Seit der frühen Renaissance ahmen Dichter in ganz Europa die Sonette Francesco Petrarcas (1304-1374) nach und verfolgen damit ein lyrisches Programm, nach dem das liebende und leidende Individuum durch eigene Erfahrungen das allgemein Menschliche in sich erkennen möge. Alfieris "Petrarkismus" allerdings ist ganz ichbezogen und weist in seiner dramatischen Betonung der eigenen Affekte schon beinahe expressionistische Züge auf. Seine Sonette sind von überschwänglicher Leidenschaft und starkem Ausdrucksbedürfnis geprägt; Eros, Freiheitsdrang und Streben nach dichterischem Ruhm sind seine wesentlichen Anliegen, dem Sturm und Drang ist Alfieri näher als der höfischen Kultur des Cinquecento.Der hier vorgelegte zweisprachige Band gibt eine repräsentative Auswahl aus Alfieris Sonetten, darunter finden sich politische, satirische, philosophische, autobiografische, dichtungsbezogene und amouröse - letztere ausnahmslos Luise Gräfin zu Stolberg (1746-1824) gewidmet.Christoph Ferber (geb. 1954) hat u. a. Lyrik von Gaspara Stampa, Ugo Foscolo, Eugenio Montale, Salvatore Quasimodo und Stéphane Mallarmé übersetzt. Er lebt in Ragusa auf Sizilien.Georges Güntert (geb. 1938) isDem zweisprachigen Band werden auch sämtliche verstreuten Amoren beigegeben, so dass nun die gesamte Liebeslyrik Ronsards in der vielgelobten Übersetzung des André-Gide-Preisträger Georg Holzer zugänglich ist.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der italienische Dichter Vittorio Alfieri, der sich irgendwo zwischen Spätaufklärung und Sturm und Drang verorten lässt, harrt in Deutschland nach wie vor einer Entdeckung, weiß Rezensent Niklas Bender, der deswegen umso froher ist, dass sich der Literaturwissenschaftler Christoph Ferber der Aufgabe angenommen hat, eine Auswahl an Sonetten zu kompilieren und ins Deutsche zu übertragen. Neben Liebeslyrik finden sich auch Selbstporträt-Sonette, eine Gattung, die Alfieri möglicherweise erfunden hat, und in der er sich selbst befragt: "Wer bin im Körper ich, wer in der Seele?" und "zwei böse Furien" in sich sieht, berichtet Bender, der den Band gerne zur Entdeckung empfiehlt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.07.2024Im Gemüt zerstritten
Vittorio Alfieris Sonette zweisprachig
Man muss Vittorio Alfieri (1749 bis 1803), Graf von Cortemilia, unbedingt zu den italienischen Klassikern zählen, die in Deutschland einer Entdeckung harren. Hierzulande kennt ihn kaum jemand: Lag es an Goethes Enttäuschung über die von ihm veranlasste Übersetzung von Alfieris Tragödie "Saul", deren Aufführung in Weimar 1811/12 floppte? Goethe meinte, eine "Unneigung" des Publikums auszumachen. Wie dem auch sei, Alfieri ist heute selbst in der Romanistik eher Pflichtstation theatergeschichtlicher Überblicke als real gelesener Autor.
Dabei lohnt das Werk des Spätaufklärers, der mindestens ebenso sehr Stürmer und Dränger war, einen zweiten Blick: Neben dem "Saul" - der vielleicht schönsten italienischen Tragödie! - ist seine Lyrik ein reicher Fundus. Das zeigt ein schmaler, aber gewichtiger Band mit erstmals übersetzten Sonetten.
Ein Gutteil ist im Stil der Liebesdichtung Petrarcas gehalten ("der Liebe Meister") und der Gräfin Luise zu Stolberg gewidmet, Alfieris Lebensgefährtin, mit der er fern seiner piemontesischen Heimatstadt Asti weilte: in Rom, Colmar, Paris oder Florenz. Alfieri macht das Beste aus der Tradition, wenn er etwa die Augen seiner Geliebten - "lebendig, schwarz, in süßer Glut erbrennend" - anklagt, ihm die dichterische Wiedergabe vermasselt zu haben: "Ja, euer Blick hat gänzlich mich vernichtet, / bezwungen hat er Sinne mir und Zunge" - eine elegante Art, Unsagbarkeit neu zu formulieren. Andere Gedichte wenden sich im Geist von Alfieris politisch-literarischen Essays gegen Untertanengeist: "Geboren werden ist ein herbes Schicksal. / Und sterben? Nein! Denn dann bin ich der Ängste / entledigt, und im Nu hab ich vergessen / dass ich ein Sklave bin, Knecht der Tyrannen."
