Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.2011Der letzte Schrei auf dem Mond
Ein Pfund Schweiß in jedem Bein: Nicholas de Monchaux blättert durch den Katalog der Astronauten-Mode
Die Vorstellung, ein Raumschiff zu verlassen und sich schwerelos in den freien Raum zu begeben, ist meistens mit Leichtigkeit verbunden, zumal man in der Schwerelosigkeit kein Gewicht hat. Aber leicht ist ein solcher Ausflug ganz und gar nicht. Die Befreiung von der Schwerkraft und von dem schützenden Raumschiff hat sich der Mensch mit einem Raumanzug erkaufen müssen, der ein außerordentlich komplexes internes System beinhaltet - in erster Linie natürlich für die Zirkulation von Luft und die Zufuhr von Wasser, aber auch für viele andere Funktionen. Allein das Thema "Schweiß" zu bewältigen hat die Hersteller der Raumanzüge ins Schwitzen gebracht.
Bei dem Flug von Gemini 9 im Jahr 1966 sollte der Astronaut Gene Cernan die Tücken eines Raumanzugs besonders drastisch zu spüren bekommen. Dabei war sein Anzug besonders schick, erstmals, wenngleich nur im Beinbereich, silbrig glänzend, als sei er der Kommandant eines Science-Fiction-Weltraumgeschwaders. Die metallischen Beine sollten ihn vor den heißen Rückstoßgasen der "Astronaut Maneuvering Unit" schützen, eines Handgeräts, das ihm außerhalb des Gemini-Raumschiffs Flexibilität bei den Bewegungen verschaffte. Doch gerade wegen der metallischen Beinkleider war der Ausflug in den freien Weltraum für Cernan besonders anstrengend, der Astronaut verlor bei seiner Mission zehneinhalb Pfund Gewicht - und sein Schweiß sammelte sich im undurchlässigen Raumanzug an. Nach der Rückkehr zur Erde entfernten die Techniker allein aus jedem Bein des Anzugs ein Pfund Schweiß, der Raumfahrer hatte bis dahin arg gelitten.
Sich einen Kokon für Ausflüge in menschenfeindliche Regionen zu schaffen war keine neue Idee, als die bemannte Raumfahrt begann. Taucher waren längst in Tauchanzügen in die Meere getaucht - aber das war viel leichter, als in den Weltraum zu fliegen. Der Druckunterschied vom Innern des Schutzanzugs ist zum Vakuum des freien Raums erheblich größer als zum Wasser in Tauchtiefe. Der Tauchanzug würde seinen Träger im Weltraum zu unbeweglich machen. Das wussten schon die ersten Piloten, die in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts mit kleinen Flugzeugen in größere Höhen aufsteigen wollten, ohne - vorübergehend oder dauerhaft - körperliche Schäden zu erleiden. 1934 unternahm Wiley Post in den Vereinigten Staaten Tests mit einem Gummianzug und einem Zylinderhelm, der vorne ein Fenster zum Sehen hatte. Nicholas de Monchaux schildert in dem Buch "Spacesuit - Fashioning Apollo" über die Geschichte der bei den Apollo-Mondflügen getragenen Raumanzüge auf spannende Weise auch die Wurzeln dieser Technik.
Der bemannte Flug zum Mond hat für die Schöpfer der Raumanzüge vor ganz neue Herausforderungen gestellt. Die Anzüge mussten unter anderem Hitze und die Einschläge von Mikrometeoriten überstehen, sie mussten auch einander widersprechenden Anforderungen genügen. Die Bewegung auf dem Mond verlangte eigentlich aus Gründen der Sicherheit - damit die Astronauten zum Beispiel auch einen Sturz überlebten - breite Schultern, die wiederum nicht in die enge Mondlandefähre gepasst hätten. Bei der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa stellte man sich zunächst "harte" Raumanzüge wie in den früheren Science-Fiction-Filmen mit metallischen Gelenken vor. Als Hauptauftragnehmer wurde das Unternehmen Litton Industries geworben, das als Unterauftragnehmer für die eigentliche Entwicklung die International Latex Corporation (ILC) - Playtex - heranzog. Damit waren Streitigkeiten programmiert.
Die ILC hatte sich durch ihre Miederwaren und Büstenhalter aus Latex einen Namen gemacht. Latex stand bald nach dem Zweiten Weltkrieg für die neue Mode, die seit 1947 vor allem mit Christian Dior verbunden war. Latex-Druckanzüge waren zwischen den beiden Weltkriegen auch in der Fliegerei verwendet worden. Dior hat einmal gesagt: "Ohne Stützen kann es keine Mode geben." Dieser von Playtex immer wieder verwirklichte Leitsatz ließ jetzt die Mode in die Raumfahrt einfließen. Playtex setzte dem Schutz und der Steifheit des harten Raumanzugs die Weichheit und die Verschmelzung mit dem Körper entgegen, die nun das Ziel sein sollten. Angefertigt werden sollten die "weichen" Raumanzüge wie die andern Playtex-Produkte gleichsam handproduziert mit der Nähmaschine, was den Kontrolleuren der Nasa vollkommen zuwider war. Wie sollte man da die Qualitätsmerkmale überprüfen und zu Papier bringen?
