Der Roman der Gegenwart: Über die Sehnsucht aller Menschen nach dem "Like"Peter Sieberts perfekte Fassade täuscht. Der begehrte Produktdesigner weiß nicht, wer er ist oder was er will. Bis er unversehens den Auftrag seines Lebens landet. Die abenteuerliche Reise, auf die er sich dafür begeben muss, führt ihn in ein Gespinst aus Intrige, Macht und Begehren und lässt ihn die Leben der seltsamsten Menschen berühren.
Sonder: »Die Erkenntnis, dass jeder zufällige Passant ein ebenso intensives und komplexes Leben führt wie man selbst.« The Urban Dictionary
Peter Siebert weiß, was alle wollen. Mit absoluter Intuition entwirft er Produkte und Kampagnen, die immer ein Erfolg werden. Deswegen wird er von einer Tech-Firma im Silicon Valley abgeworben, die ein Gerät zur Steigerung der Gehirnleistung entwickelt.
Peter soll es zur Marktreife bringen und begibt sich auf eine Reise, die seine Existenz auf den Kopf stellt. Dafür ist auch die mysteriöse Anne verantwortlich, mit der er in eine verhängnisvolle Beziehung gerät. Wird Peter seinen geheimen Auftrag erfüllen und gleichzeitig authentisch bleiben können? En passant blickt man tief in das Leben sonderbarer Menschen, die seinen Weg kreuzen. Eine rasante Mischung aus Abenteuerroman, Wissenschaftsthriller und Liebesgeschichte.
Temporeich, spannend und klug.
»Alard von Kittlitz erzählt voll leichtfüßiger Schwermut, erbarmungsloser, warmherziger Distanz und voll spielerischem Ernst von einem Mann, der alle ästhetischen Sehnsüchte und Geschmacksnuancen der Welt zu kennen scheint. Doch dann wirbelt diesen modernen Homo Faber die Schönheit einer Begegnung empor in die unberechenbaren Weiten des Herzens. Was für ein Debüt!« Florian Illies
»So exotisch wie Kracht, so lustig wie Kehlmann« Welt am Sonntag
»Alard von Kittlitz schreibt, wie Netflix erzählt.« DER SPIEGEL
»Man kennt das aus den großen modernen Erzählstücken von Robert Musil und Heimito von Doderer, dieser unerhörte Wechsel von großen Weltzusammenhängen und kleinsten Details, diese Mischung von Leutseligkeit und Ernst, Tiefsinn und Geschwätzigkeit.« Süddeutsche Zeitung
Sonder: »Die Erkenntnis, dass jeder zufällige Passant ein ebenso intensives und komplexes Leben führt wie man selbst.« The Urban Dictionary
Peter Siebert weiß, was alle wollen. Mit absoluter Intuition entwirft er Produkte und Kampagnen, die immer ein Erfolg werden. Deswegen wird er von einer Tech-Firma im Silicon Valley abgeworben, die ein Gerät zur Steigerung der Gehirnleistung entwickelt.
Peter soll es zur Marktreife bringen und begibt sich auf eine Reise, die seine Existenz auf den Kopf stellt. Dafür ist auch die mysteriöse Anne verantwortlich, mit der er in eine verhängnisvolle Beziehung gerät. Wird Peter seinen geheimen Auftrag erfüllen und gleichzeitig authentisch bleiben können? En passant blickt man tief in das Leben sonderbarer Menschen, die seinen Weg kreuzen. Eine rasante Mischung aus Abenteuerroman, Wissenschaftsthriller und Liebesgeschichte.
Temporeich, spannend und klug.
»Alard von Kittlitz erzählt voll leichtfüßiger Schwermut, erbarmungsloser, warmherziger Distanz und voll spielerischem Ernst von einem Mann, der alle ästhetischen Sehnsüchte und Geschmacksnuancen der Welt zu kennen scheint. Doch dann wirbelt diesen modernen Homo Faber die Schönheit einer Begegnung empor in die unberechenbaren Weiten des Herzens. Was für ein Debüt!« Florian Illies
»So exotisch wie Kracht, so lustig wie Kehlmann« Welt am Sonntag
»Alard von Kittlitz schreibt, wie Netflix erzählt.« DER SPIEGEL
»Man kennt das aus den großen modernen Erzählstücken von Robert Musil und Heimito von Doderer, dieser unerhörte Wechsel von großen Weltzusammenhängen und kleinsten Details, diese Mischung von Leutseligkeit und Ernst, Tiefsinn und Geschwätzigkeit.« Süddeutsche Zeitung
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Katharina Teutsch scheint ein bisschen ratlos angesichts des Debütromans von Alard von Kittlitz. Hier ist ein Held, so konturlos und ich-schwach wie nur denkbar in einem Buch, dessen Einfallsreichtum und Intelligenz "verpufft", weil es laut Teutsch "weder ich noch du sagt". Der Produktdesigner im Buch und sein teuflischer Chef, ein Unternehmer mit der Idee für einen IQ-Enhancement-Helm, können Teutsch nicht rühren, weil sie selbst unberührbar scheinen. Die Figur als Laborratte, so Teutsch, "prototypisch", leblos. Aber wie der Autor über ihr die Strippen zieht und die Philosophie zu seinem Text gleich mitliefert, findet Teutsch schon auch reizvoll. Ein "philosophischer Poproman" der anderen Art möglicherweise, ahnt sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.09.2020Das unverlangte Geschenk der Evolution
Hier endet die Postmoderne und etwas Neues beginnt: „Sonder“ von Alard von Kittlitz ist der Bildungsroman für die
Epoche des technisch erweiterten Bewusstseins und der internationalen Konzerne, die es herstellen
VON FRITZ GÖTTLER
Seht also, heißt es immer wieder in diesem Buch, eine Aufforderung, eine Formel, mit der der Erzähler jede der kleinen Geschichten beendet, mit denen er die große Geschichte, um die es hier geht, unterbricht, reflektiert, konterkariert. Als Zwischengang gewissermaßen. Geschichten von etwa einem halben Dutzend Menschen, die am Rande des Geschehens auftauchen, zufällig, unbemerkt, unscheinbar, und die Bizarres, Tristes, auch Gespenstisches erleben. Seht also, „kaum jemand weiß von der Geschichte, und niemand sieht sie ihm an, und doch ist auch er nur einer von uns, unter uns“.
