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Returning again to the theme of working-class people and their wrenching concerns, Songs for the Missing begins with the suspenseful pace of a thriller, following an Ohio community?s efforts to locate a young woman who has gone missing. It soon deepens into an affecting portrait of a family trying desperately to hold onto itself and the memory of a daughter whose return becomes increasingly unlikely. Stark and honest, this is an intimate account of what happens behind the headlines of a very American tragedy.

Produktbeschreibung
Returning again to the theme of working-class people and their wrenching concerns, Songs for the Missing begins with the suspenseful pace of a thriller, following an Ohio community?s efforts to locate a young woman who has gone missing. It soon deepens into an affecting portrait of a family trying desperately to hold onto itself and the memory of a daughter whose return becomes increasingly unlikely. Stark and honest, this is an intimate account of what happens behind the headlines of a very American tragedy.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.11.2008

Ein Land wie Luft und Wasser
Wer ist hier borniert? Wie Europäer und Amerikaner sich an ihren Grenzen verkennen müssen
Fliegt eine amerikanische Reisegruppe über Europa. Der Reiseleiter erklärt: „Soeben überqueren wir Belgien.” Da dringt eine Stimme aus den hinteren Sitzreihen: „Keine Einzelheiten bitte, nur Erdteile!” Über diesen kleinen Witz und das Missverhältnis, das sich darin ausdrückt, lässt sich von zwei Seiten her lachen. Ein Europäer wird es über die amerikanische Großspurigkeit tun; für einen Amerikaner aber dürfte wirklich Belgien wirklich Belgien als solches schon Humorelement genug sein.
Amerika, das heißt: die Vereinigten Staaten, ist nach europäischen Begriffen von Ländern und Landschaft nicht zu fassen. Höchstens in seinem östlichsten Teil, dem erstbesiedelten und kleinteiligen „Eastern Seaboard”, speziell in seinem Nordabschnitt, greifen Maßstäbe der Alten Welt. Hier hatte man bereits drei bis vier Jahrhunderte Zeit, sich nach alter Weise einzuhausen, und man sieht es der Region an. Auch die Name sprechen dort von der Freude des Wiedererkennens: New York, New Jersey, New Hampshire heißen die Staaten, der Norden insgesamt Neuengland.
Sobald die Appalachen hinter dem Europäer liegen, spätestens jedoch ab dem Mississippi, beginnt er sich zu langweilen. Er beklagt sich dann gern, dass alles so flach wäre, womit er nicht nur den Mangel an Bergen und Tälern meint, sondern das schiere Ausmaß der Fläche, dem zugleich eine so geringe geschichtliche Tiefe korrespondiert. Ihm fehlen die Schlösser und Kirchtürme, um seinem Auge Halt in der Weite zu geben. Solange er diese Dinge sucht, wird er sich verloren fühlen. Und er sollte sich darum sagen, dass er dieses Land nicht betrachten darf wie das Land daheim, sondern sie sich verhalten wie Himmel und Meer: riesige Erstreckungen, auf denen Struktur nicht haftet und über die es hinzieht wie Wolke und Woge. Die „Sünden des Mittleren Westens” nennt der Schriftsteller Stewart O’Nan in „Songs for the Missing”, seinem jüngsten Roman, die Welt, so wie sie sich hier darstellt, „die Flachheit, die Leere, ein notwendiges Sich-Einlassen auf das Vertraute.”
Rodeo, nicht Dressur
