Produktdetails
- Verlag: Penguin
- ISBN-13: 9780141029177
- ISBN-10: 014102917X
- Artikelnr.: 21227486
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2007Glühwürmchen im Gewächshaus
Mit Jonathan Franzen teilt sie die Agentin, mit Jonathan Safran Foer die Lobeshymnen für das aufregendste Debüt seit Jahren, und mit Nabokov vergleicht sie sich am liebsten selbst. An diesem Montag erscheint Marisha Pessls Roman "Die alltägliche Physik des Unglücks" in deutscher Übersetzung. Was ist dran am Hype aus Amerika?
Von Felicitas von Lovenberg
In der Postmoderne - die ja nur noch ein Abklatsch ihrer selbst ist, seit alles schon mal gesagt und das meiste auch schon mal gedacht worden ist - nicht nur postmodern, sondern sogar originell zu sein, bedarf besonderer Anstrengung. Literarisch macht sich das bisweilen als Verrenkung bemerkbar, etwa so, wie Streber nicht nur aufzeigen, sondern dabei auch noch übereifrig mit den Fingern schnipsen, damit der Lehrer sie nur ja drannimmt. Die Zitathaftigkeit unseres Daseins ist eine Tatsache, der man entweder begegnen kann, indem man sie schlicht ignoriert - ob aus Ahnungslosigkeit, weil man etwa gar nicht wusste, dass schon früher mal jemand von "des Pudels Kern" gesprochen oder "Der kluge Mann baut vor" gesagt hat, aus selbstbewusster Lässigkeit oder Gleichgültigkeit, ist für die Außenwelt weder leicht ersichtlich noch erheblich -, oder indem man die Not zur Tugend macht und sich absichtlich nur noch in Zitaten und Variationen des bereits Vorgedachten und -gefühlten ausdrückt.
"Jokes for the over-educated" nennen das Anhänger der zweiten Methode gern und sonnen sich im Wissen, dass nur so überaus Gebildete wie sie selbst ihre geistreichen Anspielungen verstehen. Der Hauptunterschied zwischen beiden Typen besteht in der Selbst-, nicht in der Fremdwahrnehmung, ähnlich wie bei Tomaten aus dem Bio-Gewächshaus oder aus Holland: Wenn es nicht groß draufstünde, würde man den Unterschied am Geschmack jedenfalls nicht merken.
Schaulaufen des Wissens.
Eine offensivere Anhängerin des Zitats, des insiderhaften namedropping und der unverhohlenen Anbiederung durch das übertriebene Kompliment als Marisha Pessl, Jahrgang 1977 und bei Fertigstellung ihres Debütromans kesse siebenundzwanzig, wird sich so schnell nicht finden lassen - nicht einmal in den Vereinigten Staaten, wo Eltern nichts dabei finden, ihre süßen Kleinen schon im Vorschulalter zu Schönheitswettbewerben zu schicken, ähnlich herausgeputzt und gekämmt wie Rassehunde zum Schaulaufen bei Crufts. Der Vergleich, so unfreundlich er sein mag, ist in Marisha Pessls Fall selbstverschuldet, denn Hauptfigur ihres Romans ist die Halbwaise Blue van Meer, die mit ihren sechzehn Jahren bereits ganze Bibliotheken von Filmklassikern und Bänden der Weltliteratur aufgesogen hat; ein As in der Schule, von den Mitschülern so misstrauisch beäugt wie vom ehrgeizigen Vater für ihr Elite-Hirn gepriesen, ein whiz-kid, wie es im Buche steht.
Damit auch die under-educated diese geballte Ladung Wissen und die beziehungsreichen Anspielungen mitkriegen, die sich über die sechshundert Seiten des Buches verteilen wie Platzregen auf trockener Straße, heißen die Kapitel nicht nur "Othello", "Pygmalion" oder "Süßer Vogel Jugend", sondern sind im Inhaltsverzeichnis auch gleich die Autoren angegeben, von denen diese Meisterwerke stammen. Im Roman geht das dann etwa so: "Mit Dad durch die Gegend zu fahren war nicht kathartisch oder befreiend (siehe Unterwegs, Jack Kerouac, 1957). Es war anstrengend."
