The marriage of Gertrude and Walter Morel has become a battleground. Repelled by her uneducated and violent husband, delicate Gertrude devotes her life to her children, especially to her sons, William and Paul - determined they will not follow their father into working down the coal mines.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.2011Die Vergoldung der Leidenschaft
Der legendäre Roman "Söhne und Liebhaber" von D. H. Lawrence erscheint neu und erstmals vollständig übersetzt. Nun werden seine Schwächen deutlicher, aber auch sein erzählerisches Raffinement.
Alles, was D. H. Lawrence in seinem kurzen Leben geschrieben hat, steht im Schatten von "Lady Chatterley's Lover". Der 1928 in Florenz auf Englisch erschienene Roman, bereits der zwölfte des 1885 geborenen Briten, machte wegen seiner freizügigen Liebesszenen Skandal und wurde in den Vereinigten Staaten für fast dreißig Jahre verboten. Lawrence war fortan ein poète maudit. Da er nur zwei Jahre später an Tuberkulose starb, konnte er diesen Ruf nicht mehr selbst bestätigen oder korrigieren. "Lady Chatterley's Lover" blieb sein letztes Buch.
Das früheste Zeichen seiner wahren schriftstellerischen Begabung und auch eines höheren literarischen Anspruchs ist der Roman "Sons and Lovers", der 1913 erschien. Die Vorarbeiten dazu reichen bis mindestens 1910 zurück, als eine erste Fassung unter dem Titel "Paul Morel" entstand, dem Namen einer der beiden Hauptfiguren des Buchs. Paul, der künstlerisch begabte mittlere Sohn einer Bergarbeiterfamilie aus Nottinghamshire, ist ein nur notdürftig kaschiertes Alter Ego seines Autors: All die amourösen Wirren des Romans spiegeln wider, was Lawrence zum Zeitpunkt der Arbeit daran selbst erlebt hat, als er sich in eine um sechs Jahre ältere verheiratete Frau verliebte, die deutschstämmige Frieda Weekly, eine geborene von Richthofen. Als er sie 1912 ihrem Mann ausspannen konnte, war der Weg frei für die vierte und letzte Fassung des Romans.
Sie sollte indes erst 1979 vollständig erscheinen. Dem noch unbekannten Autor kürzte sein Lektor für die Erstausgabe etliche Passagen heraus oder änderte sie ab, teils um die ausufernde Handlung zu straffen, teils aber auch, um als unziemlich angesehene erotische Schilderungen auszumerzen. Und so sollte die Textgestalt bleiben (auch in den bisherigen beiden deutschen Übersetzungen von 1925 und 1932), bis eben 1979 erstmals das Manuskript herangezogen wurde. Allerdings hatte sich Lawrence 1913 mit den Änderungen arrangiert. Ob er selbst also gewünscht hätte, die Bearbeitungen rückgängig zu machen, kann man nicht mit Sicherheit sagen.
Dennoch ist es ein Segen, dass die dritte deutsche Übersetzung, von Hans-Christian Oeser erstellt, nun auf die revidierte Fassung von "Sons and Lovers" zugreift. Denn die lapidare Sprache, die Lawrence im Geist des viktorianischen Sozialromans mit pathetischen Einschüben durchsetzt, wird darin deutlicher. Und dabei sind es weniger die für die damalige Zeit freizügigen Schilderungen, die hier wichtig sind, sondern die höchst symbolisch aufgeladenen Naturbeschreibungen. Nur ein Beispiel, das diese Prosa zum Funkeln bringt: "Als sie über eine große Wiese gingen, die schräg in der Sonne lag, auf einem Pfad, der mit unzähligen winzigen Glitzerpunkten übersät war, schlang Paul, der neben Miriam ging, seine Finger um den Henkel der Tasche, die sie trug, und sofort spürte sie Annie hinter sich, lauernd und eifersüchtig. Aber die Wiese lag in gleißenden Sonnenschein gebadet, und der Pfad war mit Juwelen bestreut, und es geschah so selten, dass er ihr irgendein Zeichen gab. Sie hielt ihre Finger um die Henkel der Tasche sehr still, und seine Finger berührten sie. Und die Gegend war golden wie eine Erscheinung."
