West-Berlin, Oktober 1989: Erika zur Linde ist Französischlehrerin, Mitte 40 und geschieden. Außer in ihrer Schule hat sie kaum soziale Kontakte, nur ihren Vater Ulrich besucht sie alle 4 Wochen zum Sonntagsessen. Der wurde in den 50er Jahren mit einem Kriegsroman berühmt, hatte sich kurz darauf
aber aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Jetzt hat er sich an seinem Schreibtisch erschossen, kurz…mehrWest-Berlin, Oktober 1989: Erika zur Linde ist Französischlehrerin, Mitte 40 und geschieden. Außer in ihrer Schule hat sie kaum soziale Kontakte, nur ihren Vater Ulrich besucht sie alle 4 Wochen zum Sonntagsessen. Der wurde in den 50er Jahren mit einem Kriegsroman berühmt, hatte sich kurz darauf aber aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Jetzt hat er sich an seinem Schreibtisch erschossen, kurz nachdem er einen Brief aus Amerika bekam. Ein gewisser Paul Singer fragt darin nach seinem Onkel Felix Auerbach, einem Juden, mit dem Ulrich und seine Frau Sophie (Erikas Mutter) während des 2. WKs befreundet waren und nach dessen Manuskript. Erika ist wie vor den Kopf gestoßen, über den Krieg oder gar Felix haben ihre Eltern nie geredet. Ihre Mutter starb, als sie 15 war. Auf der Suche nach weiteren Hinweisen findet sie deren Tagebuch und taucht in die Vergangenheit ihrer Familie ab.
Nicolas Remin erzählt auf 2 Zeitebenen Sophies Geschichte und Erikas Suche nach der Wahrheit.
Sophie heiratet 1939 nach nur wenigen Monaten den älteren Ulrich zur Linde, weil er in der Wehrmachts-Uniform gut aussieht und sie unbedingt Journalistin für eine Frauenzeitschrift werden will, was ihre Eltern ihr verboten haben. Ulrich ist sehr in sie verliebt und erlaubt ihr alles, überhäuft sie mit Geschenken. Allerdings wird ihr schnell klar, dass sie ihn nicht liebt. Sie ist extrem naiv und unpolitisch, tritt nur in die NSDAP ein, um bei Journalistin bleiben zu können und weil sie – wie so viele andere Frauen auch – Hitler anhimmelt.
Ulrichs bester Freund Felix Auerbach ist Jude, aber das spielt für sie keine Rolle. Felix sieht zu gut aus – groß, schlank, blond, wie ein echter Arier. Auch er bewundert Hitler, ist t traurig, dass er nicht wieder an der Front kämpfen darf, wie im ersten WK. Als Ulrich in den Krieg zieht, kümmert sich Sophie um Felix, dessen geplante Emigration immer wieder scheitert. Bald müssen sie ihn verstecken, sein Aussehen hilft ihm dabei. Sophie und er verbringen viel Zeit miteinander ...
Ich fand es schade, dass Nicolas Remin einen so nüchternen Schreibstil gewählt hat, dadurch sind mir Erika, Sophie und auch die anderen Protagonisten fremd geblieben. Obwohl sie viel Schlimmes erleben, bleibt man beim Lesen seltsam distanziert.
Sophie scheint eine verwöhnte Göre gewesen zu sein. Die „ehelichen Pflichten“ erträgt sie nur mit Alkohol. Glücklich ist sie nur, wenn Ulrich einen neuen Orden bekommt und in der Hierarchie der Wehrmacht aufsteigt oder Pakete aus Frankreich schickt, wo er stationiert ist. Erika hat sie immer als ziemlich kühle Frau bzw. Mutter empfunden und ist genau so geworden. Doch nach dem Tod ihres Vaters blüht Erika in kürzester Zeit plötzlich auf. Sie macht eine 180 Grad-Wendung, ändert ihren Kleidungsstil, ihre Frisur, trägt auf einmal Makeup. Aus dem unscheinbaren Mauerblümchen wird ein heißer Feger. Diese Wandlung fand ich zu extrem, ihre Gründe dafür bleiben nebulös. Zudem lebt Erika in West-Berlin und interessiert sich kaum dafür, was gerade auf der anderen Seite der Mauer passiert. Als diese dann fällt, stört sie sich am Geruch der Trabbis, dass die vielen Menschen aus dem Osten h in Berlin „einfallen“ und die Straßen verstopfen. Was das politisch bedeutet, scheint ihr egal zu sein.
Am meisten irritiert aber war ich von Felix. Gab es wirklich Juden, die zu 100 Prozent hinter Hitler standen und dachten, dass nach dem Endsieg alles wieder gut wird, dass die KZs nur Lügen sind? Oder hat Felix sich das nur eingeredet, weil er es glauben wollte? Auch das wird leider nicht wirklich aufgelöst.
Abgesehen von den o.g. Kritikpunkten, hat mir das Buch gut gefallen. Ich fand es faszinierend, wie sich die verschiedenen Menschen in der Nazizeit verhalten und wie viele dabei geholfen haben, Felix zu verstecken oder ihm wieder neue Identitäten zu beschaffen. Der Zusammenhalt und die Freundschaft zwischen Felix, Ulrich und Sophie waren sehr beeindruckend.