Die wissenschaftliche Analyse literarischer Autorschaft bewegt sich in einem Spektrum zwischen personalen Zuschreibungen und gesellschaftlich-diskursiven Bedingungszusammenhängen: zwischen 'Urheberschaft' und 'Autorität'. Beide Aspekte, so Wolfgang Iser im vorliegenden Band, "stehen nicht in wechselseitiger Deckung", so daß einseitig erzähltheoretische, subjektphilosophische, soziologische oder individualpsychologische Zugänge nur zu einer perspektivischen Verzerrung führen können. Deren Symptom ist nicht zuletzt die seit den späten sechziger Jahren kontrovers geführte Diskussion über Tod, Verschwinden und Wiederkehr 'des Autors', in der sich Standpunkte der Hermeneutik und Diskursanalyse bisher weitgehend unvermittelt gegenüberstehen.
Die Beiträge dieses Bandes stellen sich jenem Dilemma, indem sie die Verflechtung heterogener Faktoren und die daraus hervorgehenden, historisch mehr oder weniger flexiblen Spielräume des auktorialen Diskurses diskutieren, die dem individuellen Schreibakt vorausliegen und zugleich von ihm mitgeprägt werden. Gegenstand der historischen wie systematischen Untersuchungen sind die heterogenen Konstitutionsbedingungen von Autorschaft, Probleme der Repräsentation von Auktorialität im literarischen Text sowie die Zusammenhänge von Literatur und Autorität im weiten Sinne (Kanonisierungsprozesse und Kanondebatten, Medienkonkurrenz). Die Aufsätze zu einer Reihe von Einzelautoren (Flaubert, Tennyson, Dostoevskij, Doderer, Nabokov u. a.) verstehen sich vor allem als Fallstudien zur Konstitution und De(kon)struktion von Auktorialität in der neueren europäischen Literatur- und Mediengeschichte.
Mit Beiträgen von Ingo Berensmeyer, Wolfgang Iser, Wolfgang Stephan Kissel, Ralph Kray, J. Hillis Miller, K. Ludwig Pfeiffer, Gerhard Plumpe, Klaus Reichert, Ulrich Schulz-Buschhaus, Klaus Städtke, Franziska Thun-Hohenstein und Carsten Zelle.
Die Beiträge dieses Bandes stellen sich jenem Dilemma, indem sie die Verflechtung heterogener Faktoren und die daraus hervorgehenden, historisch mehr oder weniger flexiblen Spielräume des auktorialen Diskurses diskutieren, die dem individuellen Schreibakt vorausliegen und zugleich von ihm mitgeprägt werden. Gegenstand der historischen wie systematischen Untersuchungen sind die heterogenen Konstitutionsbedingungen von Autorschaft, Probleme der Repräsentation von Auktorialität im literarischen Text sowie die Zusammenhänge von Literatur und Autorität im weiten Sinne (Kanonisierungsprozesse und Kanondebatten, Medienkonkurrenz). Die Aufsätze zu einer Reihe von Einzelautoren (Flaubert, Tennyson, Dostoevskij, Doderer, Nabokov u. a.) verstehen sich vor allem als Fallstudien zur Konstitution und De(kon)struktion von Auktorialität in der neueren europäischen Literatur- und Mediengeschichte.
Mit Beiträgen von Ingo Berensmeyer, Wolfgang Iser, Wolfgang Stephan Kissel, Ralph Kray, J. Hillis Miller, K. Ludwig Pfeiffer, Gerhard Plumpe, Klaus Reichert, Ulrich Schulz-Buschhaus, Klaus Städtke, Franziska Thun-Hohenstein und Carsten Zelle.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.2003Da macht der Autor "ping"
Wildes Denken: Ein Sammelband über den auktorialen Diskurs
Es gehört zu den Spielregeln des Romans, die reale Person des Autors von der zu unterscheiden, die erzählt. Doch der Literaturbetrieb besteht zu großen Teilen aus Veranstaltungen - Lesungen, Fernsehauftritten, Interviews -, die die Unterscheidung der Person des Autors von seiner Funktion im Text zu vertuschen suchen. Hier wird der reale Autor für das verantwortlich gemacht, was er erdichtet. Der russische Formalismus hingegen hat den Glauben an die göttliche Inspiration des Dichters, ans Genie, das sich im Werk ausdrückt, längst zerstört und die gesamte Literatur, ihre Figuren, ihre Gattungen, als eigenständiges Gewebe erkannt. Um diese Desillusionierung auszuhalten, bedarf es seither einer eigenen Kaste, der Literaturwissenschaftler. Die Trennung des naiven vom analytischen Leser spiegelt sich in der unterschiedlichen Behandlung des Autors in Literaturbetrieb und Wissenschaft. Ein Sammelband über "Spielräume des auktorialen Erzählens" wendet sich deshalb gerade jener Frage zu, an der sich Literaturwissenschaft und -konsum scheiden.
