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Provokant, schonungslos, stark: Der neue Jugendroman von Alina Bronsky. Wie viel Zerstörung erträgt eine Gesellschaft, eine Familie, ein junger Mensch?
Sie sagen, der Wald ist verboten Sie fürchten, er rückt immer näher Aber du tust alles, um hineinzukommen
Sie nennen sich das Rudel und keiner traut dem anderen. Doch Juli ist froh, dass die abgerissenen Gestalten, die am Rand der Normalität leben, sie überhaupt aufgenommen haben. Nachdem ihr der Zugang zur Welt der Pheen verwehrt wird, hat sie keine Heimat mehr. Schlimmer noch, innerhalb der Normalität wird sie als letzte lebende Phee…mehr

Produktbeschreibung
Provokant, schonungslos, stark: Der neue Jugendroman von Alina Bronsky. Wie viel Zerstörung erträgt eine Gesellschaft, eine Familie, ein junger Mensch?

Sie sagen, der Wald ist verboten
Sie fürchten, er rückt immer näher
Aber du tust alles, um hineinzukommen


Sie nennen sich das Rudel und keiner traut dem anderen. Doch Juli ist froh, dass die abgerissenen Gestalten, die am Rand der Normalität leben, sie überhaupt aufgenommen haben. Nachdem ihr der Zugang zur Welt der Pheen verwehrt wird, hat sie keine Heimat mehr. Schlimmer noch, innerhalb der Normalität wird sie als letzte lebende Phee und gefährliche Mörderin gejagt. Verzweifelt versucht Juli, die Brücken zu ihrem früheren Leben wiederherzustellen. Doch bald muss sie erkennen, dass die Freunde von einst zu Feinden geworden sind und Verrat in der neuen Welt an der Tagesordnung ist.
Autorenporträt
Alina Bronsky, Jahrgang 1978, war Medizinstudentin, Werbetexterin und Redakteurin bei einer Tageszeitung, bis sie eines Tages ein Manuskript an drei Verlage schickte und auf Anhieb die Zusage bekam. Ihr Debüt "Scherbenpark" gehörte zu den meist beachteten Debüts des Jahres 2008, wurde für diverse Preise nominiert, darunter den Deutschen Jugendliteraturpreis, und für das Kino verfilmt. Ihr zweiter Roman "Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche" stand auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Die Rechte an Bronskys Romanen wurden in mehr als 15 Länder verkauft, sie erscheinen unter anderem in den USA und Italien. "Spiegelkind" und "Spiegelriss" bezeichnet Alina Bronsky als ihre bisher persönlichsten Bücher.

Foto © Bettina Fürst-Fastré
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2013

Wie man im Rudel überlebt

Vom Straßenkind zur Revolutions-Ikone: Alina Bronsky setzt mit "Spiegelriss" ihre Geschichte vom Mädchen Juli fort, das in einer zerstörten Welt niemandem vertrauen kann.

Am Ende von "Spiegelkind", Alina Bronskys Debüt im Bereich der Jugendliteratur (F.A.Z. vom 28. Januar 2012), belauscht das Mädchen Juli die letzte Begegnung zwischen ihren Eltern. Das Paar lebt schon seit längerem getrennt, und sonderlich herzlich ist das Zusammentreffen nicht: Julis Vater liegt sterbenskrank im Bett, die Mutter hält Abstand und teilt ihm mit, sie könne ihm nicht mehr helfen. Nur eines liege noch in ihrer Macht, aber, sagt sie, "davor hast du die größte Angst überhaupt". Schließlich hilft sie ihm tatsächlich sanft in den Tod, und die versteckte Juli sieht, wie sich "sein eben noch so entspanntes Gesicht" zur Fratze verzerrt und aus den geöffneten Lippen "ein kleiner grauer Vogel entschlüpft, von der Hand meiner Mutter aufgefangen wird, sich aufplustert und schüttelt".

Die Welt, in der sich diese Geschichte abspielt, trägt Züge der unseren und ist doch eine andere. Und der Konflikt, der den ersten Teil von Bronskys "Spiegel"-Serie prägte, setzt sich im zweiten Band fort, der dieser Tage erschienen ist: Eine saturierte Gesellschaft sieht sich einer wachsenden Schicht von Unterprivilegierten gegenüber, die sich durch Druck nur noch mühsam daran hindern lässt, ihre Rechte einzufordern.

Gleichzeitig - und verwoben mit dem sozialen Aufruhr - bilden die mysteriösen "Pheen" ein irritierendes Moment. Weil sie offenbar über magische Kräfte verfügen, werden sie beneidet und gefürchtet. Sie können es kaum noch wagen, unter Sterblichen zu leben, und wer es wie Julis Mutter doch tut, riskiert eine Existenz, die von andauernden Anfeindungen bis hin zu körperlicher Gewalt geprägt ist. Der Preis, den ihre Partner zahlen, ist ebenfalls nicht unbeträchtlich, aber Julis Vater verdankt seiner Frau immerhin, dass er durch ihre Magie noch einige Jahre weiterlebt, obwohl er längst auf den Tod verwundet ist. Er ist, wenn man so will, ein Zombie. Und das, was ihn am Leben hält, ist der kleine graue Vogel, der ihn schließlich verlässt.

An dieser Stelle setzt "Spiegelriss" ein, doch die Szenerie ist verändert, und was in der erzählerischen Lücke zwischen den beiden Bänden geschehen ist, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Juli lebt nun nicht mehr im Wohlstand, sondern mit einer Bande von Straßenkindern, genannt "das Rudel". Sie ist eher geduldet als anerkannt, sie weiß auch, "dass es vielleicht langsam ganz gut wäre, wenn ich näher an die anderen rücken, mich geselliger und aufgeschlossener zeigen würde. Aber ich kann das nicht." Und sie bemüht sich nach Kräften, niemanden wissen zu lassen, dass sie einst zu denen gehörte, die sie nun bestiehlt und fürchtet.

