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»Meine Tage sind ein wüstes Ankämpfen gegen die Zeit.« Walter Kempowski
Mit seinem vielbändigen "Echolot" fand Walter Kempowski eine literarische Form für das kollektive Gedächtnis. Darin bewahrte er auf, was uns allen verloren zu gehen drohte. Seine eigenen Tagebücher dagegen sind der literarische Ort seines individuellen Gedächtnisses und gewähren einen faszinierenden Einblick in das Seelenleben eines der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Gegenwartsliteratur.
Er könne gar nicht begreifen, sagte Walter Kempowski einmal, dass es Schriftsteller gebe, die kein Tagebuch führen
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Produktbeschreibung
»Meine Tage sind ein wüstes Ankämpfen gegen die Zeit.« Walter Kempowski

Mit seinem vielbändigen "Echolot" fand Walter Kempowski eine literarische Form für das kollektive Gedächtnis. Darin bewahrte er auf, was uns allen verloren zu gehen drohte. Seine eigenen Tagebücher dagegen sind der literarische Ort seines individuellen Gedächtnisses und gewähren einen faszinierenden Einblick in das Seelenleben eines der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Gegenwartsliteratur.

Er könne gar nicht begreifen, sagte Walter Kempowski einmal, dass es Schriftsteller gebe, die kein Tagebuch führen würden. Ihm selbst war das Tagebuchschreiben viele Jahre lang ein tägliches Exerzitium, mit dem er in seismographischer Empfindlichkeit auf die andrängenden Ereignisse reagierte und mit dem er kleinen und großen Tragödien Herr zu werden versuchte.

Diese Bücher galten ihm, neben den Romanen und dem "Echolot", als dritte Säule seines Schaffens. Nach "Sirius", "Alkor" und "Hamit" erscheint nun mit "Somnia" das Tagebuch aus dem Jahre 1991. Der Titel ist in einem umfassenden Sinn zu verstehen. Denn enthalten sind einerseits die tatsächlichen Träume, die der Autor des Morgens notierte, andererseits aber auch die Sehnsüchte, die ihn umtrieben und die sich teilweise erfüllten, teilweise aber auch unerfüllt blieben. "Somnia" ist das letzte Werk, das Walter Kempowski noch zu Lebzeiten fertigstellen konnte.

Ausstattung: 31 s/w Abbildungen + 1 s/w Foto
Autorenporträt
Walter Kempowski wurde am 29. April 1929 als Sohn eines Reeders in Rostock geboren. Er besuchte dort die Oberschule und wurde gegen Ende des Krieges noch eingezogen. 1948 wurde er aus politischen Gründen von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach acht Jahren im Zuchthaus Bautzen wurde Walter Kempowski entlassen. Er studierte in Göttingen Pädagogik und ging als Lehrer aufs Land. Seit Mitte der sechziger Jahre arbeitete Walter Kempowski planmäßig an der auf neun Bände angelegten "Deutschen Chronik", deren Erscheinen er 1971 mit dem Roman "Tadellöser & Wolff" eröffnete und 1984 mit "Herzlich Willkommen" beschloss. Kempowskis "Deutsche Chronik" ist ein in der deutschen Literatur beispielloses Unternehmen, dem der Autor das mit der "Chronik" korrespondierende zehnbändige "Echolot", für das er höchste internationale Anerkennung erntete, folgen ließ.

Walter Kempowski verstarb am 5. Oktober 2007 im Kreise seiner Familie. Er gehört zu den bedeu

tendsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Seit 30 Jahren erscheint sein umfangreiches Werk im Knaus Verlag.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2008

Nie wieder was davon gehört

Das letzte Buch, das Walter Kempowski fertiggestellt hat: Sein Tagebuch "Somnia" hadert mit den historischen Umbrüchen des Jahres 1991 - und mit täglichen Lästigkeiten.

Von Hannes Hintermeier

Wir schreiben das Jahr, in dem der Kommunismus "in einer großen Wolke von Schutt untergegangen" ist. Es ist das Jahr des ersten Irak-Krieges, als Saddam Hussein die dreiste Spielfigur im ersten Fernsehkrieg der Geschichte gibt. Sechzehn Fernsehprogramme bieten, so notiert der leidenschaftliche Fernsehkritiker Walter Kempowski, die Möglichkeit, sich seine eigene Wirklichkeit zusammenzustellen. Es ist auch das Jahr, in dem er die Reaktionen auf sein erstes Tagebuch "Sirius" verkraften muss; in dem er häufig in seine alte Heimatstadt Rostock und quer durch Neufünfland fährt; in dem er hadert mit Nachbarn, Gesundheit, Literaturbetrieb. Es berühren sich Weltgeschichte und Leibschneiden, schlechte Schnitzel und perfekte Kirchenmusik, Hakeleien mit dem Verlag und lästige Besucher, merkwürdige Träume und unauslöschliche Hoffnungen.

