A Finalist for the PEN/Jacqueline Bograd Weld Award for Biography
One of O Magazine's Best Books of the Year
One of the Milwaukee Journal Sentinel's Best Books of the Year
One of the Seattle Times' Most Interesting Biographies of the Year
One of New York Magazine's Best and Biggest Books to Read This Fall
One of the New York Times' 17 New Books to Watch For in September
One of the Washington Post's Ten Books to Read this September
The definitive portrait of one of the American Century's most towering intellectuals: her writing and her radical thought, her public activism and her hidden private face
No writer is as emblematic of the American twentieth century as Susan Sontag. Mythologized and misunderstood, lauded and loathed, a girl from the suburbs who became a proud symbol of cosmopolitanism, Sontag left a legacy of writing on art and politics, feminism and homosexuality, celebrity and style, medicine and drugs, radicalism and Fascism and Freudianism and Communism and Americanism, that forms an indispensable key to modern culture. She was there when the Cuban Revolution began, and when the Berlin Wall came down; in Vietnam under American bombardment, in wartime Israel, in besieged Sarajevo. She was in New York when artists tried to resist the tug of money-and when many gave in. No writer negotiated as many worlds; no serious writer had as many glamorous lovers. Sontag tells these stories and examines the work upon which her reputation was based. It explores the agonizing insecurity behind the formidable public face: the broken relationships, the struggles with her sexuality, that animated-and undermined-her writing. And it shows her attempts to respond to the cruelties and absurdities of a country that had lost its way, and her conviction that fidelity to high culture was an activism of its own.
Utilizing hundreds of interviews conducted from Maui to Stockholm and from London to Sarajevo-and featuring nearly one hundred images-Sontag is the first book based on the writer's restricted archives, and on access to many people who have never before spoken about Sontag, including Annie Leibovitz. It is a definitive portrait-a great American novel in the form of a biography.
One of O Magazine's Best Books of the Year
One of the Milwaukee Journal Sentinel's Best Books of the Year
One of the Seattle Times' Most Interesting Biographies of the Year
One of New York Magazine's Best and Biggest Books to Read This Fall
One of the New York Times' 17 New Books to Watch For in September
One of the Washington Post's Ten Books to Read this September
The definitive portrait of one of the American Century's most towering intellectuals: her writing and her radical thought, her public activism and her hidden private face
No writer is as emblematic of the American twentieth century as Susan Sontag. Mythologized and misunderstood, lauded and loathed, a girl from the suburbs who became a proud symbol of cosmopolitanism, Sontag left a legacy of writing on art and politics, feminism and homosexuality, celebrity and style, medicine and drugs, radicalism and Fascism and Freudianism and Communism and Americanism, that forms an indispensable key to modern culture. She was there when the Cuban Revolution began, and when the Berlin Wall came down; in Vietnam under American bombardment, in wartime Israel, in besieged Sarajevo. She was in New York when artists tried to resist the tug of money-and when many gave in. No writer negotiated as many worlds; no serious writer had as many glamorous lovers. Sontag tells these stories and examines the work upon which her reputation was based. It explores the agonizing insecurity behind the formidable public face: the broken relationships, the struggles with her sexuality, that animated-and undermined-her writing. And it shows her attempts to respond to the cruelties and absurdities of a country that had lost its way, and her conviction that fidelity to high culture was an activism of its own.
Utilizing hundreds of interviews conducted from Maui to Stockholm and from London to Sarajevo-and featuring nearly one hundred images-Sontag is the first book based on the writer's restricted archives, and on access to many people who have never before spoken about Sontag, including Annie Leibovitz. It is a definitive portrait-a great American novel in the form of a biography.
"A landmark biography, the first major reintroduction of an incomparable literary heavyweight to the public since her death." The New York Times
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2020Immer auf der Kante
Drei Bücher über und von Susan Sontag erlauben tiefe Einblicke in ihr Leben, ihre Gefühle und
ihren komplizierten Charakter. Könnte es eine solche Intellektuelle heute noch geben?
VON MARIE SCHMIDT
Auf dem St. Mark's Place in Manhattan habe Susan Sontag sie einmal auf zwei exzentrisch aussehende Frauen hingewiesen, erzählt die Schriftstellerin Sigrid Nunez. Es war in den Siebzigern, als sie mit Sontags Sohn David Rieff zusammen war und sogar bei Mutter und Sohn wohnte. Sie war 25, die „Schwiegermutter“ erst 43, aber schon eine intellektuelle Prominente. Die Frauen schauen die anderen beiden an, „gekleidet wie Hippies mit langen, fließenden grauen Haaren. ,Alte Bohemiennes‘“, sagt Sontag, „,Wir in dreißig Jahren.‘ Über dreißig Jahre sind vergangen“, schreibt Nunez weiter, „und sie ist tot, und es gibt keine Bohème mehr.“
Eine Frage drängt sich eben unweigerlich auf, wenn jetzt Nunez' Erinnerungen „Sempre Susan“ gleichzeitig mit der deutschen Übersetzung der 800-Seiten-Sontag-Biografie von Benjamin Moser und einer Ausgabe autobiografisch grundierter Erzählungen Sontags erscheinen: Wäre Susan Sontag heute noch möglich?
