Als der Ex-Häftling und Gelegenheitsdieb Sammy nach einem durchzechten Wochenende an einer Straßenecke aufwacht, kann er sich an die vergangenen zwei Tage kaum mehr erinnern. Auf dem Nachhauseweg provoziert er eine Schlägerei mit zwei Polizisten und wird unter Arrest gestellt. Dort wird er von den diensthabenden Beamten derart mißhandelt, daß er erblindet. Nach seiner Entlassung versucht Sammy verzweifelt, mit seiner neuen Situation fertig zu werden, die sich jedoch nach und nach zu einem regelrechten Alptraum entwickelt. Seine Freundin ist spurlos verschwunden, und in der gemeinsamen Wohnung findet er ein Lager mit gestohlenen Waren vor. Da die Amtsärzte Sammy nicht glauben, daß er wirklich blind ist, weigert sich das Sozialamt, ihn als bedingt erwerbsfähig einzustufen und seine Bezüge anzuheben. Und zu allem Überfluß überwacht ihn die Polizei, da sie glaubt, Sammy habe Kontakt zu einer politischen Untergrundorganisation ... Wenn er sich nur daran erinnern könnte, was an besagtem Wochenende wirklich vorgefallen ist.
Einfühlsam und mit verzweifeltem Witz schildert James Kelman eine Grenzsituation des Schicksals, in der die Absurdität der menschlichen Existenz mit voller Wucht zu Tage tritt. "Spät war es, so spät" ist eine schwarze Komödie über das Leben, virtuos erzählt, schonungslos und ergreifend zugleich.
Einfühlsam und mit verzweifeltem Witz schildert James Kelman eine Grenzsituation des Schicksals, in der die Absurdität der menschlichen Existenz mit voller Wucht zu Tage tritt. "Spät war es, so spät" ist eine schwarze Komödie über das Leben, virtuos erzählt, schonungslos und ergreifend zugleich.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.2004Die Banalität des Tragischen
Blinde Verbrechen: James Kelman nimmt dem Abgrund das Pathos
Die sich in "Spät war es, so spät" nur über wenige Tage erstreckende Story ist auf den ersten Blick so schlicht wie der Protagonist, aus dessen Perspektive sie erzählt wird: Sammy ist ein Antiheld par excellence, im Grunde eine klassische Nebenfigur. Einen Großteil seines Lebens hat er hinter Gittern zugebracht - nicht wegen großer Verbrechen, sondern aufgrund kleiner, schlecht geplanter, lächerlich schiefgelaufener Delikte. Seit Jahren ist er arbeitslos, eine gescheiterte Ehe liegt hinter ihm, ebenso wie die massive Auseinandersetzung mit seiner Freundin, in deren Wohnung und auf deren Kosten er lebt. Gründe genug, wie er findet, um sich zu betrinken bis zur Bewußtlosigkeit. Das Erwachen ist böse: 24 Stunden später liegt er auf der Straße, kann sich an nichts mehr erinnern und möchte nur noch eines: vom Erdboden verschwinden. Statt dessen begegnet er einigen Polizisten, die er provoziert. Sie nehmen ihn mit aufs Revier und prügeln ihn bis zur nächsten Bewußtlosigkeit. Der Blackout ist permanent: Als er in einer Zelle wieder aufwacht, kann er nichts mehr sehen.
Der Realismus der ersten Seiten von James Kelmans Roman weicht einer als immer undurchschaubarer und ungreifbarer beschriebenen Wirklichkeit. Auf der Polizeistation wird Sammy ärztliche Versorgung verweigert. Als er schließlich entlassen wird, stellt sich der Heimweg für den Erblindeten als kaum überwindlicher Hürdenlauf dar. Zu Hause bemerkt er, daß seine Freundin verschwunden ist - und der Erblindete kann nicht überprüfen, ob sie eine Nachricht hinterlassen hat. Kaum daheim, klopft die Polizei wieder an seiner Tür. Er wird erneut festgenommen, dieses Mal für ein vage angedeutetes Verbrechen, an das er sich seines Filmrisses im Rausch wegen nicht erinnern kann und über das er auch keine näheren Informationen erhält.
