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Zwar gibt es eine Fülle grundlegender Werke über das Scheitern der Weimarer Republik und den Nationalsozialismus, aber die theoretische Entwicklung des nationalen Sozialismus (als der Zusammenführung der zunächst völlig konträren Elemente Sozialismus und Nationalismus) war bislang nicht grundlegend behandelt worden - eine Lücke, die durch "diese überaus lesenswerte Studie" (Karl Dietrich Bracher) über die deutsche Ideologiediskussion nach 1918 geschlossen wird, die inzwischen den Rang eines Standardwerkes errungen hat. Der Autor analysiert die zentralen Vertreter Friedrich Naumann, Oswald…mehr

Produktbeschreibung
Zwar gibt es eine Fülle grundlegender Werke über das Scheitern der Weimarer Republik und den Nationalsozialismus, aber die theoretische Entwicklung des nationalen Sozialismus (als der Zusammenführung der zunächst völlig konträren Elemente Sozialismus und Nationalismus) war bislang nicht grundlegend behandelt worden - eine Lücke, die durch "diese überaus lesenswerte Studie" (Karl Dietrich Bracher) über die deutsche Ideologiediskussion nach 1918 geschlossen wird, die inzwischen den Rang eines Standardwerkes errungen hat.
Der Autor analysiert die zentralen Vertreter Friedrich Naumann, Oswald Spengler, Ferdinand Tönnies, Walther Rathenau, Wichard von Moellendorff, Arthur Moeller van den Bruck, Ernst Niekisch, den Tatkreis, Ernst Jünger und Werner Sombart. Er zeigt die Bezüge und Verbindungen zwischen ihnen und schließlich den Nationalsozialismus als Hauptanwendungsfall dieser für Deutschland neuen ideologischen Synthese. Dabei wird auch deutlich, dass die Publizisten des nationalen So
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wer fragt, gilt schon als Antimodernist
Christoph Werth tutet in das große Horn eines wildgewordenen Prokapitalismus

Christoph H. Werth: Sozialismus und Nation. Die deutsche Ideologiediskussion zwischen 1918 und 1945. Mit einem Vorwort von Karl Dietrich Bracher. Westdeutscher Verlag Opladen 1996. 388 Seiten, 59,- Mark.

Zur Zeit ist es Mode, den Antimodernismus zu jagen und in seinen Schlupflöchern aufzustöbern. Ein jüngster Beitrag dazu ist Christoph Werths Buch über die deutschen Ideologien zwischen 1918 und 1945.

Wie immer in solchem Zusammenhang muß mein armer Großvater dran glauben. Er muß es sich gefallen lassen, mit Naumann, Spengler, Niekisch, Rathenau, Jünger, Sombart und Schlimmeren in eine Reihe gestellt zu werden. Die Tatsache, daß Ferdinand Tönnies die Unterscheidung zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft ausdrücklich zu dem Zweck getroffen hat, die ihm verhaßte politische Romantik auf den ihr angemessenen Bereich zu beschränken - nämlich die Gemeinschaft - und dem rationalen Naturrecht der Aufklärung seinen legitimen Raum zu schaffen - nämlich die Gesellschaft -, wird hartnäckig ignoriert. Auch die Tatsache, daß er 1928 in die SPD eintrat und zu seinem Schaden noch nach 1933 gegen Hitler protestierte, wird ihm nicht angerechnet. Gemeinschaft und Gesellschaft, so meint Werth unter Berufung auf René König, war ein "agitatorisch optimal verwertbares Modell".

Werth befindet sich in der übersteuerten prokapitalistischen Gegenbewegung, in der die Intelligenzija zur Zeit ihre jugendlichen Verirrungen kompensiert. Hier wird eine unparteiische, die Vorzüge von Gemeinschaft und Gesellschaft gegeneinander abwägende Betrachtung übelgenommen. Wer die mit dem unabänderlichen Transformationsprozeß einhergehenden Verluste ebenso wie die Gewinne registriert, gilt schon als Antimodernist.

Dem korrespondiert, daß sich die andere Hälfte der Intelligenz auf der Seite des Kommunitarismus versammelt hat, wo man für die Gemeinschaft strammsteht und die mit der modernen Gesellschaft verbundenen liberalen Werte geringachtet. Dort kann man mit Tönnies nichts anfangen, weil man auf dieser Seite sehr wohl bemerkt, daß er hinter den liberalen Werten steht. Er ist ein parteiloser Geselle, der von beiden Seiten verstoßen wird. Obwohl sie genau an der von ihm gezogenen Trennlinie ihre Fronten bilden, bringen beide Parteien gern zum Ausdruck, wie überflüssig, verschwommen und wertlos diese Grenzziehung war.

Die von König beeinflußte gesellschaftsfreudige Richtung stellt das Tönniessche Konzept als rückwärtsgewandte Gemeinschaftsideologie hin und ignoriert die dort herausgearbeiteten positiven Züge der Gesellschaft: das individuierte, abstrakte Menschenbild, das rationale Naturrecht mit seiner Gleichheitsmaxime und die Herausbildung eines ausdifferenzierten, dem Allgemeinwohl dienenden Staates. Statt sich über die Vorzüge des von ihnen favorisierten Sozialtypus belehren zu lassen, verschweigen die Liebhaber der Gesellschaft die von Tönnies vorgenommene Würdigung der modernen Verhältnisse, in denen die Freiheit an die Stelle der Abhängigkeit, die Gleichheit an die Stelle der Hierarchie und die Ethik an die Stelle der Sitte tritt.