Goldgelb und Rot, das sind die leitmotivisch wiederholten Farben im Buch. Wenn Anemonen als Blumenschmuck getragen werden, dann kommen Fresien hinzu, Nelken sind rot, Lilien purpurn, und die Wolkenformationen in den Naturtableaus flammen immer neu in Gold auf. Das weist schon voraus auf "Lady Chatterley's Lover", denn hier wie dort wird die Wahrnehmung von Natur zum farbigen Analogon, aber auch zum Antidot für die Gifte von Eifersucht und Leidenschaft. Die größte Bedrohung der Liebe ist Pauls Mutter Gertrude, eine kleine Frau mit großem Willen, die nach dem finanziellen Niedergang ihrer Familie den Bergmann Walter Morel heiraten musste, mit dem sie dann sehr schnell unglücklich wird. Nur die vier Kinder, darunter drei Söhne, die sich alle auf die Seite der Mutter schlagen, halten die Ehe der Eltern noch zusammen, doch das erfordert einen Preis: Mutter und Söhne gehen eine Symbiose ein, die keine andere Frau duldet. So ist der Titel "Söhne und Liebhaber" zu verstehen: Die Mutterliebe wird zum Surrogat geschlechtlicher Liebe, und jeder einzelne der drei Söhne muss sich aus dem Gunstkreis seiner Mutter freikämpfen.
"Söhne und Liebhaber" ist ein psychologischer Roman, der in Paul sein Erzähl-, aber in Gertrude sein Kraftzentrum hat. Deshalb braucht das Buch auch lange, um zunächst die Geschichte der Mutter und ihrer Ehe zu entfalten - dass Lawrence dabei unter der Hand ein beinahe reportageartiges Porträt des Kohlereviers um Nottingham gelingt, ist ein zusätzliches Plus des Romans.
Allerdings ist das stete Wechselspiel von Mutter und Sohn im letzten Teil des Buchs nicht mehr im Gleichgewicht. Lawrence verschiebt den Schwerpunkt zu stark zu Paul. Doch ausgerechnet das eigene Alter Ego bleibt im Roman blass - als wäre der Autor zurückgescheut vor den wahren Abgründen einer Liebe, die Befreiungsschlag in körperlicher wie seelischer Hinsicht ist. Deshalb steht "Söhne und Liebhaber" berechtigt im Schatten von "Lady Chatterley's Lover", der just dieses Thema in den Mittelpunkt stellt. Aber die neue Übersetzung sorgt dafür, dass auch das Frühwerk jetzt seinen Goldstreif erhält.
ANDREAS PLATTHAUS
D. H. Lawrence: "Söhne und Liebhaber". Roman.
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Reclam Verlag, Stuttgart 2011. 764 S., geb., 34,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der legendäre Roman "Söhne und Liebhaber" von D. H. Lawrence erscheint neu und erstmals vollständig übersetzt. Nun werden seine Schwächen deutlicher, aber auch sein erzählerisches Raffinement.
Alles, was D. H. Lawrence in seinem kurzen Leben geschrieben hat, steht im Schatten von "Lady Chatterley's Lover". Der 1928 in Florenz auf Englisch erschienene Roman, bereits der zwölfte des 1885 geborenen Briten, machte wegen seiner freizügigen Liebesszenen Skandal und wurde in den Vereinigten Staaten für fast dreißig Jahre verboten. Lawrence war fortan ein poète maudit. Da er nur zwei Jahre später an Tuberkulose starb, konnte er diesen Ruf nicht mehr selbst bestätigen oder korrigieren. "Lady Chatterley's Lover" blieb sein letztes Buch.