Zunächst geht die Rechnung auf. Der Leser ist nämlich die ersten zehn, zwanzig Seiten lang derart gebannt von der eigenen Fähigkeit, Zitate noch da zu erkennen, wo sie einmal nicht eigens gekennzeichnet sind, und bei harmlosen Wendungen wie "um mit der Englischlehrerin über ihre großen Erwartungen für ein Referat zu sprechen" gleich mit wissendem Nicken an Charles Dickens zu denken, dass er gar nicht bemerkt, dass diese Bildungshuberei zu nichts führt. Außer, dass sie ständig vorführt, was für eine Besserwisserin Blue ist, trägt sie weder zur Handlung bei, noch sorgt sie, auf sechshundert eng bedruckten Seiten, für dramaturgisch sinnvolle Verzögerungsmomente.
Wo Marisha Pessl indes einmal nicht zitiert (oder Zitate erfindet, ihre zweitliebste Lieblingsbeschäftigung), sondern ihrer Assoziationslust mit eigenen Bildern frönt, ist sie regelrecht witzig und sogar unstreberhaft zickig: "Ich klammerte mich an mein verkrampftes Lächeln wie eine durchgedrehte Katholikin an ihren Rosenkranz." Oder: "Ihr breiter Mund, den sie so intensiv mit Lipliner bearbeitet hatte, dass man die Kreideumrisse einer Leiche an einem Tatort denken musste, kräuselte sich." Solche Beschreibungen sind allemal anschaulicher als Pessls Teenager-Zeichnungen der Protagonisten im Buch, wo immerfort von Blues sagenhaftem Zeichentalent die Rede ist.
Blue und ihr rätselhafter Vater Gareth, ein Universitätsdozent von höheren Weihen, bilden ein Gangsterpärchen à la "Paper Moon". Wo immer sie auftauchen - und sie wechseln häufig den Wohnsitz -, zieht Blues Dad die Frauen an wie das Licht die Motten, und den Schwärmen von Junikäfern ergeht es ähnlich: crash and burn. Doch dann, wir schreiben das letzte Collegejahr von Blues unweigerlichem Studienbeginn in Harvard, gerät dieser selbsternannte Glühwurm (Bücherwurm wäre treffender) in den Bann der so schönen wie mysteriösen Lehrerin Hannah Schneider, die einen exklusiven Kreis der coolsten Schüler um sich versammelt hat, in den Blue zu ihrem eigenen Erstaunen aufgenommen wird. Doch dann findet sie Hannah Schneider bei einem Campingausflug erhängt im Wald, und bei ihren Recherchen zu dem angeblichen Selbstmord gerät ihr angelesenes Weltbild ins Wanken.
Selbst der Zitatwahnsinn kann nicht verbergen, dass hier ein außergewöhnliches Talent am Werk ist. Die Souveränität, mit der Marisha Pessl ihre Figuren entwirft und einen Ton anschlägt, der bei allen Reverenzen und Bildungsschlenkern stets ein ganz eigener ist, ist bemerkenswert. Den Roman indes rettet das nicht. Was als extravaganter Cocktail in der Nachfolge von "Der Club der toten Dichter" und Donna Tartts großartiger "Geheimen Geschichte" beginnt, verdunstet bald zu Zitatwürze und Metaphernmaggi, so dass, wenn auf Seite 362 der verheißungsvolle Satz steht: "Jetzt komme ich also zum gefährlichen Teil meiner Geschichte", man sich ermattet fragt, was denn dann der überlange Prolog sollte. Zwar gelingt es Pessl, auf den letzten zweihundert Seiten noch so etwas wie Neugier zu erzeugen, wenn sie ihre Geschichte zu einem verworrenen, aber für Verschwörungstheoretiker womöglich reizvollen Abschluss bringt. Wenn Blue dann aber endlich das letzte Wort hat, liegt das vor allem daran, dass allen anderen schon längst nichts mehr einfällt.
