. April 1857 geboren wurde, in seinen Erzählungen das Licht! Ein schmeichelndes, fast zärtliches zuweilen, das hässliche Lebensspuren im Gesicht einer Figur glättet, kraftvolle Sonnenfluten dann auch, vielfach reflektiert von den Wellen. Oft wirft er ein mit einer Art Blitzlicht-Effekt erbarmungsloses Schlaglicht auf Menschen. Und schon folgt der nächste Lichtwechsel: In dunklen Ladengängen leuchtet noch an grellen Sommertagen die Petroleumlampe, deren Schein Sensen und Hacken wie Marterinstrumente erscheinen lässt.
Selbst die Abwesenheit von Licht inszeniert Bang, wenn er etwa den Blick auf eine traurige Ansammlung von Kerzen lenkt, die – statt im Kronleuchter zu glänzen – nur noch beleidigend peinlich herumliegen, als Zeichen einer demütigend abgelehnten Einladung. Das Licht ersetzt bei Bang auch noch die Uhren: „Die Schatten der Häuser zeichneten sich in gewohnter Schärfe ab; sie kamen und wurden länger und verschwanden, immer in der gleichen Weise. Es war, als benötige man in diesem Ort überhaupt keine Uhr, so pünktlich bewegten sich die Schatten.”
Doch steckt viel mehr in Bang, wie gerade die Titelerzählung der Sammlung „Sommerfreuden” beweist. Ein Hotelierspaar am Rande des Ruins wartet hier auf Gäste. Die Betten, die Handtüchter, die Zimmer selbst sind heruntergekommen, der Zusammenbruch steht unmittelbar bevor. Nicht nur die Hotelpächter, den ganzen Ort hat die Lähmung hoffnungslosen Wartens ergriffen. Als Skizze faszinierte schon das allein, doch plötzlich lässt der Autor die Erzählung explodieren. Es treffen gleich zwei Dutzend Gäste ein, auf die niemand vorbereitet ist. Eine Hetzjagd beginnt, ebenso verzweifelt wie das Warten zuvor, denn an allem fehlt es: an Dienstboten, Speisen, Geschirr. Immer noch schlimmer wird das Tohuwabohu, bis die hungrigen Gäste wild trampeln und an die Teller schlagen. Bang gönnt dem Leser dazwischen kurze Ruhepausen des Tändelns, um anschließend noch wirkungsvoller die Nerven zu peitschen. Das ersehnte Glück, viele Gäste zu haben, beschert den Hoteliers eine Kette von Katastrophen und bricht ihnen am Ende das Genick.
Drehbuchautoren, Kameraleute, Regisseure könnten von Herman Bang viel lernen. Das gilt für alle drei Erzählungen des von Aldo Keel wiederum wunderbar übersetzten und kommentierten Bandes, wobei die „Die Raben”, eine böse Satire über Erbengier, und „Fräulein Caja”, ein Tag im Leben einer unglückliche Pensionswirtin, fein gesponnene Kammerspiele sind, weniger dramatisch als „Sommerfreuden”. Die Fülle an Figuren und Geschichten, die Bang in diesen drei Texten aufbietet, würde anderen Autoren für ein Lebenswerk genügen. Er dagegen stellt in ein paar Sätzen ganze Schicksale vor den Leser hin und eilt weiter.
Oberflächlich könnte das wirken, wenn man oberflächlich liest. Auch das bereitet übrigens Vergnügen. Größer wird es, beachtet man all die kleinen Signale, die auf große Geheimnisse, begrabene Hoffnungen, soziale Umbrüche deuten. Das Dänemark des ausgehenden 19. Jahrhunderts setzte seine Bewohner ja einem erschreckenden Wandel aus. Die Industrialisierung und Verstädterung lösten die Stabilität der zuvor landwirtschaftlich orientierten Nation auf. Unsicherheit und Orientierungslosigkeit ergriff viele Menschen. Bang zeigt, wie in dieser Situation die alten Regeln oft nur noch äußerlich befolgt werden, wie Zynismus sich breit macht und welche Opfer diese Entwicklung kostet, vor allem unter Frauen. Am erstaunlichsten ist vielleicht, dass selbst seine literarischen Karikaturen berühren. Etwas Besonderes steckt auch in ihnen, etwas, das Herman Bang mit seiner Kompositionskunst und variationsreichen Sprachmusik zum Leuchten bringt.ROLF-BERNHARD ESSIG
HERMAN BANG: Sommerfreuden. Erzählungen. Aus dem Dänischen übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort von Aldo Keel. Manesse Verlag, Zürich 2007. 348 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Erfreut zeigt sich Thomas Fechner-Smarsly über diesen Band mit Erzählungen Herman Bangs, der zum 150. Geburtstag des dänischen Schriftstellers erschienen ist. Längst gehört der in den letzten beiden Jahrzehnten wiederentdeckte Autor für ihn zu den "Klassikern". Besonders beeindruckt hat ihn die lange Erzählung "Sommerfreuden", die sich durch Bangs Beobachtungskunst auszeichnet. Die Beschreibungen des Autors erinnern ihn an impressionistische Gemälde, näherten sich der Bildkunst an, während er sich in seinen punktgenauen Dialoge geradezu als Dramatiker erweise. Bang beschreibe in "Sommerfreuden" das Treiben einer Schiffsladung von Großstädtern, die in den frühen Tagen des Badetourismus in ein verschlafenes Provinznest einfallen. Die örtliche Gastwirtschaft werde dabei zur "Bühne für gesellschaftliche Verwerfungen und individuelle Ambitionen". Fechner-Smarsly kann sich des Eindruck nicht erwehren, der heitere Grundton Bangs diene nur dazu, "die Figuren in einem kurzen Moment bloßzustellen, die Grimasse hinter der Maske zu zeigen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Bangs Modernität: eine kühle Kunst des Gleichmuts und der Wehmut." Benedikt Erenz, Die Zeit