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Ein Fremder bleibt vor einem Haus stehen und rührt sich nicht mehr vom Fleck. Er starrt hinüber zum Fenster, spricht kein Wort. Das Paar im Haus ist zunehmend beunruhigt. Der Fremde bleibt die ganze Nacht, der Polizei sind die Hände gebunden. Irgendwann begreift der Mann im Haus, wie er den ungebetenen Gast zum Verschwinden bringen könnte - mit fataler Konsequenz. "Sonnenspiegelung" heißt die titelgebende von acht abgründigen, tief berührenden Geschichten, in denen Jan Costin Wagner tut, was er am besten kann: filmisch präzise, bildstarke Szenen entwerfen, knappe, kraftvolle Dialoge schreiben.…mehr

Produktbeschreibung
Ein Fremder bleibt vor einem Haus stehen und rührt sich nicht mehr vom Fleck. Er starrt hinüber zum Fenster, spricht kein Wort. Das Paar im Haus ist zunehmend beunruhigt. Der Fremde bleibt die ganze Nacht, der Polizei sind die Hände gebunden. Irgendwann begreift der Mann im Haus, wie er den ungebetenen Gast zum Verschwinden bringen könnte - mit fataler Konsequenz. "Sonnenspiegelung" heißt die titelgebende von acht abgründigen, tief berührenden Geschichten, in denen Jan Costin Wagner tut, was er am besten kann: filmisch präzise, bildstarke Szenen entwerfen, knappe, kraftvolle Dialoge schreiben. Und gerade wenn man denkt, alles durchschaut zu haben, eröffnet sich eine völlig neue, unerwartete Perspektive.
Autorenporträt
Wagner, Jan Costin
Jan Costin Wagner, Jahrgang 1972, lebt als freier Schriftsteller und Musiker bei Frankfurt am Main und in Finnland, seiner zweiten Heimat. Seine erste Songwirter-CD "behind the lines" erschien 2010. Seine Romane wurden vielfach ausgezeichnet (Deutscher Krimipreis, Nominierung zum Los Angeles Times Book Prize) und in 14 Sprachen übersetzt. Der Roman "Das Schweigen" wurde 2010 fürs Kino verfilmt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2015

Augenblick der Abrechnung
In seinen Erzählungen erweist sich Jan Costin Wagner als Meister der Lakonie

Acht Erzählungen sind in diesem Band vereint. Kurzgeschichten wäre nicht das richtige Wort für sie, nichts wird bündig zusammengerafft. Die Handlung hat vorher längst begonnen, irgendwo außerhalb des Erzählten, sie läuft da hindurch, ein Ende, ein Abschluss findet nicht statt. Nicht jede dieser Erzählungen ist eine Kriminalgeschichte im eigentlichen Sinn. Aber jede könnte ein Kriminalroman in nuce sein, auch diejenigen, die gar nicht von einem identifizierbar kriminellen Vergehen handeln.

Da ist die längste unter ihnen, "Tanzen". Sie verknüpft in kurzen Absätzen, über denen jeweils ein Name steht, eine Gruppe von Menschen, deren Verbindungen untereinander zunächst nicht erkennbar sind; sie sind auch nicht vorhersehbar. Es sind Schicksalslinien, gebündelt in "Sternbildern", wie Jan Costin Wagner das nennt. Was hat Daniela, Tochter einer dementen Mutter Elisabeth im Pflegeheim, mit Mark zu tun, der seine Frau Maria und seine Tochter Maja durch den Absturz eines Flugzeugs verloren hat, das noch immer nicht gefunden wurde? Was entfernt Christian, Danielas Mann, immer weiter von ihr und der gemeinsamen kleinen Tochter? Was hat Christian verheimlicht, wenn er spätabends nach Hause kommt und "die Haustür öffnet, behutsam, als würden doch, wie ursprünglich erwartet, alle schlafen"? Was geht in ihm vor, wenn er "Daniela im Zentrum des Raums stehen sieht. Es ist ein Moment, der sich in die Länge zieht. Daniela tanzt, einen Mann umarmend, den er noch nie gesehen hat."

Moment kommt von lateinisch "momentum", das sich wiederum von "movere" ableitet, bewegen in Raum und Zeit; etwas kann entstehen. Noch ist keine Konsequenz unmittelbar ersichtlich, doch der Moment wirkt fort. Solche Reflexionen beschäftigen Jan Costin Wagner, sie stehen auch hinter seinen sehr erfolgreichen, so spannend wie feinfühligen Kriminalromanen um den finnischen Kommissar Kimmo Joentaa. Dessen Melancholie rührt vom frühen Tod seiner jungen Frau her, der geschah, bevor ihn Wagner seine Fälle lösen lässt.

