Der Pianist als Dichter: Mit seinen komischen und grotesken Versen baut Alfred Brendel eine luftige Brücke zwischen Sinn und Unsinn. So wird bei ihm Beethoven (der, was auch ziemlich unbekannt ist, ein Neger war) als Mörder von Mozart entlarvt oder die bewegende Frage erörtert, was geschah, als Brahms sich in den Finger geschnitten hatte. In Brendels Gedichten - von denen sämtliche in diesem Band versammelt sind - kommt alles und jeder zur Sprache, sogar ein Speckschwein, das am Telefon grunzend seine Lebensgeschichte erzählt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2004Schabernack mit Engeln
Das schwarze Gelächter des Lyrikers Alfred Brendel
Daß es Teufel / im Grunde gar nicht gibt / hat uns kürzlich / der Leibhaftige selbst verraten / Wir haben dies / betrübt zur Kenntnis genommen / und beschlossen / in Zukunft / uns selbst an die Wand zu malen." Musik sei eine heilige Kunst, heißt es, uns läutern und erheben soll sie, auf daß die Tonkunst bessere Menschen generiere. Und alle platonische Musikästhetik und -erziehung, ganz zu schweigen von der Musiktherapie, geht davon aus, daß im Reich der Töne das, gar der Böse keine Chance habe: Musik mache eben einfach nur gut. Musiker selber freilich sind davon schon weit weniger überzeugt, so roh, ungebildet, wenn nicht bösartig können sie sein. Und haftete nicht Paganini Schwefelgeruch an, beschworen nicht Berlioz und Liszt, auch Busoni immer wieder Höllisches, zumindest entsprechend Schwieriges, auf jeden Fall Mephistophelisches, kultivierten nicht Skrjabin und Prokofjew Satanisch-Diabolisches und Ligeti wie Kagel Teufeleien sinisterster Art? Nicht nur als Pianist ist Alfred Brendel demnach bei Beelzebub in bester Gesellschaft, auch der Geist, der stets verneint, fühlt sich in seiner allernächsten Nähe pudelwohl.
Und so gewiß der scharfsinnige musikalische Analytiker und textkritische Philologe weiß, daß der Teufel im Detail steckt, so bereitwillig gewährt er den großen und vor allem kleinen Höllenkerlen in seinen Gedichten Raum - doch stets auf des schmalsten Messers Schneide zwischen Glaube und Unglaube. Der eingangs zitierte selbstverfertigt-selbstreferentielle Teufelsbeweis ist ein schönes Beispiel solch wahrhaft diabolischer Verunsicherungslogik. Und wer weiß: Wenn Brendel Beethovens Diabelli-Variationen einmal das größte Klavierwerk überhaupt nannte - ob da nicht auch ein klitzekleiner sprachspielerischer Anklang ans Finsternis-Blendwerk mit im Spiel war? Das "Wörterbuch des Teufels" von Ambrose Bierce jedenfalls kommt einem bei Brendels lyrischen Diablerien schon in den Sinn: "Satanische Verse", einmal anders.
Mit dem Lutherischen "Und wenn die Welt voll Teufel wär'" hält es Brendel indes kaum. Zu seiner skurrilen Diabologie gehört nämlich nicht minder die Anglologie - wobei ihm das nächtliche Reich als Literaturverweis auf Mario Praz' "Liebe, Tod und Teufel" anscheinend lieber ist als die Engel-Affirmationen von Peter Handke oder Wim Wenders: "Nur bei den Raffael-Englein bitten wir um Milde / eigenhändig hat Mamà / sie übers Bett genagelt." Brendels Umgang mit den Helfern aller Frommen hat also durchaus sein Frivoles. Sarkastisch, zumindest zynisch jedoch ist er nicht, zu sehr liebt er das Zwischenreich, wo Glaube und Unglaube ineinander changieren. Zumal für einen Musiker ist dies nicht unverständlich. Denn bei aller Skepsis gegenüber wundergläubiger Transzendenz-Versessenheit gehört es doch zu den Mirakel-Phänomenen, wie aus dem schlichten zweidimensionalen Zeichensystem der Notenschrift und einem mechanisch-akustischen Gerät wie dem Klavier das Sublimste und Spirituellste, eben große Musik, erwachsen kann. Aber mit dem plakativen Vertrauen ins schlechthin "Höhere" hat es Brendel nicht. Eher fürchtet er, daß die Engel überhandnehmen, zu einer Art höherer Kaninchenplage ausufern. Da wird er zum schrulligen Schabernack-Scholastiker der Engels- wie Teufelsbeweise - etwa nach der Devise: "Ich glaub' zwar nicht an Hexen - aber geben tut sie's doch." Gerade in latenter Scheiterhaufen-Nähe sind Brendel immer wieder hübsch schräge Katastrophen-Kabinettstücke gelungen.