Dabei ist es noch das kleinste Problem, dass man sich gegenwärtig schwer Umstände vorstellen kann, unter denen eine passionierte Leserin von Simone Weil, Emil Cioran und Antonin Artaud mit ihren Essays über diese Literatur zur internationalen Popikone würde. Der Mythos von Susan Sontag besteht aber eben nicht nur darin, dass sie intellektuell einzigartig war, verschiedene Genres bespielte, toll aussah und mit berühmten Leuten schlief. Womöglich hat er vor allem damit zu tun, dass sie, die ihre historische Gegenwart zum ersten Mal als Kind auf Fotos aus den Konzentrationslagern der Nazis wahrnahm, und deren letzte Texte von der Folter in Abu-Ghraib handeln, in allen Umbrüchen ihrer Epoche on the edge war. 1933 wurde sie geboren und starb 2004, mit einem Bein stand sie immer fest in einer alten Welt, mit dem anderen schon in der neuen. Ihre Zerrissenheit, die ihre Essays, ihre Tagebücher und ihre Lebensgeschichte so charismatisch macht, spiegelt die interessantesten Konflikte ihrer Zeit.
So gehört sie eben ganz der Epoche der Universalbildung an, wovon die endlosen Leselisten in ihren Tagebüchern zeugen und die beißende Herablassung mit der sie auch intime Freunde behandelte, wenn die etwa Balzac nicht gelesen oder New Orleans nie besucht hatten. Zugleich war sie ein Star, wie ihn nur das Zeitalter der Massenmedien hervorbringen konnte. Von Andy Warhol und Woody Allen gefilmt, wurde sie zum Typus der Intellektuellen.
Für eine Frau gab es in dieser Rolle wenig Vorbilder, also war sie das Modell. Eine der fabelhaften Anekdoten ihres Lebens handelt von prächtigen Partys bei Roger Straus, dem Verleger von Farrar Straus & Giroux, der ihre Bücher herausbrachte. Dort war es üblich, dass nach dem Essen die Frauen „nach oben“ gingen und die Männer ihren Gesprächen überließen. Die noch nicht dreißigjährige Sontag blieb einfach sitzen und sprach weiter. „Susan brach mit der Tradition,“ erzählte die Dame des Hauses, Dorothea Straus, „und wir haben uns nach dem Dinner nie wieder aufgeteilt.“ Zugleich grenzte sich Sontag gegen den Feminismus ab, als daraus eine Bewegung geworden war, wetterte gegen „eine chronische Unart feministischer Rhetorik: den Anti-Intellektualismus.“
Die Geisteshaltung, nicht die politische, entschied für sie. Einer ihrer berühmtesten Sätze ist der aus dem Essay „Gegen Interpretation“ von 1964: „Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst.“ Da predigte sie die strenge Ästhetik: die Kunst nur aus sich selbst wirken zu lassen. Zugleich wurde sie, als sie 1993 im belagerten Sarajevo „Warten auf Godot“ inszenierte, eine Pionierin des ethischen Regimes einer Kunst, die ihre Wirkung an der Wirklichkeit beweisen soll. Theater wie es heute beispielsweise Milo Rau macht.
Die Spannung, die ihren Biografen Benjamin Moser am nervösesten macht, ist aber intimer. Sontag wurde ins Zeitalter der Disziplin hineingeboren, in dem man etwa Homosexualität verbergen musste und überhaupt den Körper als peinlichen Gegenstand behandelte. Moser ist fasziniert, dass Sontag sich in ihren Tagebüchern mehrmals ermahnen muss, regelmäßig zu baden. Und sogar als gegen Ende ihres Lebens alle in der New Yorker High Society von ihrer Beziehung zu der Fotografin Annie Leibovitz wussten, leugnete sie, dass es eine Liebesbeziehung war. Zugleich schrieb sie über den Ausbruch der Aids-Epidemie, und damit den Übergang in ein Zeitalter der Kontrolle, in dem man auch das Intime möglichst offen ausspricht, um es hygienisch transparent zu machen (gefolgt vom 11. September, der Kontrolle, Durchleuchtung, Überwachung auch zur politischen Normalität werden ließ).
Der 1976 geborene Benjamin Moser ist ganz Mann dieser Zeit. Er wirkt sehr ungeduldig mit Sontag, weil sie in „Krankheit und ihre Metaphern“ ihre eigene Krebsdiagnose mit 42 Jahren nicht erwähnt. Außerdem stört ihn, dass in „Aids und seine Metaphern“ (1989) „das Gefühl fehlt, was Aids für meine Freunde, meine Liebhaber, meinen Körper bedeutete.“ Auch das ist einer der Gründe, warum eine Intellektuelle wie Sontag heute unwahrscheinlich wäre: Der identifikatorische Stil aktuellen Denkens und Schreibens zerkleinert Wissen und Ideen zu persönlichen Erfahrungen.
Von Moser gibt es bereits eine nicht weniger umfangreiche Biografie der nicht weniger ikonischen brasilianischen Schriftstellerin Clarice Lispector (2009). Umstritten, weil sie stellenweise der älteren Biografie der brasilianischen Literaturwissenschaftlerin Nádia Gotlieb gleicht. Überhaupt scheint sich Moser in der Verwaltung des Ruhms und der englischsprachigen Übersetzungen Lispectors ganz schön breitbeinig zu zeigen. Wie immer es sich damit verhält, kam einem schon beim Lesen seines Lispector-Buches ein Gedanke: Dass es zwar herzig ist, wenn ein junger Mann sich ganz den Lebensgeschichten großer Frauen widmet. Aber auch klar wird, was daran der Nachteil sein könnte. Etwa wenn Moser voller Unverständnis dafür ist, dass eine Schönheit wie Lispector als ältere Frau grell geschminkt zur fatal ruinösen Gestalt wurde. Ein schamerfülltes, auch aggressives Verhältnis zum eigenen Körper ist aber ein existenzieller Teil von Frauenbiografien, gerade des 20. Jahrhunderts. Ohne das zu verstehen, kann man sie eigentlich nicht verstehen.
