Was für ein herrlicher Sommer! Ein ganz normaler nämlich, scheinbar unspektakulärer. Die Schwalben schlüpfen, die Katze geht auf Tour, die Dichterin schreibt ihre Tagesrationen in den Laptop. Im CD-Spieler Scarlatti, im Fernsehen Irakkrieg, EM und "Kommissar", im Herzen viel Freude an der Abgeschiedenheit des Seins und den kleinen Sensationen der Natur.Niemand fasst die Beobachtung des Unscheinbaren in eine so lakonisch-poetische Sprache wie Sarah Kirsch. An ihrem 69. Geburtstag im April beginnt sie mit den Notaten dieses Buchs, hält ihre Leser einen verregneten Sommer lang über alles Sagenswerte auf dem Laufenden. Und freut sich ihres Lebens: "Oh, ich schwänze so gern! Und mache was ich will."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2008Willemsens Albtraum
Zum Glück geht bei Sarah Kirsch alles so weiter wie bisher und wie sie es in ihrem Tagebuch "Regenkatze" festgehalten hat, das sie nun mit Aufzeichnungen aus dem Jahr 2004 fortsetzt: Die Katze Emily ist immer noch da, die Fenster müssen wieder einmal geputzt werden, das Wetter ist bei Regen und Nebel ebenso herrlich wie bei Sonnenschein, die Vögel werden fleißig beobachtet, dann kommt einmal der Sohn Maurice zu Besuch. "Alles nicht der Rede wert", und doch ist es das ganze Glück von Tielenhemme: "Gottlob bin ich in Tee, tut mir nix weh". Sie geht, wie eh und je, "spazoren zu den Azoren", spottet über literarische Neuerscheinungen ("Von Ulla Hahn Ehegedichte! Auweia"), nennt "Herrn Willemsen Klugscheißer vom Dienst", registriert die allfälligen Katastrophen aus der großen Welt, guckt Krimis und während der Europameisterschaft Fußball ("Deutschland soll bitte verlieren"), meidet und foppt die allzu neugierigen Touristen ("Niemand liebe ich sehr"), hört mit Emily CDs (Scarlatti) und bemüht sich, Tag für Tag wenigstens eine Seite ihrer Autobiographie in den Laptop zu tippen. Nur selten und ungern verlässt sie ihr Wolkenreich, sagt Lesungen lieber ab als zu. Nur einmal, äußerst passend, liest sie in Hamburg, anlässlich der Ausstellung "Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels". Davon kann sie allerdings ein Lied singen. Im Übrigen, sagt sie, sei ihr der Ruhm wurscht: "Ob ich bei den Zeitgenossen im Gedächtnis bin oder nicht das interessiert mich nicht mehr". Aber uns interessiert's! Wir fragen: Wie lange kann das noch so weitergehn mit den völlig unwichtigen, aber wundervollen Tagebuchnotizen der Sarah Kirsch? Die Antwort gibt sie selbst am 16. April 2004; das war ihr neunundsechzigster Geburtstag: "Ich mach bis zum Umkehrbild, basta", sagt sie, also bis zum sechsundneunzigsten Geburtstag. "Mehr nicht". Aha! Nun gut. Bis dahin machen wir gern mit. Versprochen! (Sarah Kirsch: "Sommerhütchen". Mit Zeichnungen von Dieter Goltzsche. Steidl Verlag, Göttingen 2008. 160 S., geb., 18,- [Euro]. ) WSg
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zum Glück geht bei Sarah Kirsch alles so weiter wie bisher und wie sie es in ihrem Tagebuch "Regenkatze" festgehalten hat, das sie nun mit Aufzeichnungen aus dem Jahr 2004 fortsetzt: Die Katze Emily ist immer noch da, die Fenster müssen wieder einmal geputzt werden, das Wetter ist bei Regen und Nebel ebenso herrlich wie bei Sonnenschein, die Vögel werden fleißig beobachtet, dann kommt einmal der Sohn Maurice zu Besuch. "Alles nicht der Rede wert", und doch ist es das ganze Glück von Tielenhemme: "Gottlob bin ich in Tee, tut mir nix weh". Sie geht, wie eh und je, "spazoren zu den Azoren", spottet über literarische Neuerscheinungen ("Von Ulla Hahn Ehegedichte! Auweia"), nennt "Herrn Willemsen Klugscheißer vom Dienst", registriert die allfälligen Katastrophen aus der großen Welt, guckt Krimis und während der Europameisterschaft Fußball ("Deutschland soll bitte verlieren"), meidet und foppt die allzu neugierigen Touristen ("Niemand liebe ich sehr"), hört mit Emily CDs (Scarlatti) und bemüht sich, Tag für Tag wenigstens eine Seite ihrer Autobiographie in den Laptop zu tippen. Nur selten und ungern verlässt sie ihr Wolkenreich, sagt Lesungen lieber ab als zu. Nur einmal, äußerst passend, liest sie in Hamburg, anlässlich der Ausstellung "Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels". Davon kann sie allerdings ein Lied singen. Im Übrigen, sagt sie, sei ihr der Ruhm wurscht: "Ob ich bei den Zeitgenossen im Gedächtnis bin oder nicht das interessiert mich nicht mehr". Aber uns interessiert's! Wir fragen: Wie lange kann das noch so weitergehn mit den völlig unwichtigen, aber wundervollen Tagebuchnotizen der Sarah Kirsch? Die Antwort gibt sie selbst am 16. April 2004; das war ihr neunundsechzigster Geburtstag: "Ich mach bis zum Umkehrbild, basta", sagt sie, also bis zum sechsundneunzigsten Geburtstag. "Mehr nicht". Aha! Nun gut. Bis dahin machen wir gern mit. Versprochen! (Sarah Kirsch: "Sommerhütchen". Mit Zeichnungen von Dieter Goltzsche. Steidl Verlag, Göttingen 2008. 160 S., geb., 18,- [Euro]. ) WSg
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die Rezensentin packt der Neid angesichts der Idylle mit Katze, wie sie Sarah Kirsch in ihren Tagebuchaufzeichnungen ein ums andere Mal entwirft. Dass Beatrice Eichmann-Leutenegger das Buch dennoch genießen kann, liegt am bisweilen grimmigen Humor der Autorin, an ihrer Neigung zur Ironie und an ihrer unprätentiösen Art, Alltägliches und Bedeutsames, Fensterputzen, Pflanzenkunde und Nachrichten von den Kriegsschauplätzen der Welt ganz unhierarchisch nebeneinander zu stellen. Betreffend Stillage und Sprachmaterial fühlt sich die Rezensentin bei diesen Texten aus der Zeit von April bis September 2004 angenehm an die Notizen aus Kirschs "Regenkatze" erinnert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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