Was ist Pop? So wenig originell diese Frage ist, so originell, vielfältig und überraschend können die Antworten ausfallen, wenn man sie den Richtigen stellt: Schriftstellern wie Thomas Meinecke, Andreas Neumeister oder Thorsten Krämer; Musikern und DJs wie Dirk von Lowtzow (Tocotronic) oder Hans Nieswandt; Journalisten wie Diedrich Diederichsen, Ulf Poschardt, Pinky Rose, Sacha Kösch oder Moritz von Uslar; Wissenschaftlern wie Gabriele Klein oder Eckhard Schumacher.
Alle Autorinnen und Autoren gehen in den vorliegenden Originalbeiträgen anhand der Beschreibung eines Gegenstands, einer Person, einer Moderichtung, eines (Schreib-)Stils der Frage nach, was Popkultur eigentlich ist. Diese Phänomenologie der derzeitigen Popkultur bildet insofern auf ebenso unterhaltsame wie erhellende Weise ab, wie in der Gegenwart Kultur wahrgenommen wird und als symbolische Ordnung funktioniert; und nicht zuletzt wird der Begriff selber einer Revision unterzogen, indem er - ganz nebenbei - in unendlich viele Teilchen zersprengt wird.
Alle Autorinnen und Autoren gehen in den vorliegenden Originalbeiträgen anhand der Beschreibung eines Gegenstands, einer Person, einer Moderichtung, eines (Schreib-)Stils der Frage nach, was Popkultur eigentlich ist. Diese Phänomenologie der derzeitigen Popkultur bildet insofern auf ebenso unterhaltsame wie erhellende Weise ab, wie in der Gegenwart Kultur wahrgenommen wird und als symbolische Ordnung funktioniert; und nicht zuletzt wird der Begriff selber einer Revision unterzogen, indem er - ganz nebenbei - in unendlich viele Teilchen zersprengt wird.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.2001Der Bassdrum fällt man nicht ins Wort
"Pops Glück ist, daß Pop kein Problem hat. Deshalb kann man Pop nicht denken, nicht kritisieren, nicht analytisch schreiben, sondern Pop ist Pop leben, fasziniert betrachten, besessen studieren, maximal materialreich erzählen, feiern. Es gibt keine andere vernünftige Weise über Pop zu reden, als hingerissen auf das Hinreißende zu zeigen, hey, super." Derart apodiktisch erklärte Rainald Goetz 1986 in seinem Buch "Hirn" alle oberklugen Theoretiker des Untergrunds für überflüssig. Das war lange vor der Techno-Bewegung, deren intellektueller Fürsprecher Goetz mit Büchern wie "Rave" und "Celebration" zu einem Zeitpunkt wurde, als sie sich musikalisch bereits erschöpft hatte. Techno hat das Problem noch verstärkt, wie das quecksilbrig-glänzende Fluidum der Popmusik mit dem Netz eines akademischen Diskurses einzufangen ist. Nicht nur die argwöhnischen Türsteher des Kanons, sondern auch linke Kulturtheoretiker, die sonst aus jeder Massenbewegung die Glutkerne der Emanzipation herauszuschmelzen wissen, standen rat- und sprachlos an Berliner Straßenrändern. Daß der größte Rave in Deutschland auf den Namen "Mayday" hörte, gab zwar den Apokalyptikern recht, die in Techno das Ende von Hoch- und Subkultur zugleich erkannten, doch beim karnevalistischen Spektakel der "Love Parade" blieb selbst Kassandra die Spucke weg.