Das früheste Zeichen seiner wahren schriftstellerischen Begabung und auch eines höheren literarischen Anspruchs ist der Roman "Sons and Lovers", der 1913 erschien. Die Vorarbeiten dazu reichen bis mindestens 1910 zurück, als eine erste Fassung unter dem Titel "Paul Morel" entstand, dem Namen einer der beiden Hauptfiguren des Buchs. Paul, der künstlerisch begabte mittlere Sohn einer Bergarbeiterfamilie aus Nottinghamshire, ist ein nur notdürftig kaschiertes Alter Ego seines Autors: All die amourösen Wirren des Romans spiegeln wider, was Lawrence zum Zeitpunkt der Arbeit daran selbst erlebt hat, als er sich in eine um sechs Jahre ältere verheiratete Frau verliebte, die deutschstämmige Frieda Weekly, eine geborene von Richthofen. Als er sie 1912 ihrem Mann ausspannen konnte, war der Weg frei für die vierte und letzte Fassung des Romans.
Sie sollte indes erst 1979 vollständig erscheinen. Dem noch unbekannten Autor kürzte sein Lektor für die Erstausgabe etliche Passagen heraus oder änderte sie ab, teils um die ausufernde Handlung zu straffen, teils aber auch, um als unziemlich angesehene erotische Schilderungen auszumerzen. Und so sollte die Textgestalt bleiben (auch in den bisherigen beiden deutschen Übersetzungen von 1925 und 1932), bis eben 1979 erstmals das Manuskript herangezogen wurde. Allerdings hatte sich Lawrence 1913 mit den Änderungen arrangiert. Ob er selbst also gewünscht hätte, die Bearbeitungen rückgängig zu machen, kann man nicht mit Sicherheit sagen.
Dennoch ist es ein Segen, dass die dritte deutsche Übersetzung, von Hans-Christian Oeser erstellt, nun auf die revidierte Fassung von "Sons and Lovers" zugreift. Denn die lapidare Sprache, die Lawrence im Geist des viktorianischen Sozialromans mit pathetischen Einschüben durchsetzt, wird darin deutlicher. Und dabei sind es weniger die für die damalige Zeit freizügigen Schilderungen, die hier wichtig sind, sondern die höchst symbolisch aufgeladenen Naturbeschreibungen. Nur ein Beispiel, das diese Prosa zum Funkeln bringt: "Als sie über eine große Wiese gingen, die schräg in der Sonne lag, auf einem Pfad, der mit unzähligen winzigen Glitzerpunkten übersät war, schlang Paul, der neben Miriam ging, seine Finger um den Henkel der Tasche, die sie trug, und sofort spürte sie Annie hinter sich, lauernd und eifersüchtig. Aber die Wiese lag in gleißenden Sonnenschein gebadet, und der Pfad war mit Juwelen bestreut, und es geschah so selten, dass er ihr irgendein Zeichen gab. Sie hielt ihre Finger um die Henkel der Tasche sehr still, und seine Finger berührten sie. Und die Gegend war golden wie eine Erscheinung."
Goldgelb und Rot, das sind die leitmotivisch wiederholten Farben im Buch. Wenn Anemonen als Blumenschmuck getragen werden, dann kommen Fresien hinzu, Nelken sind rot, Lilien purpurn, und die Wolkenformationen in den Naturtableaus flammen immer neu in Gold auf. Das weist schon voraus auf "Lady Chatterley's Lover", denn hier wie dort wird die Wahrnehmung von Natur zum farbigen Analogon, aber auch zum Antidot für die Gifte von Eifersucht und Leidenschaft. Die größte Bedrohung der Liebe ist Pauls Mutter Gertrude, eine kleine Frau mit großem Willen, die nach dem finanziellen Niedergang ihrer Familie den Bergmann Walter Morel heiraten musste, mit dem sie dann sehr schnell unglücklich wird. Nur die vier Kinder, darunter drei Söhne, die sich alle auf die Seite der Mutter schlagen, halten die Ehe der Eltern noch zusammen, doch das erfordert einen Preis: Mutter und Söhne gehen eine Symbiose ein, die keine andere Frau duldet. So ist der Titel "Söhne und Liebhaber" zu verstehen: Die Mutterliebe wird zum Surrogat geschlechtlicher Liebe, und jeder einzelne der drei Söhne muss sich aus dem Gunstkreis seiner Mutter freikämpfen.
