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9 Kundenbewertungen

Zwei Frauen, die auf einer Insel ein Spiel spielen, das "sich so ein Leben vorstellen" heißt. Ein Premierenfest, das ein unerwartetes, frühmorgendliches Ende in der Wohnung des Regisseurs findet. Ein Mann, der in seinem Sommerhaus an der Oder Besuch erhält und an eine Vergangenheit erinnert wird, die er nicht mehr kennen will. Judith Hermanns Figuren inszenieren sich ihr Leben, Sie lassen sich nur passiv oder als Zuschauer, nur spielerisch in "Lebensläufe" ziehen. Ihre Gedanken kreisen immer wieder um dieselben Themen: um Liebe und Vergänglichkeit und die Angst vor dem Ungelebten, dem verhinderten Leben.…mehr

Produktbeschreibung
Zwei Frauen, die auf einer Insel ein Spiel spielen, das "sich so ein Leben vorstellen" heißt. Ein Premierenfest, das ein unerwartetes, frühmorgendliches Ende in der Wohnung des Regisseurs findet. Ein Mann, der in seinem Sommerhaus an der Oder Besuch erhält und an eine Vergangenheit erinnert wird, die er nicht mehr kennen will. Judith Hermanns Figuren inszenieren sich ihr Leben, Sie lassen sich nur passiv oder als Zuschauer, nur spielerisch in "Lebensläufe" ziehen. Ihre Gedanken kreisen immer wieder um dieselben Themen: um Liebe und Vergänglichkeit und die Angst vor dem Ungelebten, dem verhinderten Leben.
Autorenporträt
Judith Hermann, geboren 1970 in Berlin, journalistische Ausbildung und Zeitungspraktikum in New York. 1997 erhielt sie das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste. Buchveröffentlichungen. Auszeichnungen: 1998 Literaturförderpreis der Stadt Bremen, 1999 Hugo-Ball-Förderpreis, 2001 Kleist-Preis, 2009 Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg und 2014 Erich Fried Preis. Die Autorin lebt und arbeitet in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2002

Judith Hermann: Sommerhaus, später
1998 - In der Auslassung liegt die Kraft

Von Judith Hermanns Geschichten geht eine ganz eigenartige Stimmung aus. Sie scheinen aus der Zeit gefallen, nirgendwo hinzuwollen, ruhig beginnen sie, ruhig enden sie wieder, und dazwischen geschieht etwas, oft gar nichts Großes, ein Armband zerreißt, eine junge Frau taucht auf und verschwindet wieder, doch nichts wird danach noch sein, wie es begann, mit dem Armband zerreißen auch die Fesseln der Vergangenheit, mit der Frau verschwindet eine große Sehnsucht.

Judith Hermann erzählt, als habe man sie darum bitten müssen, als sei sie eigentlich müde, zu erschöpft. Kein Wort zuviel, ganz einfache Sätze. Eine Ruhe liegt über ihren Geschichten, manchmal scheinen sie fast stillzustehen, doch es ist eine angespannte Ruhe - wie an einem heißen, schwülen Tag im Sommer, kurz bevor ein Gewitter losbricht. Auch ihre Charaktere wirken sonderbar schlafwandlerisch. Selbst wenn sie ausgehen und tanzen, flirten oder Drogen nehmen - passiv, fast träge scheinen sie durch ihre Leben zu gleiten, Dinge als gegeben hinzunehmen, nichts groß in Frage zu stellen. Sie beobachten sich selbst, stellen Reaktionen, Gefühle fest, scheinen sich diese aber nicht erklären zu können.

"Sommerhaus, später", Hermanns erstes und bisher einziges Buch, ein Erzählband, der neun Kurzgeschichten umfaßt, hat bei seinem Erscheinen enormes Aufsehen erregt und wird bis heute mit Preisen bedacht: Eine junge Frau, eine gänzlich unbekannte Frau, schreibt, als wäre sie eine alte, als wäre sie einmal herum um die Welt, hätte alles gesehen, alles verstanden und nun eine Gelassenheit, die an Weisheit grenzt. Ihre Figuren verbringen viel Zeit mit Nichtstun, als hätten sie erkannt, daß ein Auflehnen gegen das Schicksal nichts nützt. Ein junger Mann liegt den ganzen Tag auf seinem Bett wie ein toter Fisch. Ein anderer verbringt Stunden damit, in seinem Zimmer nackt auf dem Fußboden zu liegen und an die Decke zu starren: "Ich war nicht unruhig, nicht gereizt, ich war müde und in einem seltsamen Zustand der Emotionslosigkeit." Eine alte Frau, die bald sterben wird: "Sie hat geschlafen und dann wieder wachgelegen, es mag sein, daß es da keinen Unterschied mehr gab."