- Marisha Pessl: "Die alltägliche Physik des Unglücks". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Adelheid Zöfel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 602 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Jonathan Franzen teilt sie die Agentin, mit Jonathan Safran Foer die Lobeshymnen für das aufregendste Debüt seit Jahren, und mit Nabokov vergleicht sie sich am liebsten selbst. An diesem Montag erscheint Marisha Pessls Roman "Die alltägliche Physik des Unglücks" in deutscher Übersetzung. Was ist dran am Hype aus Amerika?
Von Felicitas von Lovenberg
In der Postmoderne - die ja nur noch ein Abklatsch ihrer selbst ist, seit alles schon mal gesagt und das meiste auch schon mal gedacht worden ist - nicht nur postmodern, sondern sogar originell zu sein, bedarf besonderer Anstrengung. Literarisch macht sich das bisweilen als Verrenkung bemerkbar, etwa so, wie Streber nicht nur aufzeigen, sondern dabei auch noch übereifrig mit den Fingern schnipsen, damit der Lehrer sie nur ja drannimmt. Die Zitathaftigkeit unseres Daseins ist eine Tatsache, der man entweder begegnen kann, indem man sie schlicht ignoriert - ob aus Ahnungslosigkeit, weil man etwa gar nicht wusste, dass schon früher mal jemand von "des Pudels Kern" gesprochen oder "Der kluge Mann baut vor" gesagt hat, aus selbstbewusster Lässigkeit oder Gleichgültigkeit, ist für die Außenwelt weder leicht ersichtlich noch erheblich -, oder indem man die Not zur Tugend macht und sich absichtlich nur noch in Zitaten und Variationen des bereits Vorgedachten und -gefühlten ausdrückt.
"Jokes for the over-educated" nennen das Anhänger der zweiten Methode gern und sonnen sich im Wissen, dass nur so überaus Gebildete wie sie selbst ihre geistreichen Anspielungen verstehen. Der Hauptunterschied zwischen beiden Typen besteht in der Selbst-, nicht in der Fremdwahrnehmung, ähnlich wie bei Tomaten aus dem Bio-Gewächshaus oder aus Holland: Wenn es nicht groß draufstünde, würde man den Unterschied am Geschmack jedenfalls nicht merken.
Schaulaufen des Wissens.
Eine offensivere Anhängerin des Zitats, des insiderhaften namedropping und der unverhohlenen Anbiederung durch das übertriebene Kompliment als Marisha Pessl, Jahrgang 1977 und bei Fertigstellung ihres Debütromans kesse siebenundzwanzig, wird sich so schnell nicht finden lassen - nicht einmal in den Vereinigten Staaten, wo Eltern nichts dabei finden, ihre süßen Kleinen schon im Vorschulalter zu Schönheitswettbewerben zu schicken, ähnlich herausgeputzt und gekämmt wie Rassehunde zum Schaulaufen bei Crufts. Der Vergleich, so unfreundlich er sein mag, ist in Marisha Pessls Fall selbstverschuldet, denn Hauptfigur ihres Romans ist die Halbwaise Blue van Meer, die mit ihren sechzehn Jahren bereits ganze Bibliotheken von Filmklassikern und Bänden der Weltliteratur aufgesogen hat; ein As in der Schule, von den Mitschülern so misstrauisch beäugt wie vom ehrgeizigen Vater für ihr Elite-Hirn gepriesen, ein whiz-kid, wie es im Buche steht.
Damit auch die under-educated diese geballte Ladung Wissen und die beziehungsreichen Anspielungen mitkriegen, die sich über die sechshundert Seiten des Buches verteilen wie Platzregen auf trockener Straße, heißen die Kapitel nicht nur "Othello", "Pygmalion" oder "Süßer Vogel Jugend", sondern sind im Inhaltsverzeichnis auch gleich die Autoren angegeben, von denen diese Meisterwerke stammen. Im Roman geht das dann etwa so: "Mit Dad durch die Gegend zu fahren war nicht kathartisch oder befreiend (siehe Unterwegs, Jack Kerouac, 1957). Es war anstrengend."