Susan Sontag rückt Moser mit allerhand psychoanalytischem Besteck zu Leibe, führt Studien über Kinder von Alkoholikern an, zitiert Psychiater, um die Auswirkung des aufgeschobenen Outings auf die Selbstwahrnehmung Homosexueller zu klären und ist immerzu bestrebt „Muster“ in ihren Beziehungen zu finden. Subtil ist das nicht. Warum Moser so viel herumdeutelt und kritisiert an seiner Heldin, wird mit dem letzten Satz klar. Sontag, heißt es da, „warnte vor den Mystifizierungen von Fotografien und Porträts – auch denen von Biografen.“ Im Bemühen, die zu umgehen, hat sich Moser den klügelnden Ton jüngerer Menschen eingehandelt, die wild entschlossen sind, sich von großen Geistern nicht einschüchtern zu lassen.
Trotzdem hat er für das Buch den Pulitzer-Preis bekommen, was einleuchtet, so viel Material, wie er gesammelt hat: All die Belege dafür, dass das Freud-Buch ihres Mannes Philip Rieff, den sie mit siebzehn heiratete, eigentlich Susan Sontag geschrieben hat. Erinnerungen an ihre Liebhaber (Jasper Johns, Warren Beatty, Robert Kennedy unter anderen) und Liebhaberinnen (María Irene Fornés, Carlotta del Pezzo, Lucinda Childs unter anderen). Wenn man mit einem Drittel der Details klarkommt, und eine ebenso konzise Beschreibung ihres medialen und intellektuellen Milieus zwischen der Zeitschrift Partisan Review, der New York Review of Books und dem Verlag Farrar Straus & Giroux lesen will, kann man sich nach wie vor auf die 2007 erschiene Sontag-Biografie des deutschen Schriftstellers Daniel Schreiber verlassen. Mehr Stoff hat Moser.
Eindrucksvoller und rührender ist aber das Charakterbild, das Sigrid Nunez in „Sempre Susan“ zeichnet. In allen Härten. Zum Beispiel erzählt sie, wie sie einmal vor Sontag ihre Handtasche packte und die Ältere sie anherrschte: „Wir gehen nur für ein paar Stunden raus, du brauchst nicht so viele Tampons!“ Welche junge Frau würde sich heute, von welcher Autorität auch immer, so anreden lassen? Nunez ist aber auch, und das macht ihre kurze Geschichte größer als Mosers fleißiges Buch, voller Trauer: „Im Rückblick wünschte ich nur, dass ich mehr Freude empfinden könnte – oder mich zumindest auf eine Weise erinnern, die nicht so schmerzhaft ist.“
Wie eine vergleichsweise nüchterne Nachrede liest sich zum Schluss das bei Hanser erschienene Büchlein „Wie wir jetzt leben“ mit einer Auswahl autobiografischer Erzählungen Sontags. In einer beschreibt sie, wie sie als Studentin mit einem Freund den Emigranten Thomas Mann in Pacific Palisades besucht, „im Thronsaal jener Welt, in der ich einmal leben wollte“: „Doch der Mann, der mir gegenübersaß, hatte nur hochtönende Phrasen auf Lager, obwohl er derselbe war, der Thomas Manns Bücher geschrieben hatte. Und ich brachte nur Einfältigkeiten über die Lippen. Wir beide nicht in Bestform“. So geht es einem mit Ikonen.
Ihr Biograf ist ungeduldig mit
Sontag, weil sie nicht schrieb,
„was Aids für meine
Freunde, meine Liebhaber,
meinen Körper bedeutete“
Benjamin Moser:
Sontag. Die Biografie.
Aus dem Englischen
von Hainer Kober.
Penguin, München 2020.
923 Seiten, 40 Euro.
Sigrid Nunez:
Sempre Susan. Erinnerungen
an Susan Sontag. Aus dem
Englischen von Anette Grube.
Aufbau, Berlin 2020.
141 Seiten, 18 Euro.
Susan Sontag: Wir wir jetzt leben.
Erzählungen. Aus dem Englischen
von Kathrin Razum und mit einem
Nachwort von Verena Lueken.
Hanser, München 2020.
128 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Drei Bücher über und von Susan Sontag erlauben tiefe Einblicke in ihr Leben, ihre Gefühle und
ihren komplizierten Charakter. Könnte es eine solche Intellektuelle heute noch geben?
VON MARIE SCHMIDT
Auf dem St. Mark's Place in Manhattan habe Susan Sontag sie einmal auf zwei exzentrisch aussehende Frauen hingewiesen, erzählt die Schriftstellerin Sigrid Nunez. Es war in den Siebzigern, als sie mit Sontags Sohn David Rieff zusammen war und sogar bei Mutter und Sohn wohnte. Sie war 25, die „Schwiegermutter“ erst 43, aber schon eine intellektuelle Prominente. Die Frauen schauen die anderen beiden an, „gekleidet wie Hippies mit langen, fließenden grauen Haaren. ,Alte Bohemiennes‘“, sagt Sontag, „,Wir in dreißig Jahren.‘ Über dreißig Jahre sind vergangen“, schreibt Nunez weiter, „und sie ist tot, und es gibt keine Bohème mehr.“
Eine Frage drängt sich eben unweigerlich auf, wenn jetzt Nunez' Erinnerungen „Sempre Susan“ gleichzeitig mit der deutschen Übersetzung der 800-Seiten-Sontag-Biografie von Benjamin Moser und einer Ausgabe autobiografisch grundierter Erzählungen Sontags erscheinen: Wäre Susan Sontag heute noch möglich?
