Das Buch basiert auf einer breit angelegten standardisierten Befragung von über 5.200 Schülern aus Bayern, Ost-Berlin, West-Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen zu ihren Kenntnissen und ihrem Urteil über die DDR und das geteilte Deutschland. Zusätzlich wurden mehrere hundert Schüler in Einzel- und Gruppengesprächen nach den Gründen für ihre Bewertungen gefragt. Um die Ergebnisse einordnen zu können, enthält das Buch Kapitel zum allgemeinen Verständnis von Geschichtsbildern und Geschichtspolitik, zu Geschichtskenntnissen und Geschichtsbildern in der Bevölkerung, zum Bild der DDR in der ost- und westdeutschen Bevölkerung und in der Wissenschaft sowie in Lehrplänen und ausgewählten Schulbüchern. Dabei zeigt sich, dass die verharmlosende und verklärende Sicht auf die SED-Diktatur, die bei vielen, vornehmlich ostdeutschen Schülern vorhanden ist, ebenfalls in weiten Teilen der (ostdeutschen) Bevölkerung und auch unter Wissenschaftlern anzutreffen ist.Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die Schüler ihr "Wissen" und damit ihr Urteil über die DDR und das geteilte Deutschland vornehmlich aus der Familie und Filmen ziehen und weniger aus der Schule, in der die DDR - in Ostdeutschland stärker als in Westdeutschland - als Thema nur wenig oder überhaupt nicht behandelt wird. Das Buch enthält zu den einzelnen abgefragten Dimensionen von Staat und Gesellschaft der DDR und der (alten) Bundesrepublik grundsätzliche Informationen und Hinweise auf weiterführende Literatur, so dass es von Lehrern, Studenten und Schülern auch als einführendes Kompendium in die DDR-Geschichte benutzt werden kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.08.2008Die DDR im Kopf
Liegt es am Unterricht, am Lehrer oder an den Eltern, wenn Schüler im Osten zu wenig über den SED-Staat wissen?
VON REGINA MÖNCH
Die Ergebnisse einer Studie der Berliner Politikwissenschaftler Klaus Schroeder und Monika Deutz-Schroeder zum DDR-Bild von Schülern im Ost-West-Vergleich haben einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Vor allem die Wissenslücken junger Ostdeutscher zum SED-Staat und ihre daraus geschlussfolgerte mangelnde Urteilskraft sorgen für Spekulationen über die Folgen derartiger Ungewissheiten. Doch die Fragen, die sie aufwirft, etwa die nach den Schuldigen, nach der Qualität des Unterrichtes, nach den Lehrern oder gar der Lebenswelt, die diese Kinder prägt, die beantwortet sie nicht. Dass fast drei Viertel der befragten Schüler das mörderische Grenzregime der DDR verurteilen und nur eine winzige Minderheit (4,7 Prozent im Osten, weniger als ein Prozent im Westen) die DDR insgesamt verklärt, eine deutliche Mehrheit aber bekundet, sie wüsste gern mehr, ging in der Aufregung unter. Die Studie kann nicht erklären, wie es trotz der diagnostizierten Wissenslücken zu diesen doch eher beruhigenden Urteilen kommt. Die Befunde verraten vielmehr Unsicherheit darüber, was ein Sach- und was ein Werturteil ist; unklare Antworten werden DDR-Verklärungsindizien zugerechnet.
Dieses "Umpolen" von Antworten ist, zumindest wenn sie politisch interpretiert werden, mehr als eine Frage des Geschmacks. Ob man Schülern, die nicht glauben, dass die DDR 1989 zusammenbrach, weil sie wirtschaftlich am Ende war, einfach "ein positives Bild von der DDR-Wirtschaft" unterstellen kann wie in dieser Studie, ist zumindest fragwürdig. Die Schroeders sehen schon in der Tatsache, dass mehr als die Hälfte der befragten ostdeutschen Schüler (aber auch in Bayern 38 Prozent) die Staatssicherheit für einen normalen Geheimdienst halten, eine Bestätigung "aller Befürchtungen". Gleichzeitig aber stellen sie fest, dass das "Unrechtsbewusstsein" intakt sei: Auf sehr kompliziert formulierte Fragen nach den Schüssen an der Grenze und anderen Repressionen bekennen über achtzig Prozent der Schüler, dass es sich um Verbrechen handelt. Ist es wirklich empörend, dass viele nicht genau wissen, wer die Mauer gebaut hat - die Sowjetunion oder die DDR - und nur die Hälfte der Ostdeutschen Konrad Adenauer und Willy Brandt im Westen verorten? Frühere SED-Größen wie Stoph und Krenz sind fast vergessen - was in etwa ihre Bedeutung für die Weltgeschichte beschreibt.