Seht also, das ist die Pose eines Predigers oder auch eines Moritatensängers, sie suggeriert Nähe und Distanz zugleich. Das Unaussprechliche ist all diesen Menschen begegnet – so könnte man durchaus das Genre der klassischen Novelle definieren. „Es gibt im Englischen einen interessanten Ausdruck: sonder“, erklärt der Erzähler. „Sonder bezeichnet die plötzliche Erkenntnis, dass all die anderen Menschen um einen herum ebenfalls komplett existieren, dass die also Erinnerungen, Gefühle, Gedanken, halt ein ganzes Leben haben, ein Zuhause, einen Geruch, ein Verhältnis zu ihrem Selbst, Überzeugungen, Wünsche. Und dass man in deren Dasein gerade auch bloß ein Statist ist.“
Was ein Statist ist oder eine Hauptfigur, das wird in diesen Kurz-Geschichten verhandelt, und ob es das überhaupt gibt, einen Menschen, der handelt, bewusst handelt. Es geht um Erlebnisse und Begegnungen im Selbstmörderwald von Aokigahara am Fuß des Fujiyama oder im Louvre in Paris. Um eine Ökoterroristin oder einen Banker, der auf den Erzengel Gabriel stößt, eine höllisch eisige Begegnung, bei der ihm Finger und Zehen abfrieren. Und es geht, das ist die „große“ Geschichte, um Peter Siebert, der in der sehr nahen Zukunft lebt, in der die Pandemie als Krise vorbei ist und die Welt sich eingerichtet hat mit Vorsorge und Quarantäne.
In Neuseeland geht es los, im Pepsi-Cola-Hauptquartier dort. Gleich zu Beginn wird Peter gefeuert, aber nur um sofort – überraschend, aber sicher nicht zufällig – ein traumhaftes Job-Angebot zu bekommen, vom geheimnisvollen litauischen Start-Up-Milliardär Drew Itautis.
Als Produktdesigner hat Peter einen gewissen Ruf aufgebaut, die Welt ist völlig durchschau- und berechenbar für ihn, mit seinem sechsten Sinn für das, was die Menschen wollen und wünschen, dies diffuse Gemenge der Begierden und Wünsche. Ein Taste-Scent-Blender-Brander, nennt ihn Anne ironisch, das Mädchen, das er in der Bar am Flugplatz von Los Angeles trifft, auf seinem Weg ins Reich von Itautis. Ein monströser Begriff, ein monströses Angebot, ein monströses Projekt. Peter wird schnell erfahren, dass er keine Hauptfigur ist im Spiel von Drew Itautis.
Alard von Kittlitz ist 1982 in Jakarta geboren, wuchs in Indonesien, Indien, Äthiopien und Deutschland auf, studierte Geschichte und Philosophie, absolvierte ein Managerstudium in Cambridge, hat Reportagen für das Neon-Magazin geschrieben und arbeitet jetzt für die Zeit. „Sonder“ ist sein erster Roman, ein Experiment aus dem Grenzbereich von Reportage und Erzählung, der zur Zeit stark diskutiert wird. Alles muss nun Story und Geschichte werden, und die Frage ist, wodurch die beiden Schreibformen sich unterscheiden und zugleich inspirieren, und was ihr Verhältnis sein mag zur Realität. Wie viel Distanz das Erzählen braucht und wie viel Emotion beim Berichten zulässig ist.
Peters Geschichte hat, von Anfang an, den Aufbruchsgeist und die Dynamik eines Bildungsromans, mit all den Hoffnungen und Enttäuschungen und Täuschungen des Genres. Ein Held, flexibel und unabhängig, mit wenig sozialer Verankerung nur – er hat einen Bruder, der auch ein Kumpel ist, eine Mitarbeiterin, die seine Termine regelt, einen Psycho-Coach, den er regelmäßig per Telefon kontaktiert. Ein Held, der impulsiv ist, Peter geht wahnsinnig spontan bei Musikstücken mit, die sein Player ihm aussucht, das Cannonball Adderly Quintet zum Beispiel, aber auch JBS, also Johann Sebastian Bach, und oft hilft ihm ein bisschen Stoff dabei, besonderer, exklusiver Shit natürlich. Marechal Petard heißt die kleine Weedboutique in Los Angeles, wo er den kriegt, für die tollsten Ekstasen, for your particular tastes, wie der Verkäufer ihm erklärt? Als da wären: Eyes Wide Shut - complete focus. Jay Esbee - big music. Osho - freezes time.
