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Ein Eisenbahnwaggon durchstößt mit voller Wucht die Mauer einer Greißlerei in Gaudenzdorf. Ein Tandem fahrendes Sportlerduo erleidet ausgerechnet auf der steilen Berggasse am Alsergrund einen fatalen Gabelbruch. Diese und Dutzende weitere spektakuläre Unfälle haben eines gemeinsam: Sie sind Teil von mehr als 20.000 handgezeichneten Illustrationen, die von 1872 bis 1928 auf den Titelseiten des "Illustrierten Wiener Extrablatts" erschienen sind. Andreas Kloner hat eine repräsentative Auswahl von außergewöhnlichen Vorkommnissen getroffen und beleuchtet in kurzen Schlaglichtern deren Hintergrunde.…mehr

Produktbeschreibung
Ein Eisenbahnwaggon durchstößt mit voller Wucht die Mauer einer Greißlerei in Gaudenzdorf. Ein Tandem fahrendes Sportlerduo erleidet ausgerechnet auf der steilen Berggasse am Alsergrund einen fatalen Gabelbruch. Diese und Dutzende weitere spektakuläre Unfälle haben eines gemeinsam: Sie sind Teil von mehr als 20.000 handgezeichneten Illustrationen, die von 1872 bis 1928 auf den Titelseiten des "Illustrierten Wiener Extrablatts" erschienen sind. Andreas Kloner hat eine repräsentative Auswahl von außergewöhnlichen Vorkommnissen getroffen und beleuchtet in kurzen Schlaglichtern deren Hintergrunde. Die kunstvoll inszenierten Illustrationen zu aktuellen Tagesereignissen geben Einblick in das Informationsmedium Tageszeitung vor dem Zeitalter von Analog- und Digitalkamera.
Autorenporträt
Andreas Kloner, geboren 1967, lebt in Wien. Studium der Theaterwissenschaft und Judaistik. Gestalter von Radiofeatures mit historischem Schwerpunkt. Experte für Gabelsberger Stenographie.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.05.2015