Vielleicht muß man gerade höchster Versenkung in die Mysterien Mozarts, Beethovens oder Schuberts fähig sein, um sich mit solcher Lust mitunter wahrhaft riesigen Lachbagatellen hingeben zu können. Dabei kann Brendel auch böse sein, und die fremdenfeindlichen Tiraden der österreichischen Jörg-Haider-Welt kriegen durchaus ihr Fett weg, auch wenn die manisch austriaphobische Verbitterung Thomas Bernhards seine Sache nicht ist. Auf den "schwarzen" Wiener Ton, das süße Gift heimatlicher Heimtücke, versteht er sich schon, nur vermag er den Ingrimm immer noch mit understatement zu relativieren: Ganz unbeeinflußt vom schwarzen britischen Humor ist der Wahl-Londoner keineswegs. Und vielleicht schärft die gelegentliche Heimkehr aus der Fremde in die Fremde das Ohr besonders für die Hinterhältigkeiten echt wienerischer Gemütskünstler. Denn daß es nicht Salieri war, der den Götterliebling Mozart giftmeuchelte, ist nun seit Brendel endgültig bewiesen. Beethoven nämlich war der Unhold, und nicht nur das: Ein Neger war er überdies. Und höchstwahrscheinlich war es Mozarts halblaute Bemerkung zu Süßmayr nach einem Beethovenschen Klaviervortrag: "Für an Nega spülta netamoi schlecht", die den vor Eifersucht rasenden c-Moll-Versessenen zu der Untat animierte.
Am schönsten sind Brendels Sprach-Capriccios in ihrer perfekt scheinlogischen Lakonik: "Als Einstein / im Himmel angelangt / sah / daß Gott würfelte / drehte er sich um / und sagte / Wo geht's hier zur Hölle." Im kaleidoskopischen Absurdistan fühlt er sich besonders wohl, und wo er Literatur, Kunst und Musik in grotesken Anspielungen zur Verflüchtigung bringen kann, da tönt sein schwarzes Gelächter besonders hell. Brendels Gedichte sind Finger-Denk-Zeige eines Pianisten, der nichts so sehr haßt wie das schlichte Schwarz-Weiß. Daß die Klaviertastatur diesem Schema entspricht, muß er allerdings billigend in Kauf nehmen.
Alfred Brendel: "Spiegelbild und schwarzer Spuk". Gesammelte und neue Gedichte. Hanser Verlag, München 2003. 287 S., zahlr. Abb., geb., 19,90 [Euro].
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Das schwarze Gelächter des Lyrikers Alfred Brendel
Daß es Teufel / im Grunde gar nicht gibt / hat uns kürzlich / der Leibhaftige selbst verraten / Wir haben dies / betrübt zur Kenntnis genommen / und beschlossen / in Zukunft / uns selbst an die Wand zu malen." Musik sei eine heilige Kunst, heißt es, uns läutern und erheben soll sie, auf daß die Tonkunst bessere Menschen generiere. Und alle platonische Musikästhetik und -erziehung, ganz zu schweigen von der Musiktherapie, geht davon aus, daß im Reich der Töne das, gar der Böse keine Chance habe: Musik mache eben einfach nur gut. Musiker selber freilich sind davon schon weit weniger überzeugt, so roh, ungebildet, wenn nicht bösartig können sie sein. Und haftete nicht Paganini Schwefelgeruch an, beschworen nicht Berlioz und Liszt, auch Busoni immer wieder Höllisches, zumindest entsprechend Schwieriges, auf jeden Fall Mephistophelisches, kultivierten nicht Skrjabin und Prokofjew Satanisch-Diabolisches und Ligeti wie Kagel Teufeleien sinisterster Art? Nicht nur als Pianist ist Alfred Brendel demnach bei Beelzebub in bester Gesellschaft, auch der Geist, der stets verneint, fühlt sich in seiner allernächsten Nähe pudelwohl.