Den resultierenden "Krieg", auch mit Litton Industries, hat Playtex haushoch gewonnen, was der Autor mit vielen lesenswerten Details belegt. Die Raumanzüge für die Mondfahrt, für jeden Astronauten körpergerecht einzeln und kaum anhand von Zahlen überprüfbar entworfen (was vollkommen den üblichen Regeln der Nasa widersprach), passten schließlich wie angegossen. Die Anzüge für die ersten Mondflüge hatten je einundzwanzig verschiedene Schichten aus unterschiedlichen Materialien, weshalb der Autor das Buch - das die Entwicklung des Raumanzugs in größere Themenkomplexe einordnet - sinnigerweise in einundzwanzig ebenso lehrreiche wie anschauliche Kapitel unterteilt hat. Von Apollo 15 an haben die Mondfahrer Anzüge mit je achtundzwanzig Schichten getragen.
GÜNTER PAUL.
Nicholas de Monchaux: "Spacesuit". Fashioning Apollo.
The MIT Press, Cambridge 2011. 250 S., geb., 25,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Pfund Schweiß in jedem Bein: Nicholas de Monchaux blättert durch den Katalog der Astronauten-Mode
Die Vorstellung, ein Raumschiff zu verlassen und sich schwerelos in den freien Raum zu begeben, ist meistens mit Leichtigkeit verbunden, zumal man in der Schwerelosigkeit kein Gewicht hat. Aber leicht ist ein solcher Ausflug ganz und gar nicht. Die Befreiung von der Schwerkraft und von dem schützenden Raumschiff hat sich der Mensch mit einem Raumanzug erkaufen müssen, der ein außerordentlich komplexes internes System beinhaltet - in erster Linie natürlich für die Zirkulation von Luft und die Zufuhr von Wasser, aber auch für viele andere Funktionen. Allein das Thema "Schweiß" zu bewältigen hat die Hersteller der Raumanzüge ins Schwitzen gebracht.
Bei dem Flug von Gemini 9 im Jahr 1966 sollte der Astronaut Gene Cernan die Tücken eines Raumanzugs besonders drastisch zu spüren bekommen. Dabei war sein Anzug besonders schick, erstmals, wenngleich nur im Beinbereich, silbrig glänzend, als sei er der Kommandant eines Science-Fiction-Weltraumgeschwaders. Die metallischen Beine sollten ihn vor den heißen Rückstoßgasen der "Astronaut Maneuvering Unit" schützen, eines Handgeräts, das ihm außerhalb des Gemini-Raumschiffs Flexibilität bei den Bewegungen verschaffte. Doch gerade wegen der metallischen Beinkleider war der Ausflug in den freien Weltraum für Cernan besonders anstrengend, der Astronaut verlor bei seiner Mission zehneinhalb Pfund Gewicht - und sein Schweiß sammelte sich im undurchlässigen Raumanzug an. Nach der Rückkehr zur Erde entfernten die Techniker allein aus jedem Bein des Anzugs ein Pfund Schweiß, der Raumfahrer hatte bis dahin arg gelitten.
Sich einen Kokon für Ausflüge in menschenfeindliche Regionen zu schaffen war keine neue Idee, als die bemannte Raumfahrt begann. Taucher waren längst in Tauchanzügen in die Meere getaucht - aber das war viel leichter, als in den Weltraum zu fliegen. Der Druckunterschied vom Innern des Schutzanzugs ist zum Vakuum des freien Raums erheblich größer als zum Wasser in Tauchtiefe. Der Tauchanzug würde seinen Träger im Weltraum zu unbeweglich machen. Das wussten schon die ersten Piloten, die in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts mit kleinen Flugzeugen in größere Höhen aufsteigen wollten, ohne - vorübergehend oder dauerhaft - körperliche Schäden zu erleiden. 1934 unternahm Wiley Post in den Vereinigten Staaten Tests mit einem Gummianzug und einem Zylinderhelm, der vorne ein Fenster zum Sehen hatte. Nicholas de Monchaux schildert in dem Buch "Spacesuit - Fashioning Apollo" über die Geschichte der bei den Apollo-Mondflügen getragenen Raumanzüge auf spannende Weise auch die Wurzeln dieser Technik.
Der bemannte Flug zum Mond hat für die Schöpfer der Raumanzüge vor ganz neue Herausforderungen gestellt. Die Anzüge mussten unter anderem Hitze und die Einschläge von Mikrometeoriten überstehen, sie mussten auch einander widersprechenden Anforderungen genügen. Die Bewegung auf dem Mond verlangte eigentlich aus Gründen der Sicherheit - damit die Astronauten zum Beispiel auch einen Sturz überlebten - breite Schultern, die wiederum nicht in die enge Mondlandefähre gepasst hätten. Bei der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa stellte man sich zunächst "harte" Raumanzüge wie in den früheren Science-Fiction-Filmen mit metallischen Gelenken vor. Als Hauptauftragnehmer wurde das Unternehmen Litton Industries geworben, das als Unterauftragnehmer für die eigentliche Entwicklung die International Latex Corporation (ILC) - Playtex - heranzog. Damit waren Streitigkeiten programmiert.