Die Kurzgeschichte, die dem Buch seinen Titel gibt, ist aus Sicht einer jungen Frau erzählt, die Jahre zuvor eine kurze Affäre mit einem mittellosen Taxifahrer hatte. Ein Haus auf dem Land war immer der Traum gewesen, das Ziel, später einmal. Eines Tages taucht der Taxifahrer wieder auf, sagt, er habe es gefunden, er wolle es ihr zeigen. Was, fragt sie, für die das alles Vergangenheit ist. Das Haus, sagt er, und die beiden fahren los. Das Haus, das Sommerhaus - es ist eine Ruine. Kaputte Fenster, Risse in den Mauern, Türen, die fehlen. Die Frau lebt ihr Großstadt-Leben weiter, als wäre nichts geschehen, und es ist ja auch nichts geschehen. Eines Tages erreicht sie ein Brief von ihm, darin ein Zeitungsartikel: Das Haus sei abgebrannt, der neue Bewohner vermißt, Brandstiftung nicht ausgeschlossen. Sie legt den Brief in eine Schublade und denkt nur ein Wort: "Später." Kein großes Drama, kein Spannungsbogen - es ist das Nicht-Gesagte, das dieser Geschichte ihre dichte Atmosphäre gibt.

Zu einer Neuausgabe eines Buchs von Raymond Carver hat Hermann ein Vorwort geschrieben. "Carvers Geschichten stehen nicht auf Seite der Geschichten und nicht auf Seite der Sprache", heißt es da. "Sie zielen nicht auf das Sicht- und Nennbare, sondern auf das Undurchsichtige, Unaussprechliche, auf das, was geradezu resistent gegen das Lösungsmittel der Worte ist." Sie hat ihre eigene Kunst damit beschrieben. Es ist das Wissen um die Kraft der Auslassung, die Macht des Unbewußten, das Judith Hermann zu einer großen Erzählerin macht.

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"Der Sound einer neuen Generation"
Was Hellmuth Karasek ein wenig anbiedernd als "Sound einer neuen Generation" bezeichnet, ist jenes zarte und unspektakuläre melancholische Rauschen, das Judith Hermanns Erzählungen in Sommerhaus, später so unverwechselbar machen. Mit den neun Erzählungen, die in diesem Band versammelt sind, trifft sie zwar das Lebensgefühl einer beziehungsgestörten Generation, die übersättigt vom Wohlstand plötzlich einer sinnentleerten Realität gegenübersteht, als sich bemerkbar macht, dass die Träume nicht alle in Erfüllung gehen, die man doch schon seit Jahren lebte. Gleichwohl ist das noch nicht der "Sound einer Generation", denn auch fünf Jahre nach Erscheinen dieses großartigen Buchs ist Hermanns "Sound" noch immer ein Einzelphänomen, das nur sie selbst mit Nichts als Gespenster wieder aufnehmen konnte. Damit ist sie eindeutig "Post-Pop" und trotz der Kritikerschelte angesichts des neuen Buchs noch immer eine der interessantesten Erscheinungen ihrer Generation.
Berliner Popgeneration
Die titelgebende Erzählung Sommerhaus, später ist exemplarisch für die Stimmung in ihren Erzählungen und das Lebensgefühl der Berliner Popgeneration, die in den Neunziger Jahren ein Leben in Apathie, Hedonismus und erotischer Promiskuität lebte. Finanziell ohne Sorgen, ein wenig Künstler und immer wichtig. Hermanns Geschichte ist inmitten dieser "Szene" angesiedelt. Einer ihrer zufälligen Sexualpartner taucht eines Tages wieder bei ihr auf und will sie in sein neu gekauftes Sommerhaus in der Nähe Berlins führen. Ein Traum, wie er behauptet, und es scheint so, als ob er ihr damit Eindruck machen will. Einige Momente glaubt man sogar, eine tiefere emotionale Bindung sei zwischen den beiden erkennbar. Schnell wechselt jedoch die Stimmung, als die Ruine sichtbar wird. Sie fahren desillusioniert nach Hause. Wenige Wochen später erfährt sie über seltsame Umstände, dass das heruntergekommene Haus in Flammen aufgegangen ist. Es wird vermutet, dass der Besitzer darin umgekommen sei. Selbst als sie dies erfährt, gelingt es ihr nicht, sich aus ihrer Lethargie zu reißen. Sie legt sich wieder ins Bett und will darüber nachdenken. Aber später ...
Portrait einer Generation des Fin de Siecle
Die Geschichten in diesem Band spielen nicht nur in Berlin. Die Stimmung aber bleibt immer die gleiche - Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit auf hohem sozialem Niveau. Eine verwöhnte Generation stößt an ihre Grenzen: Langeweile, Dekadenz. Damit ist Sommerhaus, später in Wirklichkeit das getreuliche Stimmungsportrait einer Generation des Fin de Siecle.
(Andreas Rötzer)

»In den Geschichten des Hermann-Bandes Sommerhaus, später herrscht eine Stille, die für Klarheit und Genauigkeit sorgt; manchmal dient sie auch dem Heraufbeschwören einer Bedrohung [...]. Auch Hermanns Sprache verzichtet auf alle Windmacherei. Die Anfangssätze ihrer Geschichten lauten "Stein fand das Haus im Winter" oder "Sonja wird biegsam", und einmal, ungewohnt gesprächig: "Mein erster und einziger Besuch bei einem Therapeuten kostete mich das rote Korallenarmband und meinen Geliebten." In diesem staunenswert sicheren, manchmal fast aufdringlich lakonischen Ton schildert die Autorin jeweils ein paar Momente aus dem Leben von leicht aus der Bahn geworfenen Gegenwartsmenschen.« (Der Spiegel)

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Judith Hermann hat eine unsagbar genaue und neue Sprache für das Unsagbare gefunden. Sie hat uns noch lange nicht alles gesagt. Florian Illies Die Zeit 20231125