Mit dem Band Schäume hat Peter Sloterdijk den dreiteiligen Versuch seiner neuen Erzählung der Geschichte der Menschheit vollendet.
Der anthropologische und der Trilogie den Titel gebende Begriff der Sphäre verweist auf die Leitthese des Autors, wonach das Leben eine Formsache ist. »Sie suggeriert, daß Leben, Sphärenbilden und Denken verschiedene Ausdrücke für dasselbe sind.«
Der 1998 erschienene Band Blasen rekonstruiert, wie durch das nahe Zusammen-Sein von Menschen mit Menschen ein Intérieur besonderer Art gestiftet wird. Der Akzent im ersten Band der Sphären wird auf die These gesetzt, daß das Paar gegenüber dem Individuum die wirklichere Größe darstellt. Im philosophischen Roman Globen (1999) wird erzählt, wie das klassische metaphysische Denken als Kontemplation des großen runden Ganzen auf die Welt, den Globus, ausgreift und gleich mehrere Formen der Globalisierung in Gang setzt.
Schäume nun bietet eine philosophische Theorie des gegenwärtigen Zeitalters unter dem Gesichtspunkt, daß das Leben sich multifokal entfaltet. Das heitere Denkbild Schaum dient dazu, den Pluralismus der Welterfindungen wiederzugewinnen und damit eine philosophisch-anthropologische Deutung des modernen Individualismus zu formulieren, die über die bestehenden Beschreibungen hinausreicht. Schäume beantwortet zugleich die Frage, wie das Band beschaffen ist, das die Einzelnen zu dem zusammenfaßt, was die soziologische Tradition die »Gesellschaft« nennt.
Aufgrund seiner Beschäftigung mit den drängendsten Fragen ist es möglich, mit dem dritten Teil von Sphären zu beginnen, als ob er der erste wäre. Er ist es in gewisser Hinsicht tatsächlich.
Der anthropologische und der Trilogie den Titel gebende Begriff der Sphäre verweist auf die Leitthese des Autors, wonach das Leben eine Formsache ist. »Sie suggeriert, daß Leben, Sphärenbilden und Denken verschiedene Ausdrücke für dasselbe sind.«
Der 1998 erschienene Band Blasen rekonstruiert, wie durch das nahe Zusammen-Sein von Menschen mit Menschen ein Intérieur besonderer Art gestiftet wird. Der Akzent im ersten Band der Sphären wird auf die These gesetzt, daß das Paar gegenüber dem Individuum die wirklichere Größe darstellt. Im philosophischen Roman Globen (1999) wird erzählt, wie das klassische metaphysische Denken als Kontemplation des großen runden Ganzen auf die Welt, den Globus, ausgreift und gleich mehrere Formen der Globalisierung in Gang setzt.
Schäume nun bietet eine philosophische Theorie des gegenwärtigen Zeitalters unter dem Gesichtspunkt, daß das Leben sich multifokal entfaltet. Das heitere Denkbild Schaum dient dazu, den Pluralismus der Welterfindungen wiederzugewinnen und damit eine philosophisch-anthropologische Deutung des modernen Individualismus zu formulieren, die über die bestehenden Beschreibungen hinausreicht. Schäume beantwortet zugleich die Frage, wie das Band beschaffen ist, das die Einzelnen zu dem zusammenfaßt, was die soziologische Tradition die »Gesellschaft« nennt.
Aufgrund seiner Beschäftigung mit den drängendsten Fragen ist es möglich, mit dem dritten Teil von Sphären zu beginnen, als ob er der erste wäre. Er ist es in gewisser Hinsicht tatsächlich.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.08.2004Der Dämon der Ausschweifung
Jetzt kommt er zur Ruhe: Peter Sloterdijks Sphären-Trilogie entpuppt sich als eine Philosophie für Leser
Das Sphären-Projekt von Peter Sloterdijk sprengt die Dimensionen. Zweieinhalbtausend Druckseiten umfasst das gesamte, nun vollendete Werk. Darüber darf gestaunt werden. Gewiss, der Drang zur Monumentalität war unter Theoretikern immer wieder zu beobachten, besonders im späten 19. Jahrhundert, als man noch ganze „Völkerpsychologien” aufeinander stapelte oder sich die Weltstellung des Menschen in tief zerklüfteten „Mikrokosmen” vor Augen führte. Der wahre Referenztext der Sphärologie entstammt jedoch nicht der Tradition des Enzyklopädismus, sondern geht auf einen Autor zurück, dessen Name nun im Schlussteil der Sphären-Trilogie endlich fällt: Michel de Montaigne.