"Söhne und Liebhaber" ist ein psychologischer Roman, der in Paul sein Erzähl-, aber in Gertrude sein Kraftzentrum hat. Deshalb braucht das Buch auch lange, um zunächst die Geschichte der Mutter und ihrer Ehe zu entfalten - dass Lawrence dabei unter der Hand ein beinahe reportageartiges Porträt des Kohlereviers um Nottingham gelingt, ist ein zusätzliches Plus des Romans.
Allerdings ist das stete Wechselspiel von Mutter und Sohn im letzten Teil des Buchs nicht mehr im Gleichgewicht. Lawrence verschiebt den Schwerpunkt zu stark zu Paul. Doch ausgerechnet das eigene Alter Ego bleibt im Roman blass - als wäre der Autor zurückgescheut vor den wahren Abgründen einer Liebe, die Befreiungsschlag in körperlicher wie seelischer Hinsicht ist. Deshalb steht "Söhne und Liebhaber" berechtigt im Schatten von "Lady Chatterley's Lover", der just dieses Thema in den Mittelpunkt stellt. Aber die neue Übersetzung sorgt dafür, dass auch das Frühwerk jetzt seinen Goldstreif erhält.
ANDREAS PLATTHAUS
D. H. Lawrence: "Söhne und Liebhaber". Roman.
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Reclam Verlag, Stuttgart 2011. 764 S., geb., 34,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.03.2011Von der eigenen Keuschheit gefesselt
Die Körper und die Kunst: D. H. Lawrence’ Roman „Söhne und Liebhaber“ erstmals vollständig auf Deutsch
Wer „Sons and Lovers“, D. H. Lawrence’ 1913 veröffentlichten Roman, zu lesen beginnt, könnte ihn für eine Fortsetzung von Zolas dreißig Jahre älterem „Germinal“ halten – beide Romane spielen im Bergarbeitermilieu. Doch die beiden Autoren sind in verschiedenem Grad von ihrem Sujet betroffen. Der Pariser Intellektuelle und seine bürgerlichen Leser entdeckten im Proletariat der nordfranzösischen Gruben ein akutes soziales Problem und zugleich einen unverbrauchten, exotischen Romanstoff. Lawrence hingegen, Sohn eines Arbeiters im mittelenglischen Kohlebergbau, wuchs in der Welt auf, von der er erzählt. Der Roman, den er mit 26 Jahren schrieb, spiegelt Kindheit und Jugend des Autors unter dem Namen seines Helden Paul Morel.
Die Herkunft wird erzählbar, wenn sich der Erzähler von ihr befreit hat und nur das epische Präteritum sie wiederholt: die idyllische Landschaft, aus der „die Zechen wie schwarze Sargnägel ragen“; die schwere Arbeit des Vaters unter Tage, die gerade das Existenzminimum seiner Frau und der vier Kinder sichert; der endlose Streit zwischen dem dumpfen, trunksüchtigen Ehemann und der sensiblen Mutter; die geistlose Beschäftigung des heranwachsenden, für die Malerei begabten Paul in Fabrikkontoren.
Doch Milieuschilderung ist nicht das Ziel von „Söhne und Liebhaber“. Bereits der Titel weist in eine andere Richtung. Es handelt sich vielmehr um einen „Familienroman“ in dem Sinn, wie Freud den Begriff gebraucht, um die psychischen Leiden eines Erwachsenen aus der frühkindlichen Prägung seiner Sexualität durch die Familienkonstellation zu verstehen. Lawrence äußerte zwar immer wieder Vorbehalte gegen die Psychoanalyse, deren Theorien er bei Aufenthalten in Deutschland und durch seine spätere Frau, Frieda von Richthofen, kennengelernt hatte; dennoch stellt kein anderer Roman eindringlicher dar, wie der „Ödipuskomplex“ das Schicksal des jungen Mannes bestimmt. Mit der Mutter der noch ungeborenen Söhne beginnt die Erzählung, mit Pauls Klage um die tote Mutter endet sie: „Sie war das einzige, was ihm, ihm selbst, in alledem Halt verlieh. Und sie war fort, war jetzt selbst mit allem anderen vermischt!“
Eine kleine Änderung und aus „Sons and Lovers“ würden „Sons as Lovers“. Die innige Liebe der Mutter und zur Mutter macht zunächst das emotionale Glück der Kinder im materiellen Unglück der Familie aus, vereitelt jedoch, sobald aus den Knaben junge Männer geworden sind, einen glücklichen Umgang mit anderen Frauen. Die Lücke zwischen Liebe und Sexualität lässt sich nicht schließen, weil jene aus der individuellen Beziehung zur Mutter stammt, diese aus der anonymen Triebnatur. Die Söhne sehen, „von der eigenen Keuschheit gefesselt“, an ihren Freundinnen trotz der erotischen Attraktion im Vergleich zur Mutter stets charakterliche Mängel.