Ist über Pop also gar nicht zu reden und zu rechten, ohne in die Rhetorik des Fans zu verfallen? Neuere Veröffentlichungen scheinen Goetz' vitalistisch grundierter Skepsis recht zu geben. Einen ambitionierten Versuch unternimmt Rupert Weinzierl ("Fight the Power!" Eine Geheimgeschichte der Popkultur & die Formierung neuer Substreams. Passagen Verlag Wien 2000, 286 S., br., 64,- DM). Schon der Titel deutet an, daß wir es hier mit einem politischen Manifest zu tun haben, das die Klänge der letzten zwanzig Jahre nach ihren kapitalismuskritischen Begleittönen sortiert. "Pop kann aber heute nur mehr als Disziplinengrenzen niederreißender heterogener Verbund aus unterschiedlichsten Medien, Kunstgattungen, Orientierungen, Geschmackskomponenten und politischen Zielen verstanden werden." Entsprechend diffus ist auch die Gliederung des Bandes, der im Flackern der Lichtorgel eine Besichtigung subkultureller Höhlensysteme unternimmt und seinen Fluchtpunkt in neuartigen popkulturellen Netzwerken findet, die "realpolitische Oppositionsarbeit zur Bekämpfung der Hegemonie des neoliberalen Repräsentationskapitalismus leisten". Wer das nicht tut, hat schlechte Karten: Goetz etwa firmiert bei Weinzierl als "Aficionado der Affirmation", dessen bedingungsloser "Konsumismus" den herrschenden Mächten in die Hände spiele. Weinzierls Mikroanalysen, die ihre Stichworte aus Antonio Gramscis Hegemonietheorie und den britischen Cultural Studies beziehen, erwecken so den Eindruck, statt im Club auf der Erstsemesterfete des marxistischen Studentenbunds gelandet zu sein. Systematische Versuche über Pop enden stets entweder im Oberseminar oder, wie zuletzt Gabriele Kleins Buch "Electronic Vibration" (F.A.Z. vom 30. August 1999), im Eklektizismus: Eine Prise Habitus, eine Messerspitze Subversion, einige Gramm Reproduzierbarkeit und ganz viel ausgelassene Mimesis - Pop hat einen großen Magen.
Aus dieser Not der Begriffsverwirrung macht ein neuer Sammelband die Tugend des Pluralismus ("Sound Signatures". Pop-Splitter. Hrsg. von Jochen Bonz. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001, 320 S., br., 21,90 DM). Wenn Weinzierl ein anachronistisches Konzeptalbum verfaßt hat, so haben wir hier eine zeitgemäße Form: der Sampler, der selber Pop sein will. Sein Untertitel ist daher auch nicht Ausdruck theoretischer Bescheidenheit, sondern jenes Dilemmas, das Diedrich Diederichsen als die Krux des "Hip-Intellektuellen" beschrieben hat: Er wäre so gerne Teil des beschriebenen Phänomens und leidet unter der Distanz zwischen seiner Beobachter-Position und dem Ort des Pop-Stars, des "Hipsters": So entstehen Bücher, bunt wie Hitparaden, deren Inhaltsverzeichnis dann echte Idole schmücken, in diesem Fall Dirk von Lowtzow, Sänger der Hamburger Band "Tocotronic", und den Kölner-DJ Hans Nieswandt, die beiden Vertreter der Suhrkamp-DJ-Kultur Andreas Neumeister und Thomas Meinecke nicht zu vergessen.
Auch hier ist Rainald Goetz ein wichtiger Bezugspunkt. Der Lacanianer Matthias Waltz etwa will unter Berufung auf "Rave" in Pop und Techno zwei grundverschiedene "Topographien des Begehrens" erkennen. Während die Popkultur immer auch das Versprechen nach "Hipness", einer bohemehaften Lebensform jenseits des Spießertums beinhalte, sei eine solche Verweisstruktur für Techno nicht wesentlich: Sie sei vielmehr "Genuß der Präsenz". Der Popstar sei begehrenswert, "weil er in seiner Person einen ganzen Weltkontext inkarniert", beim Techno gibt es keine Identifikation, die die eigene Existenz utopisch überschreitet, sondern eine Intensität, die nur den Abstand zwischen den Tänzern verringert. Anders gesagt: Bei Pop sind Sex und Drogen Surrogate der Befreiung, bei Techno Aggregate der Belustigung. Der Kölner Literaturwissenschaftler Eckhard Schumacher beobachtet im gleichen Band den jüngsten Diskurs über Pop-Literatur und nimmt dabei Goetz' Auseinandersetzung mit dem Antipoden Botho Strauß in den Blick. Doch wenn "Abfall" und "Müll" hier zu poetischen Grundbegriffen nobilitiert werden, dann zeugt das lediglich von einer weiteren Instrumentalisierung des Populären, diesmal für eine dekanonisierende Geste im Rahmen der Hochkultur.