Sammy tappt im dunkeln, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, und sieht sich der Macht der Behörden und staatlicher Autorität ausgeliefert. Immer hält James Kelman die Balance zwischen der Schilderung einer abstrakten Bedrohlichkeit und konkreten Lebensumständen. Zwar ist der Schauplatz des Romans Glasgow, aber es könnte ebensogut irgendeine andere mitteleuropäische Stadt sein. Die Polizisten werden namentlich genannt, aber sie bleiben - durch Sammys aufs Gehör reduzierte Wahrnehmung - im wahrsten Sinne des Wortes gesichtslos. Ihre Schläge sind greifbar, vollkommen unklar aber die dahintersteckenden Motive: Beim Erscheinen des Romans in Großbritannien verwiesen englische Rezensenten immer wieder auf die offensichtlichen Parallelen zu Kafka.
Daß dieser naheliegende Vergleich nicht ganz aufgeht, liegt vor allem an Kelmans Sprache. Die Prosa bleibt der verlotterten und nur mäßig begabten Hauptfigur dicht auf den Fersen, erzählt Sammys Erlebnisse minutiös in ununterbrochener Wiedergabe seiner Gedanken und Eindrücke. Den Sprachlosen eine Sprache zu geben sei eine Art Mission James Kelmans geworden, schrieb ein Kritiker einmal zu Recht. Dabei bildet Kelman die Einfachheit, den - manchmal unfreiwilligen - Witz, die umgangssprachliche Ausdrucksweise und das Minimalvokabular seiner gesellschaftlichen Randfiguren nach. Selbst Sammy, der Name des verzweifelten Protagonisten, erscheint in Verkleinerungsform. So wird in immer neuen Anläufen dem Bedrohlichen und Abgründigen die pathetische Spitze genommen. Statt dessen erhält es durch die extreme sprachliche Vereinfachung eine makaber komische Variante: Kelmans Roman bezieht seine Originalität und Vitalität nicht zuletzt aus dem geschärften Blick für die Banalität des Tragischen.
Sammys umgangssprachlicher Bewußtseinsstrom, der beharrlich, aber oft vergeblich versucht, das Konkrete zu benennen, steht im Kontrast zu der Behördensprache einer feindlich gesinnten Welt. Die Polizisten, der Arzt, der Anwalt, die Sachbearbeiter des Sozialamts sind ungeheuer beredt. Im Bemühen um Glätte und Unangreifbarkeit geben sie am Ende nichts preis außer ihrem Willen zur Machtausübung. Es gibt keine andere als die von Sammy empfundene, aber nicht gesehene und sprachlich und gedanklich nur fragmentarisch durchdrungene Wirklichkeit in diesem Text, der damit letztlich auch ein Roman über die Unzulänglichkeit der Sprache selbst wird.
Als "Spät war es, so spät" in Großbritannien mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde, stieß das Buch gerade wegen seiner unorthodoxen Prosa, die sich nicht an die Regeln des Standard-Englischen hielt, auf Kritik. Einer der Juroren des Preises bezeichnete den Roman schlichtweg als "crap", als Mist. Der einflußreiche Kolumnist der "Times", Simon Jenkins, fand, daß die Auszeichnung Kelmans eine Beleidigung der Literatur sei. Auf der anderen Seite betonten Schriftstellerkollegen wie Irvine Welsh ("Trainspotting") den Einfluß von Kelmans Roman auf ihr eigenes Werk.
Liest man die deutsche Übersetzung, fällt es schwer, die Aufregung der englischen Kritik nachzuvollziehen. Silvia Morawetz' Übertragung liest sich zwar wie aus einem Guß, aber auch wie eine bereinigte Fassung des um vieles rauheren und vulgäreren Originals. Das ist sicher zum Teil der nahezu unlösbaren Schwierigkeit zuzuschreiben, ein deutsches Äquivalent für die von Kelman verwendete Mischung aus schottischem Dialekt und Vulgärsprache zu finden. Insgesamt aber bereichert die Übersetzerin Sammys Vokabular um mehr als nur ein paar Wörter und einige bürgerliche Höflichkeitsformeln. So heißt es etwa bei Morawetz: "Ein Kämpfer, Mann, jawohl, das war er. Eines war der gute Sammy: ein Kämpfer. Wenn man ihn gefragt hätte, hätte er gesagt: keinen Grips, aber kämpfen würde er wie verrückt." Kelman schreibt an derselben Stelle: "A battler man that was what he was. One thing about the Sammy fellow, a fucking battler. If ye had asked him he would have telt ye: nay brains but he would aye battle like fuck."