All dies sind natürlich Versatzstücke, die man als Motive aus der Jugendliteratur kennt: die scharf zwischen Arm und Reich geschiedene Gesellschaft, in der ein behütetes Kind plötzlich die andere Seite kennenlernt; der Aufstand der Armen, der widerwillig, aber entscheidend durch die ehemals im Wohlstand lebende Heldin (seltener: den Helden) vorangebracht wird; schließlich der desillusionierte Blick auf die siegreichen Revolutionäre, die erkennbar ihr jeweils eigenes Süppchen kochen.

Doch Bronsky entgeht gekonnt jeder Falle, die in diesen Motiven lauert, indem sie von Anfang an auf die Eigengesetzlichkeit ihrer Welt pocht: Es gibt immer einen Ausweg in eine parallele Existenz jenseits der Straßen, in der sogar die Zeit anders verrinnt, man muss ihn nur finden. Und wo der Zufluchtsort Wald einmal durch die Ansprüche der Zivilisation in seiner Ausdehnung beschnitten wird, nimmt er sich sein Recht und dringt von den Rändern her neuerlich in die Metropole ein - bedrohlich und unaufhaltsam wie in "Macbeth". So entwirft Bronsky ein surreales Panoptikum, gespeist aus Genre-Versatzstücken, und das eigentliche Wunder dieses Buches ist, wie daraus eine konsistente Geschichte erwächst.

Wesentlich ist dabei, dass viele der Protagonisten hinter einem Wust von phantasievoll ausgeschmückten Berichten und Mutmaßungen verborgen bleiben, die über sie kursieren. So wird gleich zu Beginn am Lagerfeuer des Rudels unter lustvollem Gruseln aller Beteiligten ein Bild der Pheen entworfen, das sich erkennbar aus Groschenheften speist und grelle Züge von Hass und schwarzer Magie aufweist, von Rache an den Normalsterblichen und dem verzweifelten Wunsch, zu ihnen zu gehören. Juli, die es besser wissen muss, schweigt lieber, so wie sie später, als sie ungewollt zur Ikone des Aufstands avanciert, wiederum hilflos zusehen muss und all die mit ihr verbundenen Vorstellungen unkommentiert lässt.

Die erzählerische Radikalität, die der phantastische Jugendroman seit je ermöglicht, wird in der Flut der Neuerscheinungen leider nur selten überzeugend eingelöst. Alina Bronsky gelingt das mit leichter Hand und staunenswerter Effektivität: Eindeutig ist da gar nichts, vieles bleibt dunkel, die Atmosphäre ihres Buchs bleibt trotzdem dicht und immer interessant, besonders dort, wo in der genrehaften Zuspitzung und Verfremdung universale Befindlichkeiten aufscheinen: Man muss keine Phee sein, um sich plötzlich in einem schmerzlichen Ablösungsprozess vom fremd gewordenen (oder: gebliebenen) Partner wiederzufinden, aber man weiß sich möglicherweise in diesem Bild durchaus getroffen. Man muss keinen fragilen grauen Vogel in sich tragen, um die eigene Existenz als lediglich geborgt zu verstehen, aber man wird das Symbol dankbar annehmen. Man muss keinen Fuß in den tatsächlichen Wald setzen, um das, was er in diesem Kontext darstellt, als einen Sehnsuchtsort zu begreifen. Und man versteht, was es hier bedeutet, wenn von einem Waldbrand berichtet wird.

Ähnlich wie "Spiegelkind" endet auch "Spiegelriss" vollkommen offen. Man könnte nicht einmal vorhersagen, ob das Buch eine Fortsetzung finden und die Reihe sich so zur Trilogie weiten wird. Klar ist immerhin, dass Julis Geschichte keinen Abschluss benötigt. Denn das Vorläufige scheint dieser Figur eingeschrieben, der die Autorin jede Sicherheit verwehrt. Wo Juli entkommt, findet sie kaum mehr als ein Atemholen. Vielleicht rührt der Reiz dieses Romans nicht zuletzt aus seiner desillusionierten Perspektive.

TILMAN SPRECKELSEN

Alina Bronsky: "Spiegelriss".

Arena Verlag, Würzburg 2013. 264 S., geb., 14,99 [Euro]. Ab 14 J.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Tilman Spreckelsen freut sich, dass mit "Spiegelriss" nun ein zweiter Teil aus Alina Bronskys Jugendbuchserie erschienen ist. Wie bereits in "Spiegelkind" trifft der Kritiker hier auf die junge behütete Juli, die nach dem Tod ihres Vaters ihr Wohlstandsleben im mysteriösen "Pheenreich" aufgibt und sich einer Gruppe von Straßenkindern anschließt, die voller Hass gegen die Reichen kämpfen. Auch wenn Spreckelsen viele der Motive aus der Jugendliteratur kennt, stellt er voller Anerkennung fest, wie es der Autorin abermals gelingt, aus verschiedenen überraschenden Versatzstücken ein "surreales Panoptikum" zu entwerfen und den Leser mit faszinierenden Figuren zu fesseln. Nicht zuletzt ist der Rezensent von der Sprachgewalt, der "erzählerischen Radikalität" und der atmosphärischen Dichte dieses fantastischen Jugendromans begeistert.

© Perlentaucher Medien GmbH