Dabei könnte es Walter Kempowski in jenem Jahr, wenn er denn der ausschließliche Rechthaber gewesen wäre, der er angeblich gewesen ist, doch recht wohl ergangen sein. Aber wie das so ist, wenn einem der Lieblingsfeind wegstirbt: Es fehlt schon etwas, auch wenn der "absolut mausetote" Kommunismus noch genug Zerstörung in seinem Strudel hinterlässt, um einem wie ihm Reibungshitze zu liefern. Denn Kempowski leidet auf seine manchmal abstrakte Weise mit den Menschen, mit denen er als Misanthrop nicht kann. Und er hadert mit denjenigen, die das System im Westen perpetuiert haben. "Kalte Wut" packt ihn "über das 68er-Intellektuellen-Pack", Denunziationen nimmt er sich vor - für seinen nächsten Tagebuch-Band.

Auch damals schon kommt das richtige Leben vermeintlich aus der Fernsehen; und das hält gleichmütig fest, wenn Gorbatschow auf der Krim in Geiselhaft genommen oder in den Alpen Sport getrieben wird. Immer eines neben dem anderen - und auf verteufelte Weise gleich ärgerlich. Denn Stänkern, manchmal Pöbeln, mag Kempowski schon sehr. Seine Übellaunigkeit gibt er ungern an der Garderobe ab, gleich am Neujahrstag notiert er: "Merkwürdig, dass es keinen Schanzensprung für Frauen gibt, sonst drängen sie sich doch überall rein. Boxen tun sie doch schon? Skisprung führt wohl zu Unterleibsverletzungen, da senkt sich die Gebärmutter irgendwie. Bei der Schießerei machen sie schon mit, ohne dass feministische Friedensvereine bislang Einspruch erhoben haben. ,Biathlon' heißt das." Heute ist Deutschland eine Nation von Biathletinnen, und die Männer rennen zur Kosmetikerin.

Drei Tagebücher hatte Walter Kempowski bislang vorgelegt. Es begann mit dem erwähnten "Sirius", das er noch "eine Art Tagebuch" untertitelte. Es erschien 1990 und präsentierte die Aufzeichnungen des Jahres 1983. "Alkor" (2001) beschrieb das Epochenjahr 1989 und "Hamit" (2006) das Folgejahr 1990. Nun also "Somnia" - zu deutsch: Träume, Träumereien -, das Tagebuch 1991. Es ist das letzte Buch, das Walter Kempowski, abgesehen von einem noch unveröffentlichten Gedichtband, fertiggestellt hat, also in mehrfacher Hinsicht ein Schlussstein seines Werkes. "Ich schreibe lauter letzte Bücher. Hoffentlich hat das keine Folgen", ergänzt er selbstironisch 2007 einen Eintrag, wohl wissend, dass seine letzten Monate gekommen sind.

In mehrfacher Hinsicht bricht er das Tagebuch auf, öffnet es für Fundstücke. Mit Plankton-Fischerei, jenen fremden Stimmen, die er hier vor allem zum Thema Mauerfall sammelt. Mit Albumzeichnungen von Autoren und Prominenten, mit Gedenktagen, Fotografien, Skizzen und schließlich mit den beim Lektorat mit seinem langjährigen Weggefährten Karl Heinz Bittel eingefügten Kommentare, deren häufigster und vernichtendster immer dann kommt, wenn Kempowski nach Begegnungen mit Veranstaltern, Antiquaren oder Kollegen Versprechungen gemacht wurden, die niemals gehalten wurden: "Nie wieder was davon gehört."

Zum Beispiel bei seinem Abschied nach zehnjähriger Dozententätigkeit an der Universität Oldenburg: Seine Bücher sind nicht in der Universitätsbibliothek, noch nicht einmal zu einer Medaille bringt er es, von einem Ehrrendoktorat zu schweigen. Kein rühmliches Ende eine drei Jahrzehnte währenden Laufbahn als Pädagoge. Dabei sieht der versierte Dorfschullehrer hier einen Schwerpunkt seiner Lebensleistung. Pädagogen müssten gar nicht viel wissen, notiert er, nur Humor müssten sie haben und die Kinder lieben. Aber mit gesellschaftlichen Spielregeln sei es nicht mehr weit her, seit die Achtundsechziger diese "abgeschafft und verhöhnt hätten": "Man muss sich wundern, dass es immer noch so viele ordentliche Leute gibt."