So ein depperter Tod
Ein Buch würdigt das „Illustrierte Wiener Extrablatt“ und
seine Darstellungen ganz alltäglicher Schicksalsschläge
VON MARTIN ZIPS
Bereits morgen könnte es schon wieder vorbei sein, mit dem Leben. Deshalb erschrickt man ja so fürchterlich, wenn man irgendwo ein Unglück sieht – egal, ob bei Youtube oder auf der Autobahn. Das hätte auch mich treffen können! Oder dich. Oder wen auch immer. Die Vergänglichkeit, die Vanitas, sie ist allgegenwärtig. Wie schnell könnte man ebenso enden wie der arme Schneiderlehrling Löffelmann, der sich im Juli 1897 auf einem Jahrmarkt in Atzgersdorf ausgelassen eine Freifahrt auf der Schiffsschaukel gönnte. Mit den Händen hängte er sich von außen an das Fahrgeschäft und übersah dabei den eisernen Nagel, der sich mitten im fröhlichen Auf und Ab des Lebens in seinen Hals bohrte. Löffelmann, 16, verstarb noch an der Unfallstelle.
  Dass man heute noch den exakten Hergang seines tragischen Malheurs kennt, das ist dem Illustrierten Wiener Extrablatt zu verdanken. Von 1872 bis 1928 erschien die Gazette regelmäßig und protokollierte mehr als 20 000 alltägliche Dramen in Wort und Bild, meist detailreich von Hand gezeichnet. Das Blatt war ein „Memento mori“ des beginnenden Medienzeitalters, eine reich bebilderte Warnschrift – auch gegen den um sich greifenden Fortschrittswahn.
  Auf den Zeichnungen, deren spektakulärste die Redaktion natürlich auf der Titelseite veröffentlichte, sieht man Kinder aus den Fenstern moderner Stadthäuser stürzen. Man begreift, welch absurden Gefahren sich „Bicyclisten“ aussetzen: zum Beispiel, wenn sie beim Bremsen über ihre Fahrradlenker kugeln oder auf einem Ausflug ins Grüne von der kulturlosen Landbevölkerung mit Steinen beworfen werden. Das Leben ist und bleibt gefährlich, und der moderne Mensch mit seinen irren Erfindungen macht es noch gefährlicher. Also warnt die Illustrierte vor der „Dampftramway“, die den fröhlichen Wiener gelegentlich nicht nur transportieren, sondern auch exekutieren kann. Sie tadelt glatten Asphalt, auf dem Pferde viel leichter ausrutschen als auf Kopfsteinpflaster. Sie rät ab von blödsinnigen Feuerwerkskörpern, wie sie beim Fest der „Ottakringer Schulfreunde“ im Juli 1884 dem Eisendreher Josef Hlawaczek das Leben gekostet haben. Und immer wieder geißelt das Illustrierte Extrablatt auf seinen xylografischen Bildern das Teufelsding Automobil. Wie schnell doch landet dieses Gefährt, wie beim ersten Wiener Autounfall im August 1901, umgekehrt auf dem Trottoir.
  In Bildtexten wird berichtet, wie sich die Zeichner immer wieder in lebensgefährliche Situationen begeben, nur, um das Geschehen möglichst authentisch abzupinseln. Einer von ihnen sei gerade „waschelnass“ an den Zeichentisch zurückgekehrt, heißt es, wohl um die Schlagzeile „Wien am Tage des Schreckens“ meteorologisch korrekt zu illustrieren. Das Smartphone war noch nicht erfunden, die Fotografie zu schwerfällig und Zeichnungen ohnehin viel gruseliger.
  Bei aller Freude beim Betrachten, so mahnt der Wiener Theaterwissenschaftler und Judaist Andreas Kloner, der die besten Bilder aus dem Illustrierten Wiener Extrablatt jetzt in seinem wunderbaren Buch „Spektakuläre Unglücksfälle aus dem alten Wien“ (Metro-Verlag, 19,90 Euro) zusammengestellt hat, dürfe man das tragische Schicksal der Dargestellten nicht vergessen. „Pietät und Empathie sollten diesen Menschen auch mehr als hundert Jahre später entgegengebracht werden.“ Da hat er recht. Bedenke also, Mensch, dass es auch dir bald so ergehen könnte wie dem armen Löffelmann auf seiner saudummen Schiffsschaukel.
Juli 1897: Scheiderlehrling Ambros Löffelmann wird von einem
Nagel im Rumpf der Schiffsschaukel „Hamburg“ tödlich getroffen.

Hausknecht Georg Holzer, 45, reißt
sich in der heutigen Lehargasse
überraschend die Kleider vom Leib und wird mit Pferdedecke abgeführt.

Ein von seinen Erlebnissen
im Ersten Weltkrieg offenbar traumatisierter Soldat erklimmt halb nackt
den Wiener Parlamentsbrunnen.

März 1894: Eine Frau erschießt sich in der Schleifmühlgasse vor dem Haus ihres Ex-Geliebten. Kurz vor dessen Hochzeit mit einer anderen.
Oktober 1906: Beim Überqueren
der Linzer Straße liest Amalia Bartys
ein Buch und übersieht dabei einen
heranbrausenden Lieferwagen.

September 1890: Ein rasender Stier wirft den Eisenbahner Franz Mikesch
in Hetzendorf über das
Brückengeländer.
Fotos: Metro-Verlag
Wegen eines Gabelbruchs stürzen die Tandemfahrer Alexander Garay
(vorne) und Josef Lugert (hinten)
am Wiener Alsergrund.

Drei Mitarbeiterinnen des
Apothekers Alois Jacksch stürzen sich
nach einem Unfall bei der Herstellung
bengalischer Hölzer aus dem Fenster.

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