Es war Diderot, der bei Montaigne den Dämon der Ausschweifung am Werk sah - wenn es denn erlaubt ist, die Formulierung „diable de ramage” derart frei zu übersetzen. Man möchte das Wort jenen Kritikern in Erinnerung rufen, die sich ans Nächstliegende geklammert und den ersten beiden „Sphären”-Bänden die vermeintliche Unverträglichkeit von Kurzform und epischer Breite vorgehalten haben. Dabei hat bereits Diderot nachgewiesen, dass die Wucherung des Diskurses keine Nachlässigkeit ist, sondern die literarische Ausdrucksgestalt einer Skepsis, die den matt und glanzlos gewordenen Großbegriffen der metaphysischen Tradition misstraut. Auch Sloterdijks „Sphären” sind eine Sprachschöpfung aus dem Geist der Skepsis. Ihre zahllosen Exkurse und Abschweifungen dienen einzig und allein dem Zweck, die Konventionen der philosophischen Prosa zu unterlaufen und deren Aussagefähigkeit zu erneuern. Als Wortkünstler sucht Sloterdijk in die Tat umzusetzen, was die Philosophie noch selten so klar und entschieden von sich verlangt hat: den Ansprüchen der Zeitgenossenschaft zu genügen.
Die Sphärologie, wie Sloterdijk selbst sein Unternehmen nennt, will eine Theorie der Gegenwart sein. Offenbar hat dieser Autor eine Schwäche für aussichtslose Fälle. Wohl deshalb auch nimmt er es auf sich, von Zeit zu Zeit im Fernsehen den philosophischen Don Quijote zu geben, der schon mal vor laufender Kamera einen echten Gedanken entwickelt. Dennoch, oder eben darum gilt er als schwierig - ein Prädikat, das meinungsfeste Beobachter dazu einlädt, sich von den Sorgfaltspflichten der Lektüre entbunden zu fühlen. Der Schlagabtausch über die berühmt-berüchtigte Elmauer Rede („Menschenpark”), der seinerzeit mit dem Start des Sphären-Projekts unglücklich zusammenfiel, legte bei einigen Kritikern bestürzende Leseschwächen frei.
Prickelnde Selbstauflösung
Die nunmehr vorliegenden „Schäume” bilden den mehrhundertseitigen Schlussteil einer philosophischen, mitunter romanhaften Reise, die 1998 begann. Schon damals war zu ahnen, worauf die Sache einmal hinauslaufen würde. Sloterdijk, der seinen Sprachfluss immer wieder durch Bildbeigaben unterbricht, eröffnete den ersten Band mit einer Genre-Szene im Stil von Greuze, auf der ein blond gelockter Knabe staunend einer Seifenblase nachblickt. Untermalt einerseits von der Beharrungskraft des Felsbrockens, auf dem er Platz genommen hat, sowie andererseits von der Hinfälligkeit der Tonscherben zu seinen Füßen spiegelt der Gesichtsausdruck des Kindes tiefe Ratlosigkeit. Der Bewunderung von Form und Farben widerstreitet die übermächtige Gewissheit, dass diese Herrlichkeit schon im nächsten Augenblick zu nichts vergehen wird. Seit alters symbolisiert die Seifenblase die irdische Pracht, die vergehen muss.
Um so bemerkenswerter, dass Sloterdijk just dieses Motiv als Explikationsmetapher der Gegenwart auserkoren hat - methodologisch offenbar einer Eingebung Benjamins folgend, wonach es die Aufgabe modernitätsbewussten Philosophierens sei, für die Darstellung der „intentionslosen Wirklichkeit” charakteristische Figuren und jene „Denkbilder” anzubieten, deren aufschließender Kraft nun auch das Sphären-Projekt vertraut. Betont werden muss an dieser Stelle sogleich: Die Denkbilder der Blasen und Schäume wählt Sloterdijk nicht obwohl, sondern weil sie Sinnbilder des Flüchtigen und der Zerbrechlichkeit sind.