Zunächst geht die Rechnung auf. Der Leser ist nämlich die ersten zehn, zwanzig Seiten lang derart gebannt von der eigenen Fähigkeit, Zitate noch da zu erkennen, wo sie einmal nicht eigens gekennzeichnet sind, und bei harmlosen Wendungen wie "um mit der Englischlehrerin über ihre großen Erwartungen für ein Referat zu sprechen" gleich mit wissendem Nicken an Charles Dickens zu denken, dass er gar nicht bemerkt, dass diese Bildungshuberei zu nichts führt. Außer, dass sie ständig vorführt, was für eine Besserwisserin Blue ist, trägt sie weder zur Handlung bei, noch sorgt sie, auf sechshundert eng bedruckten Seiten, für dramaturgisch sinnvolle Verzögerungsmomente.
Wo Marisha Pessl indes einmal nicht zitiert (oder Zitate erfindet, ihre zweitliebste Lieblingsbeschäftigung), sondern ihrer Assoziationslust mit eigenen Bildern frönt, ist sie regelrecht witzig und sogar unstreberhaft zickig: "Ich klammerte mich an mein verkrampftes Lächeln wie eine durchgedrehte Katholikin an ihren Rosenkranz." Oder: "Ihr breiter Mund, den sie so intensiv mit Lipliner bearbeitet hatte, dass man die Kreideumrisse einer Leiche an einem Tatort denken musste, kräuselte sich." Solche Beschreibungen sind allemal anschaulicher als Pessls Teenager-Zeichnungen der Protagonisten im Buch, wo immerfort von Blues sagenhaftem Zeichentalent die Rede ist.
Blue und ihr rätselhafter Vater Gareth, ein Universitätsdozent von höheren Weihen, bilden ein Gangsterpärchen à la "Paper Moon". Wo immer sie auftauchen - und sie wechseln häufig den Wohnsitz -, zieht Blues Dad die Frauen an wie das Licht die Motten, und den Schwärmen von Junikäfern ergeht es ähnlich: crash and burn. Doch dann, wir schreiben das letzte Collegejahr von Blues unweigerlichem Studienbeginn in Harvard, gerät dieser selbsternannte Glühwurm (Bücherwurm wäre treffender) in den Bann der so schönen wie mysteriösen Lehrerin Hannah Schneider, die einen exklusiven Kreis der coolsten Schüler um sich versammelt hat, in den Blue zu ihrem eigenen Erstaunen aufgenommen wird. Doch dann findet sie Hannah Schneider bei einem Campingausflug erhängt im Wald, und bei ihren Recherchen zu dem angeblichen Selbstmord gerät ihr angelesenes Weltbild ins Wanken.
Selbst der Zitatwahnsinn kann nicht verbergen, dass hier ein außergewöhnliches Talent am Werk ist. Die Souveränität, mit der Marisha Pessl ihre Figuren entwirft und einen Ton anschlägt, der bei allen Reverenzen und Bildungsschlenkern stets ein ganz eigener ist, ist bemerkenswert. Den Roman indes rettet das nicht. Was als extravaganter Cocktail in der Nachfolge von "Der Club der toten Dichter" und Donna Tartts großartiger "Geheimen Geschichte" beginnt, verdunstet bald zu Zitatwürze und Metaphernmaggi, so dass, wenn auf Seite 362 der verheißungsvolle Satz steht: "Jetzt komme ich also zum gefährlichen Teil meiner Geschichte", man sich ermattet fragt, was denn dann der überlange Prolog sollte. Zwar gelingt es Pessl, auf den letzten zweihundert Seiten noch so etwas wie Neugier zu erzeugen, wenn sie ihre Geschichte zu einem verworrenen, aber für Verschwörungstheoretiker womöglich reizvollen Abschluss bringt. Wenn Blue dann aber endlich das letzte Wort hat, liegt das vor allem daran, dass allen anderen schon längst nichts mehr einfällt.
- Marisha Pessl: "Die alltägliche Physik des Unglücks". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Adelheid Zöfel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 602 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main