Dabei ist es noch das kleinste Problem, dass man sich gegenwärtig schwer Umstände vorstellen kann, unter denen eine passionierte Leserin von Simone Weil, Emil Cioran und Antonin Artaud mit ihren Essays über diese Literatur zur internationalen Popikone würde. Der Mythos von Susan Sontag besteht aber eben nicht nur darin, dass sie intellektuell einzigartig war, verschiedene Genres bespielte, toll aussah und mit berühmten Leuten schlief. Womöglich hat er vor allem damit zu tun, dass sie, die ihre historische Gegenwart zum ersten Mal als Kind auf Fotos aus den Konzentrationslagern der Nazis wahrnahm, und deren letzte Texte von der Folter in Abu-Ghraib handeln, in allen Umbrüchen ihrer Epoche on the edge war. 1933 wurde sie geboren und starb 2004, mit einem Bein stand sie immer fest in einer alten Welt, mit dem anderen schon in der neuen. Ihre Zerrissenheit, die ihre Essays, ihre Tagebücher und ihre Lebensgeschichte so charismatisch macht, spiegelt die interessantesten Konflikte ihrer Zeit.
So gehört sie eben ganz der Epoche der Universalbildung an, wovon die endlosen Leselisten in ihren Tagebüchern zeugen und die beißende Herablassung mit der sie auch intime Freunde behandelte, wenn die etwa Balzac nicht gelesen oder New Orleans nie besucht hatten. Zugleich war sie ein Star, wie ihn nur das Zeitalter der Massenmedien hervorbringen konnte. Von Andy Warhol und Woody Allen gefilmt, wurde sie zum Typus der Intellektuellen.
Für eine Frau gab es in dieser Rolle wenig Vorbilder, also war sie das Modell. Eine der fabelhaften Anekdoten ihres Lebens handelt von prächtigen Partys bei Roger Straus, dem Verleger von Farrar Straus & Giroux, der ihre Bücher herausbrachte. Dort war es üblich, dass nach dem Essen die Frauen „nach oben“ gingen und die Männer ihren Gesprächen überließen. Die noch nicht dreißigjährige Sontag blieb einfach sitzen und sprach weiter. „Susan brach mit der Tradition,“ erzählte die Dame des Hauses, Dorothea Straus, „und wir haben uns nach dem Dinner nie wieder aufgeteilt.“ Zugleich grenzte sich Sontag gegen den Feminismus ab, als daraus eine Bewegung geworden war, wetterte gegen „eine chronische Unart feministischer Rhetorik: den Anti-Intellektualismus.“
Die Geisteshaltung, nicht die politische, entschied für sie. Einer ihrer berühmtesten Sätze ist der aus dem Essay „Gegen Interpretation“ von 1964: „Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst.“ Da predigte sie die strenge Ästhetik: die Kunst nur aus sich selbst wirken zu lassen. Zugleich wurde sie, als sie 1993 im belagerten Sarajevo „Warten auf Godot“ inszenierte, eine Pionierin des ethischen Regimes einer Kunst, die ihre Wirkung an der Wirklichkeit beweisen soll. Theater wie es heute beispielsweise Milo Rau macht.
Die Spannung, die ihren Biografen Benjamin Moser am nervösesten macht, ist aber intimer. Sontag wurde ins Zeitalter der Disziplin hineingeboren, in dem man etwa Homosexualität verbergen musste und überhaupt den Körper als peinlichen Gegenstand behandelte. Moser ist fasziniert, dass Sontag sich in ihren Tagebüchern mehrmals ermahnen muss, regelmäßig zu baden. Und sogar als gegen Ende ihres Lebens alle in der New Yorker High Society von ihrer Beziehung zu der Fotografin Annie Leibovitz wussten, leugnete sie, dass es eine Liebesbeziehung war. Zugleich schrieb sie über den Ausbruch der Aids-Epidemie, und damit den Übergang in ein Zeitalter der Kontrolle, in dem man auch das Intime möglichst offen ausspricht, um es hygienisch transparent zu machen (gefolgt vom 11. September, der Kontrolle, Durchleuchtung, Überwachung auch zur politischen Normalität werden ließ).
Der 1976 geborene Benjamin Moser ist ganz Mann dieser Zeit. Er wirkt sehr ungeduldig mit Sontag, weil sie in „Krankheit und ihre Metaphern“ ihre eigene Krebsdiagnose mit 42 Jahren nicht erwähnt. Außerdem stört ihn, dass in „Aids und seine Metaphern“ (1989) „das Gefühl fehlt, was Aids für meine Freunde, meine Liebhaber, meinen Körper bedeutete.“ Auch das ist einer der Gründe, warum eine Intellektuelle wie Sontag heute unwahrscheinlich wäre: Der identifikatorische Stil aktuellen Denkens und Schreibens zerkleinert Wissen und Ideen zu persönlichen Erfahrungen.
Von Moser gibt es bereits eine nicht weniger umfangreiche Biografie der nicht weniger ikonischen brasilianischen Schriftstellerin Clarice Lispector (2009). Umstritten, weil sie stellenweise der älteren Biografie der brasilianischen Literaturwissenschaftlerin Nádia Gotlieb gleicht. Überhaupt scheint sich Moser in der Verwaltung des Ruhms und der englischsprachigen Übersetzungen Lispectors ganz schön breitbeinig zu zeigen. Wie immer es sich damit verhält, kam einem schon beim Lesen seines Lispector-Buches ein Gedanke: Dass es zwar herzig ist, wenn ein junger Mann sich ganz den Lebensgeschichten großer Frauen widmet. Aber auch klar wird, was daran der Nachteil sein könnte. Etwa wenn Moser voller Unverständnis dafür ist, dass eine Schönheit wie Lispector als ältere Frau grell geschminkt zur fatal ruinösen Gestalt wurde. Ein schamerfülltes, auch aggressives Verhältnis zum eigenen Körper ist aber ein existenzieller Teil von Frauenbiografien, gerade des 20. Jahrhunderts. Ohne das zu verstehen, kann man sie eigentlich nicht verstehen.