Auch wenn das sexuelle Begehren erwidert wird, bleibt die Erfüllung aus. Selbst nach dem endlich gelungenen Akt – mit einer verheiraten, also dem Status der Mutter vergleichbaren Frau – muss Paul Morel einsehen, „sein Erlebnis sei unpersönlicher Art gewesen und habe nicht Clara gegolten“. (Es ist ein Vorzug der neuen, „erstmals vollständigen Übersetzung“, dass sie bei den erotischen Passagen, die der englische Verlag 1913 unterdrückte, wieder dem Manuskript des Autors folgt.)
Mit Vorliebe sind die erotischen Szenen in die Natur verlegt, an einen Fluss, in die Dünen, wo dem verpönten Trieb die mythische, amoralische Macht der Landschaft beisteht. Lawrence nannte sich einen „Priester der Liebe“, aber er war der Priester einer tragischen Religion; sie lehrt, dass Mann und Frau einander begehren, doch nicht zueinander passen. Gerade an der geschlechtlichen Vereinigung entdeckt er die Unvereinbarkeit der Geschlechter. Deutlicher noch, mit tödlicher Konsequenz, führt Lawrence’ späterer Roman „Woman in Love“ den von Liebe in Hass umschlagenden „Kampf zwischen Mann und Frau“ vor.
Freizügige Darstellung der Sexualität, besonders in „Lady Chatterley’s Lover“, hatte Lawrence’ skandalösen Ruhm in einer prüden Gesellschaft begründet. Heute jedoch, da die Literatur aufdringlicher mit erotischem Stoff umgeht, wird erst der erzählerische Gewinn von Lawrence’ Kunst der vorsichtigen Beschreibung sichtbar. Er zeigt, welche konträren Gefühle und Erfahrungen die sexuelle Leidenschaft begleiten: Befremden über den plötzlich so nahen Körper des anderen, Abschweifen der Gedanken trotz intensiver Lust, Zweifel an der Übereinstimmung der sinnlichen Wahrnehmung bei beiden Partnern, Aufmerksamkeit auf die verstörenden Nebenumstände der scheinbaren Hauptsache. Lawrence lässt Sexualität nicht nur stattfinden, sondern er erzählt sie so, dass dem Leser unvertraut wird, was ihm doch vertraut zu sein schien.
Es kann nicht glücken, wenn Lawrence seine Religion auf etwas so Unzuverlässiges wie die Liebe gründen möchte. Er sucht die Erlösung in der Liebe und zugleich von der Liebe. Wo bieten sich Auswege aus diesem Dilemma? In der Natur, die größer ist als die winzigen Körper leidenschaftlich erregter Menschen? In der Kunst, die Distanz zu dem hält, was sie findet oder erfindet (weshalb Paul Morel Maler wird, D. H. Lawrence Schriftsteller)? Weil jede Aussicht auf eine Lösung neue Zweifel weckt, bleiben nur unbestimmte Hoffnungen, die der Erzähler in große, jedoch vage Worte fasst.
Die Liebenden erfahren in der „Unermesslichkeit der Leidenschaft“ Schrecken und Ekstase zugleich, „die Erkenntnis der eigenen Nichtigkeit, die Erkenntnis der ungeheuren, lebendigen Flut, die sie immerfort trug“. Mehr als schöne Worte darf man von der Literatur nicht erwarten.
HEINZ SCHLAFFER
D. H. LAWRENCE: Söhne und Liebhaber. Roman. Erstmals vollständig aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort von Hans-Christian Oeser. Reclam Verlag, Stuttgart 2011. 764 Seiten. 34,95 Euro.
Lawrence nannte sich einen
„Priester der Liebe“, aber er war der
Priester einer tragischen Religion
D. H. Lawrence, der als Autor der freizügigen Darstellung der Liebe Skandal machte, beherrschte die Kunst der vorsichtigen Beschreibung: seine Liebenden erschrecken, wenn ihre Körper einander nahe kommen – Mary Ure und Dean Stockwell in Jack Cardiffs „Sons and Lovers“-Verfilmung aus dem Jahr 1960. Foto: ddp images
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Die Körper und die Kunst: D. H. Lawrence’ Roman „Söhne und Liebhaber“ erstmals vollständig auf Deutsch
Wer „Sons and Lovers“, D. H. Lawrence’ 1913 veröffentlichten Roman, zu lesen beginnt, könnte ihn für eine Fortsetzung von Zolas dreißig Jahre älterem „Germinal“ halten – beide Romane spielen im Bergarbeitermilieu. Doch die beiden Autoren sind in verschiedenem Grad von ihrem Sujet betroffen. Der Pariser Intellektuelle und seine bürgerlichen Leser entdeckten im Proletariat der nordfranzösischen Gruben ein akutes soziales Problem und zugleich einen unverbrauchten, exotischen Romanstoff. Lawrence hingegen, Sohn eines Arbeiters im mittelenglischen Kohlebergbau, wuchs in der Welt auf, von der er erzählt. Der Roman, den er mit 26 Jahren schrieb, spiegelt Kindheit und Jugend des Autors unter dem Namen seines Helden Paul Morel.
Die Herkunft wird erzählbar, wenn sich der Erzähler von ihr befreit hat und nur das epische Präteritum sie wiederholt: die idyllische Landschaft, aus der „die Zechen wie schwarze Sargnägel ragen“; die schwere Arbeit des Vaters unter Tage, die gerade das Existenzminimum seiner Frau und der vier Kinder sichert; der endlose Streit zwischen dem dumpfen, trunksüchtigen Ehemann und der sensiblen Mutter; die geistlose Beschäftigung des heranwachsenden, für die Malerei begabten Paul in Fabrikkontoren.
Doch Milieuschilderung ist nicht das Ziel von „Söhne und Liebhaber“. Bereits der Titel weist in eine andere Richtung. Es handelt sich vielmehr um einen „Familienroman“ in dem Sinn, wie Freud den Begriff gebraucht, um die psychischen Leiden eines Erwachsenen aus der frühkindlichen Prägung seiner Sexualität durch die Familienkonstellation zu verstehen. Lawrence äußerte zwar immer wieder Vorbehalte gegen die Psychoanalyse, deren Theorien er bei Aufenthalten in Deutschland und durch seine spätere Frau, Frieda von Richthofen, kennengelernt hatte; dennoch stellt kein anderer Roman eindringlicher dar, wie der „Ödipuskomplex“ das Schicksal des jungen Mannes bestimmt. Mit der Mutter der noch ungeborenen Söhne beginnt die Erzählung, mit Pauls Klage um die tote Mutter endet sie: „Sie war das einzige, was ihm, ihm selbst, in alledem Halt verlieh. Und sie war fort, war jetzt selbst mit allem anderen vermischt!“
Eine kleine Änderung und aus „Sons and Lovers“ würden „Sons as Lovers“. Die innige Liebe der Mutter und zur Mutter macht zunächst das emotionale Glück der Kinder im materiellen Unglück der Familie aus, vereitelt jedoch, sobald aus den Knaben junge Männer geworden sind, einen glücklichen Umgang mit anderen Frauen. Die Lücke zwischen Liebe und Sexualität lässt sich nicht schließen, weil jene aus der individuellen Beziehung zur Mutter stammt, diese aus der anonymen Triebnatur. Die Söhne sehen, „von der eigenen Keuschheit gefesselt“, an ihren Freundinnen trotz der erotischen Attraktion im Vergleich zur Mutter stets charakterliche Mängel.
