AEG, Coca-Cola, Milka, Siemens, Telekom - Marken dieser Art bevölkern unseren Alltag auf eine so selbstverständliche Weise, daß es uns kaum noch auffällt, obgleich sie allgegenwärtig sind. Ob Sach- oder Dienstleistung, ständig greifen wir auf sie zurück, verlassen uns auf sie und vertrauen uns ihnen an. Soziologisch stellt dies ein hochinteressantes Phänomen dar. Aber wie lassen sich Marken soziologisch beschreiben? Bisher lag es in der Zuständigkeit des Marketing, sich wissenschaftlich mit Marken zu beschäftigen. In der vorliegenden Studie wird ein Forschungsprogramm vorgelegt, mit dem sich das Phänomen "Marke" - verstanden als eine spezifische Form von Kommunikation - auch für die Soziologie erschließt. Anhand zentraler Konzepte der Wirtschaftssoziologie wie Markt, Werbung und Konsum werden erste Anschlußmöglichkeiten erarbeitet. Ziel ist die Entwicklung einer eigenständigen Soziologie der Marke.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.2004Kinderkönig Kunde
Kai-Uwe Hellmann hat an einer Soziologie der Marke gebastelt
Betriebswirte und Kulturkritiker leben in der Gewißheit, Schlüssel zum Konsumverhalten zu besitzen. Bei den einen liest sich das in den vielen herrlichen Zitaten der vorliegenden Abhandlung von Kai-Uwe Hellmann so: "Die Masse läßt sich gutwillig erst dann etwas befehlen, wenn sie sich vorher freiwillig unterworfen zu haben glaubt. Die Masse braucht den Glauben an die eigene Initiative. Sie will erst selber eine Marke anerkennen, an der sie dann wie an ihrem eigenen Erzeugnis oder an ihrer Entdeckung hängt."
Gut gesehen, möchte man sagen und sich erkundigen, ob 1939, als das so formuliert wurde, auch politische Erfahrungen in die Theorie der Markenware eingegangen sind. Anonyme Käufermassen zu domptieren war seit dem letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts zunehmend das Geschäft der Verkäufer geworden. Der Übergang zu Käufermärkten hatte gelehrt, daß Produktion nicht alles ist und wenn der letzte Ingenieur das Werkstück aus der Hand gibt, die Probleme erst anfangen.
Man muß, um des Absatzes willen, auf etwas einwirken, auf das man, weil es sich außerhalb der Firma befindet und kaum bekannt ist, gar nicht einwirken kann. Jedenfalls nicht so wie auf Stahl, Mehl oder Baumwolle. Die Seele: ein Rätsel. Aber die Ware auch. "Ein Markenartikel wird wahrgenommen wie eine Persönlichkeit", heißt es in einem nicht minder herrlichen absatzwirtschaftlichen Zitat, diesmal aus dem Jahr 1984. In der Fassung von 1939: "Man tut gut daran, Marken als beseelte Wesen anzusehen."
Vielleicht sagt das mehr über das Verständnis der jeweiligen Betriebswirte von Seele. Womöglich bezeugt es aber auch nur, daß auf prominente Waren die vielen Assoziationen abfärben, die Käufer zu ihnen haben. Und die der Verkaufsabteilungen: Was fällt einem, wenn man Einfälle haben muß, nicht alles zu einer Fertigbrühe, einem Pfefferminzdrops oder einer Bandnudel ein? Maggi, Vivil, Birkel - die bekanntesten deutschen Marken sind mehr als einhundert Jahre alt, und allein das macht sie zu Trägern von Geschichten und Auslösern von Erinnerungen. Eine Marke zu schaffen heißt insofern, in ein Echo hineinzurufen, das schon da ist. Kunden brauchen Märchen.