Susan Sontag rückt Moser mit allerhand psychoanalytischem Besteck zu Leibe, führt Studien über Kinder von Alkoholikern an, zitiert Psychiater, um die Auswirkung des aufgeschobenen Outings auf die Selbstwahrnehmung Homosexueller zu klären und ist immerzu bestrebt „Muster“ in ihren Beziehungen zu finden. Subtil ist das nicht. Warum Moser so viel herumdeutelt und kritisiert an seiner Heldin, wird mit dem letzten Satz klar. Sontag, heißt es da, „warnte vor den Mystifizierungen von Fotografien und Porträts – auch denen von Biografen.“ Im Bemühen, die zu umgehen, hat sich Moser den klügelnden Ton jüngerer Menschen eingehandelt, die wild entschlossen sind, sich von großen Geistern nicht einschüchtern zu lassen.
Trotzdem hat er für das Buch den Pulitzer-Preis bekommen, was einleuchtet, so viel Material, wie er gesammelt hat: All die Belege dafür, dass das Freud-Buch ihres Mannes Philip Rieff, den sie mit siebzehn heiratete, eigentlich Susan Sontag geschrieben hat. Erinnerungen an ihre Liebhaber (Jasper Johns, Warren Beatty, Robert Kennedy unter anderen) und Liebhaberinnen (María Irene Fornés, Carlotta del Pezzo, Lucinda Childs unter anderen). Wenn man mit einem Drittel der Details klarkommt, und eine ebenso konzise Beschreibung ihres medialen und intellektuellen Milieus zwischen der Zeitschrift Partisan Review, der New York Review of Books und dem Verlag Farrar Straus & Giroux lesen will, kann man sich nach wie vor auf die 2007 erschiene Sontag-Biografie des deutschen Schriftstellers Daniel Schreiber verlassen. Mehr Stoff hat Moser.
Eindrucksvoller und rührender ist aber das Charakterbild, das Sigrid Nunez in „Sempre Susan“ zeichnet. In allen Härten. Zum Beispiel erzählt sie, wie sie einmal vor Sontag ihre Handtasche packte und die Ältere sie anherrschte: „Wir gehen nur für ein paar Stunden raus, du brauchst nicht so viele Tampons!“ Welche junge Frau würde sich heute, von welcher Autorität auch immer, so anreden lassen? Nunez ist aber auch, und das macht ihre kurze Geschichte größer als Mosers fleißiges Buch, voller Trauer: „Im Rückblick wünschte ich nur, dass ich mehr Freude empfinden könnte – oder mich zumindest auf eine Weise erinnern, die nicht so schmerzhaft ist.“
Wie eine vergleichsweise nüchterne Nachrede liest sich zum Schluss das bei Hanser erschienene Büchlein „Wie wir jetzt leben“ mit einer Auswahl autobiografischer Erzählungen Sontags. In einer beschreibt sie, wie sie als Studentin mit einem Freund den Emigranten Thomas Mann in Pacific Palisades besucht, „im Thronsaal jener Welt, in der ich einmal leben wollte“: „Doch der Mann, der mir gegenübersaß, hatte nur hochtönende Phrasen auf Lager, obwohl er derselbe war, der Thomas Manns Bücher geschrieben hatte. Und ich brachte nur Einfältigkeiten über die Lippen. Wir beide nicht in Bestform“. So geht es einem mit Ikonen.
Ihr Biograf ist ungeduldig mit
Sontag, weil sie nicht schrieb,
„was Aids für meine
Freunde, meine Liebhaber,
meinen Körper bedeutete“
Benjamin Moser:
Sontag. Die Biografie.
Aus dem Englischen
von Hainer Kober.
Penguin, München 2020.
923 Seiten, 40 Euro.
Sigrid Nunez:
Sempre Susan. Erinnerungen
an Susan Sontag. Aus dem
Englischen von Anette Grube.
Aufbau, Berlin 2020.
141 Seiten, 18 Euro.
Susan Sontag: Wir wir jetzt leben.
Erzählungen. Aus dem Englischen
von Kathrin Razum und mit einem
Nachwort von Verena Lueken.
Hanser, München 2020.
128 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2020Eine junge Frau erfindet sich selbst
Zwei Bücher über Susan Sontag: Benjamin Moser will in seiner Biographie die ganze Person erklären, Sigrid Nunez erinnert sich an gemeinsame Tage.
Von Sonja Asal
Susan Sontag ist bis heute eine Ikone, ihr Profil hat sich ebenso eingeprägt wie die Titel ihrer großen Essays: "Against Interpretation", "Krankheit als Metapher", "Das Leiden anderer betrachten". So verbreitet war ihr Bild, dass sogar die legendäre amerikanische Comedy-Show "Saturday Night Live" eine schwarze Perücke mit silbergrauer Strähne in ihrem Fundus hatte, pars pro toto für die New Yorker Intellektuelle schlechthin.
Nun ist die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Sontag-Biographie des amerikanischen Sachbuchautors Benjamin Moser auf Deutsch erschienen. Es ist nicht das erste Buch über das rastlose Leben der 1933 Geborenen, aber definitiv das materialreichste. Auf den Spuren Sontags reiste Moser nach Paris, Stockholm oder Sarajevo, er führte Hunderte von Interviews. Vor allem recherchierte er in ihrem gewaltigen Nachlass und hatte Zugang zu den mehr als einhundert Hefte umfassenden Tagebüchern, die noch bis Ende 2029 für die Benutzung gesperrt sind.
