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Spektakuläre Spekulation untersucht, wie in Selbst- und Fremdbeschreibungen der Börsenspekulation über ihren Status im Feld der Wissenschaften debattiert wird. Die Spekulation scheint dabei immer auch auf Momente des Nichtökonomischen zu verweisen - sei es im 'thrill' des Spekulierens und dessen Nähe zum verschwenderischen Geldspiel, sei es in der Beschreibung von Finanzmärkten als verführerische und hysterische Frau oder als unkontrollierbare Masse. Diese Studie, die eine enorme Materialfülle brillant erschließt, interessiert sich dafür, wie in vornehmlich amerikanischen Spekulationsdiskursen…mehr

Produktbeschreibung
Spektakuläre Spekulation untersucht, wie in Selbst- und Fremdbeschreibungen der Börsenspekulation über ihren Status im Feld der Wissenschaften debattiert wird. Die Spekulation scheint dabei immer auch auf Momente des Nichtökonomischen zu verweisen - sei es im 'thrill' des Spekulierens und dessen Nähe zum verschwenderischen Geldspiel, sei es in der Beschreibung von Finanzmärkten als verführerische und hysterische Frau oder als unkontrollierbare Masse. Diese Studie, die eine enorme Materialfülle brillant erschließt, interessiert sich dafür, wie in vornehmlich amerikanischen Spekulationsdiskursen des 19. und 20. Jahrhunderts um die Grenze zwischen Ökonomie und ihrem Außen gerungen wird - und wie auf diese Weise der Börsenspekulant zur ambivalenten Verkörperung des Homo oeconomicus wird.Der Ruf der Finanzökonomie, unpopulär zu sein, dürfte nach diesem Buch definitiv der Vergangenheit angehören. Urs Stäheli zeigt in brillanter Weise, daß die Spekulation immer auch ihre spektakulären Seiten hat und die Ökonomie mit Unterhaltung durchsetzt ist.
Autorenporträt
Stäheli, UrsUrs Stäheli ist Professor für Allgemeine Soziologie an der Universität Hamburg. Im Suhrkamp Verlag erschienen: Spektakuläre Spekulation. Das Populäre der Ökonomie (stw 1810) und Soziologie der Nachahmung und des Begehrens. Materialien zu Gabriel Tarde (stw 1882, hg. zus. mit Christian Borch).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.2007

So unterhaltsam wie ein Pferderennen
Das Spektakel um die Spekulation: Urs Stäheli erklärt, was uns außer verschüttetem Bier noch alles an der Börse fasziniert

Es gibt auf dieser Welt nichts Neues mehr, alles ist bekannt, benannt und beschrieben. Selbst Urs Stäheli muss einräumen, dass der Titel seines neuen Buches "Spektakuläre Spekulation" ein Wortspiel aufgreift, das schon im neunzehnten Jahrhundert in Gebrauch war. Das Börsengeschehen wurde stets als ein Spektakel empfunden, und dem hat auch der in Basel lehrende Soziologe Stäheli keine weitere Erkenntnis hinzuzufügen. Ist deshalb aber Langeweile unser Los, wenn wir seine Studie lesen? Keineswegs.

Eines aber noch vorweg: Stäheli hätte es seinen Lesern leichter machen können, wenn er bereit gewesen wäre, es seinen Fachkollegen etwas schwerer zu machen. Zwei Beispiele dafür. Zunächst ein Satz aus der Einleitung, jenem Teil des Buches also, der den Leser auf die eigentliche Auseinandersetzung vorbereiten soll. Da ist mit Blick auf die Börsenspekulation die Rede davon, dass im neunzehnten Jahrhundert "eine bedeutsame Rekonfiguration ökonomischer Semantiken stattfindet, die das produktionszentrierte Paradigma durch neoklassische Vorstellungen herausfordert". Oder ein einzelner Begriff, den Stäheli nach drei Vierteln seines Buches einführt: das "genderisierte Inklusionsdispositiv". Zugegeben, beide Wendungen verlieren aus dem Zusammenhang gerissen noch zusätzlich an Klarheit, aber hätte man im ersten Fall nicht sagen können, dass es im neunzehnten Jahrhundert eine Provokation für das hergebrachte Wirtschaftsdenken war, als an der Börse vermehrt Geschäfte getätigt wurden, die sich gar nicht mehr für Warenströme interessierten? Oder wäre es zu umständlich gewesen, im zweiten Fall davon zu sprechen, dass die Beteiligung an der Börse je nach Geschlechtszugehörigkeit eines Akteurs unterschiedlich gewertet wurde? Aber das wäre einem Soziologen von Rang wohl schwergefallen, und für die Reihe "Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft" wäre es mutmaßlich zu populär.