Jay Esbee, das steht natürlich für JSB, Johann Sebastian Bach. Die Namen sind Programm, und der Mann, der die Träume der Welt organisieren will, ist selbst ein großer Träumer. Ein Insider, der immer Außenseiter bleibt, einer, der nirgends heimisch werden kann. Aufgewachsen ist er in Othmarschen, dem großbürgerlichen Hamburger Villenviertel, in dem seine Familie sozial nie wirklich integriert war. Haribo-Schlümpfe oder Erdnussflips kann Peter exakt kalkulieren, dafür erfolgreiche Werbestrategien konzipieren. An die großen Sachen ist er noch nicht herangekommen, Autos, Handys, Spielkonsolen. Mit Drew Itautis hofft er, in die Welt der großen artifiziellen Produkte einzutreten, die, das merkt er nur allmählich, eine artifizielle Welt ist.
In einer imaginären Welt spielt auch die erste abzweigende Geschichte, der erste Zwischengang. Sunmyra ist eine Game-Welt, inspiriert durch das Fürstentum in Ernst Jüngers „Auf den Marmorklippen“. Ein Reich, wo zahlreiche Gamer sich tummeln, ein selbstbezogener, esoterischer Stamm, der sich dort gut aufgehoben weiß, und der einem Neuling gemein den Eintritt verwehrt. Sein Avatar wird auslöscht. Die Rache ist ebenso gnadenlos und brutal, durch langwierige Reihen von Klicks und Eingaben an seinem Rechner verabreicht der Ausgegrenzte den Avataren seiner Mitspieler ein Gift, das alle in einer bodenlosen Leere erwachen lässt. Eine verstörende, herzzerreißende Geschichte über das Existieren und Spielen, das Spiel der Existenz, jenseits unserer Existenz.
Das Aufwachen ist das Dilemma der Menschheit, das Bewusstwerden, das unverlangte Geschenk der Evolution. Er beneide die Tiere, sagt Drew Itautis: „Der Segen des Nichtbewusstseins. Dasein ohne Ahnung des Endes.“ Animal grace. Aus diesem Dilemma kann nur ein Sprung in der natürlichen Evolution erlösen, ein Push in den outer space der Intelligenz. Aber die Menschheit hat nur noch wenig Zeit dafür. „Also muss man beschleunigen. Und da gibt es zwei Baustellen. Die anorganischen und die organischen Denkräume. Computer und Gehirne, AI und kortex. In beiden Bereichen muss dringend viel geschehen, und beide Bereiche müssen, nach Möglichkeit, auch synchronisiert, zusammengeschlossen werden.“
Im Thriller der globalen Epoche, der Internet- und Facebook-Welt sind nicht mehr Politik und ihre Geheimdienste die Drahtzieher skrupelloser, amoralischer Manipulation, sondern internationale Konzerne und Start-Ups. Ganz genregerecht wird im Roman von Alard von Kittlitz die Naivität des Helden überkompensiert durch die eloquente Gewandtheit, mit der sein Erzähler ihn durch die undurchsichtige Handlung bugsiert. Man kennt das aus den großen modernen Erzählstücken von Robert Musil und Heimito von Doderer, dieser unerhörte Wechsel von großen Weltzusammenhängen und kleinsten Details, diese Mischung von Leutseligkeit und Ernst, Tiefsinn und Geschwätzigkeit. Diese Empathie, die manchmal erschreckend herablassend wirkt. Der Bildungsroman ist ein strikt paternalistisches Genre, in der Fürsorglichkeit, mit der er seinen Helden festzurrt in seinem Geschick, er markiert das Ende der Postmoderne, aber auch die Hoffnung auf einen Neubeginn.
Kann man nach Nietzsche noch Romane schreiben, scheint dieses Buch zu fragen: „Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?“
Das Nichts, in das Peter am Ende verschwunden sein könnte, ist mit der Musik von Jay Esbee verbunden: „Eine Musik, die weder Ja noch Nein, weder Licht noch Dunkel zu sagen scheint, sondern von der Berührtheit des Bewusstseins durch das Sein, der Berührtheit des Seins durch das Bewusstsein kündet ...“
Sein Player sucht ihm die richtige
Musik aus, seine Weedboutique
verschafft ihm passende Ekstasen
Er beneide die Tiere, sagt der
Start-Up-Milliardär: „Dasein
ohne Ahnung des Endes.“
Kann man nach Nietzsche
noch Romane schreiben, scheint
dieses Buch zu fragen
Eine Erfindung aus seinem Roman erkannte der Autor Alard von Kittlitz neulich in der Realität wieder, als Elon Musk sein Projekt Neuralink vorstellte: Musk will es schaffen, dass Computer Gedanken lesen und Gedanken Computer steuern können. Und ein solcher Roboter soll die dazugehörige Technik ins Gehirn implatieren.