Auszüge aus den Tagebüchern hatte Sontags Sohn David Rieff bereits in den Jahren nach ihrem Tod im Dezember 2004 herausgegeben. Sie beginnen, als Sontag vierzehn Jahre alt ist, und die Aufzeichnungen zeigen das Selbstbildungsprogramm einer jungen Frau mit unendlicher Wissbegierde. Atemberaubend sind die Listen, die sie darin aufstellt: von Filmen, die sie sehen will, Büchern, die sie gelesen hatte oder die "so schnell wie möglich" noch zu lesen sind. "Ich will mich selbst erfinden", definiert sie ihr Programm. Gleichzeitig offenbaren die Tagebücher Selbstzweifel und Unsicherheit. Unter den Eigenschaften, die Sontag an sich selbst verachtet, zählt sie auf: "dass ich eine Duckmäuserin + eine Lügnerin bin, dass ich in Bezug auf mich selbst wie auf andere indiskret bin, dass ich passiv bin, dass ich eine Blenderin bin".
Moser schreibt keine intellektuelle Biographie, die sich über die problematischen Aspekte einer Persönlichkeit hinwegsetzen würde. Im Gegenteil, er hat den Anspruch, die ganze Person zu erklären, wofür er gerne Sontags eigene ästhetische Theorie in Anschlag bringt. "Metapher" ist das Wort, das oft fällt, wenn er ihre Gefühle der Selbstentfremdung, der immer wieder beklagten Distanz zu ihrem Körper, der Maskenhaftigkeit der öffentlichen Person zu deuten versucht. Das ist mal mehr, mal weniger erhellend. Deutlich über das Ziel hinaus schießt Moser, wenn er sich zu klinischen Diagnosen versteigt. So macht er, um nur ein Beispiel zu nennen, in einem Ratgeberbuch die Neigung zu Extremen, das Schwanken zwischen Grandiosität und quälenden Selbstvorwürfen als typische Charakteristika von Alkoholikerkindern aus - gewissermaßen als Spätfolge von Sontags schwieriger Beziehung zu ihrer bald exaltierten, bald depressiven Mutter, deren Alkoholismus sie jahrelang nicht wahrnahm.
Diese Passagen sind umso überflüssiger, als Moser ein großartiger Erzähler ist. Das Südkalifornien der späten vierziger Jahre, wo Sontag aufwuchs, schildert er als einen Ort zwischen Glücksversprechen und Skepsis. Von dort brach Sontag an die Chicagoer Universität auf, die damals geprägt war von dem humanistisch gesinnten Präsidenten Robert Hutchins und dem "Great Books"-Leseprogramm. Europäische Emigranten hatten es mit entwickelt, es bestand aus einem Lesepensum, wie es alteuropäischer nicht sein konnte, von Homer bis Oswald Spengler. Zeitlebens bestand Sontag darauf, es habe sie zu dem gemacht, was sie war.
Einige ihrer Professoren erinnerten sich an sie als die brillanteste Studentin, die sie je kennenlernten. Zu ihnen gehörte auch Philip Rieff, der Soziologie unterrichtete und mit dem Sontag schließlich acht Jahre Ehe und der gemeinsame Sohn David verbanden. Sontag war seine Hilfskraft, als er sein Freud-Buch "The Mind of the Moralist" vorbereitete. An ihre Schwester schrieb sie stolz: "Neben der Arbeit, die ich für dieses Buch leiste (Forschung und Schreiben), werde ich den größten Teil der Buchbesprechungen übernehmen ... Ich werde die Bücher lesen + sie zusammenfassen + die Besprechung schreiben. ... Mit anderen Worten, ich bin eine Ghostwriterin!" Unter anderem auf diesen Brief stützt Moser seine These, Sontag sei mehr als nur Ko-Autorin von Rieffs Hauptwerk - "eines der hartnäckigsten Rätsel im Leben der Susan Sontag", wie er dennoch eingesteht.
Sontag erzählte gerne die Geschichte, wie sie in einem Kiosk am Hollywood Boulevard hinter allerhand pornographischen Heften auf die "Partisan Review", das linksintellektuelle Vorzeigeblatt der Zeit, stieß und sich von diesem Moment an von einer geistigen Welt angezogen fühlte, die sich so sehr von der Banalität ihrer kalifornischen Existenz unterschied. Als sie Anfang der sechziger Jahre nach New York kam, war es alles andere als ausgemacht, dass sie selbst einmal darin schreiben würde. Lange Zeit verfolgte sie den Plan, doch noch eine Karriere an der Universität einzuschlagen. Dann, 1964, veröffentlichte sie "Anmerkungen zu ,Camp'". Noch bevor die Druckerschwärze trocken war, fand sich Sontag im "Time Magazine" und der "New York Times" wieder. Wenige Monate darauf wurde sie mit Jacqueline Kennedy und Leonard Bernstein beim Abendessen gesehen.
Ungnädig wird Moser mit Susan Sontag, als er den Eindruck gewinnt, dass sie nicht mehr mit ihrer Gegenwart Schritt hält. Das ist in den achtziger Jahren in der Anfangszeit der Aids-Epidemie der Fall. Während Sontag sich bei all ihren politischen Aktionen, ihren Reisen nach Vietnam und Kuba und später, als sie in Sarajevo unter Einsatz ihres Lebens Beckett inszenierte, mit ihrem Körper für politische Ziele einsetzte, so Moser, habe sie sich nicht einmal mit einer symbolischen Geste für die Anerkennung der Homosexualität engagiert. "Mochte sich die Kultur auch verändert haben, Sontag hatte es nicht." Dass "Aids und seine Metaphern" wirkungslos blieb, schreibt Moser allein Sontags Weigerung zu, das Buch aus ihrer persönlichen Perspektive zu schreiben und sich offen zu ihrer Bisexualität zu bekennen.