Und so gewiß der scharfsinnige musikalische Analytiker und textkritische Philologe weiß, daß der Teufel im Detail steckt, so bereitwillig gewährt er den großen und vor allem kleinen Höllenkerlen in seinen Gedichten Raum - doch stets auf des schmalsten Messers Schneide zwischen Glaube und Unglaube. Der eingangs zitierte selbstverfertigt-selbstreferentielle Teufelsbeweis ist ein schönes Beispiel solch wahrhaft diabolischer Verunsicherungslogik. Und wer weiß: Wenn Brendel Beethovens Diabelli-Variationen einmal das größte Klavierwerk überhaupt nannte - ob da nicht auch ein klitzekleiner sprachspielerischer Anklang ans Finsternis-Blendwerk mit im Spiel war? Das "Wörterbuch des Teufels" von Ambrose Bierce jedenfalls kommt einem bei Brendels lyrischen Diablerien schon in den Sinn: "Satanische Verse", einmal anders.
Mit dem Lutherischen "Und wenn die Welt voll Teufel wär'" hält es Brendel indes kaum. Zu seiner skurrilen Diabologie gehört nämlich nicht minder die Anglologie - wobei ihm das nächtliche Reich als Literaturverweis auf Mario Praz' "Liebe, Tod und Teufel" anscheinend lieber ist als die Engel-Affirmationen von Peter Handke oder Wim Wenders: "Nur bei den Raffael-Englein bitten wir um Milde / eigenhändig hat Mamà / sie übers Bett genagelt." Brendels Umgang mit den Helfern aller Frommen hat also durchaus sein Frivoles. Sarkastisch, zumindest zynisch jedoch ist er nicht, zu sehr liebt er das Zwischenreich, wo Glaube und Unglaube ineinander changieren. Zumal für einen Musiker ist dies nicht unverständlich. Denn bei aller Skepsis gegenüber wundergläubiger Transzendenz-Versessenheit gehört es doch zu den Mirakel-Phänomenen, wie aus dem schlichten zweidimensionalen Zeichensystem der Notenschrift und einem mechanisch-akustischen Gerät wie dem Klavier das Sublimste und Spirituellste, eben große Musik, erwachsen kann. Aber mit dem plakativen Vertrauen ins schlechthin "Höhere" hat es Brendel nicht. Eher fürchtet er, daß die Engel überhandnehmen, zu einer Art höherer Kaninchenplage ausufern. Da wird er zum schrulligen Schabernack-Scholastiker der Engels- wie Teufelsbeweise - etwa nach der Devise: "Ich glaub' zwar nicht an Hexen - aber geben tut sie's doch." Gerade in latenter Scheiterhaufen-Nähe sind Brendel immer wieder hübsch schräge Katastrophen-Kabinettstücke gelungen.
Vielleicht muß man gerade höchster Versenkung in die Mysterien Mozarts, Beethovens oder Schuberts fähig sein, um sich mit solcher Lust mitunter wahrhaft riesigen Lachbagatellen hingeben zu können. Dabei kann Brendel auch böse sein, und die fremdenfeindlichen Tiraden der österreichischen Jörg-Haider-Welt kriegen durchaus ihr Fett weg, auch wenn die manisch austriaphobische Verbitterung Thomas Bernhards seine Sache nicht ist. Auf den "schwarzen" Wiener Ton, das süße Gift heimatlicher Heimtücke, versteht er sich schon, nur vermag er den Ingrimm immer noch mit understatement zu relativieren: Ganz unbeeinflußt vom schwarzen britischen Humor ist der Wahl-Londoner keineswegs. Und vielleicht schärft die gelegentliche Heimkehr aus der Fremde in die Fremde das Ohr besonders für die Hinterhältigkeiten echt wienerischer Gemütskünstler. Denn daß es nicht Salieri war, der den Götterliebling Mozart giftmeuchelte, ist nun seit Brendel endgültig bewiesen. Beethoven nämlich war der Unhold, und nicht nur das: Ein Neger war er überdies. Und höchstwahrscheinlich war es Mozarts halblaute Bemerkung zu Süßmayr nach einem Beethovenschen Klaviervortrag: "Für an Nega spülta netamoi schlecht", die den vor Eifersucht rasenden c-Moll-Versessenen zu der Untat animierte.
