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Produktdetails
  • Verlag: Hoffmann und Campe
  • Originaltitel: Venere lesa
  • Seitenzahl: 205
  • Abmessung: 22mm x 125mm x 193mm
  • Gewicht: 290g
  • ISBN-13: 9783455047806
  • ISBN-10: 3455047807
  • Artikelnr.: 08872621
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Etwas lustlos bespricht Maria Frisé dieses Buch: "Sind wir denn im neunzehnten Jahrhundert gelandet?" fragt sie erstaunt, nachdem sie kurz durch eine Jugendstilvilla in einer italienischen Stadt gestreift ist, und die "fünf unglücklichen Menschen" vorgestellt hat, die dort leben. Sie wundert sich über diesen Rückfall in ein altes Jahrhundert, weil der Autor erst 1943 geboren ist. Aber auch, weil er sich allzu durchsichtig bei literarischen Vorbildern bedient, denen er wohl außer "ein paar italienischen Onkels" nichts Wesentliches hinzuzufügen hat. Ein bisschen erzählt sie noch von den Liebes- und Glücksversuchen der Fünf, bemängelt aber schnell, dass diese Figuren "kraftlos und seltsam distanziert, ja manchmal schemenhaft" bleiben. Dem "Sprachkünstler" Maurensig allerdings erweist die Kritikerin doch ihre Referenz, wenn auch die Geschichte insgesamt sie eher ermüdet hat. Höhepunkte scheinen ein paar unfreiwillig komische Übersetzungsfehler gewesen zu sein. Aber als ordentliche Kritikerin muss Maria Frisé natürlich schreiben: "ein sorgfältiger Lektor" hätte das verhindern können.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.2000

Ach, das schneeweiße Brustbein
Dekadentes Quintett: Paolo Maurensigs Roman "Sommerspiel"

Es war einmal eine Jugendstil-Villa in einer italienischen Stadt, in der fünf unglückliche Menschen wohnten. Sie liebten und betrogen sich, begehrten und quälten sich und waren doch allesamt zur Einsamkeit verdammt. Nächtelang sprachen sie über die schwierigen Beziehungen zwischen Mann und Frau, über ihre Erfahrungen mit verschiedenen Liebesformen. Und stundenlang hörten die drei Männer zu, wenn die beiden Frauen Beethoven-Sonaten und andere klassische Stücke spielten. Oft saßen sie auch am Steintisch im verwunschenen Garten und schauten dem Tennismatch zu, das zwei von ihnen auf dem geschorenen Rasen begonnen hatten, oder den "Turteltauben, die sich hin und wieder in die Luft erheben wie ein Applaus von behandschuhten Händen".

Sind wir im neunzehnten Jahrhundert gelandet? Doch Paolo Maurensig ist 1943 geboren. Er hat sein dekadentes Quintett dennoch auf eine melancholische Fin-de-siècle-Stimmung eingestimmt. Es erinnert an Bassanis "Gärten der Finci Contini" oder Italo Svevos "Zeno Cosini". In eine müde Gesellschaft führt uns der italienische Autor. Die Männer haben keine Geld- und Berufssorgen und jede Menge Zeit. Sie sind nicht mehr jung und nur noch zu flüchtigen Leidenschaften fähig. Beide hatten dominierende und manchmal gewalttätige Väter, was Maurensig wie vieles aus der Vorgeschichte seiner Kunstfiguren nur flüchtig erwähnt.

Giulio, der Hausherr, ist ein bewunderter und von Frauen umschwärmter Dichter, der unter Schreibhemmungen leidet und gelegentlich rücksichtslos und zynisch seine wechselnden Geliebten verletzt. Daß ausgerechnet er die kindliche Flora heiratet, scheint ein Mißverständnis, dessen Opfer die naive Geigerin ist. Das andere Paar paßt ebensowenig zusammen. Der Biologieprofessor Ermes muß sich mit seiner Impotenz abfinden. Mit seiner viel jüngeren schönen Frau Angèle hat er eine letzten Endes doch nicht tragfähige Vereinbarung getroffen: Sie darf so viele Liebhaber haben, wie sie möchte, wenn sie ihm ihre sexuellen Erlebnisse beichtet und die anschließende körperliche Züchtigung hinnimmt. Ermes glaubt im Ernst, ihre Seele zu besitzen, wenn er ihren Körper freigibt. Doch er verliert seine perverse Partie, als seine Frau ihn mit einem jungen Pianisten verläßt, bei dem sie zum ersten Mal fühlt, was Liebe ist.

Der fünfte Unglückliche in diesem Haus ist der namenlose Erzähler. Er bewohnt für einige Monate als Gast das Turmzimmer, nachdem sich seine Frau von ihm getrennt hat, weil sie beide "das Leben mit verschiedenen Augen sehen". Er ist Beobachter, Freund und Beichtvater, schließlich kurz auch Liebhaber, ein geborener Verlierer und Versager, der aus seiner Zuschauerrolle nicht herausfindet.

Paolo Maurensig variiert seine matten Etüden zum Thema Liebe in Moll. Seine Solisten bleiben kraftlos und seltsam distanziert, ja manchmal schemenhaft. Im Spätsommer, das steht von vornherein fest, wird der Erzähler seine Freunde verlassen. Anfang Herbst lösen sich ihre wechselseitigen Bindungen endgültig. Die Hoffnung, daß noch nicht alles vorbei ist, daß noch etwas zu retten sei, ein Wiederbeginn nicht ausgeschlossen, erweist sich als Illusion. Der Schwebezustand zwischen Wünschen, Enttäuschungen, Zuneigung und Verrat endet abrupt.

Hastig trägt der Chronist dieser Monate in einer entrückten Welt der sublimen Empfindsamkeit die realen Veränderungen nach: Angèle ist zurückgekehrt zu ihrem alternden Mann, trägt eine Brille und spielt weniger Klavier, dafür aber die treue Ehefrau. Giulio hat die Villa aufgegeben, und Flora lebt nicht mehr bei ihm. Endlich eine, die vielleicht noch rechtzeitig geflohen ist aus dieser sublimen Hölle. Die Katastrophen vollziehen sich bei Paolo Maurensig in beklemmender Stille. Weil er zu den raffinierten Sprachkünstlern gehört, stören einige Übersetzungsfehler doppelt, auch wenn sie nicht frei von Komik sind. Da "haschen" sich die Paare auf der Wiese, und der wunderbare Busen von Angèle wird wiederholt als "schneeweißes" oder "mit Sommersprossen übersätes Brustbein" bezeichnet. Fehler, die ein sorgfältiger Lektor leicht hätte verhindern können.

Paolo Maurensig hatte vor sieben Jahren mit seinem Erstling, der "Lüneburg-Variante", nicht nur in Italien großen Erfolg. Die beiden Schachmeister in dem Roman sind ein ehemaliger KZ-Häftling und ein Nazi. Deutlich waren die Vorbilder zu erkennen: Dürrenmatts "Der Richter und sein Henker", Zweigs "Schachnovelle" und Nabokovs "Luschins Verteidigung". Keine schlechte Verwandtschaft. Jetzt sind noch ein paar italienische Onkel dazugekommen.

MARIA FRISÉ

Paolo Maurensig: "Sommerspiel". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Irmela Arnsperger. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2000. 206 S., geb., 32,- DM.

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