Wo hört der Himmel auf? Wie dieser ist auch das Land in Amerika nicht durch seine Umfriedung bestimmt, es stößt sozusagen an nichts, was in einem Angehörigen der europäischen Kleinstaaterei leicht etwas wie Schwindelgefühl auslösen kann. Zwei Wörter für das, was bei uns „Grenze” heißt, kennt das Amerikanische. „Border” ist der fix gezogene Strich auf der Landkarte. Er spielt keine wirkliche Rolle, er ist willkürlich und geradezu fahrlässig ins Gelände projiziert, oft in Gestalt von Geraden, die ungebrochen Hunderte von Kilometern weit verlaufen, ohne sich an Stock und Stein zu kehren. Mexiko und Kanada kommen als ein echtes Außen nicht in Betracht; wer je ein Bild des Grenzzauns zu Mexiko gesehen hat, wie er ein paar Kilometer durch die Wüste stolpert und dann einfach irgendwo endet, der weiß, wie Vergeblichkeit aussieht.
Das andere Wort ist die „frontier”, und die erstellt sich nur in der aggressiv vorangetragenen Bewegung; wie eine Welle hört sie auf, wenn sie nicht mehr läuft. Als die Pfadfinder des frühen neunzehnten Jahrhunderts, schreibt Ambrose Bierce, aus den Wäldern an den Rand der Prärie kamen, stürzten sie ab wie über eine Klippe. Der Prozess wiederholte sich, nur Jahrzehnte später, als die Küste des Pazifiks erreicht war, und in kleinerem Umfang regional noch mehrfach. Statt sedimentierter Geschichte ist es diese Schneide, dieses fortschreitende Rasiermesser, von dem die Historizität des Landes bestimmt worden ist. Und immer noch sind der Road Movie und das Road Book die bevorzugten Genres im Umgang damit: Richard C. Sarafians „Vanishing Point” und Cormac McCarthys „Die Straße”.
Mit Meer und Himmel hat das Land auch gemein, dass man darin nicht heimisch wird. Es gibt keinen Punkt, der so unverwechselbar vom anderen geschieden wäre, dass man fühlt: Hier, und nur hier, ist meine Heimat. Das Land hat hier nie aufgehört, wie Luft und Wasser feindliches Element zu sein, das dem menschlichen Fuß keinen Anhalt bietet, sondern sich nur der fortgesetzten Anstrengung ergibt. Auf dem starren Punkt zu beharren, bedeutet in diesen beiden Reichen mindestens sein Ziel verfehlen – denn der Seemann ist immer unterwegs –, schlimmstenfalls aber zu Fall kommen, wie es einem Flieger geschähe, der mitten in der Luft stoppen wollte. Das Land ist nicht freundlich, wie es in Europa sein kann; selbst wo es reichlich spendet, tut es das gewissermaßen nur unter Zwang, wie ein wildes Tier, das gewaltsam gezähmt werden muss. Der amerikanische Pferdesport ist nicht Dressurreiten, sondern Rodeo.
Mensch und Natur haben hier keine Zeit gehabt, sich im Umgang miteinander an sanfte Sitten zu gewöhnen. Die Indianer lebten in Harmonie mit der Natur? Die Indianer waren arme Schlucker, die sich mit dem Übergroßen abfanden, so gut sie konnten, und oft genug verhungerten, wenn das nicht klappte. „They left no mark”, sagt Stephen King von ihnen. Ohne Ranküne sagt er es, nur voller Staunen, dass jemand tausend Jahre an einer Stelle wohnen kann, und nachher ist es, als wäre da niemand gewesen. Die Spur aber kann hier nur in der Zerstörung bestehen. Die riesigen Grasflächen wurden nicht hier und da durch den Ackerbau ersetzt, wie bei uns die Wälder; sondern sofort zu hundert Prozent umbrochen, so dass kaum auf irgendwelchen Friedhöfen in Illinois noch ein paar Halme übrig geblieben sind.