Am schönsten sind Brendels Sprach-Capriccios in ihrer perfekt scheinlogischen Lakonik: "Als Einstein / im Himmel angelangt / sah / daß Gott würfelte / drehte er sich um / und sagte / Wo geht's hier zur Hölle." Im kaleidoskopischen Absurdistan fühlt er sich besonders wohl, und wo er Literatur, Kunst und Musik in grotesken Anspielungen zur Verflüchtigung bringen kann, da tönt sein schwarzes Gelächter besonders hell. Brendels Gedichte sind Finger-Denk-Zeige eines Pianisten, der nichts so sehr haßt wie das schlichte Schwarz-Weiß. Daß die Klaviertastatur diesem Schema entspricht, muß er allerdings billigend in Kauf nehmen.
Alfred Brendel: "Spiegelbild und schwarzer Spuk". Gesammelte und neue Gedichte. Hanser Verlag, München 2003. 287 S., zahlr. Abb., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Von diesem Band mit Gedichten des Pianisten Alfred Brendel aus den vergangenen zehn Jahren scheint Michael Braun ziemlich begeistert zu sein. Er stellt fest, dass Brendel in seinen Arbeiten auf eine in der "Moderne wenig genutzte" lyrische Gattung zurückgreift, nämlich auf den "komödiantischen Vers". Die Gedichte sind von seltsamen Tieren wie dem "Speckschwein", einem Dromedar mit Dackelbeinen oder einem "schnarchenden Hund", aber auch "Klavierteufeln", Engeln und Gespenstern belebt, so der Rezensent amüsiert. Er stellt fest, dass Brendel kein Interesse an "spracheexperimentellen Konstruktionen" hat, sondern unverdrossen dem Wortwitz, dem Kalauer und der Anarchie huldigt, wobei er die "Lesbarkeit" seiner Gedichte "nicht als Skandal empfindet", wie der Rezensent eingenommen betont.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Kaustischer Witz, Spukbilder der Albernheit: Die Gedichte des Pianisten Alfred Brendel." Andreas Dorschel, Süddeutsche Zeitung, 15.01.04
"Sprach-Capriccios in einer perfekt scheinlogischen Lakonik." Gerhard. R. Koch, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.01.04
"Der Autodidakt zündet ein Feuerwerk an skurrilen Absonderlichkeiten, denen eines gemeinsam ist: Sie treffen immer ins Schwarze." Hilmar Bahr, Frankfurter Neue Presse, 05.02.04
"Kein Zweifel, der Pianist Brendel hat nicht nur Töne, sondern auch Sprache und vor allem Humor. Manchmal beisst dieser hinterlistig, wie Emil, wenn er hungrig die Zähne ins Dichtermark schlägt. Manchmal lächelt er auch nur verschlagen engelhaft und teuflisch." Der Bund, 17.04.04
"Sprach-Capriccios in einer perfekt scheinlogischen Lakonik." Gerhard. R. Koch, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.01.04
"Der Autodidakt zündet ein Feuerwerk an skurrilen Absonderlichkeiten, denen eines gemeinsam ist: Sie treffen immer ins Schwarze." Hilmar Bahr, Frankfurter Neue Presse, 05.02.04
"Kein Zweifel, der Pianist Brendel hat nicht nur Töne, sondern auch Sprache und vor allem Humor. Manchmal beisst dieser hinterlistig, wie Emil, wenn er hungrig die Zähne ins Dichtermark schlägt. Manchmal lächelt er auch nur verschlagen engelhaft und teuflisch." Der Bund, 17.04.04