Wie ein roter Faden zieht sich die Weigerung des Protagonisten, sich nicht unterkriegen zu lassen, durch den Roman. Sammy ist ein unschuldiges Opfer mit sentimentalen Zügen, eine chaplineske Tramp-Figur, die sich durchschlägt und dabei die Sympathien der Leser auf seine Seite zieht. Um seiner Situation Positives abzugewinnen, sind oft gedankliche Klimmzüge notwendig: "Ein Hund bellte in der Nähe. Wenn man von Geburt an blind gewesen wäre, wüßte man nicht mal, was ein Hund ist, würde bloß dieses Gebell hören, Mann, entsetzlich! Man würde bestimmt denken, das ist ein Verrückter! Wenigstens wußte er, was das war, wenigstens das."
Eine Stärke dieses Romans - zu dessen Schwächen seine Überlänge zählt - liegt im langsam entwickelten Porträt seiner Hauptfigur. Man erfährt alles über Sammy, vom Lieblingssong zur Lieblingsphilosophie. Am liebsten aber würde er einfach verschwinden, seine Identität hinter sich lassen. Dabei hat er die fixe Idee, ein Taxi zu nehmen, das ihn zum nächsten Bahnhof führt, wo ein Zug in Richtung London und damit die Erlösung und Lösung aller Probleme auf ihn wartet: "Kaum betritt der Mensch Londoner Boden, geht er in der Landschaft unter, schaut keinen anderen mehr an. Und dann ist man anonym. Das ist das Tolle, Mann, verstehst Du, anonym werden, nur darum ging es, anonym werden, niemand macht dir Streß." An diesem Plan arbeitet er beharrlich, und die Frage, ob er ihn verwirklichen kann, macht den Roman spannend.
MARION LÖHNDORF
James Kelman: "Spät war es, so spät". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Silvia Morawetz. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2004. 420 S., geb., 24,- [Euro].
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Blinde Verbrechen: James Kelman nimmt dem Abgrund das Pathos
Die sich in "Spät war es, so spät" nur über wenige Tage erstreckende Story ist auf den ersten Blick so schlicht wie der Protagonist, aus dessen Perspektive sie erzählt wird: Sammy ist ein Antiheld par excellence, im Grunde eine klassische Nebenfigur. Einen Großteil seines Lebens hat er hinter Gittern zugebracht - nicht wegen großer Verbrechen, sondern aufgrund kleiner, schlecht geplanter, lächerlich schiefgelaufener Delikte. Seit Jahren ist er arbeitslos, eine gescheiterte Ehe liegt hinter ihm, ebenso wie die massive Auseinandersetzung mit seiner Freundin, in deren Wohnung und auf deren Kosten er lebt. Gründe genug, wie er findet, um sich zu betrinken bis zur Bewußtlosigkeit. Das Erwachen ist böse: 24 Stunden später liegt er auf der Straße, kann sich an nichts mehr erinnern und möchte nur noch eines: vom Erdboden verschwinden. Statt dessen begegnet er einigen Polizisten, die er provoziert. Sie nehmen ihn mit aufs Revier und prügeln ihn bis zur nächsten Bewußtlosigkeit. Der Blackout ist permanent: Als er in einer Zelle wieder aufwacht, kann er nichts mehr sehen.
Der Realismus der ersten Seiten von James Kelmans Roman weicht einer als immer undurchschaubarer und ungreifbarer beschriebenen Wirklichkeit. Auf der Polizeistation wird Sammy ärztliche Versorgung verweigert. Als er schließlich entlassen wird, stellt sich der Heimweg für den Erblindeten als kaum überwindlicher Hürdenlauf dar. Zu Hause bemerkt er, daß seine Freundin verschwunden ist - und der Erblindete kann nicht überprüfen, ob sie eine Nachricht hinterlassen hat. Kaum daheim, klopft die Polizei wieder an seiner Tür. Er wird erneut festgenommen, dieses Mal für ein vage angedeutetes Verbrechen, an das er sich seines Filmrisses im Rausch wegen nicht erinnern kann und über das er auch keine näheren Informationen erhält.