Die lieben Kollegen haben es einfach immer besser als er, selbst wenn sie gerade sterben. Als Max Frisch das Zeitliche segnet, diagnostiziert der Nartumer Einzelgänger "ein Riesen-Tamtam. Ich zittere davor, wenn Inge Meysel stirbt." Und auch verblichene Kollegen werden argwöhnisch beäugt: "Lese Biographie Andersch. Wie umsichtig der seine Karriere geplant hat. - Ich rutsch' immer so durch. - Hab' dafür aber meine Finanzen in Ordnung und war nicht in der Kommunistischen Partei." Kempowski weiß, dass er sich selbst im Wege steht, aber er kann nicht aus seiner Haut. Obendrein absolviert er ein Arbeitspensum, das sein Nervenkostüm verschleißt. "Die Empfindlichkeits-Wellen wallten in mir rauf und runter, und wie das dann so ist, alles fiel mir hin, und ich stieß mich, und jedes kleine Malheur war von Wutausbrüchen gefolgt, die auf Außenstehende immer so abstoßend wirken. Als Schriftsteller hat man beherrscht und in sich ruhend durch die Gegend zu schreiten." Genau diese Übung gelingt in diesem Jahr noch weniger als sonst.

Denn Walter Kempowski sitzt an zwei Büchern, die zu den wichtigsten seiner Laufbahn gehören werden. Da ist einmal das mehrbändige Collage-Unternehmen "Echolot", das bei seinem Erscheinen 1993 eine Begeisterungswelle auslöst und das Bild des Autors als zu vernachlässigende Randfigur auflöst. Und da ist zum anderen der Roman "Mark und Bein", der bei seinem Erscheinen 1992 für erhobene Rezensenten-Zeigefinger sorgt. Kempowski schildert darin die Ostpreußen-Fahrt des verschmockten Hamburger Literaten Jonathan Fabrizius, der im Auftrag eines japanischen Luxusautomobilherstellers Polen bereist.

Lebensthema Schuld und Vertreibung

Erstens soll er eine "gegen den Strich gebürstete" Reportage über das Land schreiben und zweitens mit diesem Text eine Rallye für Autotester vorbereiten helfen, bei der es unter anderem um die Frage geht, ob man es den Achtzylinder-Piloten zumuten solle, sich mit der schmerzhaften deutsch-polnischen Geschichte auseinanderzusetzen. Der nach Umfang schmale Roman ist, was seinen Plot angeht, kein Meisterwerk, wohl aber ein wichtiges Scharnier im Werkplan. Hier bringt er sein Lebensthema Schuld und Vertreibung so widerspenstig gegenüber allen damals opportunen Haltungen zu Papier, dass die Reaktionen nicht gut ausfallen konnten. Im zeitlichen Abstand liest man den Roman tatsächlich unbefangener, auch wenn eine bestimmte Ressentiment-Huberei noch immer verstörend wirkt.

Kempowski intoniert mit "Mark und Bein" den Hauptakkord, der dann zu seinem letzten Roman "Alles umsonst" (2006) führt. Jonathan Fabrizius ist nämlich in Ostpreußen geboren worden, 1945, als die Rote Armee gen Westen vorrückte und die deutschen Flüchtlinge vor sich hertrieb; die Mutter stirbt bei der Geburt im Dorf Rosenau; der Vater, ein Leutnant, kommt bei einem Bombenangriff ums Leben. Im Roman wird sich das so lesen: "ALLES UMSONST! Und er meinte damit nicht den Tod seiner Mutter und nicht den des Vaters, der ,ins Gras hatte beißen müssen', nicht die Schlafcouchen, die sein Onkel fabrizierte, sondern die Qual der Kreatur, das an den Pfahl gehenkte Fleisch, das Kalb, das er gesehen hatte, gefesselt und geknebelt, den Verschlag in der Marienburg zur Marter vorbereitet, den schlurfenden Zug der Menschen unter einem verdammenden Himmel." Im Tagebuch schreibt Kempowski unter dem Datum vom 18. Juli über die Entstehungsschmerzen von "M/B": "Text hat mich sehr mitgenommen. Es sind da immer noch Reste, die das abgebrochene Gespräch mit meinem Vater betreffen. Aber wer kommt je mit seinen Eltern zu einem Ende? Erwarten sie uns an der letzten Tür? Ich weiß nicht, ob ich das wünschen soll."