Die Frage, ob eine Intellektuelle wie Sontag heute noch möglich wäre, ist müßig - nicht aber die, weshalb es eine anhaltende Sehnsucht nach Idolen wie ihr, wie Hannah Arendt oder Simone de Beauvoir gibt: drei Frauen mit der unerhörten Fähigkeit, mit einprägsamen Formeln unseren Blick auf die Welt zu verändern. Wie Sontags Werk aus dem Zusammentreffen zwischen der grenzenlosen Neugier auf alle Formen von Kunst und einer schonungslosen Arbeitsethik entstand, führt Moser in seinem Buch eindrucksvoll vor Augen.
"Sie nahm Dexedrin und arbeitete rund um die Uhr ... Wir gingen zum Geräusch ihrer Schreibmaschine ins Bett und wachten zum Geräusch ihrer Schreibmaschine auf", so beschreibt dies Sigrid Nunez in ihrem schon 2011 im englischen Original erschienenen Memoir "Sempre Susan". Nunez arbeitete Ende der siebziger Jahre eine Weile als Sontags Assistentin, lernte darüber ihren Sohn David kennen, war mit ihm liiert und zog in die gemeinsame Wohnung ein. Ihre Erinnerungen teilt sie in persönlich gehaltenen, locker miteinander verbundenen Episoden mit. Als sie Sontag das erste Mal traf, hatte diese gerade ihre erste Krebserkrankung überstanden. Ihr Haar war nach der Chemotherapie ausgedünnt, doch, so berichtet Nunez, "die Haare, die nachwuchsen, waren vor allem weiß". Ein Friseur färbte sie wieder schwarz. Bis auf eine Strähne, weil das, wie er fand, weniger künstlich aussehe.
Benjamin Moser: "Sontag". Die Biografie.
Aus dem Englischen von Hainer Kober. Penguin Verlag, München 2020. 928 S., Abb., geb., 40,- [Euro].
Sigrid Nunez: "Sempre Susan".
Erinnerungen an Susan Sontag.
Aus dem Englischen von Anette Grube. Aufbau Verlag, Berlin 2020. 141 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Bücher über Susan Sontag: Benjamin Moser will in seiner Biographie die ganze Person erklären, Sigrid Nunez erinnert sich an gemeinsame Tage.
Von Sonja Asal
Susan Sontag ist bis heute eine Ikone, ihr Profil hat sich ebenso eingeprägt wie die Titel ihrer großen Essays: "Against Interpretation", "Krankheit als Metapher", "Das Leiden anderer betrachten". So verbreitet war ihr Bild, dass sogar die legendäre amerikanische Comedy-Show "Saturday Night Live" eine schwarze Perücke mit silbergrauer Strähne in ihrem Fundus hatte, pars pro toto für die New Yorker Intellektuelle schlechthin.
Nun ist die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Sontag-Biographie des amerikanischen Sachbuchautors Benjamin Moser auf Deutsch erschienen. Es ist nicht das erste Buch über das rastlose Leben der 1933 Geborenen, aber definitiv das materialreichste. Auf den Spuren Sontags reiste Moser nach Paris, Stockholm oder Sarajevo, er führte Hunderte von Interviews. Vor allem recherchierte er in ihrem gewaltigen Nachlass und hatte Zugang zu den mehr als einhundert Hefte umfassenden Tagebüchern, die noch bis Ende 2029 für die Benutzung gesperrt sind.
Auszüge aus den Tagebüchern hatte Sontags Sohn David Rieff bereits in den Jahren nach ihrem Tod im Dezember 2004 herausgegeben. Sie beginnen, als Sontag vierzehn Jahre alt ist, und die Aufzeichnungen zeigen das Selbstbildungsprogramm einer jungen Frau mit unendlicher Wissbegierde. Atemberaubend sind die Listen, die sie darin aufstellt: von Filmen, die sie sehen will, Büchern, die sie gelesen hatte oder die "so schnell wie möglich" noch zu lesen sind. "Ich will mich selbst erfinden", definiert sie ihr Programm. Gleichzeitig offenbaren die Tagebücher Selbstzweifel und Unsicherheit. Unter den Eigenschaften, die Sontag an sich selbst verachtet, zählt sie auf: "dass ich eine Duckmäuserin + eine Lügnerin bin, dass ich in Bezug auf mich selbst wie auf andere indiskret bin, dass ich passiv bin, dass ich eine Blenderin bin".
Moser schreibt keine intellektuelle Biographie, die sich über die problematischen Aspekte einer Persönlichkeit hinwegsetzen würde. Im Gegenteil, er hat den Anspruch, die ganze Person zu erklären, wofür er gerne Sontags eigene ästhetische Theorie in Anschlag bringt. "Metapher" ist das Wort, das oft fällt, wenn er ihre Gefühle der Selbstentfremdung, der immer wieder beklagten Distanz zu ihrem Körper, der Maskenhaftigkeit der öffentlichen Person zu deuten versucht. Das ist mal mehr, mal weniger erhellend. Deutlich über das Ziel hinaus schießt Moser, wenn er sich zu klinischen Diagnosen versteigt. So macht er, um nur ein Beispiel zu nennen, in einem Ratgeberbuch die Neigung zu Extremen, das Schwanken zwischen Grandiosität und quälenden Selbstvorwürfen als typische Charakteristika von Alkoholikerkindern aus - gewissermaßen als Spätfolge von Sontags schwieriger Beziehung zu ihrer bald exaltierten, bald depressiven Mutter, deren Alkoholismus sie jahrelang nicht wahrnahm.