Dabei erlaubt sich Christoph Werth einen besonderen Scherz. Er greift die Passage auf, in der Tönnies sich darüber beklagt, daß man keine Position finde, die zwischen den beiden Sozialtypen nicht Partei nimmt: "Auch die gelehrten Schriftsteller vermögen beinahe niemals von ihren Urteilen des Gefallens und Mißfallens sich zu befreien und zu einer durchaus unbefangenen, streng objektiven Auffassung der Physiologie und Pathologie des sozialen Lebens zu gelangen. Sie bewundern das römische Reich; sie verabscheuen den Ruin der Familie, der Sitte. Den Kausalnexus zwischen den beiden Phänomenen zu sehen, ist ihr Gesicht nicht ausgebildet." Die Emanzipation des Individuums in der Gesellschaft habe ambivalenten Charakter: "Sie war der Sieg des Egoismus, der Frechheit, der Lüge und Künstelei, der Geldgier, der Genußsucht, des Ehrgeizes, aber freilich auch der beschaulichen, klaren, nüchternen Bewußtheit, mit welcher Gebildete und Gelehrte den göttlichen und menschlichen Dingen gegenüberzustehen wagen." Ausgerechnet mit diesem Satz belegt Werth Tönnies' einseitige Gemeinschaftsverfangenheit, indem er forsch den mit "aber" beginnenden zweiten Satzteil wegfallen läßt. Offenbar gehört er trotz der Belehrung, die ihm gerade in dieser Passage gegeben wird, zu den Gelehrten, die unfähig sind, den Kausalnexus zwischen den erfreulichen und unerfreulichen Phänomenen, die in Gemeinschaft ebenso wie in Gesellschaft begründet sind, zu ertragen.

Auch wenn man, wie Tönnies, die Entwicklung von Gemeinschaft zu Gesellschaft für unumkehrbar und alle Versuche, sie zu revidieren, für reaktionär hält, muß es erlaubt sein, die Gemeinschaft objektiv - und das heißt auch: attraktiv - darzustellen. Die mit Hierarchie und Unfreiheit einhergehenden bergenden, identitätsbildenden, stabilisierenden Wirkungen der Gemeinschaft wahrzunehmen, darf dem Wissenschaftler auch nach dem Mißbrauch dieses Motivs durch den Nationalsozialismus nicht verboten sein.

Die einseitige Apotheose der Gesellschaft, die deren problematische Seite ignoriert, drückt ein Überengagement aus, das spätere Betrachter einmal als Zeiterscheinung der ultraliberalen neunziger Jahre betrachten werden - als Ausdruck eines wildgewordenen Prokapitalismus, der sich gegen Kritik immunisiert. Wenn man die Augen davor verschließt, daß die mit der Herausbildung der modernen Gesellschaft einhergehende Freisetzung des Individuums neben ihren unleugbaren Vorzügen Millionen von Menschen, zumal solche, die nicht in Arbeitsprozesse integriert sind, in Einsamkeit und Depression stößt, braucht man nicht auf Maßnahmen zu sinnen, die dem abhelfen.

Werth vertritt die auf die grenzenlose Durchführung der Marktgesellschaft setzende Richtung, die aus der Tatsache Gewinn zieht, daß die Kapitalismuskritik zwischen den Weltkriegen in den Nationalsozialismus verlockt hat. Auf dieser Seite wird die Tatsache ignoriert, daß nicht die tastenden und irrenden Versuche der Wissenschaft, der Entwurzelung und der Verelendung der Massen zu begegnen, Schuld am Nationalsozialismus waren, sondern diese Zustände selbst. Man neigt heute dazu, den Absturz in den Totalitarismus als Ergebnis ideologischer Verirrungen hinzustellen und über die verheerende soziale Situation, die ihn auslöste, hinwegzusehen. Durch diese einseitige Sichtweise erhält das manchesterliberale Laissez-faire eine unverdiente Aufwertung, die den sozialreformerischen Defätismus der Gegenwart begünstigt. Denn ebenso wie die Weimarer Republik stehen wir vor der Frage, ob die zerstörerischen Auswirkungen der Marktgesetze durch sozialstaatliche Interventionen gehemmt werden sollen.

Die gegenwärtige Jagd auf den Antimodernismus stellt jeden Versuch, den Auswüchsen des Kapitalismus zu wehren, als Vorbereitung des Totalitarismus hin. Die Dinge werden heute so dargestellt, als seien alle diejenigen, die gegenüber dem Manchenstertum einen sozialen Standpunkt vertraten, soweit sie nicht gerade Kommunisten waren, als Nazi-Vorläufer anzusehen. Diese Richtung übersieht, daß auch sie selbst ein mit Politik und Wirtschaft untrennbar verwobenes Stück Geistesgeschichte ist - und sollte der Manchesterliberalismus einmal kollabieren, wird ihre Theorie sich gegen den Vorwurf verteidigen müssen, ein "agitatorisch optimal verwertbares Modell" gewesen zu sein.

Werth tutet in das große Horn, mit dem heute vor möglichen Versuchen, den Kapitalismus durch staatliche Intervention sozial zu bändigen, schon vorbeugend gewarnt wird. Alle Richtungen, die zwischen Kapitalismus und Sozialismus vermitteln wollen, werden als totalitär verdächtig in einen Topf geworfen, der "dritter Weg" heißt. Eine Weimarer Richtung, die beim besten Willen nicht in den reaktionären Topf paßt, stört das Bild und wird deshalb übergangen: der von Eucken, Rüstow und Röpke vorgetragene Ordoliberalismus, der sich 1932 im "Verein für Socialpolitik" vorstellte und das Konzept der "Sozialen Marktwirtschaft" entwickelte, das nach 1945 vorübergehend Einfluß gewann. Auch dieses antimonopolistische, auf die Verbesserung der Vitalsituation der Massen ausgerichtete Konzept war ein "dritter Weg", und zwar ein guter, uns bis heute vorgegebener. SIBYLLE TÖNNIES

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