Festzuhalten ist, dass Walter Kempowski in seinen politischen Einschätzungen genauso richtig und daneben lag wie jeder bessere Leitartikler. Richtig etwa in der Haupstadtdebatte. Als sich im Bundestag eine klare Mehrheit für Bonn abzeichnet, flippt der grundsätzliche Wiederaufbaubefürworter naturgmäß aus: "Wenn das stimmt, werde ich Terrorist." Er lobt die staatsmännischen Auftritte von Schäuble, Kohl und Hans Jochen Vogel, er geißelt Rita Süssmuth ("grinste einigermaßen debil") und Norbert Blüm. Ziemlich falsch interpretiert er offenkundig den Machtwillen anderer Politiker: "Lafontaine auf dem SPD-Parteitag. Gott sei Dank kann der Mann nicht reden. Rhetorisch unbegabt. Er ersetzt Rhetorik durch Gestik. Hat auch kein Charisma." Oder: "Engholm, der an seiner Pfeife saugende Dünnmann. Vielleicht ein ganz angenehmer Mensch, aber doch kein Bundeskanzler. Da sollten sie lieber den Thierse aufstellen."

Aber natürlich tun sich auch 1991 noch tiefe Blicke in ein versunkenes Land auf, in die alte Bundesrepublik, an den Beginn von Karrieren, die heute ihrem Höhepunkt zustreben. Etwa wenn der Diarist über die Frau des niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht schreibt - diese lasse ihre Kinder, in Bettlakengewänder gehüllt, von ihr verfasste griechische Trauerspiele vor Gästen aufführen. Dann sieht man plötzlich die heutige Familienministerin die vorpolitische Bühne betreten - und Ursula von der Leyen mit neuen Augen.

Aber genug. Am Ende von "Somnia" steht eine Schlaganfall-Diagnose. Wir wissen heute, dass Walter Kempowski noch sechzehn Jahre zu leben hatte und dass er diese Zeit klug genutzt hat. Seine Tagebücher werden, ähnlich wie das "Echolot", mit den Jahren immer wichtiger werden. Hat er dort die Stimmen der vielen gerettet, die sonst vergessen worden wären, spricht er hier - allein, nackt, sich gegen das Vergessen stemmend.

- Walter Kempowski: "Somnia". Tagebuch 1991. Knaus Verlag, München 2008. 557 S., geb., 24,95 [Euro].

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"Eine meisterliche Verzahnung von kollektiver und persönlicher Erinnerung." Der Spiegel (Über "Alkor")

"Walter Kempowski ist ein Bibliothekar der Erinnerung." Süddeutsche Zeitung

"In der deutschen Literaturlandschaft ist Walter Kempowski eine Ausnahmeerscheinung, weil er dem Dokumentarischen soviel Aussagekraft zutraut." Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Es wäre vielleicht um unser historisches Gedächtnis besser bestellt, hätten wir mehr als den einen Kempowski." Die Welt

"Kempowski - das zeigt sich immer deutlicher - ist nicht nur ein exquisiter Arrangeur historischer Dokumente, sondern auch ein Romancier [...] und Tagebuchschreiber erster Güte." Neue Zürcher Zeitung (über "Hamit")

"Freuen aber können wir uns auf jene drei Werke, welche er den Monaten vor seinem Tod noch abgetrotzt hat, einen Band mit Gedichten und einen mit Prosa und einen weiteren Band seines Tagebuchs." Süddeutsche Zeitung

"Das Werk eines Jahrhundertautors" Frankfurter Allgemeine Zeitung

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Fasziniert zeigt sich Rezensent Rainer Moritz von Walter Kempowskis letztem Werk, seinem Tagebuch des Jahres 1991. Er nennt den Schriftsteller einen "kautzig-großartigen Mann" und "Beobachtungsvirtuosen". Erstaunlich findet Moritz die Offenheit, mit der Kempowski schreibt, beeindruckend, wie er Notizen zu seinen Arbeiten mit Tageseindrücken, Erinnerungen, Urteilen über Politker, Kollegenschelten, Fernsehfrüchten und familiären Begebenheiten vermischt. Angetan haben es ihm dabei die verschiedenen Tonlagen, die der Schriftsteller anschlägt, hoch und tief, komisch und ernst. "Wer sich einmal auf diesen so engen wie weiten Kempowski-Kosmos einlässt", resümiert der Rezensent, "kommt nicht umhin, dem damals 62-Jährigen fast willenlos zu folgen."

© Perlentaucher Medien GmbH
"Somnia ist die weise und würdige Abschiedsgeste des deutschen Dichterchronisten Walter Kempowski." Die Welt