Dabei geht es Stäheli in seinem Buch vor allem darum, das Börsengeschehen nach Maßstäben des Populären zu bestimmen - wobei hier "das Populäre" auch nichts anderes ist als eine soziologische Klassifizierung, die aber immerhin noch die Breitenwirksamkeit als Kriterium behalten hat. Stäheli hat vor allem amerikanische Literatur des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts ausgewertet, und zwar sowohl ökonomische Fachliteratur als auch Erlebnisberichte oder fiktionale Texte. Erst die Berücksichtigung des Themas Spekulation in Romanen wie betriebswirtschaftlichen Studien, in Zeitungsreportagen wie Organisationsratgebern rechtfertigt die Kennzeichnung des untersuchten Phänomens als "populär". Dieser Nachweis gelingt Stäheli hervorragend. Seine jahrelange Beschäftigung mit dem Sujet hat reiche Früchte getragen, die hier dem Leser in einem veritablen Erntedankfest präsentiert werden.

Worum geht es Stäheli? Er will die Faszination für das Börsengeschehen begreiflich machen. Die Breite der Begeisterung für die Spekulation erklärt er durch ihren spielerischen Charakter, der das Publikum in Bann schlug, wie auch durch die Anforderungen an den Spekulanten selbst, der den Ökonomen wie eine größtmögliche Annäherung an deren Idealbild des Homo oeconomicus erscheinen musste. Stäheli zieht zum Beleg für Letzteres das in den dreißiger Jahren entwickelte Modell des "Contrariers" heran: eines Spekulanten, der an der Börse immer entgegengesetzt zur großen Masse agiert und jede eigene Emotion unterdrückt. Zu Recht weist der Soziologe darauf hin, dass ein solches Verhalten wenig Rationelles an sich hat, weil es ja als reine Reaktion auf die Entscheidungen des prinzipiell als fehlgeleitet eingeschätzten Publikums erfolgt, doch dieses kühle Kalkül verbindet den Contrarier mit dem allein wirtschaftlich denkenden Menschen, der auf keine gesellschaftliche Bindung Rücksicht nimmt.

Andererseits befördert der Wettbewerbsgedanke bei annähernder Chancengleichheit, wie sie die Börse bietet, die spielerische Lust an einem Spekulieren, das tatsächlich auf jegliche wirtschaftliche Anbindung verzichten kann. Stäheli hat dazu das großartige Beispiel der "Bucketshops" parat. Mit Erfindung des Börsenfernschreibers 1867 wurde das frühere Herrschaftswissen der auf dem Parkett agierenden Händler obsolet - fortan konnte man im ganzen Land die aktuellen Kurse mit minimaler Verzögerung erfahren. Bucketshops - benannt nach jenen armen Schluckern, die sich kein Bier leisten konnten, sondern sich in Kneipen die Getränkereste aus einzelnen Gläsern in Eimer gießen ließen - boten eine Travestie des Börsengeschehens: Die Gäste wetteten auf die Kursentwicklung, und das mit beliebig kleinen Summen. Es wurden also gar keine Aktien mehr gekauft, sondern das ganze Geschäft glich einem Pferderennen. "Unverstellt", so Stäheli, "dient dort ökonomische Kontingenz der Unterhaltung." In dieser reinen Form des Spektakels um die Spekulation gipfelt die Analyse des Populären im Buch.

Stähelis Ausführungen sind ungemein inspirierend. Wenn er im Tempo der Informationsverbreitung durch den Börsenfernschreiber einen Spekulationsanreiz sieht, dann kann man sofort den Schluss aufs Internet ziehen und somit den Erfolg der dort agierenden Auktionshäuser erklären. Und dass es das paradoxe Interesse eines jeden Spekulanten sein muss, Risiken zu vermeiden, auch das wirft ein bezeichnendes Licht auf jene Wirtschaftssubjekte, die individuell gerade auf das erpicht sind, was der reinen Lehre, der sie häufig anzugehören behaupten, hohnspricht - Subventionen, Erbschaften, Absprachen, um nur drei Beispiele zu nennen.

Aber solche Anregungen muss der Leser im Text alleine aufspüren; Stäheli hat kein über sein Thema hinausgehendes Interesse. Dass es aber solche Formen der nun intellektuellen Spekulation ermöglicht, lässt uns hoffen, dass seine Thesen irgendwann auch einmal populär werden.

ANDREAS PLATTHAUS.

Urs Stäheli: "Spektakuläre Spekulation". Das Populäre der Ökonomie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 401 S., 7 Abb., br., 14,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der fachterminologischen Huberei zum Trotz - Andreas Platthaus hat diese Lektüre "ungemein" inspiriert. Und an der Breitenwirksamkeit des sowohl auf ökonomische wie auf fiktionale Texte gründenden Buches hat er gar keinen Zweifel. Wie an der Gewinnschöpfung für den Leser. Dass dem Börsengeschehen mit dem Begriff des Spektakels beizukommen ist, hat der Soziologe Urs Stäheli dem Rezensenten wenigstens eindrucksvoll vorführen können. Mit der Faszination am Spiel ums Kapital, genauer, am Nachdenken darüber, hat Stäheli Platthaus hoffnungslos infiziert.

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