Sind die Kunden im Konsum also Kinder? Kai-Uwe Hellmann zögert. Er zögert mehr als vierhundert Seiten lang. Seine Soziologie der Markenprodukte schleppt alles mögliche Material zur Deutung dieses Konsum- und Werbemusters heran. Keine Seite dieses Buches, die bei seinem Thema bleibt - es gibt viele andere, die, nach akademischem Usus und vom Lektorat wie immer durchgewinkt, Endlosreferate über Grundbegriffe der Soziologie halten -, keine Seite wendet man, ohne interessante Fragen über unser alltägliches Dahinleben mitzunehmen. Bei den Antworten verhält sich der Autor aber unentschieden, weil er alle jemals geäußerten Ansichten zu Marken in seinen Befund mitaufnehmen möchte. Darum sind die Kunden einerseits Kinder, andererseits Souveräne. Die richtige Erkenntnis, was den Konsumenten bewegt, führt einerseits auf eine Technik, andererseits kann diese nicht funktionieren. Die Marken sind nützlich, weil sie Orientierungsfragen beantworten, aber auch völlig verwerflich, weil diese Fragen falsch gestellt sind, um nur in Abhängigkeiten zu führen.
Weil sich der Autor nicht entscheiden kann, was es mit den Marken denn nun genau auf sich hat, zitiert er Sprüche aus den Marketingabteilungen, als seien es wissenschaftliche Befunde. Die "Ökonomie der Marke", die den ersten Teil des Buches ausmacht, besteht neben einer lesenswerten Kurzgeschichte des Demonstrativkonsums fast nur aus solchen Selbstauslegungen der Absatzbranche.
Darum kommt es zu werbetechnisch naheliegenden, ökonomisch aber eigenartigen Aussagen wie beispielsweise der, daß bei Markenprodukten der Preis dem tatsächlichen Wert entspricht. Die einschlägige mikroökonomische Theorie weiß es besser, denn natürlich muß der Kunde für die Leistung der Marke, Qualität zu garantieren und zu signalisieren, eigens bezahlen. Die vertrauensbildenden Maßnahmen unter Einsatz von Kate Moss und Frau Antje sind ja nicht umsonst.
Viele konkrete Fragen werden gar nicht erst gestellt: Wie kommt es etwa, daß manche Märkte, wie der Automarkt, nur aus Markenprodukten bestehen, die fünf Dutzend Spaghettifertigsoßen hingegen, die es gibt, aber nur so schwer erinnerlich sind? Auch über Märkte, auf denen es wenige Marken gibt, hätte man gern mehr gewußt als die kuriose Ansicht, daß der Kaffeemarkt einer von ihnen ist, weil Kaffee zu den Stapelgütern gehöre. Frau Sommer von Jacobs würde sich wundern. Und was ist eigentlich aus den No-name-Produkten geworden? Und wie verträgt sich die Existenz der Waren bei Aldi mit der behaupteten Unentbehrlichkeit des Markenwesens?
Hellmanns These, daß Marken das Täuschungsrisiko beim Kauf herabsetzen und für mehr Marktübersicht sorgen und den Konsumenten bei der Präferenzbildung helfen und zu ihrem Lebensstil gehören und das Mißtrauen gegenüber Werbung ausgleichen und die Anonymität des Geldmechanismus kompensieren, weist der Existenz von Milka-Schokolade ziemlich viele soziale Funktionen zu. Es gibt für ihn sogar ein "System der Marken". Man wird den Eindruck nicht los, daß er auf seine Gedanken nicht beim Einkaufen oder durch sonstige empirische Anschauung der Wirtschaft gekommen ist, sondern daß sie dem klassifikatorischen Bedürfnis entspringen, die Systemtheorie irgendwie an seinem Gegenstand anzubringen. Weil es aber mehr systemtheoretische Grundbegriffe gibt als Spaghettisoßen, wüßte man am Ende, allen interessanten Belegen und Denkanstößen zum Trotz, mehr über die Marken, wenn der Autor nicht so viel über sie gesagt hätte.
