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Karl Mannheim zählt zu den Klassikern der Soziologie, sein Schlagwort vom »freischwebenden Intellektuellen« hat über die Fachgrenzen hinaus Bekanntheit erlangt. Der Band versammelt einen bislang unveröffentlichten, von Mannheim auf Deutsch verfassten Essay zur Theorie der Intellektuellen sowie seinen Aufsatz »Das Problem der Intelligenz« in deutscher Erstübersetzung. Insbesondere die darin angestellten Überlegungen zur Rolle der »Intelligentsia« in öffentlichen Debatten sind von ungebrochener Aktualität, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zeitgenössischen »Krise der Demokratie«.

Produktbeschreibung
Karl Mannheim zählt zu den Klassikern der Soziologie, sein Schlagwort vom »freischwebenden Intellektuellen« hat über die Fachgrenzen hinaus Bekanntheit erlangt. Der Band versammelt einen bislang unveröffentlichten, von Mannheim auf Deutsch verfassten Essay zur Theorie der Intellektuellen sowie seinen Aufsatz »Das Problem der Intelligenz« in deutscher Erstübersetzung. Insbesondere die darin angestellten Überlegungen zur Rolle der »Intelligentsia« in öffentlichen Debatten sind von ungebrochener Aktualität, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zeitgenössischen »Krise der Demokratie«.
Autorenporträt
Karl Mannheim (1893-1947) war Philosoph und Soziologe, der u. a. in Heidelberg, Frankfurt am Main und London lehrte. Er gilt als einer der Begründer der Wissenssoziologie.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Gerald Wagner sagt deutlich, dass er die beiden erstmals ins Deutsche übersetzten Vorlesungen des 1947 in London gestorbenen Soziologen Karl Mannheim mit spitzen Fingern angefasst hat. Die vom Verlag angekündigte "ungebrochene Aktualität" der an die 90 Jahre alten Thesen über Intelligenz, Individualität und das Ende eines einheitlichen Weltbildes, kann Wagner denn auch nach der Lektüre nicht nachvollziehen. Allerdings seien die "Strukturen" von denen Mannheim spreche, heute womöglich wichtiger denn je, so der Rezensent. Sie erinnerten zum einen daran, wie wichtig die Neugierde von Forschern sei, um die jeweils relevanten Fragen zu stellen. Aber deutlich wird Wagner auch, dass "fundierte Gesellschaftsdiagnosen" nur mit echtem historischem Wissen über ihren Gegenstand möglich sind. Ganz offensichtlich ist der Rezensent mit Mannheim sehr wehmütig geworden.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.2023

Es schwebt die Intelligenz nicht einfach von allein
Als die Diagnose zersplitterter Weltanschauungen auf den Plan trat: Ein Band präsentiert kultursoziologische Schriften Karl Mannheims

Spricht es für soziologische Texte aus den frühen Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, wenn deren erstmalige Publikation mit ihrer "ungebrochenen Aktualität" beworben wird? Man müsste schon einen gesellschaftlichen Wandel historischen Ausmaßes ignorieren, wenn man dieses Urteil auf die empirischen Befunde von fast neunzig Jahre alten Publikationen bezieht. Die Aktualität dieser Texte kann sich nur auf ihre Fragen beziehen, auf ein sich darin artikulierendes Forschungsinteresse, das auch für die heutige Soziologie immer noch relevant ist.

Aber gibt es noch eine "Intelligentsia", und was wäre ihr Problem? Im Wintersemester 1931/32 war diese Frage für Karl Mannheim selbstverständlich ein Problem, darum hielt er dazu an der Universität Frankfurt eine Vorlesung. Erschienen ist der daraus hervorgegangene Text "The Problem of the Intelligentsia" allerdings erst posthum 1956. Gemeinsam mit einem zweiten, bisher unveröffentlichten Text zur gleichen Problematik, den Mannheim 1934/35 im englischen Exil verfasste, hat Oliver Neun ihn jetzt erstmals auf Deutsch veröffentlicht. Im Sinne eines leichteren Zugangs zum Gesamtwerk Mannheims ist das begrüßenswert, aber woran ließe sich die Bedeutung dieser Arbeiten begründen, die über ein fachhistorisches Interesse an dem Klassiker der Wissenssoziologie hinausginge?