Foto: Woke Studio/ Neuralink/via Reuters
Alard von Kittlitz:
Sonder. Roman. Piper Verlag, München 2020. 319 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Hier endet die Postmoderne und etwas Neues beginnt: „Sonder“ von Alard von Kittlitz ist der Bildungsroman für die
Epoche des technisch erweiterten Bewusstseins und der internationalen Konzerne, die es herstellen
VON FRITZ GÖTTLER
Seht also, heißt es immer wieder in diesem Buch, eine Aufforderung, eine Formel, mit der der Erzähler jede der kleinen Geschichten beendet, mit denen er die große Geschichte, um die es hier geht, unterbricht, reflektiert, konterkariert. Als Zwischengang gewissermaßen. Geschichten von etwa einem halben Dutzend Menschen, die am Rande des Geschehens auftauchen, zufällig, unbemerkt, unscheinbar, und die Bizarres, Tristes, auch Gespenstisches erleben. Seht also, „kaum jemand weiß von der Geschichte, und niemand sieht sie ihm an, und doch ist auch er nur einer von uns, unter uns“.
Seht also, das ist die Pose eines Predigers oder auch eines Moritatensängers, sie suggeriert Nähe und Distanz zugleich. Das Unaussprechliche ist all diesen Menschen begegnet – so könnte man durchaus das Genre der klassischen Novelle definieren. „Es gibt im Englischen einen interessanten Ausdruck: sonder“, erklärt der Erzähler. „Sonder bezeichnet die plötzliche Erkenntnis, dass all die anderen Menschen um einen herum ebenfalls komplett existieren, dass die also Erinnerungen, Gefühle, Gedanken, halt ein ganzes Leben haben, ein Zuhause, einen Geruch, ein Verhältnis zu ihrem Selbst, Überzeugungen, Wünsche. Und dass man in deren Dasein gerade auch bloß ein Statist ist.“
Was ein Statist ist oder eine Hauptfigur, das wird in diesen Kurz-Geschichten verhandelt, und ob es das überhaupt gibt, einen Menschen, der handelt, bewusst handelt. Es geht um Erlebnisse und Begegnungen im Selbstmörderwald von Aokigahara am Fuß des Fujiyama oder im Louvre in Paris. Um eine Ökoterroristin oder einen Banker, der auf den Erzengel Gabriel stößt, eine höllisch eisige Begegnung, bei der ihm Finger und Zehen abfrieren. Und es geht, das ist die „große“ Geschichte, um Peter Siebert, der in der sehr nahen Zukunft lebt, in der die Pandemie als Krise vorbei ist und die Welt sich eingerichtet hat mit Vorsorge und Quarantäne.
In Neuseeland geht es los, im Pepsi-Cola-Hauptquartier dort. Gleich zu Beginn wird Peter gefeuert, aber nur um sofort – überraschend, aber sicher nicht zufällig – ein traumhaftes Job-Angebot zu bekommen, vom geheimnisvollen litauischen Start-Up-Milliardär Drew Itautis.
Als Produktdesigner hat Peter einen gewissen Ruf aufgebaut, die Welt ist völlig durchschau- und berechenbar für ihn, mit seinem sechsten Sinn für das, was die Menschen wollen und wünschen, dies diffuse Gemenge der Begierden und Wünsche. Ein Taste-Scent-Blender-Brander, nennt ihn Anne ironisch, das Mädchen, das er in der Bar am Flugplatz von Los Angeles trifft, auf seinem Weg ins Reich von Itautis. Ein monströser Begriff, ein monströses Angebot, ein monströses Projekt. Peter wird schnell erfahren, dass er keine Hauptfigur ist im Spiel von Drew Itautis.
Alard von Kittlitz ist 1982 in Jakarta geboren, wuchs in Indonesien, Indien, Äthiopien und Deutschland auf, studierte Geschichte und Philosophie, absolvierte ein Managerstudium in Cambridge, hat Reportagen für das Neon-Magazin geschrieben und arbeitet jetzt für die Zeit. „Sonder“ ist sein erster Roman, ein Experiment aus dem Grenzbereich von Reportage und Erzählung, der zur Zeit stark diskutiert wird. Alles muss nun Story und Geschichte werden, und die Frage ist, wodurch die beiden Schreibformen sich unterscheiden und zugleich inspirieren, und was ihr Verhältnis sein mag zur Realität. Wie viel Distanz das Erzählen braucht und wie viel Emotion beim Berichten zulässig ist.
Peters Geschichte hat, von Anfang an, den Aufbruchsgeist und die Dynamik eines Bildungsromans, mit all den Hoffnungen und Enttäuschungen und Täuschungen des Genres. Ein Held, flexibel und unabhängig, mit wenig sozialer Verankerung nur – er hat einen Bruder, der auch ein Kumpel ist, eine Mitarbeiterin, die seine Termine regelt, einen Psycho-Coach, den er regelmäßig per Telefon kontaktiert. Ein Held, der impulsiv ist, Peter geht wahnsinnig spontan bei Musikstücken mit, die sein Player ihm aussucht, das Cannonball Adderly Quintet zum Beispiel, aber auch JBS, also Johann Sebastian Bach, und oft hilft ihm ein bisschen Stoff dabei, besonderer, exklusiver Shit natürlich. Marechal Petard heißt die kleine Weedboutique in Los Angeles, wo er den kriegt, für die tollsten Ekstasen, for your particular tastes, wie der Verkäufer ihm erklärt? Als da wären: Eyes Wide Shut - complete focus. Jay Esbee - big music. Osho - freezes time.