Mit dem nun erfolgten Abschluss wird erkennbar, dass das gesamte Sphären-Projekt einen Prozess der Differenzierung beschreibt. Stellte der erste Band die Mikrostruktur der Blasen, das Verhältnis von Innen und Außen, von Einheit und Zweiheit in den Vordergrund, so schärfte der zweite den Blick für Formen und für die Kugelgestalt als dem ästhetisch-moralischen Formideal schlechthin. Der dritte Band knüpft hier an, wenn er die platonische Begeisterung für Gewölbe und Rundgestalten aufgreift und diese Faszinationsgeschichte über zahlreiche Stationen hinweg bis in die Gegenwart verfolgt. Den thematischen Sprung von der solitären Blase zum pluralen Schaum erleichtert die Einsicht des Verhaltensforschers Jakob von Uexküll, wonach sich die Mikrowelt eines jeden Lebewesens nicht etwa ausdehne wie eine einzige Seifenblase, sondern alles individuelle Leben in einer Art Spezialblase verharre, die wiederum mit anderen Blasen koexistiere - kurz: die mit anderen Blasen Schäume bilde. Unter dem Begriff „Schaum” aber darf man sich „Vielkammersysteme von Gaseinschlüssen in feste und flüssige Materialien” vorstellen, „deren Zellen durch filmartige Wände voneinander getrennt sind”.
Die Genauigkeit hat ihre eigene Komik, und Sloterdijk nimmt derlei Effekte gerne mit. Dabei ist es ihm ernst mit dem Schaum, dessen prickelnde Selbstauflösung für ihn eine eigene, antimetaphysische Pointe birgt. Der Schaum versinnbildlicht, kurz gesagt, die Flüchtigkeit der Geltungen in der Moderne, er ist die „Matrix der humanen Tatsachen insgesamt”, und die daraus gewonnene Schaumkunde oder „Aphrologie” - von griechisch áphros, Schaum - bildet die postmetaphysische und insofern zeitgemäße „Theorie kofragiler Systeme”.
Das ist launig formuliert. Sloterdijk liebt Übertreibungen, Provokationen, Pointen. Seine Angriffe auf das Justemilieu können allerdings auch mal danebengehen. So zeigt die leidenschaftliche Ablehnung der anthropologischen Mängelwesentheorie eigentlich nur, dass Sloterdijk den historischen Protagonisten dieser These, Johann Gottfried Herder, weder gelesen noch verstanden hat. Die resümierende Feststellung, Mensch sein bedeute „die erworbene Unfähigkeit, ein Tier zu bleiben”, ist schlicht und einfach Kokolores. Doch statt zu streichen, setzt Sloterdijk noch eins drauf: „Das verstehe, wer kann.”
Derlei Allotria sind verzeihlich, weil der philosophische Schriftsteller Peter Sloterdijk mit eigener Stimme spricht. Das ist heutzutage, trotz Montaigne, trotz Diderot und Nietzsche, keineswegs selbstverständlich. Die Sphären-Trilogie allerdings muss dergleichen von sich fordern, präsentiert sie sich doch als Beitrag zu einer „forschenden Kultur”, die, anders als die auf geläufige Muster vertrauenden Traditionskulturen, in eine Situation „permanenter Musterrevision” gestellt ist. Spracherprobung, Sprachkritik, Sprachfindung werden unter diesen Umständen zu elementaren Bedürfnissen einer Theorie, die erkannt hat, dass sie begriffsbildend und, im ursprünglichen Sinne des Wortes, poetisch werden muss. Sloterdijk, seine „Sphären” belegen es eindrucksvoll, ist um Einfälle nicht verlegen. Was er jetzt braucht, sind kluge Leser.
RALF KONERSMANN
PETER SLOTERDIJK: Sphären. Plurale Sphärologie. Band III : Schäume. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 916 Seiten, 29,90 Euro.