Alles muss man der Natur gewaltsam entreißen, sie gönnt dem Ankömmling nichts. Im Sommer ist es unerträglich heiß und trocken, im Winter unerträglich kalt, und wenn die Feuerwehr im Januar ausrücken muss, so hinterlassen ihre Aktivitäten zehn Meter lange Eiszapfen an den gelöschten Gebäuden. Wir in Mitteleuropa wissen gar nicht, wie gut wir es haben, dass wir von Klapperschlangen und Tornados, Erdbeben und humusvernichtenden Staubstürmen, Heuschrecken und Waldbränden, die ganze Vororte einäschern, verschont bleiben. Jederzeit kann die Natur gegen ihren Bezwinger aufsässig werden und sein kolonisierendes Werk rückgängig machen. Der Wirbelsturm Katrina war da eigentlich bloß ein Gleichnis: In gewissem Sinn liegt ganz Amerika unter dem Meeresspiegel, den Naturmächten abgetrotztes Gelände, nur durch immer bedrohte Dämme gegen die Flutwellen geschützt; und es genügt ein einziger Riss in diesen Wällen, damit die Zerstörung hereinbricht.
Nur unter dieser Voraussetzung, dass der Verkehr vom Mensch und Natur ausschließlich durch Gewalt geregelt sei, begreift man den Furor, mit dem die ersten Siedler alles, was wild schien, ausmerzten, nicht nur die Indianer, sondern auch die Tiere. Sie schafften es wirklich in kürzester Zeit, die größten Schwärme und Herden, die es auf dem Globus je gegeben hat, die Millionen von Bisons und Milliarden von Wandertauben, auf absolut null zu bringen, weit jenseits aller wirtschaftlichen Vernunft. Die Nistbäume der Wandertaube wurden mit Dynamit gesprengt, obwohl man mit den zerfetzten Vögeln überhaupt nichts mehr anfangen konnte, und das wahllose Streuen von Gift gegen alles, was sich auf vier oder zwei Beinen in den Prärien tummelte, nahm solche Grade an, dass stellenweise das Grundwasser nicht mehr benutzbar war.
Herzland, nicht Heimat
Nur immer ein Typ von Wesen sollte gedeihen, weil nur je dieser eine zu kontrollieren war. Es gibt hier quadratmeilengroße Getreidefelder, aber keine Gärten. Der Erfolg von Al Gores grünem Wahlkampf im Mittleren Westen war auch deswegen so gering, weil die Botschaft „Eat local”, das heißt: nichts, was weiter als hundert Kilometer entfernt gewachsen ist, in einem Staat wie Iowa notwendig auf eine Diät von Mais und Soja hinausläuft.
Al Gore, der den Europäern so nahestand, reüssierte nur an den beiden absoluten Rändern der kontinentalen Masse, der Atlantik- und der Pazifikküste, wo es nicht mehr weitergeht; an diesen beiden Stellen konzentriert sich das liberale Amerika, das wir als unsresgleichen empfinden. Zwischen ihm und dem „Herzland” bestehen wenig Sympathien. „Fly-over country” wird es vom liberalen Establishment genannt, Land, über das man sich am besten im Flugzeug hinwegsetzt; und solche Arroganz nährt umgekehrt den Groll gegen Boston und San Francisco, der im Mittleren Westen herrscht. Europäer halten Amerikaner ja gerne für borniert, weil sie außer ihrem eigenen Land so überhaupt nichts kennen und selbst Vizepräsidentschaftskandidatinnen ihr ganzes bisheriges Leben ohne Reisepass ausgekommen sind. In dieser Haltung steckt selber etwas Borniertes. Sie übersehen, dass die europäischen Nationen von ihrem Areal her ungefähr so groß sind wie die amerikanischen Bundesstaaten; auch die Zahl, fünfzig, stimmt so ziemlich überein. Keine Einzelheiten bitte, nur Erdteile? Ja, vielleicht könnte man sich doch darauf verständigen. BURKHARD MÜLLER
„Der Flug war pünktlich, das Flugzeug fast leer. Sie erhoben sich über die Stadt, zogen eine Kurve und ließen die Hochhäuser der Innenstadt südlich liegen, während sie über eine große Leere hinweg weiter stiegen: Die Felder von Indiana, durchschnitten vom Interstate 90 – die Kleeblätter der Kreuzungen, die Parkplätze in ein dumpfes Orange getaucht.” (Stewart O’Nan: „Songs for the Missing”, New York 2008). Foto: William Eggleston, Untitled, from Los Alamos, 2003, Private collection © Eggleston Artistic Trust
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2009