JÜRGEN KAUBE
Kai-Uwe Hellmann: "Soziologie der Marke". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 531 S., br., 17,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kai-Uwe Hellmann hat an einer Soziologie der Marke gebastelt
Betriebswirte und Kulturkritiker leben in der Gewißheit, Schlüssel zum Konsumverhalten zu besitzen. Bei den einen liest sich das in den vielen herrlichen Zitaten der vorliegenden Abhandlung von Kai-Uwe Hellmann so: "Die Masse läßt sich gutwillig erst dann etwas befehlen, wenn sie sich vorher freiwillig unterworfen zu haben glaubt. Die Masse braucht den Glauben an die eigene Initiative. Sie will erst selber eine Marke anerkennen, an der sie dann wie an ihrem eigenen Erzeugnis oder an ihrer Entdeckung hängt."
Gut gesehen, möchte man sagen und sich erkundigen, ob 1939, als das so formuliert wurde, auch politische Erfahrungen in die Theorie der Markenware eingegangen sind. Anonyme Käufermassen zu domptieren war seit dem letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts zunehmend das Geschäft der Verkäufer geworden. Der Übergang zu Käufermärkten hatte gelehrt, daß Produktion nicht alles ist und wenn der letzte Ingenieur das Werkstück aus der Hand gibt, die Probleme erst anfangen.
Man muß, um des Absatzes willen, auf etwas einwirken, auf das man, weil es sich außerhalb der Firma befindet und kaum bekannt ist, gar nicht einwirken kann. Jedenfalls nicht so wie auf Stahl, Mehl oder Baumwolle. Die Seele: ein Rätsel. Aber die Ware auch. "Ein Markenartikel wird wahrgenommen wie eine Persönlichkeit", heißt es in einem nicht minder herrlichen absatzwirtschaftlichen Zitat, diesmal aus dem Jahr 1984. In der Fassung von 1939: "Man tut gut daran, Marken als beseelte Wesen anzusehen."
Vielleicht sagt das mehr über das Verständnis der jeweiligen Betriebswirte von Seele. Womöglich bezeugt es aber auch nur, daß auf prominente Waren die vielen Assoziationen abfärben, die Käufer zu ihnen haben. Und die der Verkaufsabteilungen: Was fällt einem, wenn man Einfälle haben muß, nicht alles zu einer Fertigbrühe, einem Pfefferminzdrops oder einer Bandnudel ein? Maggi, Vivil, Birkel - die bekanntesten deutschen Marken sind mehr als einhundert Jahre alt, und allein das macht sie zu Trägern von Geschichten und Auslösern von Erinnerungen. Eine Marke zu schaffen heißt insofern, in ein Echo hineinzurufen, das schon da ist. Kunden brauchen Märchen.
Sind die Kunden im Konsum also Kinder? Kai-Uwe Hellmann zögert. Er zögert mehr als vierhundert Seiten lang. Seine Soziologie der Markenprodukte schleppt alles mögliche Material zur Deutung dieses Konsum- und Werbemusters heran. Keine Seite dieses Buches, die bei seinem Thema bleibt - es gibt viele andere, die, nach akademischem Usus und vom Lektorat wie immer durchgewinkt, Endlosreferate über Grundbegriffe der Soziologie halten -, keine Seite wendet man, ohne interessante Fragen über unser alltägliches Dahinleben mitzunehmen. Bei den Antworten verhält sich der Autor aber unentschieden, weil er alle jemals geäußerten Ansichten zu Marken in seinen Befund mitaufnehmen möchte. Darum sind die Kunden einerseits Kinder, andererseits Souveräne. Die richtige Erkenntnis, was den Konsumenten bewegt, führt einerseits auf eine Technik, andererseits kann diese nicht funktionieren. Die Marken sind nützlich, weil sie Orientierungsfragen beantworten, aber auch völlig verwerflich, weil diese Fragen falsch gestellt sind, um nur in Abhängigkeiten zu führen.