Der "Tod des Autors" ist seit Roland Barthes ein gängiges Schlagwort. Barthes konstatierte die Selbstauslöschung des modernen Autors im Prozeß des Schreibens; dieser mache sich hinter den Figuren, deren Perspektive er scheinbar übernimmt, oder durch Zitate und Sprachspiele unsichtbar. Dieser bündigen Formel unterwerfen sich die meisten Aufsätze des Bandes. Klaus Reichert präzisiert die Figur des poeta doctus, der sich hinter der Fülle seiner gelehrten Kenntnisse versteckt. In der Antike habe das gelehrte Wissen des Dichters in naturphilosophischen Lehren bestanden, in der Renaissance trat an ihre Stelle die Kenntnis der Klassiker der Antike selbst. In neuester Zeit, bei Pound, Eliot, Joyce bedeutet "doctus" zu sein, "ein halbes Dutzend europäischer Sprachen zu beherrschen und ein Dutzend weiterer Sprachen und Dialekte wenigstens zu kennen, bedeutet die Verfügung über abgelegenes, auch obsolet gewordenes Wissen wie das der Scholastik oder der Esoterik".
Wolfgang Iser hingegen setzt seinen ganzen Scharfsinn ein, um durch komplizierte strukturale Operationen am Text den "Tod des Autors" festzustellen. Was Barthes nonchalant behauptete, begründet Iser nun durch mathematische Überlegungen über das, was eine Null sei: Denn die Urheberschaft, der Anfang aller Autorschaft, führe nicht immer zu Autorität und sei deshalb als "Nullstelle", als Voraussetzung aller literarischen Schöpfung einzusetzen. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit hat ein Text nur Autorität, wenn er die auctores, die antiken Vorbilder, zitierte. Der Autor mußte also geradezu durch Zitate bekunden, daß sein Text der Tradition würdig sei. Es wird zu einer Aufgabe der Literatur späterer Epochen, die "Nullstelle" des Urhebers mit den Ansprüchen eines individuellen Autors zu besetzen. Doch die Moderne muß auch diese Illusion aufgeben, daß der Autor einen Repräsentanten im Text habe. Iser endet deshalb den historischen Parcours, der über viele definitorische Spitzfindigkeiten hinwegzusetzen hat, bei Beckett, der im sinnentleerten Worthaufen seines Textes "Ping" den Autor unentwegt auftreten läßt, aber eben doch nur noch durch dies dürftige akustische Signal "ping".
Zwischen den Polen der historischen Belehrung und dem intellektuellen Vergnügen bewegen sich auch die übrigen Aufsätze. Franziska Thun-Hohenstein stellt in einem Aufsatz über Mereschkowskis Porträtsammlung "Ewige Gefährten" die Biographie als Möglichkeit vor, durch die die "Selbstermächtigung des literarischen Autors und die Autoritätszuschreibung durch die Gesellschaft" miteinander versöhnt würden. Klaus Städtke wiederholt Michail Bachtins Einsicht in die "Vielstimmigkeit" als Hauptmerkmal von Dostojewskis Erzählen: Der Romanautor spreche in stets sich wandelnden Stimmen, er verwandle sich in seine Figuren. Diese Mimikry sei der erste Schritt, wodurch ein Autor seine Position reflektiere. Auch Ulrich Schulz-Buschhaus stellt sich in die Tradition des russischen Formalismus, wenn er die Auflösung der auktorialen Autorität als Leistung des komischen Epos und des Romans, etwa des "Tristram Shandy", beschreibt.
Die Unzufriedenheit darüber, den neueren Theorien von Formalismus und Dekonstruktivismus nichts als Nuancen hinzufügen zu können, verführt einige Beiträger dazu, den theoretischen Gestus zu zelebrieren. Sie hat ein wahrer Sprachschöpfungstaumel erfaßt, der Anlaß gibt, über die Sprache der Literaturwissenschaft selbst nachzudenken. "Zweifel" werden da "invisibilisiert", "postmoderne Fluchtpunkte mit Nietzsche bilanziert", "Ich- und Autor-Geltungen als Vergleichsmatrix der Selbstkonstruktion neu topographiert", es geht um die "Adressabilität" eines Autors, um die Frage, ob er "empor-degradiert" werde, oder darum, wie es mit seiner "eigenen Reputationslage" aussehe.
Es ist nicht unfair, solche Wörter aus dem Zusammenhang zu reißen, wenn sie, wie hier, einem Imponiergehabe entspringen, das bemerkt werden will. Manche Beiträger tun so, als schrieben sie für Orchideenliebhaber, die auf ihre Neuzüchtungen neugierig sind. Der Wildwuchs, der statt dessen unter ihren Händen sprießt, ist symptomatisch für die unselige Rücksichtslosigkeit der Literaturwissenschaft dem gebildeten Publikum gegenüber. Die Vieldeutigkeit der Alltagssprache, so geben die Theoriegewaltigen vor, tauge nichts mehr, sobald die Wissenschaft eine derartige Klarheit über Poesie und Sprache gewonnen habe. Das Wortungeheuer ist das Familienwappen dieser Elite, der letzte Triumph einer antibürgerlichen Opposition in den Universitäten.