Jay Esbee, das steht natürlich für JSB, Johann Sebastian Bach. Die Namen sind Programm, und der Mann, der die Träume der Welt organisieren will, ist selbst ein großer Träumer. Ein Insider, der immer Außenseiter bleibt, einer, der nirgends heimisch werden kann. Aufgewachsen ist er in Othmarschen, dem großbürgerlichen Hamburger Villenviertel, in dem seine Familie sozial nie wirklich integriert war. Haribo-Schlümpfe oder Erdnussflips kann Peter exakt kalkulieren, dafür erfolgreiche Werbestrategien konzipieren. An die großen Sachen ist er noch nicht herangekommen, Autos, Handys, Spielkonsolen. Mit Drew Itautis hofft er, in die Welt der großen artifiziellen Produkte einzutreten, die, das merkt er nur allmählich, eine artifizielle Welt ist.
In einer imaginären Welt spielt auch die erste abzweigende Geschichte, der erste Zwischengang. Sunmyra ist eine Game-Welt, inspiriert durch das Fürstentum in Ernst Jüngers „Auf den Marmorklippen“. Ein Reich, wo zahlreiche Gamer sich tummeln, ein selbstbezogener, esoterischer Stamm, der sich dort gut aufgehoben weiß, und der einem Neuling gemein den Eintritt verwehrt. Sein Avatar wird auslöscht. Die Rache ist ebenso gnadenlos und brutal, durch langwierige Reihen von Klicks und Eingaben an seinem Rechner verabreicht der Ausgegrenzte den Avataren seiner Mitspieler ein Gift, das alle in einer bodenlosen Leere erwachen lässt. Eine verstörende, herzzerreißende Geschichte über das Existieren und Spielen, das Spiel der Existenz, jenseits unserer Existenz.
Das Aufwachen ist das Dilemma der Menschheit, das Bewusstwerden, das unverlangte Geschenk der Evolution. Er beneide die Tiere, sagt Drew Itautis: „Der Segen des Nichtbewusstseins. Dasein ohne Ahnung des Endes.“ Animal grace. Aus diesem Dilemma kann nur ein Sprung in der natürlichen Evolution erlösen, ein Push in den outer space der Intelligenz. Aber die Menschheit hat nur noch wenig Zeit dafür. „Also muss man beschleunigen. Und da gibt es zwei Baustellen. Die anorganischen und die organischen Denkräume. Computer und Gehirne, AI und kortex. In beiden Bereichen muss dringend viel geschehen, und beide Bereiche müssen, nach Möglichkeit, auch synchronisiert, zusammengeschlossen werden.“
Im Thriller der globalen Epoche, der Internet- und Facebook-Welt sind nicht mehr Politik und ihre Geheimdienste die Drahtzieher skrupelloser, amoralischer Manipulation, sondern internationale Konzerne und Start-Ups. Ganz genregerecht wird im Roman von Alard von Kittlitz die Naivität des Helden überkompensiert durch die eloquente Gewandtheit, mit der sein Erzähler ihn durch die undurchsichtige Handlung bugsiert. Man kennt das aus den großen modernen Erzählstücken von Robert Musil und Heimito von Doderer, dieser unerhörte Wechsel von großen Weltzusammenhängen und kleinsten Details, diese Mischung von Leutseligkeit und Ernst, Tiefsinn und Geschwätzigkeit. Diese Empathie, die manchmal erschreckend herablassend wirkt. Der Bildungsroman ist ein strikt paternalistisches Genre, in der Fürsorglichkeit, mit der er seinen Helden festzurrt in seinem Geschick, er markiert das Ende der Postmoderne, aber auch die Hoffnung auf einen Neubeginn.
Kann man nach Nietzsche noch Romane schreiben, scheint dieses Buch zu fragen: „Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?“
Das Nichts, in das Peter am Ende verschwunden sein könnte, ist mit der Musik von Jay Esbee verbunden: „Eine Musik, die weder Ja noch Nein, weder Licht noch Dunkel zu sagen scheint, sondern von der Berührtheit des Bewusstseins durch das Sein, der Berührtheit des Seins durch das Bewusstsein kündet ...“
Sein Player sucht ihm die richtige
Musik aus, seine Weedboutique
verschafft ihm passende Ekstasen
Er beneide die Tiere, sagt der
Start-Up-Milliardär: „Dasein
ohne Ahnung des Endes.“
Kann man nach Nietzsche
noch Romane schreiben, scheint
dieses Buch zu fragen
Eine Erfindung aus seinem Roman erkannte der Autor Alard von Kittlitz neulich in der Realität wieder, als Elon Musk sein Projekt Neuralink vorstellte: Musk will es schaffen, dass Computer Gedanken lesen und Gedanken Computer steuern können. Und ein solcher Roboter soll die dazugehörige Technik ins Gehirn implatieren.
Foto: Woke Studio/ Neuralink/via Reuters
Alard von Kittlitz:
Sonder. Roman. Piper Verlag, München 2020. 319 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2020Beim Vorübergehen der Themen
Alard von Kittlitz mischt in seinem Roman "Sonder" aus tausend Motiven keine Welt
"Zu Beginn dieser Geschichte", so beginnt diese Geschichte, "sehen wir Peter Siebert noch in den Kellern des Hauptquartiers von PepsiCo Neuseeland." Die Umgebung ist denkbar abweisend: kaltes Neonlicht, weiße Kacheln, poliertes Metall. "Er befindet sich in einem Labor er ist: allein." Dreihundert Seiten später wird Peter Siebert in ein dunkles Auto bugsiert. Er wurde gerade einer Gehirnwäsche unterzogen und glotzt blöde selig vor sich hin. Man könnte fast meinen, erlöst. Zwei Security-Fieslinge namens Frank und Frank sollen ihn zwischen Sils Maria und Sankt Moritz im Neuschnee aussetzen. Ein schneeweiß offenes Ende für den Helden dieser Geschichte, denn "das ist nun das allerletzte Mal, dass wir Peter Siebert sehen, bevor sich seine Spur verliert".