Die Berliner Schulverwaltung - ihre Schüler schnitten besonders schlecht ab - gab bei dem Erziehungswissenschaftler Bodo von Borries ein Gutachten in Auftrag, dessen erster Teil vorliegt. Es bescheinigt dieser Studie elementare methodische Mängel. Borries glaubt trotzdem, dass sie die Realität, wenn auch nicht perfekt, abbildet, und warnt davor, den Einfluss des Geschichtsunterrichts bei der Herausbildung eines Geschichtsbewusstseins zu überschätzen. Er bezweifelt die Belastbarkeit der empirischen Daten und unterstellt den Verfassern eine "recht naive Vorstellung von einer Art ,Nürnberger Trichter' beim Geschichtslernen" sowie eine Unterschätzung des Einflusses von Eltern und Nachbarn.
Borries aber klammert die besondere Situation der Schulen im Osten aus, wo ja immer noch viele Lehrer unterrichten, die einst zu den Stützen des DDR-Systems zählten und nach der Wiedervereinigung problemlos übernommen worden sind. Lehrer, die ihre antiwestlichen Ressentiments pflegen und mit dem verklärten Blick zurück vor allem die eigene Lebensleistung vor kritischer Überprüfung bewahren. Diese Lehrer werden verworrenen Ansichten ihrer Schüler zu Diktatur und Sozialsystem der DDR kaum etwas entgegensetzen, sie eher bestärken. Was der Gutachter unterschätzt, hat die Verfasser der Schüler-Studie wiederum wenig interessiert.
Die Fragebögen für die Schüler unterscheiden sich kaum von denen allgemeiner Meinungsumfragen, und so finden sich hier auf plakative Fragen ähnlich plakative Antworten. Zwischen Ja und Nein oder Weiß nicht verbirgt sich das wirkliche Leben, dessen Konflikte und individuelle Erfahrungen die stereotypen Antworten nicht einmal andeuten. Wenn sich aber persönliche Erinnerungen (zum Beispiel der Eltern) mit der veröffentlichten Geschichte so wenig in Einklang bringen lassen, wie hier vermutet wird, wäre eine quantitative Analyse sinnvoller. Alarmistische Warnungen, die Demokratie sei wieder einmal bedroht, können seriöse Sozialwissenschaft jedenfalls nicht ersetzen.
Monika Deutz-Schroeder, Klaus Schroeder: "Soziales Paradies oder Stasi-Staat? Das DDR-Bild von Schülern", Verlag Ernst Vögel, München 2008.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Liegt es am Unterricht, am Lehrer oder an den Eltern, wenn Schüler im Osten zu wenig über den SED-Staat wissen?
VON REGINA MÖNCH
Die Ergebnisse einer Studie der Berliner Politikwissenschaftler Klaus Schroeder und Monika Deutz-Schroeder zum DDR-Bild von Schülern im Ost-West-Vergleich haben einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Vor allem die Wissenslücken junger Ostdeutscher zum SED-Staat und ihre daraus geschlussfolgerte mangelnde Urteilskraft sorgen für Spekulationen über die Folgen derartiger Ungewissheiten. Doch die Fragen, die sie aufwirft, etwa die nach den Schuldigen, nach der Qualität des Unterrichtes, nach den Lehrern oder gar der Lebenswelt, die diese Kinder prägt, die beantwortet sie nicht. Dass fast drei Viertel der befragten Schüler das mörderische Grenzregime der DDR verurteilen und nur eine winzige Minderheit (4,7 Prozent im Osten, weniger als ein Prozent im Westen) die DDR insgesamt verklärt, eine deutliche Mehrheit aber bekundet, sie wüsste gern mehr, ging in der Aufregung unter. Die Studie kann nicht erklären, wie es trotz der diagnostizierten Wissenslücken zu diesen doch eher beruhigenden Urteilen kommt. Die Befunde verraten vielmehr Unsicherheit darüber, was ein Sach- und was ein Werturteil ist; unklare Antworten werden DDR-Verklärungsindizien zugerechnet.