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Jetzt kommt er zur Ruhe: Peter Sloterdijks Sphären-Trilogie entpuppt sich als eine Philosophie für Leser
Das Sphären-Projekt von Peter Sloterdijk sprengt die Dimensionen. Zweieinhalbtausend Druckseiten umfasst das gesamte, nun vollendete Werk. Darüber darf gestaunt werden. Gewiss, der Drang zur Monumentalität war unter Theoretikern immer wieder zu beobachten, besonders im späten 19. Jahrhundert, als man noch ganze „Völkerpsychologien” aufeinander stapelte oder sich die Weltstellung des Menschen in tief zerklüfteten „Mikrokosmen” vor Augen führte. Der wahre Referenztext der Sphärologie entstammt jedoch nicht der Tradition des Enzyklopädismus, sondern geht auf einen Autor zurück, dessen Name nun im Schlussteil der Sphären-Trilogie endlich fällt: Michel de Montaigne.
Es war Diderot, der bei Montaigne den Dämon der Ausschweifung am Werk sah - wenn es denn erlaubt ist, die Formulierung „diable de ramage” derart frei zu übersetzen. Man möchte das Wort jenen Kritikern in Erinnerung rufen, die sich ans Nächstliegende geklammert und den ersten beiden „Sphären”-Bänden die vermeintliche Unverträglichkeit von Kurzform und epischer Breite vorgehalten haben. Dabei hat bereits Diderot nachgewiesen, dass die Wucherung des Diskurses keine Nachlässigkeit ist, sondern die literarische Ausdrucksgestalt einer Skepsis, die den matt und glanzlos gewordenen Großbegriffen der metaphysischen Tradition misstraut. Auch Sloterdijks „Sphären” sind eine Sprachschöpfung aus dem Geist der Skepsis. Ihre zahllosen Exkurse und Abschweifungen dienen einzig und allein dem Zweck, die Konventionen der philosophischen Prosa zu unterlaufen und deren Aussagefähigkeit zu erneuern. Als Wortkünstler sucht Sloterdijk in die Tat umzusetzen, was die Philosophie noch selten so klar und entschieden von sich verlangt hat: den Ansprüchen der Zeitgenossenschaft zu genügen.
Die Sphärologie, wie Sloterdijk selbst sein Unternehmen nennt, will eine Theorie der Gegenwart sein. Offenbar hat dieser Autor eine Schwäche für aussichtslose Fälle. Wohl deshalb auch nimmt er es auf sich, von Zeit zu Zeit im Fernsehen den philosophischen Don Quijote zu geben, der schon mal vor laufender Kamera einen echten Gedanken entwickelt. Dennoch, oder eben darum gilt er als schwierig - ein Prädikat, das meinungsfeste Beobachter dazu einlädt, sich von den Sorgfaltspflichten der Lektüre entbunden zu fühlen. Der Schlagabtausch über die berühmt-berüchtigte Elmauer Rede („Menschenpark”), der seinerzeit mit dem Start des Sphären-Projekts unglücklich zusammenfiel, legte bei einigen Kritikern bestürzende Leseschwächen frei.
Prickelnde Selbstauflösung
Die nunmehr vorliegenden „Schäume” bilden den mehrhundertseitigen Schlussteil einer philosophischen, mitunter romanhaften Reise, die 1998 begann. Schon damals war zu ahnen, worauf die Sache einmal hinauslaufen würde. Sloterdijk, der seinen Sprachfluss immer wieder durch Bildbeigaben unterbricht, eröffnete den ersten Band mit einer Genre-Szene im Stil von Greuze, auf der ein blond gelockter Knabe staunend einer Seifenblase nachblickt. Untermalt einerseits von der Beharrungskraft des Felsbrockens, auf dem er Platz genommen hat, sowie andererseits von der Hinfälligkeit der Tonscherben zu seinen Füßen spiegelt der Gesichtsausdruck des Kindes tiefe Ratlosigkeit. Der Bewunderung von Form und Farben widerstreitet die übermächtige Gewissheit, dass diese Herrlichkeit schon im nächsten Augenblick zu nichts vergehen wird. Seit alters symbolisiert die Seifenblase die irdische Pracht, die vergehen muss.