"Sonder" ist der Titel dieses Debüts des Zeitungsjournalisten Alard von Kittlitz, der von einigen Kritikern als Repräsentant der nächsten Generation von Popliteraten gefeiert wurde. Pop ist insofern richtig, als Marken, Firmen, Produkte die Wegweiser der Handlung sind. Und Pop ist auch richtig, wenn man die Bedeutung des Titels zur erkenntnistheoretischen Grundlage des Romans macht. Dort heißt es, im Englischen bezeichne man mit sonder die plötzliche Erkenntnis, "dass all die anderen Menschen um einen herum ebenfalls komplett existieren, dass die also Gefühle, Erinnerungen, Gedanken, halt ein ganzes Leben haben, ein Zuhause, einen Geruch, ein Verhältnis zu ihrem Selbst, Überzeugungen. Wünsche. Und dass man in deren Dasein gerade auch bloß ein Statist ist."
Peter Siebert, die Hauptfigur von "Sonder", hat sich dieses Wahrnehmungsprinzip zur zweiten Natur gemacht. Er ist nicht nur Statist im Leben anderer, sondern auch in seinem eigenen. Man könnte unter diesen Umständen von einer schwachen Persönlichkeit sprechen: "Denn er sieht sich selbst dauernd durch die Augen der anderen Menschen, als eine Figur in deren Bewusstsein, und er vermeidet, ihr kritisches Urteil über ihn erkennen zu können. Immer will Peter erraten, was die anderen gerade in ihm sehen, was sie von ihm wollen, und er wünscht sich dabei inständig, ihnen zu gefallen oder, besser, nie jemanden zu reizen, zu irritieren, und empfindet sich selbst dabei noch stets als ein Ärgernis, als Laffe, Dünnbrettbohrer, Langweiler. Darunter leidet er natürlich."
Doch Peter macht aus seiner Not eine Tugend. Mit seiner Gabe, zu erraten, was andere begehren, hat er es zu einer respektablen Karriere als Produktdesigner gebracht. "Seine Produkte sind in bestimmten Branchen so was wie Fetischobjekte geworden." Spülmittel, Gummischlümpfe. Solche Sachen. Zuletzt war Siebert für Pepsi in Neuseeland tätig. Dort wird er quasi vom Parkplatz aus wegrekrutiert von einer bondgirlhaft durchtrainierten Anwältin mit einem wohlklingenden französischen Namen: Clementine Bouvet arbeitet für ein aufstrebendes Tech-Unternehmen und will Siebert für eine Mission gewinnen, die ihm wie uns zunächst verborgen bleibt.
Es herrscht also Unklarheit über die wahren Motive hinter Peters Quasi-Entführung auf die Luxusgüter, Luxusyachten und in die Luxusabsteigen seines neuen Chefs Drew Itautis. Der mephistophelische Gründerunternehmer bereitet sich gerne mit Nietzsche-Lektüre auf die Menschheitsfragen des 21. Jahrhunderts vor. Itautis laboriert an einem Produkt, das die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine überwinden will. Bislang experimentiert man mit einem klobigen Helm, den der Proband sich wie ein Sieb auf den Kopf setzen muss, um in den Genuss eines Gedanken-Enhancements zu gelangen. IQ-Verbesserungen von bis zu zwanzig Prozent wären denkbar, erfährt Peter, der aus dem Helm eine Art iPhone machen soll. Ein Objekt also, das jeder unbedingt haben will und das so tut, als wäre es immer schon dagewesen. Doch bevor Peter einen solchen instant classic designen kann, macht er am Flughafen von Los Angeles die Bekanntschaft seiner Traumfrau Anne. Wie sich später herausstellt, ist die nicht einfach Anne aus Deutschland, sondern Anne Donata Pegah Gräfin de Ferolle-Fougiers, eine schwerreiche Erbin, mit einem Hacker liiert. Weil Peter all das nicht weiß, renommiert er vor ihr mit seinem neuen Auftrag: "Das kann ikonisch werden", sagt er über das neue Interface. "Für die Massen, irgendwann auch für die Museen."
Der Erzähler dieses Romans will die Fäden seiner Geschichte fest in beiden Händen halten. Immer wieder werden die Leser mit "wir" angesprochen und somit als Zeugen der Geschehnisse über dem Helden angeordnet. Der hat aufgrund seiner Ich-Schwäche ohnehin nicht das Zeug zur Person. Also lässt der Erzähler uns mit paternalistischer Geste auf sein Laborrattendasein blicken. Na, was haben wir denn da?, scheint er zu fragen. Peter ist doch ein armes Würstchen, das die Käuflichkeit seiner Seele professionalisiert hat, dafür zwar Anerkennung, aber keine Liebe erfährt.