Dieses "Umpolen" von Antworten ist, zumindest wenn sie politisch interpretiert werden, mehr als eine Frage des Geschmacks. Ob man Schülern, die nicht glauben, dass die DDR 1989 zusammenbrach, weil sie wirtschaftlich am Ende war, einfach "ein positives Bild von der DDR-Wirtschaft" unterstellen kann wie in dieser Studie, ist zumindest fragwürdig. Die Schroeders sehen schon in der Tatsache, dass mehr als die Hälfte der befragten ostdeutschen Schüler (aber auch in Bayern 38 Prozent) die Staatssicherheit für einen normalen Geheimdienst halten, eine Bestätigung "aller Befürchtungen". Gleichzeitig aber stellen sie fest, dass das "Unrechtsbewusstsein" intakt sei: Auf sehr kompliziert formulierte Fragen nach den Schüssen an der Grenze und anderen Repressionen bekennen über achtzig Prozent der Schüler, dass es sich um Verbrechen handelt. Ist es wirklich empörend, dass viele nicht genau wissen, wer die Mauer gebaut hat - die Sowjetunion oder die DDR - und nur die Hälfte der Ostdeutschen Konrad Adenauer und Willy Brandt im Westen verorten? Frühere SED-Größen wie Stoph und Krenz sind fast vergessen - was in etwa ihre Bedeutung für die Weltgeschichte beschreibt.
Die Berliner Schulverwaltung - ihre Schüler schnitten besonders schlecht ab - gab bei dem Erziehungswissenschaftler Bodo von Borries ein Gutachten in Auftrag, dessen erster Teil vorliegt. Es bescheinigt dieser Studie elementare methodische Mängel. Borries glaubt trotzdem, dass sie die Realität, wenn auch nicht perfekt, abbildet, und warnt davor, den Einfluss des Geschichtsunterrichts bei der Herausbildung eines Geschichtsbewusstseins zu überschätzen. Er bezweifelt die Belastbarkeit der empirischen Daten und unterstellt den Verfassern eine "recht naive Vorstellung von einer Art ,Nürnberger Trichter' beim Geschichtslernen" sowie eine Unterschätzung des Einflusses von Eltern und Nachbarn.
Borries aber klammert die besondere Situation der Schulen im Osten aus, wo ja immer noch viele Lehrer unterrichten, die einst zu den Stützen des DDR-Systems zählten und nach der Wiedervereinigung problemlos übernommen worden sind. Lehrer, die ihre antiwestlichen Ressentiments pflegen und mit dem verklärten Blick zurück vor allem die eigene Lebensleistung vor kritischer Überprüfung bewahren. Diese Lehrer werden verworrenen Ansichten ihrer Schüler zu Diktatur und Sozialsystem der DDR kaum etwas entgegensetzen, sie eher bestärken. Was der Gutachter unterschätzt, hat die Verfasser der Schüler-Studie wiederum wenig interessiert.
Die Fragebögen für die Schüler unterscheiden sich kaum von denen allgemeiner Meinungsumfragen, und so finden sich hier auf plakative Fragen ähnlich plakative Antworten. Zwischen Ja und Nein oder Weiß nicht verbirgt sich das wirkliche Leben, dessen Konflikte und individuelle Erfahrungen die stereotypen Antworten nicht einmal andeuten. Wenn sich aber persönliche Erinnerungen (zum Beispiel der Eltern) mit der veröffentlichten Geschichte so wenig in Einklang bringen lassen, wie hier vermutet wird, wäre eine quantitative Analyse sinnvoller. Alarmistische Warnungen, die Demokratie sei wieder einmal bedroht, können seriöse Sozialwissenschaft jedenfalls nicht ersetzen.
Monika Deutz-Schroeder, Klaus Schroeder: "Soziales Paradies oder Stasi-Staat? Das DDR-Bild von Schülern", Verlag Ernst Vögel, München 2008.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Günther Heydemann begrüßt diese Studie von Klaus Schroeder und Monika Deutz-Schroeder über das DDR-Bild von Schülern in Bayern, Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen zwanzig Jahre nach dem Mauerfall. Er schätzt diese empirische Untersuchung, eine Befragung von über 5000 Schülern, als überaus fundiert und hält fest, dass sie als "durchaus repräsentativ" gelten kann. Detailliert referiert er die Resulte der Untersuchung. Dass, wie die Studie ergibt, ein beträchtlicher Teil der Schüler ein geschöntes Bild von der DDR hat und sich nicht über deren Diktatur-Charakter im Klaren ist, findet Heydemann besorgniserregend. Im Blick auf den Unterricht wird für ihn ein "inhaltliches und didaktisches Defizit" hinsichtlich der DDR deutlich. Ein Verdienst der Studie besteht für ihn jedenfalls darin, auf ein "relevantes, gesamtgesellschaftliches Problem unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung" hinzuweisen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH