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Das Buch liefert eine neuartige Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Im Sinne einer Gesamtgeschichte der gelesenen Literatur beschreibt es nicht nur die Höhenkammliteratur der Bildungseliten, sondern auch die Repräsentationsliteratur der Führungsschichten, die Unterhaltungsliteratur der Mittelschichten sowie die Kompensationsliteratur der Deklassierten. Jede dieser vier Literaturen hat ihre eigenen Funktionen und ihre eigene Entwicklungsdynamik.
Das Buch zeigt, daß die Landkarte der deutschen Literatur noch zahlreiche weiße Flecken aufweist, ohne deren
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Produktbeschreibung
Das Buch liefert eine neuartige Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Im Sinne einer Gesamtgeschichte der gelesenen Literatur beschreibt es nicht nur die Höhenkammliteratur der Bildungseliten, sondern auch die Repräsentationsliteratur der Führungsschichten, die Unterhaltungsliteratur der Mittelschichten sowie die Kompensationsliteratur der Deklassierten. Jede dieser vier Literaturen hat ihre eigenen Funktionen und ihre eigene Entwicklungsdynamik.

Das Buch zeigt, daß die Landkarte der deutschen Literatur noch zahlreiche weiße Flecken aufweist, ohne deren Beseitigung auch eine Positionsbestimmung der bereits genauer erforschten Zonen nicht möglich ist. Von den herkömmlichen Formen der Literaturgeschichtsschreibung unterscheidet sich diese Literaturgeschichte durch die konsequente Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes der Kultursoziologie, der Leserforschung und der Medienwirkungsanalyse.

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Autorenporträt
Jost Schneider ist Professor am Germanistischen Institut der Ruhr-Universität Bochum.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.2004

Der Technokrat schwört auf Celan
Jost Schneiders Sozialgeschichte literarischer Kommunikation

Der Titel enthält ein Versprechen. Nach Dutzenden von "Kulturgeschichten", Geschichten der Kindheit, des Todes, des Selbstmords und der Seife, wird dem ermüdeten Leser endlich wieder einmal eine "Sozialgeschichte" präsentiert. Geraten Kulturgeschichten oft zu einer Aneinanderreihung anekdotischer faits divers, versprechen sozialgeschichtliche Darstellungen die bündige Verknüpfung empirischer Befunde mit methodologischer Grundlagenreflexion. Hochgesteckt sind daher die Ansprüche, die der Bochumer Literaturwissenschaftler Jost Schneider zu Beginn seiner Sozialgeschichte des Lesens formuliert. Kein bloßes Überblickswerk möchte er vorlegen, sondern eine "funktionsanalytische" Darstellung der literarischen Kommunikation im deutschen Kulturraum vom vierten Jahrhundert vor Christus bis heute.

Gegen eine "teleologische", in geschichtsmetaphysischen Konstruktionen befangene Literaturgeschichtsschreibung grenzt er sich ebenso ab wie gegen die "Kanonorientierung" der Philologie des 20. Jahrhunderts, die nur "wenige Promille der tatsächlichen literarischen Produktion" habe erfassen können. Demgegenüber möchte Schneider "die geschichtliche Entwicklung sämtlicher literarischer Kulturen in Deutschland" aufarbeiten und beruft sich, in Anlehnung an Siegfried J. Schmidt, auf einen "weitgefaßten und wertfreien Literaturbegriff".

Die Idolatrie der Neutralität und Globalität verdankt sich einem naturwissenschaftlich geprägten Erkenntnisideal. Demnach ist eine wissenschaftliche Darstellung um so gelungener, je umfassender sie ist und je stärker das Subjekt sich zugunsten des untersuchten Gegenstands zurücknimmt. Von Hegel über Dilthey bis zu Peter Szondi haben sich die Geisteswissenschaften stets in Abgrenzung von dieser Norm definiert. Zumal der Philologie geht es weder um "Wertfreiheit" noch um Vollständigkeit, sondern um Erkenntnis des Besonderen, Exemplarischen. Insofern sind gerade jene sozialhistorischen Studien, die Schneider einleitend kritisiert, Peter Uwe Hohendahls "Literarische Kultur im Zeitalter des Liberalismus" und Peter Nussers "Deutsche Literatur im Mittelalter", beispielhaft für die gelungene Verbindung von Literaturwissenschaft und Soziologie.

Schneider dagegen glaubt, die Grenzen der Epochen und Disziplinen ignorieren zu können. Aus "funktionsgeschichtlicher Perspektive" sei die Trennung zwischen Mediävistik und Neugermanistik ebenso "sinnlos" wie die Berücksichtung des Dritten Reichs als eigener Zeitabschnitt. Der NS-Staat, so heißt es, habe "keine eigenständigen literarischen Kulturen" hervorgebracht. Daß er eine eigenständige Kultur, die des deutschen Judentums, ausgelöscht hat, wird nicht vermerkt.

Um dem Desiderat der Wertfreiheit und Vollständigkeit zu entsprechen, sperrt Schneider seinen Gegenstand in ein enges Begriffsraster. Der angeblich "teleologisch" vorbelastete Epochenbegriff wird ersetzt durch den noch allgemeineren Terminus "Zeitalter", der es erlaubt, die Geschichte literarischer Kommunikation in ein "Stammeszeitalter", ein "feudalistisches", ein "bürgerliches" und ein "demokratisches Zeitalter" zu unterteilen. Der Begriff "Feudalismus", der den Zeitraum vom neunten Jahrhundert bis 1789 umfaßt, verwandelt das Mittelalter in eine Episode und nivelliert die Umbrüche, die im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert auf dem Gebiet ästhetischer Wertung stattgefunden haben. Daß die Zeit nach 1918 dem Verfasser als "demokratisches Zeitalter" gilt, kann vor diesem Hintergrund kaum mehr überraschen.

Jedes "Zeitalter" wird nun seinerseits zerlegt und klassifiziert. Erkenntnisleitend ist dabei nicht etwa die Frage nach den konkreten Aneignungsformen von Literatur, etwa nach dem Unterschied zwischen einsamer Lektüre und kollektiver Rezeption oder nach der Ausdifferenzierung einer Sphäre literarischen Massenkonsums seit dem neunzehnten Jahrhundert. Vielmehr betreibt Schneider eine historische Arithmetik, die sich auf Klassifikation verschiedener sozialer Gruppen und Textsorten sowie auf das Herausarbeiten von "Schnittmengen" beschränkt. Jeder Gruppe - die "Stände" transformieren sich laut Schneider im bürgerlichen Zeitalter zu "Klassen", im zwanzigsten Jahrhundert zu "Milieus" - ordnet er spezifische Text- und Rezeptionsformen zu. Die Gesamtheit der literarischen Produktion wird zu diesem Zweck unterteilt in Lyrik, Epik, Dramatik und Gebrauchsliteratur. Bei den Aneignungformen wird zwischen "Repräsentationsliteratur", "gelehrter Literatur", "Unterhaltungsliteratur" und "Kompensationsliteratur" unterschieden - laut Schneider "die vier Hauptformen literarischer Kommunikation" überhaupt.

Auf die hierarchisch gegliederte Ständegesellschaft mag dieser Schematismus zumindest idealtypisch anwendbar sein, spätestens angesichts der Moderne zeigt sich jedoch seine Unzulänglichkeit. Welchen Sinn hat es, ein "kleinbürgerliches" von einem "hedonistischen", ein "traditionsloses" von einem "alternativen Milieu" zu unterscheiden? In derlei Termini, die sich der Scheu verdanken, die Gesellschaft des vergangenen Jahrhunderts mit einem klassen- und schichtenspezifischen Vokabular zu beschreiben, vermischen sich Ökonomie und Lifestyle, Ästhetik und Soziologie, was zu mitunter unfreiwillig komischen Befunden führt. So werden Paul Celan und Ingeborg Bachmann als Autoren des "technokratisch-liberalen Milieus" ausgemacht, dessen Lebensstil von "Selbstbefragung und kritischer Reflexion" bestimmt sei. Das alternative Milieu bevorzuge Liedermacher, das konservativ-gehobene Milieu Autoren wie Stefan Zweig und Hermann Hesse.

Angesichts des für die Moderne charakteristischen literarischen Transfers zwischen scheinbar getrennten sozialen Schichten haben solche Diagnosen geringe Aussagekraft. Eine Sozialgeschichte des Lesens müßte gerade beschreiben, wie und weshalb sich im zwanzigsten Jahrhundert die Bildungseliten für niedere Gattungen wie Kriminalroman oder Comic interessieren, während die kanonisierten Klassiker durch Taschenbuchausgaben und Verfilmungen popularisiert werden.

Über konkrete rezeptionsgeschichtliche Veränderungen einzelner Textsorten gibt Schneider nur selten Auskunft. Wie etwa hat sich der Bänkelsang als Ausdrucksform des "fahrenden Volkes" zu einer eigenständigen ästhetischen Form entwickelt, die von Kabarettisten und Liedermachern praktiziert wird? Läßt sich ein Zusammenhang rekonstruieren zwischen dem "kleinbürgerlichen" Interesse für Nachschlagwerke und Lexika und jener Wissensform, die heutzutage in populären Quizsendungen abgefragt wird? Wie wird der Hermetismus der Barockliteratur, der als Zeichen von Erlesenheit ursprünglich durchaus einen Gebrauchs- und Unterhaltungswert hatte, aus moderner Perspektive zum Vorbild ästhetischer Autonomie? Wer Orientierung über solche Fragen sucht, muß die Antworten mühsam aus den einzelnen Kapiteln rekonstruieren. Schneiders Studie selbst bleibt rein additiv und mißversteht das Fehlen eines systematischen Zugriffs als Ausdruck von "Wertfreiheit". Dadurch wird sein Buch zu dem, was es gerade nicht sein will, zu einem bloßen Überblickswerk. Ein nützliches Handbuch für die Examensvorbereitung, darüber hinaus aber ohne Originalität.

MAGNUS KLAUE

Jost Schneider: "Sozialgeschichte des Lesens". Zur historischen Entwicklung und sozialen Differenzierung der literarischen Kommunikation in Deutschland. Verlag de Gruyter, Berlin/New York 2004. 484 S., geb., 49,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Insgesamt ist Jost Schneiders Sozialgeschichte des Lesens eine herausragende und kühne Unternehmung. Aus souveräner Überschau konzipiert, klar strukturiert und transparent formuliert, bietet sie höchst anschauliche Darstellungen der einzelnen Milieus und der für sie typischen Lektüren und Verhaltensweisen, einschließlich der bevorzugten Wohn- und Kleidungsstile. [...] Jost Schneiders Sozialgeschichte des Lesens gehört zu den anregendsten, wahrscheinlich auch zu den stabilen Konstruktionen, welche die neuere Literaturwissenschaft hervorgebracht hat."
Gernot Krämer im Büchermarkt, Deutschlandfunk 03.11.2004

"[...] durchgängig unterhaltsame und gute Darstellung [...], die den Leser auf eine einen Zeitraum von zweitausend Jahren durchschreitende Kulturreise mitnimmt."
Thomas Neumann in: www.literaturkritik.de

"Jost Schneiders Standardwerk zur literarischen Kommunikation."
Kurt Franz in: Volkacher Bote 7/2006

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Magnus Klaue hat an Jost Schneiders "Sozialgeschichte des Lebens" viel auszusetzen. Schneider glaube, die Grenzen der Epochen und Disziplinen ignorieren zu können, moniert Klaue, und ersetze den angeblich vorbelasteten Epochenbegriff durch den viel allgemeineren Terminus "Zeitalter", was beispielsweise das gesamte Mittelalter zu einer "Episode" degradiere und die Brüche nivelliere. Schneider scheut, bringt Klaue seine Kritik auf den Punkt, jede Systematik und weigere sich zugunsten einer vermeintlichen Wertfreiheit, das 20. Jahrhundert mit einem schichten- und klassenspezifischen Vokabular zu analysieren. Aber die allgemeine Kategorie "Zeitalter" vermag laut Klaue gerade mal einer hierarchisierten Ständegesellschaft gerecht werden, aber zur Beschreibung und Analyse der modernen Gesellschaft reiche sie hinten und vorne nicht. Schichten verwandelten sich einfach in Milieus, was zu einer unguten Mischung von Ökonomie und Lifestyle führe. Es gelte doch gerade die Widersprüche zu erforschen: Warum interessierten sich heute Bildungseliten für Comics und warum werde ein Bildungskanon gerade jetzt populär, fragt Klaue. Dafür müsste Schneider den literarischen Transfer zwischen den Schichten herausarbeiten, statt unterschiedliche Milieus aufzuzählen. So biete Schneiders additiver Ansatz leider bloß das, resümiert Klaue, was er nicht sein wollte: einen reinen Überblick.

© Perlentaucher Medien GmbH
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