Jeder weiß, was Pop ist, solange er nicht danach gefragt wird. Andreas Neumeister, DJ und Schriftsteller, bringt dieses Paradox von augustinischen Ausmaßen auf eine schlichte Formel: "Das Wort Pop hat keinen Artikel." Es ist weder bestimmt noch unbestimmt, sondern einfach lauter als die anderen.
RICHARD KÄMMERLINGS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Pops Glück ist, daß Pop kein Problem hat. Deshalb kann man Pop nicht denken, nicht kritisieren, nicht analytisch schreiben, sondern Pop ist Pop leben, fasziniert betrachten, besessen studieren, maximal materialreich erzählen, feiern. Es gibt keine andere vernünftige Weise über Pop zu reden, als hingerissen auf das Hinreißende zu zeigen, hey, super." Derart apodiktisch erklärte Rainald Goetz 1986 in seinem Buch "Hirn" alle oberklugen Theoretiker des Untergrunds für überflüssig. Das war lange vor der Techno-Bewegung, deren intellektueller Fürsprecher Goetz mit Büchern wie "Rave" und "Celebration" zu einem Zeitpunkt wurde, als sie sich musikalisch bereits erschöpft hatte. Techno hat das Problem noch verstärkt, wie das quecksilbrig-glänzende Fluidum der Popmusik mit dem Netz eines akademischen Diskurses einzufangen ist. Nicht nur die argwöhnischen Türsteher des Kanons, sondern auch linke Kulturtheoretiker, die sonst aus jeder Massenbewegung die Glutkerne der Emanzipation herauszuschmelzen wissen, standen rat- und sprachlos an Berliner Straßenrändern. Daß der größte Rave in Deutschland auf den Namen "Mayday" hörte, gab zwar den Apokalyptikern recht, die in Techno das Ende von Hoch- und Subkultur zugleich erkannten, doch beim karnevalistischen Spektakel der "Love Parade" blieb selbst Kassandra die Spucke weg.
Ist über Pop also gar nicht zu reden und zu rechten, ohne in die Rhetorik des Fans zu verfallen? Neuere Veröffentlichungen scheinen Goetz' vitalistisch grundierter Skepsis recht zu geben. Einen ambitionierten Versuch unternimmt Rupert Weinzierl ("Fight the Power!" Eine Geheimgeschichte der Popkultur & die Formierung neuer Substreams. Passagen Verlag Wien 2000, 286 S., br., 64,- DM). Schon der Titel deutet an, daß wir es hier mit einem politischen Manifest zu tun haben, das die Klänge der letzten zwanzig Jahre nach ihren kapitalismuskritischen Begleittönen sortiert. "Pop kann aber heute nur mehr als Disziplinengrenzen niederreißender heterogener Verbund aus unterschiedlichsten Medien, Kunstgattungen, Orientierungen, Geschmackskomponenten und politischen Zielen verstanden werden." Entsprechend diffus ist auch die Gliederung des Bandes, der im Flackern der Lichtorgel eine Besichtigung subkultureller Höhlensysteme unternimmt und seinen Fluchtpunkt in neuartigen popkulturellen Netzwerken findet, die "realpolitische Oppositionsarbeit zur Bekämpfung der Hegemonie des neoliberalen Repräsentationskapitalismus leisten". Wer das nicht tut, hat schlechte Karten: Goetz etwa firmiert bei Weinzierl als "Aficionado der Affirmation", dessen bedingungsloser "Konsumismus" den herrschenden Mächten in die Hände spiele. Weinzierls Mikroanalysen, die ihre Stichworte aus Antonio Gramscis Hegemonietheorie und den britischen Cultural Studies beziehen, erwecken so den Eindruck, statt im Club auf der Erstsemesterfete des marxistischen Studentenbunds gelandet zu sein. Systematische Versuche über Pop enden stets entweder im Oberseminar oder, wie zuletzt Gabriele Kleins Buch "Electronic Vibration" (F.A.Z. vom 30. August 1999), im Eklektizismus: Eine Prise Habitus, eine Messerspitze Subversion, einige Gramm Reproduzierbarkeit und ganz viel ausgelassene Mimesis - Pop hat einen großen Magen.
