Tomer Gardi schreibt eine moderne Scheherezade-Geschichte im heutigen Israel. Verspielt in Ton und Form, doch bitterernst im Kern.Ausgangspunkt der Geschichte ist ein Schriftsteller, der beim Arbeitsamt um Unterstützung ansucht. Bereits bei seiner Jobbezeichnung stößt er auf Widerstand: »So einen Beruf gibt es nicht, Schriftsteller.« Findig wie er ist,schlägt der Autor einen Deal vor: Er erzählt dem Mann hinterm Schreibtisch eine Geschichte und bei Gefallen erhält der Schriftsteller den Stempel. So beginnt das Erzählen ums Überleben, das zugleich treibende Kraft in dem von Volten und Verweisen wimmelnden Roman ist.Wie in einer Matrjoschka viele weitere Puppen stecken, so erzeugen die Handlungsstränge neue Erzählebenen und -welten. Mit Tolly Grotesky, Lea Agunis, Abu Adwan und anderen zeichnet Tomer Gardi unvergessliche Figuren, die im Alltag der Staatsgewalt ausgesetzt sind und sich auf die je eigene Weise ihre Wege bahnen müssen.Nach der Lektüre dieses Romans wissen wir: Ob Tomer Gardi nun Bücher in "Broken German" oder auf Hebräisch schreibt, er bleibt sich in seiner Verspieltheit und seinem stilistischen Eigensinn treu. Mit großer Leichtigkeit wechseln die verschiedenen Erzähler_innen zwischen märchenhaftem Ton und Umgangssprech.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2019Lasst euch nicht dingfest machen!
Tomer Gardis subversiver Roman "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück"
Als Tomer Gardi 2016 beim Bachmann-Wettbewerb auftrat, war die Irritation groß und die Debatte schnell entbrannt, denn nicht in perfektem Deutsch war sein Beitrag verfasst, sondern er enthielt all jene grammatischen Fehler und syntaktischen Eigenheiten, die das Deutsch des 1974 in Israel geborenen Schriftstellers, der mittlerweile in Berlin lebt, ausmacht. Der Text war Ausschnitt aus einem Roman, der bald darauf erschien und dessen Titel Programm war: "Broken German". Darf ein solch sprachlich nicht makelloser Text als deutschsprachige Literatur ernst genommen und diskutiert werden? Nichts weniger als die subversive Kraft der Sprache bewies Gardi, indem er die vermeintlich ach so tolerante Leserschaft im Handumdrehen an die Grenzen ihrer Großmütigkeit führte. Von weiten Teilen der Kritik wurde Gardi exakt dafür gefeiert.
Auch sein jüngstes Buch, in diesem Fall auf Hebräisch geschrieben und von Anne Birkenhauer mit großem Gespür für dessen rhythmische Eigenwilligkeit übersetzt, ist ein anarchischer, zügellos komischer Roman über die Sprache selbst und über ihr Vermögen, Ordnungsprinzipien zu unterlaufen, sei es nun Linearität oder Kausalität. Und mehr noch: In einem universelleren Sinne wird das Erzählen bei Gardi zur wahrhaft lebensrettenden Maßnahme, indem es phantastische Schlupflöcher in das Zwangssystem Gesellschaft reißt.
Die Ausgangssituation ist beinahe allzu einfach und symptomatisch: Nachdem er alle Sicherheitskontrollen und Routinen durchlaufen hat, sitzt ein Mann dem zuständigen Beamten des Arbeitsamtes gegenüber. Der allerdings verweigert ihm umgehend die Daseinsberechtigung. "Er sagt, so einen Beruf gibt es nicht, Schriftsteller."
Aber anstatt sich in Diskussionen darüber zu verstricken, ob dieser Beruf nun existiert, verlegt Gardis Protagonist sich auf den praktischen Beweis: Er beginnt dem sichtlich konsternierten Beamten zu erzählen von Triumph und Qual in Stierkampfarenen, von einem rosafarbenen Fisch, der im Foyer des Arbeitsamtes seine vom gepanzerten Glas begrenzten Runden schwimmt. Sprunghaft und assoziativ ist dieses Erzählen, traumgleich mitunter, indem sich Bilder und Szenen mit leichten Modifikationen wiederholen, die allesamt um Gefangenschaft, Ausgeliefertsein und die fragile Hoffnung auf Flucht kreisen.
Gardi vollzieht eine permanente Verwandlung, nicht nur der Schauplätze, sondern auch der Erzählerfigur selbst, die plötzlich eine Frau, eine Schriftstellerin, ist. Und, Moment mal, lautet nicht schon der erste Satz des Romans: "Die Geschichte beginnt so"? Das Erzählen, so wird suggeriert, geht über die Einhegung durch die Buchdeckel hinaus, ohne dass man denjenigen oder diejenige, der oder die dort spricht, dingfest machen könnte.
Man würde dem Buch einen Bärendienst erweisen, wollte man sein Springen und Hakenschlagen sortieren und in eine Ordnung fügen. Denn genau darum geht es Gardi: zu zeigen, wie poetische Freiheit konkrete Freiheit stiften kann. Dass ein uraltes Märchen dafür Pate gestanden hat, ist nicht nur offenkundig, sondern wird als Kampfansage dem Beamten und damit auch den Lesern präsentiert - angriffslustig und provokant: "Tausendundeine Nacht!, sagte ich zu ihm. Sie sind der König und ich bin Ihre Scheherezade, eine Scheherezade des neoliberalen Zeitalters, ultra-konsumistisch, techno-eskapistisch, psycho-anti-terroristisch, und Sie, Sie sind der King, soll ich Ihnen einen blasen?"
Wie schon in "Broken German" schürt Gardi immerzu das Verlangen, das Ausbrechen aus festgefahrenen, menschenverachtenden Formen von der Literatur auf das Leben zu übertragen. Man sollte seinen Roman nicht nur als ein Verwirrspiel lesen, das träges Denken in Bewegung versetzt, sondern als sehr konkrete Mahnung, sich nicht zur Verfügungsmasse eines Systems degradieren zu lassen. So heißt es etwa über die biometrischen Lesegeräte am Eingang des Arbeitsamtes, in dem bald darauf zumindest ein erzählerischer Aufstand geprobt werden wird: "Wenn jemand einmal alle Arbeitslosen unseres Landes in einen großen Zwinger einsammeln will, und der Tag ist nicht fern, denn Arbeitslose sind kein stabiles Kollektiv, sie sind gefährlich, dann ist alles dafür bereit. Die Daten, das Programm, die Polizei, die Zwinger. Es braucht nur noch den Befehl."
Dass Gardi den Beweis der existentiellen Bedeutung von Literatur und die Kritik der heutigen Lebensbedingungen mit unerschrockener Leichtigkeit und mitreißender Widerständigkeit zu erbringen vermag, macht die fabelhafte Kraft dieses Romans aus.
WIEBKE POROMBKA
Tomer Gardi: "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück". Roman.
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2019. 160 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tomer Gardis subversiver Roman "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück"
Als Tomer Gardi 2016 beim Bachmann-Wettbewerb auftrat, war die Irritation groß und die Debatte schnell entbrannt, denn nicht in perfektem Deutsch war sein Beitrag verfasst, sondern er enthielt all jene grammatischen Fehler und syntaktischen Eigenheiten, die das Deutsch des 1974 in Israel geborenen Schriftstellers, der mittlerweile in Berlin lebt, ausmacht. Der Text war Ausschnitt aus einem Roman, der bald darauf erschien und dessen Titel Programm war: "Broken German". Darf ein solch sprachlich nicht makelloser Text als deutschsprachige Literatur ernst genommen und diskutiert werden? Nichts weniger als die subversive Kraft der Sprache bewies Gardi, indem er die vermeintlich ach so tolerante Leserschaft im Handumdrehen an die Grenzen ihrer Großmütigkeit führte. Von weiten Teilen der Kritik wurde Gardi exakt dafür gefeiert.
Auch sein jüngstes Buch, in diesem Fall auf Hebräisch geschrieben und von Anne Birkenhauer mit großem Gespür für dessen rhythmische Eigenwilligkeit übersetzt, ist ein anarchischer, zügellos komischer Roman über die Sprache selbst und über ihr Vermögen, Ordnungsprinzipien zu unterlaufen, sei es nun Linearität oder Kausalität. Und mehr noch: In einem universelleren Sinne wird das Erzählen bei Gardi zur wahrhaft lebensrettenden Maßnahme, indem es phantastische Schlupflöcher in das Zwangssystem Gesellschaft reißt.
Die Ausgangssituation ist beinahe allzu einfach und symptomatisch: Nachdem er alle Sicherheitskontrollen und Routinen durchlaufen hat, sitzt ein Mann dem zuständigen Beamten des Arbeitsamtes gegenüber. Der allerdings verweigert ihm umgehend die Daseinsberechtigung. "Er sagt, so einen Beruf gibt es nicht, Schriftsteller."
Aber anstatt sich in Diskussionen darüber zu verstricken, ob dieser Beruf nun existiert, verlegt Gardis Protagonist sich auf den praktischen Beweis: Er beginnt dem sichtlich konsternierten Beamten zu erzählen von Triumph und Qual in Stierkampfarenen, von einem rosafarbenen Fisch, der im Foyer des Arbeitsamtes seine vom gepanzerten Glas begrenzten Runden schwimmt. Sprunghaft und assoziativ ist dieses Erzählen, traumgleich mitunter, indem sich Bilder und Szenen mit leichten Modifikationen wiederholen, die allesamt um Gefangenschaft, Ausgeliefertsein und die fragile Hoffnung auf Flucht kreisen.
Gardi vollzieht eine permanente Verwandlung, nicht nur der Schauplätze, sondern auch der Erzählerfigur selbst, die plötzlich eine Frau, eine Schriftstellerin, ist. Und, Moment mal, lautet nicht schon der erste Satz des Romans: "Die Geschichte beginnt so"? Das Erzählen, so wird suggeriert, geht über die Einhegung durch die Buchdeckel hinaus, ohne dass man denjenigen oder diejenige, der oder die dort spricht, dingfest machen könnte.
Man würde dem Buch einen Bärendienst erweisen, wollte man sein Springen und Hakenschlagen sortieren und in eine Ordnung fügen. Denn genau darum geht es Gardi: zu zeigen, wie poetische Freiheit konkrete Freiheit stiften kann. Dass ein uraltes Märchen dafür Pate gestanden hat, ist nicht nur offenkundig, sondern wird als Kampfansage dem Beamten und damit auch den Lesern präsentiert - angriffslustig und provokant: "Tausendundeine Nacht!, sagte ich zu ihm. Sie sind der König und ich bin Ihre Scheherezade, eine Scheherezade des neoliberalen Zeitalters, ultra-konsumistisch, techno-eskapistisch, psycho-anti-terroristisch, und Sie, Sie sind der King, soll ich Ihnen einen blasen?"
Wie schon in "Broken German" schürt Gardi immerzu das Verlangen, das Ausbrechen aus festgefahrenen, menschenverachtenden Formen von der Literatur auf das Leben zu übertragen. Man sollte seinen Roman nicht nur als ein Verwirrspiel lesen, das träges Denken in Bewegung versetzt, sondern als sehr konkrete Mahnung, sich nicht zur Verfügungsmasse eines Systems degradieren zu lassen. So heißt es etwa über die biometrischen Lesegeräte am Eingang des Arbeitsamtes, in dem bald darauf zumindest ein erzählerischer Aufstand geprobt werden wird: "Wenn jemand einmal alle Arbeitslosen unseres Landes in einen großen Zwinger einsammeln will, und der Tag ist nicht fern, denn Arbeitslose sind kein stabiles Kollektiv, sie sind gefährlich, dann ist alles dafür bereit. Die Daten, das Programm, die Polizei, die Zwinger. Es braucht nur noch den Befehl."
Dass Gardi den Beweis der existentiellen Bedeutung von Literatur und die Kritik der heutigen Lebensbedingungen mit unerschrockener Leichtigkeit und mitreißender Widerständigkeit zu erbringen vermag, macht die fabelhafte Kraft dieses Romans aus.
WIEBKE POROMBKA
Tomer Gardi: "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück". Roman.
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2019. 160 S., geb., 20,- [Euro].
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Platz 1 auf der Weltempfänger Liste Frühjahr 2019: »Ein wilder, witziger, völlig undisziplinierter literarischer Reigen, der mit der israelischen Gesellschaft ins Gericht geht. Und nicht nur mit dieser.« (Insa Wilke, Jurymitglied) »Ein anarchischer, zügellos komischer Roman.« (Wiebke Porombka, FAZ) »Raffiniert, amüsant und erfrischend.« (Harald Klauhs, Die Presse) »So komisch wie tiefsinnig, poetisch ausgefeilt und doch griffig. Das ist ein famoser Roman, dem ich Aufmerksamkeit und Leser wünsche, auch weil er auf sehr sympathische Weise der feuilletonistischen Gefälligkeitsliteratur das Risiko und das Abenteuer entgegensetzt - echte Literatur! Auch die Gestaltung gefällt mir sehr gut.« (Gerrit Völker, Maternus Buchhandlung, Köln) »Das Buch ist ganz schmal und ganz reich. Saukomisch, sauernst und ein saukluges Spiel mit allem was Menschlich ist. Irre.« (Pieke Biermann, Literaturagenten Radio Eins) »Gardis klangvoll von Anne Birkenhauer übersetzter, rhythmischer Stil und sein subversiver Humor helfen, diese Welt auszuhalten, zumindest für einen Moment.« (Paul Stoop, Deutschlandfunk Büchermarkt) »Ein Füllhorn an Geschichten, mit jeder Menge Witz und Pfiff.« (Ulrich Noller, WDR1, Buch der Woche) »Die reale Welt ist ein Absurdistan. Tomer Gardi macht das wunderbar sichtbar. Er spielt mit der Sprache wie mit dem Leben, mäandert zwischen den Erzählebenen, geht auf Entdeckungsreise in eine phantastische Welt, die direkt vor unserer Haustür liegt.« (Johannes Schröer, Domradio)