Diese Passagen sind umso überflüssiger, als Moser ein großartiger Erzähler ist. Das Südkalifornien der späten vierziger Jahre, wo Sontag aufwuchs, schildert er als einen Ort zwischen Glücksversprechen und Skepsis. Von dort brach Sontag an die Chicagoer Universität auf, die damals geprägt war von dem humanistisch gesinnten Präsidenten Robert Hutchins und dem "Great Books"-Leseprogramm. Europäische Emigranten hatten es mit entwickelt, es bestand aus einem Lesepensum, wie es alteuropäischer nicht sein konnte, von Homer bis Oswald Spengler. Zeitlebens bestand Sontag darauf, es habe sie zu dem gemacht, was sie war.
Einige ihrer Professoren erinnerten sich an sie als die brillanteste Studentin, die sie je kennenlernten. Zu ihnen gehörte auch Philip Rieff, der Soziologie unterrichtete und mit dem Sontag schließlich acht Jahre Ehe und der gemeinsame Sohn David verbanden. Sontag war seine Hilfskraft, als er sein Freud-Buch "The Mind of the Moralist" vorbereitete. An ihre Schwester schrieb sie stolz: "Neben der Arbeit, die ich für dieses Buch leiste (Forschung und Schreiben), werde ich den größten Teil der Buchbesprechungen übernehmen ... Ich werde die Bücher lesen + sie zusammenfassen + die Besprechung schreiben. ... Mit anderen Worten, ich bin eine Ghostwriterin!" Unter anderem auf diesen Brief stützt Moser seine These, Sontag sei mehr als nur Ko-Autorin von Rieffs Hauptwerk - "eines der hartnäckigsten Rätsel im Leben der Susan Sontag", wie er dennoch eingesteht.
Sontag erzählte gerne die Geschichte, wie sie in einem Kiosk am Hollywood Boulevard hinter allerhand pornographischen Heften auf die "Partisan Review", das linksintellektuelle Vorzeigeblatt der Zeit, stieß und sich von diesem Moment an von einer geistigen Welt angezogen fühlte, die sich so sehr von der Banalität ihrer kalifornischen Existenz unterschied. Als sie Anfang der sechziger Jahre nach New York kam, war es alles andere als ausgemacht, dass sie selbst einmal darin schreiben würde. Lange Zeit verfolgte sie den Plan, doch noch eine Karriere an der Universität einzuschlagen. Dann, 1964, veröffentlichte sie "Anmerkungen zu ,Camp'". Noch bevor die Druckerschwärze trocken war, fand sich Sontag im "Time Magazine" und der "New York Times" wieder. Wenige Monate darauf wurde sie mit Jacqueline Kennedy und Leonard Bernstein beim Abendessen gesehen.
Ungnädig wird Moser mit Susan Sontag, als er den Eindruck gewinnt, dass sie nicht mehr mit ihrer Gegenwart Schritt hält. Das ist in den achtziger Jahren in der Anfangszeit der Aids-Epidemie der Fall. Während Sontag sich bei all ihren politischen Aktionen, ihren Reisen nach Vietnam und Kuba und später, als sie in Sarajevo unter Einsatz ihres Lebens Beckett inszenierte, mit ihrem Körper für politische Ziele einsetzte, so Moser, habe sie sich nicht einmal mit einer symbolischen Geste für die Anerkennung der Homosexualität engagiert. "Mochte sich die Kultur auch verändert haben, Sontag hatte es nicht." Dass "Aids und seine Metaphern" wirkungslos blieb, schreibt Moser allein Sontags Weigerung zu, das Buch aus ihrer persönlichen Perspektive zu schreiben und sich offen zu ihrer Bisexualität zu bekennen.
Die Frage, ob eine Intellektuelle wie Sontag heute noch möglich wäre, ist müßig - nicht aber die, weshalb es eine anhaltende Sehnsucht nach Idolen wie ihr, wie Hannah Arendt oder Simone de Beauvoir gibt: drei Frauen mit der unerhörten Fähigkeit, mit einprägsamen Formeln unseren Blick auf die Welt zu verändern. Wie Sontags Werk aus dem Zusammentreffen zwischen der grenzenlosen Neugier auf alle Formen von Kunst und einer schonungslosen Arbeitsethik entstand, führt Moser in seinem Buch eindrucksvoll vor Augen.
"Sie nahm Dexedrin und arbeitete rund um die Uhr ... Wir gingen zum Geräusch ihrer Schreibmaschine ins Bett und wachten zum Geräusch ihrer Schreibmaschine auf", so beschreibt dies Sigrid Nunez in ihrem schon 2011 im englischen Original erschienenen Memoir "Sempre Susan". Nunez arbeitete Ende der siebziger Jahre eine Weile als Sontags Assistentin, lernte darüber ihren Sohn David kennen, war mit ihm liiert und zog in die gemeinsame Wohnung ein. Ihre Erinnerungen teilt sie in persönlich gehaltenen, locker miteinander verbundenen Episoden mit. Als sie Sontag das erste Mal traf, hatte diese gerade ihre erste Krebserkrankung überstanden. Ihr Haar war nach der Chemotherapie ausgedünnt, doch, so berichtet Nunez, "die Haare, die nachwuchsen, waren vor allem weiß". Ein Friseur färbte sie wieder schwarz. Bis auf eine Strähne, weil das, wie er fand, weniger künstlich aussehe.
Benjamin Moser: "Sontag". Die Biografie.
Aus dem Englischen von Hainer Kober. Penguin Verlag, München 2020. 928 S., Abb., geb., 40,- [Euro].
Sigrid Nunez: "Sempre Susan".
Erinnerungen an Susan Sontag.
Aus dem Englischen von Anette Grube. Aufbau Verlag, Berlin 2020. 141 S., geb., 18,- [Euro].
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