Unvermutet stark sind die zarten Geschöpfe dieser Geschichten. Sie halten aus, wenn der Boden unter ihnen schwankt, schlagen um sich im Moment der Gefahr und brechen aus ihrem Käfig aus, sobald sie Wind unter ihren Flügeln fühlen. So wie Ginza, die in der pulsierenden, übermächtigen Metropole Shanghai ihre Unabhängigkeit verteidigt, indem sie mit Freundinnen in einer winzigen Wohnung lebt und Touristen durch die Stadt führt. Oder Sophie, deren eigensinnige Tochter Clarice ihren Fotografenfreund mit ins Sommerhaus der Familie nimmt und damit das familiäre Gleichgewicht empfindlich ins Wanken bringt. In ihren Erzählungen, die Zoë Jenny hier erstmals in einem Band zusammenfasst, erweist sie sich als Meisterin der kurzen Form: Es sind Geschichten mit bittersüßer Resonanz, deren Wucht vom ersten Satz an mitreißt. Etwas Abgründiges dringt durch jeden der scheinbar so sanften Sätze und umhüllt sie mit feiner Melancholie. Es ist die Angst vor dem Verlust, das Wissen um die verwundbaren Stellen, das unter der Oberfläche mitschwingt.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Weitgehend dunkel und grundiert vom Tod scheinen Judith von Sternburg die kurzen Texte in diesem Erzählungsband von Zoë Jenny. Dass es der Autorin gelingt, die Abweichung, ob räumlich oder sprachlich, das scheinbar unwichtige, überflüssige Detail am Ende doch immer wieder als erzählstrategisch sinnvoll und bedeutsam erscheinen zu lassen, findet Sternburg bemerkenswert. Die Darstellung von Abhängigkeiten und Machtgefällen innerhalb von Familienbeziehungen kann Jenny so für die Rezensentin beispielsweise oft besonders gut und scharf herausarbeiten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2014Verlorener Duft
Eine Mutter, die ihrer Tochter einen ins elterliche Sommerhaus mitgebrachten Freund abspenstig macht. Ein Sohn, der hilflos gegen den nächtlichen Selbstmordversuch seines Vaters im Meer ankämpft. Eine alles wachsam kontrollierende Pensionswirtin, die von zwei jugendlichen Gästen jäh erschlagen wird. An Unerhörtem mangelt es dem Dutzend Kurzgeschichten von Zoë Jenny zwar nicht, die Berücksichtigung dieses alten Kunstgriffs macht daraus aber noch keine funktionstüchtigen "Erzählungen". Da helfen auch die handverlesenen Schauplätze in London, Valencia, New York, Schanghai oder Tokio wenig. Zu schlicht und arglos wird hier erzählt, obgleich Hoffnungslosigkeit, Abschied und Tod thematisch vorherrschen. Oder soll gerade die lakonische Andeutung fast romantauglicher Ideen einen eigenen Skizzenstil markieren? Minimalismus wäre ein starkes Prinzip, gut angewendet etwa im traurigen Blitzlicht von einem Sohn, der seiner Mutter zu Weihnachten die Jahresration Parfum ins Altersheim bringt. Kitsch würde diesem Gebot zur Kürze jedoch widersprechen. Als etwa ein junger japanischer Saxophonspieler seine Übersiedlung nach L. A. nicht antritt und sich lieber ins Badezimmer seiner Wohngemeinschaft einschließt, heißt es: "Als das Parfum, das die Mädchen hinterlassen hatten, schon längst durch das geöffnete Fenster entwichen war, schickte er dem verlorenen Duft seine Klänge nach, in den Lärm der Stadt hinein." Ein kindlicher Ton, der einst aus Zoë Jennys "Blütenstaubzimmer" in die literarische Welt drang, ist auch nach zwei Jahrzehnten nicht völlig verflogen. (Zoë Jenny: "Spätestens morgen". Erzählungen. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2013, geb., 126 S., 17,90 [Euro].)
kos
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Mutter, die ihrer Tochter einen ins elterliche Sommerhaus mitgebrachten Freund abspenstig macht. Ein Sohn, der hilflos gegen den nächtlichen Selbstmordversuch seines Vaters im Meer ankämpft. Eine alles wachsam kontrollierende Pensionswirtin, die von zwei jugendlichen Gästen jäh erschlagen wird. An Unerhörtem mangelt es dem Dutzend Kurzgeschichten von Zoë Jenny zwar nicht, die Berücksichtigung dieses alten Kunstgriffs macht daraus aber noch keine funktionstüchtigen "Erzählungen". Da helfen auch die handverlesenen Schauplätze in London, Valencia, New York, Schanghai oder Tokio wenig. Zu schlicht und arglos wird hier erzählt, obgleich Hoffnungslosigkeit, Abschied und Tod thematisch vorherrschen. Oder soll gerade die lakonische Andeutung fast romantauglicher Ideen einen eigenen Skizzenstil markieren? Minimalismus wäre ein starkes Prinzip, gut angewendet etwa im traurigen Blitzlicht von einem Sohn, der seiner Mutter zu Weihnachten die Jahresration Parfum ins Altersheim bringt. Kitsch würde diesem Gebot zur Kürze jedoch widersprechen. Als etwa ein junger japanischer Saxophonspieler seine Übersiedlung nach L. A. nicht antritt und sich lieber ins Badezimmer seiner Wohngemeinschaft einschließt, heißt es: "Als das Parfum, das die Mädchen hinterlassen hatten, schon längst durch das geöffnete Fenster entwichen war, schickte er dem verlorenen Duft seine Klänge nach, in den Lärm der Stadt hinein." Ein kindlicher Ton, der einst aus Zoë Jennys "Blütenstaubzimmer" in die literarische Welt drang, ist auch nach zwei Jahrzehnten nicht völlig verflogen. (Zoë Jenny: "Spätestens morgen". Erzählungen. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2013, geb., 126 S., 17,90 [Euro].)
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