Auch der Leser kann mit Peter Siebert wenig anfangen. Er ist von Anfang an mehr Imago als Mensch und Spielball höherer Interessen. Drew Itautis will unbemerkt die Gehirnströme seines dauerbekifften Designers anzapfen. Ließe sich Peters Verkaufsgenie klonen, könnte Itautis auf einen menschlichen Systemfehler mehr verzichten. Seine Maschine wäre selbst kreativ.
Dort, wo die Figuren der Haupthandlung bewusst prototypisch bleiben und Kittlitz im Stil des Heldenepos von ihren Taten berichtet, macht er auf den Seitenpfaden seines Romans andere Register der Erzählkunst auf. Mit Schmelz berichtet er von einer amerikanischen Öko-Terroristin, von einer japanischen Forensikerin, von einem skrupellosen Banker, der den Erzengel Gabriel trifft und dadurch zum Krüppel wird. Und plötzlich bekommt dieser Roman, der kein Roman sein kann, weil er seine Figuren bewusst nicht leben lässt, in Gang. Hier ist man drin in einem Schicksal, in einem Konflikt, in einer Privatmythologie. Hier beginnt das, was der Anfang eines guten Romans sein könnte: "Infolge der schweren Erfrierungen, die Larry sich vor den Mauern der Chora zugezogen hatte, mussten ihm in den kommenden Tagen sechs Zehen, der Daumen der Linken, der Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand amputiert werden."
Die passende Philosophie zu diesem Auf- und Abdrehen der Erzählenergie liefert der Autor auch gleich mit: "Sonder: All die Geschichten auf dem Planeten. Milliarden von uns, allein in dieser Generation, und in einem jeden von uns hat die blinde Materie die Augen geöffnet und ist Bewusstsein geworden für einen kleinen, lichten Augenblick, bevor jene Dunkelheit, aus der wir traten, uns wieder umschließt."
Am Ende dieses Romans, der einen polyglotten und umfassend gebildeten Autor verrät, bleibt das seltsame Gefühl, ein Sammelsurium vor sich zu haben: einen Ideenroman, eine Thriller-Glosse, einen philosophischen Poproman. Die Intelligenz dieses Buchs strahlt in alle Richtungen und verpufft. Man kann zu "Sonder" deswegen keine Beziehung aufbauen. Ein Buch, das weder ich noch du sagt und doch genau davon handelt.
KATHARINA TEUTSCH
Alard von Kittlitz: "Sonder". Roman.
Piper Verlag, München 2020. 317 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alard von Kittlitz mischt in seinem Roman "Sonder" aus tausend Motiven keine Welt
"Zu Beginn dieser Geschichte", so beginnt diese Geschichte, "sehen wir Peter Siebert noch in den Kellern des Hauptquartiers von PepsiCo Neuseeland." Die Umgebung ist denkbar abweisend: kaltes Neonlicht, weiße Kacheln, poliertes Metall. "Er befindet sich in einem Labor er ist: allein." Dreihundert Seiten später wird Peter Siebert in ein dunkles Auto bugsiert. Er wurde gerade einer Gehirnwäsche unterzogen und glotzt blöde selig vor sich hin. Man könnte fast meinen, erlöst. Zwei Security-Fieslinge namens Frank und Frank sollen ihn zwischen Sils Maria und Sankt Moritz im Neuschnee aussetzen. Ein schneeweiß offenes Ende für den Helden dieser Geschichte, denn "das ist nun das allerletzte Mal, dass wir Peter Siebert sehen, bevor sich seine Spur verliert".
"Sonder" ist der Titel dieses Debüts des Zeitungsjournalisten Alard von Kittlitz, der von einigen Kritikern als Repräsentant der nächsten Generation von Popliteraten gefeiert wurde. Pop ist insofern richtig, als Marken, Firmen, Produkte die Wegweiser der Handlung sind. Und Pop ist auch richtig, wenn man die Bedeutung des Titels zur erkenntnistheoretischen Grundlage des Romans macht. Dort heißt es, im Englischen bezeichne man mit sonder die plötzliche Erkenntnis, "dass all die anderen Menschen um einen herum ebenfalls komplett existieren, dass die also Gefühle, Erinnerungen, Gedanken, halt ein ganzes Leben haben, ein Zuhause, einen Geruch, ein Verhältnis zu ihrem Selbst, Überzeugungen. Wünsche. Und dass man in deren Dasein gerade auch bloß ein Statist ist."
Peter Siebert, die Hauptfigur von "Sonder", hat sich dieses Wahrnehmungsprinzip zur zweiten Natur gemacht. Er ist nicht nur Statist im Leben anderer, sondern auch in seinem eigenen. Man könnte unter diesen Umständen von einer schwachen Persönlichkeit sprechen: "Denn er sieht sich selbst dauernd durch die Augen der anderen Menschen, als eine Figur in deren Bewusstsein, und er vermeidet, ihr kritisches Urteil über ihn erkennen zu können. Immer will Peter erraten, was die anderen gerade in ihm sehen, was sie von ihm wollen, und er wünscht sich dabei inständig, ihnen zu gefallen oder, besser, nie jemanden zu reizen, zu irritieren, und empfindet sich selbst dabei noch stets als ein Ärgernis, als Laffe, Dünnbrettbohrer, Langweiler. Darunter leidet er natürlich."