Die Erzählung "Sonnenspiegelung", die dem Band seinen Titel gibt, dehnt das Momentum über einen Tag und eine Nacht. "Als Harford am Morgen den Vorhang zur Seite schiebt, um das Sonnenlicht hereinzulassen, steht ein Mann auf der anderen Straßenseite und blickt durch die Fensterscheibe mitten in seine Augen. Harford bleibt für eine Weile stehen und wartet darauf, dass der Mann den Blick abwenden und weitergehen wird." Warum fällt dieser Fremde Harford gleich so auf, als bedeute er etwas? Weil der Mann einfach stehen bleibt, ist auch Harfords Frau Lena zunehmend beunruhigt. Die Erzählung verfolgt die Spur einer diffusen Beunruhigung, bis sich ein Geheimnis herausschält, mit einer schrecklichen Konsequenz. Wagners behutsame Lakonie ist bestechend.

In diesen Prosastücken wird nicht viel gesprochen, an die Stelle des Geredes tritt dichte Beschreibung. So kann die Perspektive auf das Geschehen unter der Hand wechseln, von einer der beteiligten Personen zu einer anderen oder hin zur Erzählinstanz. Was sich vollzieht, setzt sich wie in einem Kaleidoskop zusammen. Die Polyperspektivität lässt gradliniges Verstehen gar nicht erst zu. Sie beleuchtet die engen fatalen Bindungen zwischen den Menschen, die Beklemmung überträgt sich auf den Leser. Die große weite Welt findet, jedenfalls als Realität, nicht statt.

Offenheit spendet, sofern noch möglich, die Natur, die Landschaft. Der kultivierte Innenraum des Hauses bietet wenig Schutz, es ist, als speichere er die schlimmen Dinge vielmehr. "Nach stillen Nächten" spielt an einem 24. Dezember, eine erwachsene Tochter kommt nach Jahren wieder ins elterliche Haus. Es wird der Abend einer Abrechnung: "Minuten vergehen. Er nickt nicht, aber er schüttelt auch nicht den Kopf. Sie sitzen sich gegenüber, in einem Dialog, der ohne Worte auskommt. Als sie aufsteht und geht, ist das Haus so still wie damals."

In einigen dieser Erzählungen ist der Keim gelegt, aus dem ein Verbrechen wachsen kann, und es wird eines sein, das dann erklärbar ist; das ist die eine Variante. In der anderen Variante ist dieser Keim schon aufgegangen. Das Verbrechen oder zumindest die böse Tat ist geschehen, liegt vielleicht lang oder auch nur ganz kurz zurück. Jan Costin Wagner erzählt nicht wie eine urteilende Instanz. Seine Personen richten sich selbst, indem sie handeln, einem Reflex folgend.

Weil sie auf eine Außenwelt treffen, die an sich gleichgültig ist, in ihnen aber einen Prozess auslöst, den sie nicht länger steuern können. Immer ist der Verlust von Kontrolle der Dreh- und Angelpunkt der Ereignisse. Die sich als Beherrscher der Lage wähnen, holt mit unausweichlicher Zwangsläufigkeit eine unvorhersehbare Anordnung von Geschehnissen ein. Das erzeugt den Nachhall dieser Erzählungen, sie bleiben beim Leser - beinah so eindringlich wie eigene Erfahrungen.

ROSE-MARIA GROPP

Jan Costin Wagner:

"Sonnenspiegelung".

Geschichten.

Verlag Galiani Berlin, Berlin 2015. 192 S., geb., 18,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Sylvia Staude scheint ganz verzweifelt über die schlimme Lage der Figuren in Jan Costin Wagners Erzählungen. Dass der Autor Geschichten vom Tod zu schreiben vermag, weiß Staude schon aus der Lektüre von Wagners Krimis. Dunkel geht es jetzt ebenfalls zu in diesen Texten, verrät die Rezensentin. Hin und wieder nur finden die Figuren den Schalter, der das Licht zurückbringt. Das jeweilige dunkle Ende erscheint ihr allerdings mitunter allzu berechenbar. Gut, dass Wagner ab und zu ironische Wendungen und Perspektivwechsel einzubauen versteht. Ganz normale, intakte Familienverhältnisse und Lebensumstände entpuppen sich dann als Tänze über Abgründen, warnt Staude.

© Perlentaucher Medien GmbH
Sylvia Staude scheint ganz verzweifelt über die schlimme Lage der Figuren in Jan Costin Wagners Erzählungen. Dass der Autor Geschichten vom Tod zu schreiben vermag, weiß Staude schon aus der Lektüre von Wagners Krimis. Dunkel geht es jetzt ebenfalls zu in diesen Texten, verrät die Rezensentin. Hin und wieder nur finden die Figuren den Schalter, der das Licht zurückbringt. Das jeweilige dunkle Ende erscheint ihr allerdings mitunter allzu berechenbar. Gut, dass Wagner ab und zu ironische Wendungen und Perspektivwechsel einzubauen versteht. Ganz normale, intakte Familienverhältnisse und Lebensumstände entpuppen sich dann als Tänze über Abgründen, warnt Staude.

© Perlentaucher Medien GmbH