Das klingt weit weniger hochgemut als in den Essays, "die Feigheit / der Vielen" scheint nun das dichterische Ich mit zu meinen. In anderen Gedichten freilich kann sich Alfieri als "des freien Menschen Beispiel" erträumen - das entspricht eher seiner Tyranneikritik, aus der neben aufklärerischer Tugend auch ein entwickeltes hochadeliges Standesbewusstsein spricht.
Es finden sich überraschende Gedichte, etwa jenes "Fido" gewidmete: "mein Pferd, das seinen Herrn, wenn er geflügelt / zur Jagd ausritt, mit Freude trug, wenn pfeilschnell / er einen Hirsch, der ihm entfloh, verfolgte". Diametral entgegengesetzt ist die Haltung zu Frankreich, das Alfieri früher bewundert hatte. Die Revolution jedoch verurteilte der Republikaner und musste "der Seine gottverlassnen Ufern" eilig den Rücken kehren - eine Flucht, die ihn seine Bibliothek kostet. Die letzte Lebensdekade in Florenz war durch Abneigung geprägt, die nicht nur böse Sonette - über Französinnen, die "im Herzen nichts als Niedertracht und Kot" verbergen -, sondern auch "Il Misogallo" ("Der Franzosenhasser", 1799) hervorbrachte.
Für die Geschichte der Lyrik bedeutsamer als Gelegenheitspolemik sind die Selbstporträts in Sonettform, deren Erfindung Georges Günterts präzises Nachwort Alfieri zuschreibt: "Sublimer Spiegel, zeige mir die Wahrheit! / Wer bin im Körper ich, wer in der Seele? / Die Haare rot und spärlich in der Stirne, / gesenkten Hauptes, aber hoch und aufrecht". Seine zentralen Charakterzüge metaphorisiert der Dichter als "zwei böse Furien": "Die eine, Wut, Erregung, schnürt das Herz mir / und beißt mit Schlangengift mir in die Adern; // Melancholie, die andre, raubt mit dunklen / Gesichten mir den Intellekt, erschlafft mich, / so dass ich sehnsuchtsvoll den Styx erwarte, / damit er mir im Tod Befreiung schenke." Wut und Melancholie: jene Laster, die Saul ebenfalls auszeichnen. Hier fehlt eigentlich nur jenes schöne Sonett, mit dem Alfieri seine Pariser Werkausgabe von 1789 beschloss: Er porträtiert sich dort als Steineiche, wie Saul im Drama.
Das Gedicht freilich fasst die Eigenschaften direkter, frischer, in einer transparenteren Sprache. Dank der knappen, von Christoph Ferber treffend ins Deutsche übertragenen Verse entsteht das bestechende Porträt eines hochgemuten Zweiflers, "im Gemüt mit mir zerstritten", dem es gelingt, aufklärerische Ideen bis zu titanischer Romantik zu steigern - und direkt danach wieder schöne Spitzen gegen die "feige Zeit" abzuschießen. NIKLAS BENDER
Vittorio Alfieri: "Sonette". Italienisch - Deutsch.
Ausgewählt und aus dem Italienischen von Christoph Ferber. Elfenbein Verlag,
Berlin 2024.
128 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Vittorio Alfieris Sonette zweisprachig
Man muss Vittorio Alfieri (1749 bis 1803), Graf von Cortemilia, unbedingt zu den italienischen Klassikern zählen, die in Deutschland einer Entdeckung harren. Hierzulande kennt ihn kaum jemand: Lag es an Goethes Enttäuschung über die von ihm veranlasste Übersetzung von Alfieris Tragödie "Saul", deren Aufführung in Weimar 1811/12 floppte? Goethe meinte, eine "Unneigung" des Publikums auszumachen. Wie dem auch sei, Alfieri ist heute selbst in der Romanistik eher Pflichtstation theatergeschichtlicher Überblicke als real gelesener Autor.
Dabei lohnt das Werk des Spätaufklärers, der mindestens ebenso sehr Stürmer und Dränger war, einen zweiten Blick: Neben dem "Saul" - der vielleicht schönsten italienischen Tragödie! - ist seine Lyrik ein reicher Fundus. Das zeigt ein schmaler, aber gewichtiger Band mit erstmals übersetzten Sonetten.