Doch Peter macht aus seiner Not eine Tugend. Mit seiner Gabe, zu erraten, was andere begehren, hat er es zu einer respektablen Karriere als Produktdesigner gebracht. "Seine Produkte sind in bestimmten Branchen so was wie Fetischobjekte geworden." Spülmittel, Gummischlümpfe. Solche Sachen. Zuletzt war Siebert für Pepsi in Neuseeland tätig. Dort wird er quasi vom Parkplatz aus wegrekrutiert von einer bondgirlhaft durchtrainierten Anwältin mit einem wohlklingenden französischen Namen: Clementine Bouvet arbeitet für ein aufstrebendes Tech-Unternehmen und will Siebert für eine Mission gewinnen, die ihm wie uns zunächst verborgen bleibt.
Es herrscht also Unklarheit über die wahren Motive hinter Peters Quasi-Entführung auf die Luxusgüter, Luxusyachten und in die Luxusabsteigen seines neuen Chefs Drew Itautis. Der mephistophelische Gründerunternehmer bereitet sich gerne mit Nietzsche-Lektüre auf die Menschheitsfragen des 21. Jahrhunderts vor. Itautis laboriert an einem Produkt, das die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine überwinden will. Bislang experimentiert man mit einem klobigen Helm, den der Proband sich wie ein Sieb auf den Kopf setzen muss, um in den Genuss eines Gedanken-Enhancements zu gelangen. IQ-Verbesserungen von bis zu zwanzig Prozent wären denkbar, erfährt Peter, der aus dem Helm eine Art iPhone machen soll. Ein Objekt also, das jeder unbedingt haben will und das so tut, als wäre es immer schon dagewesen. Doch bevor Peter einen solchen instant classic designen kann, macht er am Flughafen von Los Angeles die Bekanntschaft seiner Traumfrau Anne. Wie sich später herausstellt, ist die nicht einfach Anne aus Deutschland, sondern Anne Donata Pegah Gräfin de Ferolle-Fougiers, eine schwerreiche Erbin, mit einem Hacker liiert. Weil Peter all das nicht weiß, renommiert er vor ihr mit seinem neuen Auftrag: "Das kann ikonisch werden", sagt er über das neue Interface. "Für die Massen, irgendwann auch für die Museen."
Der Erzähler dieses Romans will die Fäden seiner Geschichte fest in beiden Händen halten. Immer wieder werden die Leser mit "wir" angesprochen und somit als Zeugen der Geschehnisse über dem Helden angeordnet. Der hat aufgrund seiner Ich-Schwäche ohnehin nicht das Zeug zur Person. Also lässt der Erzähler uns mit paternalistischer Geste auf sein Laborrattendasein blicken. Na, was haben wir denn da?, scheint er zu fragen. Peter ist doch ein armes Würstchen, das die Käuflichkeit seiner Seele professionalisiert hat, dafür zwar Anerkennung, aber keine Liebe erfährt.
Auch der Leser kann mit Peter Siebert wenig anfangen. Er ist von Anfang an mehr Imago als Mensch und Spielball höherer Interessen. Drew Itautis will unbemerkt die Gehirnströme seines dauerbekifften Designers anzapfen. Ließe sich Peters Verkaufsgenie klonen, könnte Itautis auf einen menschlichen Systemfehler mehr verzichten. Seine Maschine wäre selbst kreativ.
Dort, wo die Figuren der Haupthandlung bewusst prototypisch bleiben und Kittlitz im Stil des Heldenepos von ihren Taten berichtet, macht er auf den Seitenpfaden seines Romans andere Register der Erzählkunst auf. Mit Schmelz berichtet er von einer amerikanischen Öko-Terroristin, von einer japanischen Forensikerin, von einem skrupellosen Banker, der den Erzengel Gabriel trifft und dadurch zum Krüppel wird. Und plötzlich bekommt dieser Roman, der kein Roman sein kann, weil er seine Figuren bewusst nicht leben lässt, in Gang. Hier ist man drin in einem Schicksal, in einem Konflikt, in einer Privatmythologie. Hier beginnt das, was der Anfang eines guten Romans sein könnte: "Infolge der schweren Erfrierungen, die Larry sich vor den Mauern der Chora zugezogen hatte, mussten ihm in den kommenden Tagen sechs Zehen, der Daumen der Linken, der Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand amputiert werden."
Die passende Philosophie zu diesem Auf- und Abdrehen der Erzählenergie liefert der Autor auch gleich mit: "Sonder: All die Geschichten auf dem Planeten. Milliarden von uns, allein in dieser Generation, und in einem jeden von uns hat die blinde Materie die Augen geöffnet und ist Bewusstsein geworden für einen kleinen, lichten Augenblick, bevor jene Dunkelheit, aus der wir traten, uns wieder umschließt."
Am Ende dieses Romans, der einen polyglotten und umfassend gebildeten Autor verrät, bleibt das seltsame Gefühl, ein Sammelsurium vor sich zu haben: einen Ideenroman, eine Thriller-Glosse, einen philosophischen Poproman. Die Intelligenz dieses Buchs strahlt in alle Richtungen und verpufft. Man kann zu "Sonder" deswegen keine Beziehung aufbauen. Ein Buch, das weder ich noch du sagt und doch genau davon handelt.
KATHARINA TEUTSCH
Alard von Kittlitz: "Sonder". Roman.
Piper Verlag, München 2020. 317 S., geb., 22,- [Euro].
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»'Sonder' ist Zukunftskrimi, Bildungsroman und einfach sehr - nun ja, besonders.« Brigitte 20201021