Sammy tappt im dunkeln, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, und sieht sich der Macht der Behörden und staatlicher Autorität ausgeliefert. Immer hält James Kelman die Balance zwischen der Schilderung einer abstrakten Bedrohlichkeit und konkreten Lebensumständen. Zwar ist der Schauplatz des Romans Glasgow, aber es könnte ebensogut irgendeine andere mitteleuropäische Stadt sein. Die Polizisten werden namentlich genannt, aber sie bleiben - durch Sammys aufs Gehör reduzierte Wahrnehmung - im wahrsten Sinne des Wortes gesichtslos. Ihre Schläge sind greifbar, vollkommen unklar aber die dahintersteckenden Motive: Beim Erscheinen des Romans in Großbritannien verwiesen englische Rezensenten immer wieder auf die offensichtlichen Parallelen zu Kafka.
Daß dieser naheliegende Vergleich nicht ganz aufgeht, liegt vor allem an Kelmans Sprache. Die Prosa bleibt der verlotterten und nur mäßig begabten Hauptfigur dicht auf den Fersen, erzählt Sammys Erlebnisse minutiös in ununterbrochener Wiedergabe seiner Gedanken und Eindrücke. Den Sprachlosen eine Sprache zu geben sei eine Art Mission James Kelmans geworden, schrieb ein Kritiker einmal zu Recht. Dabei bildet Kelman die Einfachheit, den - manchmal unfreiwilligen - Witz, die umgangssprachliche Ausdrucksweise und das Minimalvokabular seiner gesellschaftlichen Randfiguren nach. Selbst Sammy, der Name des verzweifelten Protagonisten, erscheint in Verkleinerungsform. So wird in immer neuen Anläufen dem Bedrohlichen und Abgründigen die pathetische Spitze genommen. Statt dessen erhält es durch die extreme sprachliche Vereinfachung eine makaber komische Variante: Kelmans Roman bezieht seine Originalität und Vitalität nicht zuletzt aus dem geschärften Blick für die Banalität des Tragischen.
Sammys umgangssprachlicher Bewußtseinsstrom, der beharrlich, aber oft vergeblich versucht, das Konkrete zu benennen, steht im Kontrast zu der Behördensprache einer feindlich gesinnten Welt. Die Polizisten, der Arzt, der Anwalt, die Sachbearbeiter des Sozialamts sind ungeheuer beredt. Im Bemühen um Glätte und Unangreifbarkeit geben sie am Ende nichts preis außer ihrem Willen zur Machtausübung. Es gibt keine andere als die von Sammy empfundene, aber nicht gesehene und sprachlich und gedanklich nur fragmentarisch durchdrungene Wirklichkeit in diesem Text, der damit letztlich auch ein Roman über die Unzulänglichkeit der Sprache selbst wird.
Als "Spät war es, so spät" in Großbritannien mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde, stieß das Buch gerade wegen seiner unorthodoxen Prosa, die sich nicht an die Regeln des Standard-Englischen hielt, auf Kritik. Einer der Juroren des Preises bezeichnete den Roman schlichtweg als "crap", als Mist. Der einflußreiche Kolumnist der "Times", Simon Jenkins, fand, daß die Auszeichnung Kelmans eine Beleidigung der Literatur sei. Auf der anderen Seite betonten Schriftstellerkollegen wie Irvine Welsh ("Trainspotting") den Einfluß von Kelmans Roman auf ihr eigenes Werk.
Liest man die deutsche Übersetzung, fällt es schwer, die Aufregung der englischen Kritik nachzuvollziehen. Silvia Morawetz' Übertragung liest sich zwar wie aus einem Guß, aber auch wie eine bereinigte Fassung des um vieles rauheren und vulgäreren Originals. Das ist sicher zum Teil der nahezu unlösbaren Schwierigkeit zuzuschreiben, ein deutsches Äquivalent für die von Kelman verwendete Mischung aus schottischem Dialekt und Vulgärsprache zu finden. Insgesamt aber bereichert die Übersetzerin Sammys Vokabular um mehr als nur ein paar Wörter und einige bürgerliche Höflichkeitsformeln. So heißt es etwa bei Morawetz: "Ein Kämpfer, Mann, jawohl, das war er. Eines war der gute Sammy: ein Kämpfer. Wenn man ihn gefragt hätte, hätte er gesagt: keinen Grips, aber kämpfen würde er wie verrückt." Kelman schreibt an derselben Stelle: "A battler man that was what he was. One thing about the Sammy fellow, a fucking battler. If ye had asked him he would have telt ye: nay brains but he would aye battle like fuck."