Auch wenn das sexuelle Begehren erwidert wird, bleibt die Erfüllung aus. Selbst nach dem endlich gelungenen Akt – mit einer verheiraten, also dem Status der Mutter vergleichbaren Frau – muss Paul Morel einsehen, „sein Erlebnis sei unpersönlicher Art gewesen und habe nicht Clara gegolten“. (Es ist ein Vorzug der neuen, „erstmals vollständigen Übersetzung“, dass sie bei den erotischen Passagen, die der englische Verlag 1913 unterdrückte, wieder dem Manuskript des Autors folgt.)
Mit Vorliebe sind die erotischen Szenen in die Natur verlegt, an einen Fluss, in die Dünen, wo dem verpönten Trieb die mythische, amoralische Macht der Landschaft beisteht. Lawrence nannte sich einen „Priester der Liebe“, aber er war der Priester einer tragischen Religion; sie lehrt, dass Mann und Frau einander begehren, doch nicht zueinander passen. Gerade an der geschlechtlichen Vereinigung entdeckt er die Unvereinbarkeit der Geschlechter. Deutlicher noch, mit tödlicher Konsequenz, führt Lawrence’ späterer Roman „Woman in Love“ den von Liebe in Hass umschlagenden „Kampf zwischen Mann und Frau“ vor.
Freizügige Darstellung der Sexualität, besonders in „Lady Chatterley’s Lover“, hatte Lawrence’ skandalösen Ruhm in einer prüden Gesellschaft begründet. Heute jedoch, da die Literatur aufdringlicher mit erotischem Stoff umgeht, wird erst der erzählerische Gewinn von Lawrence’ Kunst der vorsichtigen Beschreibung sichtbar. Er zeigt, welche konträren Gefühle und Erfahrungen die sexuelle Leidenschaft begleiten: Befremden über den plötzlich so nahen Körper des anderen, Abschweifen der Gedanken trotz intensiver Lust, Zweifel an der Übereinstimmung der sinnlichen Wahrnehmung bei beiden Partnern, Aufmerksamkeit auf die verstörenden Nebenumstände der scheinbaren Hauptsache. Lawrence lässt Sexualität nicht nur stattfinden, sondern er erzählt sie so, dass dem Leser unvertraut wird, was ihm doch vertraut zu sein schien.
Es kann nicht glücken, wenn Lawrence seine Religion auf etwas so Unzuverlässiges wie die Liebe gründen möchte. Er sucht die Erlösung in der Liebe und zugleich von der Liebe. Wo bieten sich Auswege aus diesem Dilemma? In der Natur, die größer ist als die winzigen Körper leidenschaftlich erregter Menschen? In der Kunst, die Distanz zu dem hält, was sie findet oder erfindet (weshalb Paul Morel Maler wird, D. H. Lawrence Schriftsteller)? Weil jede Aussicht auf eine Lösung neue Zweifel weckt, bleiben nur unbestimmte Hoffnungen, die der Erzähler in große, jedoch vage Worte fasst.
Die Liebenden erfahren in der „Unermesslichkeit der Leidenschaft“ Schrecken und Ekstase zugleich, „die Erkenntnis der eigenen Nichtigkeit, die Erkenntnis der ungeheuren, lebendigen Flut, die sie immerfort trug“. Mehr als schöne Worte darf man von der Literatur nicht erwarten.
HEINZ SCHLAFFER
D. H. LAWRENCE: Söhne und Liebhaber. Roman. Erstmals vollständig aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort von Hans-Christian Oeser. Reclam Verlag, Stuttgart 2011. 764 Seiten. 34,95 Euro.
Lawrence nannte sich einen
„Priester der Liebe“, aber er war der
Priester einer tragischen Religion
D. H. Lawrence, der als Autor der freizügigen Darstellung der Liebe Skandal machte, beherrschte die Kunst der vorsichtigen Beschreibung: seine Liebenden erschrecken, wenn ihre Körper einander nahe kommen – Mary Ure und Dean Stockwell in Jack Cardiffs „Sons and Lovers“-Verfilmung aus dem Jahr 1960. Foto: ddp images
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Lawrence's masterpiece... a revelation. (Anthony Burgess)