Aus dieser Not der Begriffsverwirrung macht ein neuer Sammelband die Tugend des Pluralismus ("Sound Signatures". Pop-Splitter. Hrsg. von Jochen Bonz. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001, 320 S., br., 21,90 DM). Wenn Weinzierl ein anachronistisches Konzeptalbum verfaßt hat, so haben wir hier eine zeitgemäße Form: der Sampler, der selber Pop sein will. Sein Untertitel ist daher auch nicht Ausdruck theoretischer Bescheidenheit, sondern jenes Dilemmas, das Diedrich Diederichsen als die Krux des "Hip-Intellektuellen" beschrieben hat: Er wäre so gerne Teil des beschriebenen Phänomens und leidet unter der Distanz zwischen seiner Beobachter-Position und dem Ort des Pop-Stars, des "Hipsters": So entstehen Bücher, bunt wie Hitparaden, deren Inhaltsverzeichnis dann echte Idole schmücken, in diesem Fall Dirk von Lowtzow, Sänger der Hamburger Band "Tocotronic", und den Kölner-DJ Hans Nieswandt, die beiden Vertreter der Suhrkamp-DJ-Kultur Andreas Neumeister und Thomas Meinecke nicht zu vergessen.
Auch hier ist Rainald Goetz ein wichtiger Bezugspunkt. Der Lacanianer Matthias Waltz etwa will unter Berufung auf "Rave" in Pop und Techno zwei grundverschiedene "Topographien des Begehrens" erkennen. Während die Popkultur immer auch das Versprechen nach "Hipness", einer bohemehaften Lebensform jenseits des Spießertums beinhalte, sei eine solche Verweisstruktur für Techno nicht wesentlich: Sie sei vielmehr "Genuß der Präsenz". Der Popstar sei begehrenswert, "weil er in seiner Person einen ganzen Weltkontext inkarniert", beim Techno gibt es keine Identifikation, die die eigene Existenz utopisch überschreitet, sondern eine Intensität, die nur den Abstand zwischen den Tänzern verringert. Anders gesagt: Bei Pop sind Sex und Drogen Surrogate der Befreiung, bei Techno Aggregate der Belustigung. Der Kölner Literaturwissenschaftler Eckhard Schumacher beobachtet im gleichen Band den jüngsten Diskurs über Pop-Literatur und nimmt dabei Goetz' Auseinandersetzung mit dem Antipoden Botho Strauß in den Blick. Doch wenn "Abfall" und "Müll" hier zu poetischen Grundbegriffen nobilitiert werden, dann zeugt das lediglich von einer weiteren Instrumentalisierung des Populären, diesmal für eine dekanonisierende Geste im Rahmen der Hochkultur.
Jeder weiß, was Pop ist, solange er nicht danach gefragt wird. Andreas Neumeister, DJ und Schriftsteller, bringt dieses Paradox von augustinischen Ausmaßen auf eine schlichte Formel: "Das Wort Pop hat keinen Artikel." Es ist weder bestimmt noch unbestimmt, sondern einfach lauter als die anderen.
RICHARD KÄMMERLINGS
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Einen roten Faden, so die Rezensentin Elke Buhr, sucht man in diesem Sammelband zur Popkultur eher vergeblich - und schon gar nicht werde das Versprechen des Klappentextes erfüllt, hier werde geklärt, "was Pop eigentlich ist und sein kann." Das macht aber nichts, das Buch bietet dennoch "einen aktuellen und schön ausgesuchten Querschnitt" durch die verschiedenen aktuellen Pop-Diskurse. Angenehm, so die Rezensentin, dass man auf Stuckrad-Barre einmal verzichtet hat, dass neben den Altmeistern Diedrich Diederichsen oder Thomas Meinecke auch Platz für Autorinnen wie Gabriele Klein und Fee Magdanz ist. Bei vielen der einzelnen Beiträge bleibt Buhr skeptisch, Magdanz´ Akademiker-Feindlichkeit leuchtet ihr so wenig ein wie Sascha Köschs "pseudo-poststrukturalistischer Jargon" und über die allzu häufig von den Jungs verkündeten Paradigmenwechsel kann sie auch nur lächeln, aber als "Phänomenologie des Pop" gefällt ihr das ganze offenbar recht gut.
© Perlentaucher Medien GmbH
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