Um so bemerkenswerter, dass Sloterdijk just dieses Motiv als Explikationsmetapher der Gegenwart auserkoren hat - methodologisch offenbar einer Eingebung Benjamins folgend, wonach es die Aufgabe modernitätsbewussten Philosophierens sei, für die Darstellung der „intentionslosen Wirklichkeit” charakteristische Figuren und jene „Denkbilder” anzubieten, deren aufschließender Kraft nun auch das Sphären-Projekt vertraut. Betont werden muss an dieser Stelle sogleich: Die Denkbilder der Blasen und Schäume wählt Sloterdijk nicht obwohl, sondern weil sie Sinnbilder des Flüchtigen und der Zerbrechlichkeit sind.
Mit dem nun erfolgten Abschluss wird erkennbar, dass das gesamte Sphären-Projekt einen Prozess der Differenzierung beschreibt. Stellte der erste Band die Mikrostruktur der Blasen, das Verhältnis von Innen und Außen, von Einheit und Zweiheit in den Vordergrund, so schärfte der zweite den Blick für Formen und für die Kugelgestalt als dem ästhetisch-moralischen Formideal schlechthin. Der dritte Band knüpft hier an, wenn er die platonische Begeisterung für Gewölbe und Rundgestalten aufgreift und diese Faszinationsgeschichte über zahlreiche Stationen hinweg bis in die Gegenwart verfolgt. Den thematischen Sprung von der solitären Blase zum pluralen Schaum erleichtert die Einsicht des Verhaltensforschers Jakob von Uexküll, wonach sich die Mikrowelt eines jeden Lebewesens nicht etwa ausdehne wie eine einzige Seifenblase, sondern alles individuelle Leben in einer Art Spezialblase verharre, die wiederum mit anderen Blasen koexistiere - kurz: die mit anderen Blasen Schäume bilde. Unter dem Begriff „Schaum” aber darf man sich „Vielkammersysteme von Gaseinschlüssen in feste und flüssige Materialien” vorstellen, „deren Zellen durch filmartige Wände voneinander getrennt sind”.
Die Genauigkeit hat ihre eigene Komik, und Sloterdijk nimmt derlei Effekte gerne mit. Dabei ist es ihm ernst mit dem Schaum, dessen prickelnde Selbstauflösung für ihn eine eigene, antimetaphysische Pointe birgt. Der Schaum versinnbildlicht, kurz gesagt, die Flüchtigkeit der Geltungen in der Moderne, er ist die „Matrix der humanen Tatsachen insgesamt”, und die daraus gewonnene Schaumkunde oder „Aphrologie” - von griechisch áphros, Schaum - bildet die postmetaphysische und insofern zeitgemäße „Theorie kofragiler Systeme”.
Das ist launig formuliert. Sloterdijk liebt Übertreibungen, Provokationen, Pointen. Seine Angriffe auf das Justemilieu können allerdings auch mal danebengehen. So zeigt die leidenschaftliche Ablehnung der anthropologischen Mängelwesentheorie eigentlich nur, dass Sloterdijk den historischen Protagonisten dieser These, Johann Gottfried Herder, weder gelesen noch verstanden hat. Die resümierende Feststellung, Mensch sein bedeute „die erworbene Unfähigkeit, ein Tier zu bleiben”, ist schlicht und einfach Kokolores. Doch statt zu streichen, setzt Sloterdijk noch eins drauf: „Das verstehe, wer kann.”
Derlei Allotria sind verzeihlich, weil der philosophische Schriftsteller Peter Sloterdijk mit eigener Stimme spricht. Das ist heutzutage, trotz Montaigne, trotz Diderot und Nietzsche, keineswegs selbstverständlich. Die Sphären-Trilogie allerdings muss dergleichen von sich fordern, präsentiert sie sich doch als Beitrag zu einer „forschenden Kultur”, die, anders als die auf geläufige Muster vertrauenden Traditionskulturen, in eine Situation „permanenter Musterrevision” gestellt ist. Spracherprobung, Sprachkritik, Sprachfindung werden unter diesen Umständen zu elementaren Bedürfnissen einer Theorie, die erkannt hat, dass sie begriffsbildend und, im ursprünglichen Sinne des Wortes, poetisch werden muss. Sloterdijk, seine „Sphären” belegen es eindrucksvoll, ist um Einfälle nicht verlegen. Was er jetzt braucht, sind kluge Leser.
RALF KONERSMANN
PETER SLOTERDIJK: Sphären. Plurale Sphärologie. Band III : Schäume. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 916 Seiten, 29,90 Euro.
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