Und sie erwachten in einem Albtraum

Stewart O'Nan erzählt in seinem ergreifenden neuen Roman "Alle, alle lieben dich" von einem Weiterleben ohne Tochter, Schwester und Freundin.

Von Alexander Müller

Eigentlich wollte Kim Larsen nur weg aus Kingsville, Ohio. Sie freute sich darauf, nach diesem Sommer aufs College zu gehen, wo sie ein anderer, unabhängiger Menschen werden wollte, der nichts mehr mit der beklemmenden Kleinstadt des Mittleren Westens zu tun hat. Doch dann verschwindet die Achtzehnjährige spurlos, und ihr zunächst ungewisses Schicksal schreibt ihren Namen umso tiefer in die Heimat ein. Die erhoffte Veränderung einer Einzelnen, die nun fehlt, erzwingt die ungewollte Veränderung aller, die sie vermissen: ihrer Familie, ihrer Freunde, letztlich der ganzen Gemeinde, die sich an der Suche nach Kim in unterschiedlichster Form beteiligt.

Mehr als zehn Jahre habe ihn die Idee zu diesem Roman beschäftigt, sagte Stewart O'Nan vor wenigen Tagen bei der Vorstellung von "Alle, alle lieben dich" im Münchner Amerika-Haus. Anlässlich eines authentischen Falls, der sich im Bundesstaat Minnesota ereignet hatte, habe er darüber nachgedacht, was wirklich in Menschen vorgeht, die gemeinhin nur durch eine kurze Schreckensmeldung, durch einen verzweifelten Appell in den Medien unsere Aufmerksamkeit beanspruchen. Ihnen gelten die "Songs For The Missing", wie der Roman im amerikanischen Original heißt.

Was für den Leser wie ein spannungsgeladener Thriller beginnt, der jedes winzige Detail als Indiz präsentiert, mündet rasch in eine Analyse des scheinbar durchschnittlichen kleinstädtischen Lebens, in dem der 1961 in Pittsburgh geborene Autor mit der Präzision des ehemaligen Flugzeugingenieurs selbst nahezu unmerkliche emotionale Regungen kenntlich macht. Die schreckliche, auch von Slasher-Filmen oder spektakulären Kriminalfällen geprägte Frage, was Kim zugestoßen sein könnte, steht daher nur zu Beginn im Zentrum: Ist sie einfach abgehauen, hatte sie einen Unfall, wurde sie entführt, vergewaltigt, ermordet? Die einzelnen Familienmitglieder Kims, enttäuscht vom geringen Aktionsradius der Polizei, reagieren in ihrer jeweils eigenen Weise. Während sich ihre Mutter Fran an die Öffentlichkeit wendet - sie gibt Interviews, bittet das Lokalfernsehen um Hilfe, ruft zu Spenden auf und lässt Anstecker und T-Shirts der Anteilnahme gestalten -, versucht ihr Vater Ed, einem wohl nicht nur in den Vereinigten Staaten typischen Männlichkeitsideal zu entsprechen. Er will seine Tochter selbst finden, aus eigener Kraft, unterstützt von eilig zusammengetrommelten Suchtrupps aus Freiwilligen, die noch den letzten Rest Tageslicht ausnutzen, um etwa das unwegsame Gelände am Fluss zu durchkämmen, wo Kim sich gerne aufhielt. Ihre Schwester Lindsay wiederum, die später zur eigentlichen Hauptfigur des Romans werden wird, stand stets im Schatten der beliebten Kim. Sie wird von den verängstigten Eltern nicht mehr allein gelassen, was für diesen scheuen und klugen Teenager beinah unerträglich ist. Kims Schatten wird in der rückblickenden Idealisierung immer größer, und Lindsay zieht sich mehr und mehr in ihr eng bemessenes Privatleben zurück.

Jeden Abend vor ihrem Computer "machte sie sich unsichtbar", als könne sie dadurch ihrer verschollenen Schwester näher sein. Vor einer kläglich scheiternden Zeremonie für Kim während der Halbzeitpause eines Football-Matches an Thanksgiving sitzt sie mit gesenktem Kopf zwischen ihren Eltern, "als wäre sie ihre Gefangene"; sie kommt sich sogar benutzt vor, als bemitleidenswertes Element einer umfassenden Wohltätigkeitskampagne. Sie ist dann allerdings die Erste, die registriert, dass sie selbst durch die ihr peinlichen, jedoch aufsehenerregenden Benefizveranstaltungen ihrer Mutter mit anderen Augen gesehen wird. Plötzlich starren Mitschüler sie an wie eine Außerirdische, und sie gilt bald als Berühmtheit, der wildfremde Personen ihr Mitgefühl bekunden. Später, wenn Lindsay, der Heimat längst entflohen, auf ihrem MP3-Player die Musik von Cat Power und Holly Golightly hört, ahnen wir, dass ihr die Verwandlung gelingen wird, die Kim verwehrt blieb.