Die ILC hatte sich durch ihre Miederwaren und Büstenhalter aus Latex einen Namen gemacht. Latex stand bald nach dem Zweiten Weltkrieg für die neue Mode, die seit 1947 vor allem mit Christian Dior verbunden war. Latex-Druckanzüge waren zwischen den beiden Weltkriegen auch in der Fliegerei verwendet worden. Dior hat einmal gesagt: "Ohne Stützen kann es keine Mode geben." Dieser von Playtex immer wieder verwirklichte Leitsatz ließ jetzt die Mode in die Raumfahrt einfließen. Playtex setzte dem Schutz und der Steifheit des harten Raumanzugs die Weichheit und die Verschmelzung mit dem Körper entgegen, die nun das Ziel sein sollten. Angefertigt werden sollten die "weichen" Raumanzüge wie die andern Playtex-Produkte gleichsam handproduziert mit der Nähmaschine, was den Kontrolleuren der Nasa vollkommen zuwider war. Wie sollte man da die Qualitätsmerkmale überprüfen und zu Papier bringen?
Den resultierenden "Krieg", auch mit Litton Industries, hat Playtex haushoch gewonnen, was der Autor mit vielen lesenswerten Details belegt. Die Raumanzüge für die Mondfahrt, für jeden Astronauten körpergerecht einzeln und kaum anhand von Zahlen überprüfbar entworfen (was vollkommen den üblichen Regeln der Nasa widersprach), passten schließlich wie angegossen. Die Anzüge für die ersten Mondflüge hatten je einundzwanzig verschiedene Schichten aus unterschiedlichen Materialien, weshalb der Autor das Buch - das die Entwicklung des Raumanzugs in größere Themenkomplexe einordnet - sinnigerweise in einundzwanzig ebenso lehrreiche wie anschauliche Kapitel unterteilt hat. Von Apollo 15 an haben die Mondfahrer Anzüge mit je achtundzwanzig Schichten getragen.
GÜNTER PAUL.
Nicholas de Monchaux: "Spacesuit". Fashioning Apollo.
The MIT Press, Cambridge 2011. 250 S., geb., 25,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
The most delightful and memorable new book I read last year was 'Spacesuit,' by Nicholas de Monchaux ... [I]t offers a wonderful David & Goliath story about the triumph of Oldenburg-like soft objects over phallic, rigid ones, and of hard-working seamstresses over hard-nosed engineers. The New Yorker
Spacesuit pays worthy homage to that often overlooked but essential technology for human space exploration.
The Space Review
The density of ideas and connections is intoxicating. De Monchaux swings masterfully between subjects, teasing out unexpected connections and spotting the seeds of contemporary life that were planted by the space race.
Icon
De Monchaux has an ear for a good story and affection for the historical characters Spacesuit offers a broad and creative appraisal of that suit's many contexts, encouraging readers to consider technology as design, shaped by the circumstances of its time, unfailingly and elegantly layered and crafted to serve a purpose.
Nature
De Monchaux's thorough and artful history of the American spacesuit takes readers at a leisurely pace through the past, from the first air travel (via balloon) through fashions of the mid-20th century and manned missions into outer space.
Publishers Weekly
Spacesuit bursts with dinner-party fodder: Did you know that the U.S. government's documentation of the Bikini Atoll nuclear tests created a worldwide film shortage? Or that the Apollo mission's computer-backup system was crafted into a binary pattern that was then physically woven into ropes? And that only seamstresses could be called upon to do this work properly?
Los Angeles Review of Books
Spacesuit pays worthy homage to that often overlooked but essential technology for human space exploration.
The Space Review
The density of ideas and connections is intoxicating. De Monchaux swings masterfully between subjects, teasing out unexpected connections and spotting the seeds of contemporary life that were planted by the space race.
Icon
De Monchaux has an ear for a good story and affection for the historical characters Spacesuit offers a broad and creative appraisal of that suit's many contexts, encouraging readers to consider technology as design, shaped by the circumstances of its time, unfailingly and elegantly layered and crafted to serve a purpose.
Nature
De Monchaux's thorough and artful history of the American spacesuit takes readers at a leisurely pace through the past, from the first air travel (via balloon) through fashions of the mid-20th century and manned missions into outer space.
Publishers Weekly
Spacesuit bursts with dinner-party fodder: Did you know that the U.S. government's documentation of the Bikini Atoll nuclear tests created a worldwide film shortage? Or that the Apollo mission's computer-backup system was crafted into a binary pattern that was then physically woven into ropes? And that only seamstresses could be called upon to do this work properly?
Los Angeles Review of Books