Ein Gutteil ist im Stil der Liebesdichtung Petrarcas gehalten ("der Liebe Meister") und der Gräfin Luise zu Stolberg gewidmet, Alfieris Lebensgefährtin, mit der er fern seiner piemontesischen Heimatstadt Asti weilte: in Rom, Colmar, Paris oder Florenz. Alfieri macht das Beste aus der Tradition, wenn er etwa die Augen seiner Geliebten - "lebendig, schwarz, in süßer Glut erbrennend" - anklagt, ihm die dichterische Wiedergabe vermasselt zu haben: "Ja, euer Blick hat gänzlich mich vernichtet, / bezwungen hat er Sinne mir und Zunge" - eine elegante Art, Unsagbarkeit neu zu formulieren. Andere Gedichte wenden sich im Geist von Alfieris politisch-literarischen Essays gegen Untertanengeist: "Geboren werden ist ein herbes Schicksal. / Und sterben? Nein! Denn dann bin ich der Ängste / entledigt, und im Nu hab ich vergessen / dass ich ein Sklave bin, Knecht der Tyrannen."
Das klingt weit weniger hochgemut als in den Essays, "die Feigheit / der Vielen" scheint nun das dichterische Ich mit zu meinen. In anderen Gedichten freilich kann sich Alfieri als "des freien Menschen Beispiel" erträumen - das entspricht eher seiner Tyranneikritik, aus der neben aufklärerischer Tugend auch ein entwickeltes hochadeliges Standesbewusstsein spricht.
Es finden sich überraschende Gedichte, etwa jenes "Fido" gewidmete: "mein Pferd, das seinen Herrn, wenn er geflügelt / zur Jagd ausritt, mit Freude trug, wenn pfeilschnell / er einen Hirsch, der ihm entfloh, verfolgte". Diametral entgegengesetzt ist die Haltung zu Frankreich, das Alfieri früher bewundert hatte. Die Revolution jedoch verurteilte der Republikaner und musste "der Seine gottverlassnen Ufern" eilig den Rücken kehren - eine Flucht, die ihn seine Bibliothek kostet. Die letzte Lebensdekade in Florenz war durch Abneigung geprägt, die nicht nur böse Sonette - über Französinnen, die "im Herzen nichts als Niedertracht und Kot" verbergen -, sondern auch "Il Misogallo" ("Der Franzosenhasser", 1799) hervorbrachte.
Für die Geschichte der Lyrik bedeutsamer als Gelegenheitspolemik sind die Selbstporträts in Sonettform, deren Erfindung Georges Günterts präzises Nachwort Alfieri zuschreibt: "Sublimer Spiegel, zeige mir die Wahrheit! / Wer bin im Körper ich, wer in der Seele? / Die Haare rot und spärlich in der Stirne, / gesenkten Hauptes, aber hoch und aufrecht". Seine zentralen Charakterzüge metaphorisiert der Dichter als "zwei böse Furien": "Die eine, Wut, Erregung, schnürt das Herz mir / und beißt mit Schlangengift mir in die Adern; // Melancholie, die andre, raubt mit dunklen / Gesichten mir den Intellekt, erschlafft mich, / so dass ich sehnsuchtsvoll den Styx erwarte, / damit er mir im Tod Befreiung schenke." Wut und Melancholie: jene Laster, die Saul ebenfalls auszeichnen. Hier fehlt eigentlich nur jenes schöne Sonett, mit dem Alfieri seine Pariser Werkausgabe von 1789 beschloss: Er porträtiert sich dort als Steineiche, wie Saul im Drama.
Das Gedicht freilich fasst die Eigenschaften direkter, frischer, in einer transparenteren Sprache. Dank der knappen, von Christoph Ferber treffend ins Deutsche übertragenen Verse entsteht das bestechende Porträt eines hochgemuten Zweiflers, "im Gemüt mit mir zerstritten", dem es gelingt, aufklärerische Ideen bis zu titanischer Romantik zu steigern - und direkt danach wieder schöne Spitzen gegen die "feige Zeit" abzuschießen. NIKLAS BENDER
Vittorio Alfieri: "Sonette". Italienisch - Deutsch.
Ausgewählt und aus dem Italienischen von Christoph Ferber. Elfenbein Verlag,
Berlin 2024.
128 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.