Wenn Mannheim etwa den "wichtigen Trend" der modernen Gesellschaft extra hervorhebt, dass jede Gruppe dazu neige, "ihre eigene Perspektive zu entwickeln und sich der öffentlichen Auslegung der bestehenden Ordnung nicht verpflichtet zu fühlen", wirkt die Zeitgebundenheit der Texte recht antiquarisch. Dass sich Mannheim über die "zersplitterten Weltanschauungen" der zeitgenössischen Intelligenz ohne ein "vorherrschendes einheitliches Weltbild" noch entsprechend sorgt, ist ihm nicht vorzuwerfen, sondern Ergebnis des historischen Befundes der Neuheit des Phänomens. "Säkularisierung und Multipolarität der Ansichten" seien Folge der Tatsache, dass die Gruppe der Gelehrten "ihre Kastenorganisation und ihr Vorrecht, verbindliche Antworten auf die Fragen der Zeit zu formulieren", verloren habe.

Was Mannheims Zeitdiagnose, "nämlich dass wir keine Wahrheit haben", dabei vor Nostalgie schützt, ist sein soziologischer Befund: Dann braucht man eben gesellschaftliche Institutionen, die diese Unverbindlichkeit der Antworten zumindest vor gänzlicher Beliebigkeit schützen. Das ist das eigentliche Problem der Intelligenz, oder wie wir heute sagen würden, des öffentlichen Diskurses unter Beteiligung von Angehörigen dafür hinreichend qualifizierter Gruppen.

Zur Lektüre empfehlen sollte man die Texte Mannheims daher allen, die sich über diese Qualifikationen Gedanken machen, ja vielleicht sogar sorgen. Etwa heutigen Soziologiestudenten, also mutmaßlich baldigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes, weil man hier von Mannheim zunächst einmal lernen kann, was fundierte Gesellschaftsdiagnosen ausmacht: dass sie auf dem Fundament eines belastbaren historischen Wissens von ihrem Gegenstand beruhen. Bevor Mannheim sich nämlich zur Gegenwart des "Klasseninteresses und Klassenbewusstseins" der Intellektuellen und dann zu den "Überlebenschancen" dieser Gruppen äußert, auf deren "Schultern der freie intellektuelle Prozess" ruht, hat er seinen Gegenstand in der griechischen Polis, der römischen Republik und schließlich in den Klöstern der Renaissance erforscht.

Das bringt ihn zu der Warnung, dass wir uns nicht der Illusion hingeben sollten, dass das "freie Denken und die freie Forschung eine lange und beeindruckende Geschichte" gehabt hätten. Für Mannheim war das "relativ freie Schweben" der Intelligenz ein vergänglicher und auf einige kurze historische Zwischenspiele beschränkter Prozess, der möglicherweise an seinen Endpunkt gekommen ist. Er zeigt, dass dieser Prozess ganz bestimmte gesellschaftliche Bedingungen braucht, um eine Zukunft zu haben.

Nun befinden wir uns in dieser Zukunft, und die andauernde Bedeutung von Mannheims Befunden könnte darin liegen, dass er hier von Strukturen spricht, die zweifellos nichts an Aktualität verloren haben. Die "Bildung" etwa sei einer der wichtigsten Bereiche, in denen der "Forschergeist" abnähme. "Ein öffentlicher Dienst", kritisierte Mannheim, "der keine eigene Intelligenz ausbilde", besiege sich auf lange Sicht selbst. Die Absolventen der Hochschulen würden vom öffentlichen Dienst mit seinen "trägen Konventionen" rasch assimiliert, um ihren "Willen zum Widerspruch und Innovation zu lähmen". Ob die Folge dieses Prozesses, nämlich die intellektuelle Austrocknung der Intelligenz im öffentlichen Dienst und damit vielleicht der Öffentlichkeit im Ganzen, noch umkehrbar ist, wäre dann die aktuelle Form des "Problems der Intelligenz". GERALD WAGNER

Karl Mannheim: "Soziologie der Intellektuellen". Schriften zur Kultursoziologie.

Hrsg. und mit einem Nachwort von Oliver Neun. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 236 S., br., 20,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Mannheim ist ein Klassiker der Soziologie und als solcher stets lesenswert, zumal er zu den wichtigen Diagnostikern der modernen Massengesellschaft gehört und dabei auch über die Rolle der Intelligenz in der Demokratie reflektiert.« Till Kinzel Informationsmittel für Bibliotheken 20230124