Wie ein roter Faden zieht sich die Weigerung des Protagonisten, sich nicht unterkriegen zu lassen, durch den Roman. Sammy ist ein unschuldiges Opfer mit sentimentalen Zügen, eine chaplineske Tramp-Figur, die sich durchschlägt und dabei die Sympathien der Leser auf seine Seite zieht. Um seiner Situation Positives abzugewinnen, sind oft gedankliche Klimmzüge notwendig: "Ein Hund bellte in der Nähe. Wenn man von Geburt an blind gewesen wäre, wüßte man nicht mal, was ein Hund ist, würde bloß dieses Gebell hören, Mann, entsetzlich! Man würde bestimmt denken, das ist ein Verrückter! Wenigstens wußte er, was das war, wenigstens das."
Eine Stärke dieses Romans - zu dessen Schwächen seine Überlänge zählt - liegt im langsam entwickelten Porträt seiner Hauptfigur. Man erfährt alles über Sammy, vom Lieblingssong zur Lieblingsphilosophie. Am liebsten aber würde er einfach verschwinden, seine Identität hinter sich lassen. Dabei hat er die fixe Idee, ein Taxi zu nehmen, das ihn zum nächsten Bahnhof führt, wo ein Zug in Richtung London und damit die Erlösung und Lösung aller Probleme auf ihn wartet: "Kaum betritt der Mensch Londoner Boden, geht er in der Landschaft unter, schaut keinen anderen mehr an. Und dann ist man anonym. Das ist das Tolle, Mann, verstehst Du, anonym werden, nur darum ging es, anonym werden, niemand macht dir Streß." An diesem Plan arbeitet er beharrlich, und die Frage, ob er ihn verwirklichen kann, macht den Roman spannend.
MARION LÖHNDORF
James Kelman: "Spät war es, so spät". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Silvia Morawetz. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2004. 420 S., geb., 24,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Den Sprachlosen eine Sprache zu geben sei eine Art Mission James Kelmans geworden, so schrieb ein Kritiker einmal, berichtet Rezensentin Marion Löhndorf. Und zu Recht, wie sie findet. Allerdings teilt sie nicht die Hymnen, die bei Kelman gleich Parallelen zu Kafka entdeckt haben wollen, auch wenn die Peiniger des Helden, des Kleinkrimellen Sammy, der nach durchzechter Nacht und Prügel durch Polizisten blind in einer Zelle erwacht, hier ebenfalls - und buchstäblich - gesichtslos blieben, und die abstrakte Bedrohlichkeit der Mächte, mit denen er konfrontiert sei, tatsächlich ähnlich universelle Züge trage. Sie lobt aber, dass Kelmans Sprache dem Bedrohlichen und Abgründigen die pathetische Spitze nehme, und ihm "makaber komische" Züge verleihe. Der Roman erhalte seine Originalität und Vitalität durch Kelmans scharfen Blick für die "Banalität des Tragischen": Sammy sei ein unschuldiges Opfer mit sentimentalen Zügen, eine chaplineske Tramp-Figur. Wo die deutsche Übertragung von Silvia Morawetz das um vieles rauere und vulgärere Original nicht ganz trifft, entschuldigt die Rezensentin dies im übrigen mit den "sicher zum Teil unlösbaren Schwierigkeiten", ein deutsches Äquivalent für Kelmans Mischung aus schottischem Dialekt und Vulgärsprache zu finden. Und so nennt Löhndorf als Schwäche dieses Romans schließlich einzig seine Überlänge.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Busschaffner Hines ist eines dieser äußerlich harten Bücher mit einem herzerwärmend weichen Kern aus Menschenliebe" (Wieland Freund, DIE WELT)
"Dies ist ein großartiges, witzig-verzweifeltes Buch" (Jochen Jung, DIE ZEIT)
"Dies ist ein großartiges, witzig-verzweifeltes Buch" (Jochen Jung, DIE ZEIT)