Doch nicht nur anhand von Lindsays Entwicklung zeigt O'Nan auf, wie es weitergehen kann nach einem sich immer deutlicher abzeichnenden Unglück. Kapitel für Kapitel wechselt er die Perspektive, fokussiert einmal Kims von Schuldgefühlen geplagte Freunde, die den Angehörigen und der Polizei wesentliche Informationen vorenthielten, ein andermal konzentriert er sich auf die stabile, indes fragiler werdende Ehe der Larsens. Dieser zwar altbekannte, aber doch effektive Kunstgriff erlaubt es ihm, selbst disparate Wahrnehmungsweisen aufeinanderprallen zu lassen und die sich stetig wandelnden Sorgen der Protagonisten ins Auge zu fassen: Wann gilt es, die Hoffnung auf Kims Rückkehr aufzugeben? Von welchem Zeitpunkt an darf man wieder normal sein, sich mit Freunden treffen, gar unbeschwert lachen? Kauft man für Kim vorsichtshalber Weihnachtsgeschenke - sie könnte ja plötzlich in der Tür stehen?

Hintergründig schleichen sich zudem die Probleme des Alltags wieder ein, wenn beispielsweise der Immobilienmakler Ed unter den ersten Auswirkungen einer Marktkrise zu leiden hat und sich daheim die unbezahlten Rechnungen stapeln. Stewart O'Nan beweist hier aufs Neue sein untrügliches Gespür für die so banalen wie ernsten Bürden von Smalltown America. Gleichmütig erzählt er von dieser Tragödie, lakonisch, penibel, frei von Kitsch und niemals kalt. Er hat seinen unprätentiösen Stil, den man unter anderem in "Letzte Nacht" (2007) studieren konnte, jenem prägnanten Roman über die letzte, winterliche Arbeitsschicht in einem Schnellrestaurant, weiter perfektioniert. Die ungeminderte Sympathie für seine vermeintlich einfachen Figuren verbindet ihn ebenso mit seinem großen Vorbild Richard Yates, an dessen Wiederentdeckung er wesentlichen Anteil hatte, wie seine Vorliebe für lapidare Dialoge. Nicht selten gelingen ihm dabei geradezu tragikomische Szenen, die inhaltlich bedrückender nicht sein könnten. So wird Fran auf ein Fernsehinterview vorbereitet, das schließlich von Rasenmäherlärm unterbrochen wird, indem eine Freundin sie darauf hinweist, dass sie vor laufenden Kameras nicht zusammenbrechen dürfe. Die Zuschauer vor den Fernsehschirmen sollen sie nicht für hysterisch halten. Sie wollen nicht beunruhigt werden, sondern hoffen, dass sie, wären sie selbst in Frans Situation, ebenfalls nicht zusammenbrechen würden. Fran soll "tapferer sein, als sie es sich selbst zutrauen" - also gefasster, als sie sich fühlt.

Unaufdringlich und vor allem unaufgeregt ergründet O'Nan, der für "Engel im Schnee" 1993 den William-Faulkner-Preis erhielt, die manchmal zwiespältigen Empfindungen und Reaktionen des Romanpersonals: versteckte und erzwungene Tränen, panischer Aktionismus, Erschöpfung und Hilflosigkeit, Trauer, Entrüstung und Frustration. Abermals - wie in "Das Glück der Anderen" (2001) oder "Halloween" (2004) - verarbeitet er einen albtraumhaften Stoff, der problemlos dem befreundeten Kollegen Stephen King als Ausgangspunkt eines Horrorszenarios hätte dienen können, zu einem fesselnden, anspruchsvollen Roman. Er habe mit "Alle, alle lieben dich" mehr schaffen wollen als einen "good read", mehr als eine anregende Lektüre, sagte O'Nan im Amerika-Haus. Denn Aufgabe des Schriftstellers sei es, so altmodisch es klingen mag, wie seinerzeit Faulkner an die "eternal verities", die ewigen Wahrheiten und Werte wie Liebe, Mitgefühl und Ehre zu erinnern. Das ist ihm mit diesem bewegenden Roman über das Abschiednehmen und Weiterleben, der trotz des hoffnungslosen Geschehens ein großes Maß an Zuversicht und Trost birgt, gelungen.

Stewart O'Nan: "Alle, alle lieben dich". Roman. Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 411 S., geb., 19,90 [Euro].

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