Weil sich der Autor nicht entscheiden kann, was es mit den Marken denn nun genau auf sich hat, zitiert er Sprüche aus den Marketingabteilungen, als seien es wissenschaftliche Befunde. Die "Ökonomie der Marke", die den ersten Teil des Buches ausmacht, besteht neben einer lesenswerten Kurzgeschichte des Demonstrativkonsums fast nur aus solchen Selbstauslegungen der Absatzbranche.
Darum kommt es zu werbetechnisch naheliegenden, ökonomisch aber eigenartigen Aussagen wie beispielsweise der, daß bei Markenprodukten der Preis dem tatsächlichen Wert entspricht. Die einschlägige mikroökonomische Theorie weiß es besser, denn natürlich muß der Kunde für die Leistung der Marke, Qualität zu garantieren und zu signalisieren, eigens bezahlen. Die vertrauensbildenden Maßnahmen unter Einsatz von Kate Moss und Frau Antje sind ja nicht umsonst.
Viele konkrete Fragen werden gar nicht erst gestellt: Wie kommt es etwa, daß manche Märkte, wie der Automarkt, nur aus Markenprodukten bestehen, die fünf Dutzend Spaghettifertigsoßen hingegen, die es gibt, aber nur so schwer erinnerlich sind? Auch über Märkte, auf denen es wenige Marken gibt, hätte man gern mehr gewußt als die kuriose Ansicht, daß der Kaffeemarkt einer von ihnen ist, weil Kaffee zu den Stapelgütern gehöre. Frau Sommer von Jacobs würde sich wundern. Und was ist eigentlich aus den No-name-Produkten geworden? Und wie verträgt sich die Existenz der Waren bei Aldi mit der behaupteten Unentbehrlichkeit des Markenwesens?
Hellmanns These, daß Marken das Täuschungsrisiko beim Kauf herabsetzen und für mehr Marktübersicht sorgen und den Konsumenten bei der Präferenzbildung helfen und zu ihrem Lebensstil gehören und das Mißtrauen gegenüber Werbung ausgleichen und die Anonymität des Geldmechanismus kompensieren, weist der Existenz von Milka-Schokolade ziemlich viele soziale Funktionen zu. Es gibt für ihn sogar ein "System der Marken". Man wird den Eindruck nicht los, daß er auf seine Gedanken nicht beim Einkaufen oder durch sonstige empirische Anschauung der Wirtschaft gekommen ist, sondern daß sie dem klassifikatorischen Bedürfnis entspringen, die Systemtheorie irgendwie an seinem Gegenstand anzubringen. Weil es aber mehr systemtheoretische Grundbegriffe gibt als Spaghettisoßen, wüßte man am Ende, allen interessanten Belegen und Denkanstößen zum Trotz, mehr über die Marken, wenn der Autor nicht so viel über sie gesagt hätte.
JÜRGEN KAUBE
Kai-Uwe Hellmann: "Soziologie der Marke". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 531 S., br., 17,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wirklich gefallen haben Rezensent Jürgen Kaube an diesem Buch von Kai-Uwe Hellmann nur die "vielen herrlichen Zitate". Er hat zwar auch einige Denkanstöße mitnehmen können, doch "allen Belegen und Denkanstößen zum Trotz", würde man, schreibt Kaube, am Ende doch mehr über Marken wissen, "wenn der Autor nicht so viel über sie gesagt hätte". Denn der Eindruck des Rezensenten ist, dass Hellmann auf seine Gedanken nicht beim Einkaufen etwa "oder durch sonstige empirische Anschauung" gekommen ist, sondern dass sie dem Bedürfnis Hellmanns entsprungen sind, die Systemtheorie "irgendwie an seinem Gegenstand anzubringen". So würden dann viele konkrete Fragen gar nicht gestellt, etwa warum es auf manchen Märkten nur wenige Marken gibt, und bei der Beantwortung der vielen aufgeworfenen Fragen, verhalte der Autor sich stets unentschieden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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