Produktdetails
  • Verlag: Droste
  • Seitenzahl: 224
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 352g
  • ISBN-13: 9783770011827
  • ISBN-10: 3770011821
  • Artikelnr.: 12848461
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2004

Linksblinker
Hermann-Josef Arentz ruft der Union ins Gewissen: Rettet das christlich-soziale Tafelsilber!

Hermann-Josef Arentz: Sozialstaat im Härtetest. Droste-Verlag, Düsseldorf 2004, 224 Seiten, 16,95 Euro.

Das Schlechteste an diesem Buch ist sein Titel: "Sozialstaat im Härtetest." Daß die sozialen Sicherungssysteme erodieren, ist hinlänglich bekannt. Und den alarmierenden Lagebeschreibungen, die man in Dutzenden von Parteitagsreden, Bundestagsdebatten oder wissenschaftlichen Symposien schon so oder ähnlich gehört hat, braucht man wirklich keine weiteren - wenn auch sachkundige und mit einprägsamen Formulierungen gespickte - hinzuzufügen. Wer zum Buch von "He-Jo" Arentz greift, den interessiert nicht die Diagnose, sondern die Therapie, die der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) empfiehlt: Wie läßt sich "soziale Gerechtigkeit" in Zeiten der Globalisierung buchstabieren? Kann man die Sozialsysteme reformieren, wenn man nur den Weg des geringsten politischen Widerstands im Sinn hat? Der Streit zwischen CDU und CSU um die Gesundheitspolitik hat gezeigt, zu welchen Verrenkungen das führen kann. "Union im Härtetest" wäre womöglich ein lohnenderer Titel gewesen; er wäre jedenfalls den Erwartungen gerecht geworden, die man vor dem Düsseldorfer Parteitag der CDU an die Schrift eines ihrer profiliertesten Sozialpolitiker stellen darf.

Der Leser kann daher getrost die beiden Kapitel überspringen, in denen Arentz den Weg Deutschlands vom Frühkapitalismus zur Sozialen Marktwirtschaft nachzeichnet und eine mit vielen Daten und Zahlen begründete Situationsanalyse abliefert, um vielmehr gleich zum Kern der "christlich-sozialen Reformperspektive für das 21. Jahrhundert" vorzustoßen, die zu skizzieren der Autor verspricht. Um es vorwegzunehmen: Es bleibt bei einer Skizze. Diese liest sich zwar flott, aber sie kommt ein wenig zu unpersönlich daher, um als ein mit Leidenschaft geschriebenes Vermächtnis eines Herz-Jesu-Politikers durchzugehen. Auch läßt sie zu viele entscheidende Fragen unbeantwortet, um als praktikable Blaupause für einen systematischen Umbau der Sozialsysteme dienen zu können. Arentz verliert sich nicht in Details und in Finanzierungsfragen, sondern versucht sich an einem Mittelweg zwischen der "marxistischen Verstaatlichung" und der "neoliberalen Verwirtschaftlichung des Menschen". Ausgangspunkt dieser Reise ist kein Weltbild, sondern ein Menschenbild.

An dessen christlichen Leitplanken "Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit" und Nächstenliebe wandert Arentz entlang. Doch statt die Ziele zu definieren, die Strecke bis dahin genau zu durchmessen und in eine schlüssige Wegbeschreibung zu gießen, begnügt er sich mit holzschnittartigen Wegweisern: dem Ruf nach einem aktiven Staat, der seinen Bürgern einen Rechtsanspruch auf soziale Sicherheit gewährt, sie zugleich aber zur Eigenverantwortung ermuntert; nach einer Stärkung der Familie; nach Mitbestimmung und Beteiligung der Arbeitnehmer; nach schärferer Managerhaftung und einem energischen Kampf gegen Schwarzarbeit und Steuerbetrug (aus dessen Milliardenerlösen nahezu alle Vorhaben finanziert werden sollen).

Arentz' Stärke liegt in der Diagnose - zum Beispiel, wenn er die vielfältigen Diskriminierungen und Benachteiligungen von Familien enthüllt oder das Versagen des Staates in der Bildungspolitik geißelt, der einen riesigen Reparaturbetrieb organisiert, statt die Schulen und Kindergärten besser zu machen. Seine Therapievorschläge sind dagegen von unterschiedlicher Güte - durchaus realitätsnah in der Bildungspolitik, doch in der Familienpolitik treiben sie ebenso radikale (Einführung des Kinderwahlrechts) wie bürokratisch-pittoreske Blüten (ein Kinder-TÜV für alle Gesetze, die Umbenennung des Familienministeriums in Kinderministerium, ein Nationales Bündnis für Kinder unter Vorsitz des Bundespräsidenten, eine Nationalstiftung Kinder und ein jährlicher Kinderförderbericht). Ihre Realisierung ist folglich kaum zu erwarten.

Arentz will nicht Aufbruchsstimmung erzeugen, sondern zur Besinnung rufen. Er appelliert nicht an die Veränderungsbereitschaft und den Reformwillen der Bürger, sondern an deren Gemeinsinn und ihre Moral. Das Buch ist kein detaillierter Bauplan für das Deutschland des 21. Jahrhunderts, das sich im globalen Wettbewerb behaupten kann, sondern eine interne Handreichung für den Politikbetrieb, eine Warnung an die Union, das Tafelsilber ihrer sozialpolitischen Tradition nicht zu verscherbeln und zur großen Schwester der FDP zu mutieren. "Die Menschen müssen wissen: Wenn die Union regiert und reformiert, geht es gerecht zu", mahnt Arentz. "Das Geheimnis der Gerechtigkeit bei Reformen ist ganz einfach: Wir dürfen den Menschen, die wenig haben, nicht mehr zumuten als denen, die viel haben." So spricht ein um den nächsten Wahlsieg bangender Verteilungspolitiker, kein visionärer Staatsmann.

Vor allem aber dürfe es die Union nie so machen wie die Schröder-SPD 2002: "Vor der Wahl links blinken, nach der Wahl rechts abbiegen." Auch das sagt sich schön. Was Arentz übersieht: Auch die Merkel-CDU hat längst die Rechtskurve eingeschlagen. Wenn er dennoch unverdrossen links blinkt, erzwingt er keinen Richtungswechsel, sondern riskiert den Führerscheinentzug.

NICO FICKINGER

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