HANNELORE SCHLAFFER.
"Spielräume des auktorialen Diskurses". Herausgegeben von Klaus Städtke und Ralph Kray. Akademie Verlag, Berlin 2003. 277 S., geb., 49,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wildes Denken: Ein Sammelband über den auktorialen Diskurs
Es gehört zu den Spielregeln des Romans, die reale Person des Autors von der zu unterscheiden, die erzählt. Doch der Literaturbetrieb besteht zu großen Teilen aus Veranstaltungen - Lesungen, Fernsehauftritten, Interviews -, die die Unterscheidung der Person des Autors von seiner Funktion im Text zu vertuschen suchen. Hier wird der reale Autor für das verantwortlich gemacht, was er erdichtet. Der russische Formalismus hingegen hat den Glauben an die göttliche Inspiration des Dichters, ans Genie, das sich im Werk ausdrückt, längst zerstört und die gesamte Literatur, ihre Figuren, ihre Gattungen, als eigenständiges Gewebe erkannt. Um diese Desillusionierung auszuhalten, bedarf es seither einer eigenen Kaste, der Literaturwissenschaftler. Die Trennung des naiven vom analytischen Leser spiegelt sich in der unterschiedlichen Behandlung des Autors in Literaturbetrieb und Wissenschaft. Ein Sammelband über "Spielräume des auktorialen Erzählens" wendet sich deshalb gerade jener Frage zu, an der sich Literaturwissenschaft und -konsum scheiden.
Der "Tod des Autors" ist seit Roland Barthes ein gängiges Schlagwort. Barthes konstatierte die Selbstauslöschung des modernen Autors im Prozeß des Schreibens; dieser mache sich hinter den Figuren, deren Perspektive er scheinbar übernimmt, oder durch Zitate und Sprachspiele unsichtbar. Dieser bündigen Formel unterwerfen sich die meisten Aufsätze des Bandes. Klaus Reichert präzisiert die Figur des poeta doctus, der sich hinter der Fülle seiner gelehrten Kenntnisse versteckt. In der Antike habe das gelehrte Wissen des Dichters in naturphilosophischen Lehren bestanden, in der Renaissance trat an ihre Stelle die Kenntnis der Klassiker der Antike selbst. In neuester Zeit, bei Pound, Eliot, Joyce bedeutet "doctus" zu sein, "ein halbes Dutzend europäischer Sprachen zu beherrschen und ein Dutzend weiterer Sprachen und Dialekte wenigstens zu kennen, bedeutet die Verfügung über abgelegenes, auch obsolet gewordenes Wissen wie das der Scholastik oder der Esoterik".
Wolfgang Iser hingegen setzt seinen ganzen Scharfsinn ein, um durch komplizierte strukturale Operationen am Text den "Tod des Autors" festzustellen. Was Barthes nonchalant behauptete, begründet Iser nun durch mathematische Überlegungen über das, was eine Null sei: Denn die Urheberschaft, der Anfang aller Autorschaft, führe nicht immer zu Autorität und sei deshalb als "Nullstelle", als Voraussetzung aller literarischen Schöpfung einzusetzen. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit hat ein Text nur Autorität, wenn er die auctores, die antiken Vorbilder, zitierte. Der Autor mußte also geradezu durch Zitate bekunden, daß sein Text der Tradition würdig sei. Es wird zu einer Aufgabe der Literatur späterer Epochen, die "Nullstelle" des Urhebers mit den Ansprüchen eines individuellen Autors zu besetzen. Doch die Moderne muß auch diese Illusion aufgeben, daß der Autor einen Repräsentanten im Text habe. Iser endet deshalb den historischen Parcours, der über viele definitorische Spitzfindigkeiten hinwegzusetzen hat, bei Beckett, der im sinnentleerten Worthaufen seines Textes "Ping" den Autor unentwegt auftreten läßt, aber eben doch nur noch durch dies dürftige akustische Signal "ping".
Zwischen den Polen der historischen Belehrung und dem intellektuellen Vergnügen bewegen sich auch die übrigen Aufsätze. Franziska Thun-Hohenstein stellt in einem Aufsatz über Mereschkowskis Porträtsammlung "Ewige Gefährten" die Biographie als Möglichkeit vor, durch die die "Selbstermächtigung des literarischen Autors und die Autoritätszuschreibung durch die Gesellschaft" miteinander versöhnt würden. Klaus Städtke wiederholt Michail Bachtins Einsicht in die "Vielstimmigkeit" als Hauptmerkmal von Dostojewskis Erzählen: Der Romanautor spreche in stets sich wandelnden Stimmen, er verwandle sich in seine Figuren. Diese Mimikry sei der erste Schritt, wodurch ein Autor seine Position reflektiere. Auch Ulrich Schulz-Buschhaus stellt sich in die Tradition des russischen Formalismus, wenn er die Auflösung der auktorialen Autorität als Leistung des komischen Epos und des Romans, etwa des "Tristram Shandy", beschreibt.
Die Unzufriedenheit darüber, den neueren Theorien von Formalismus und Dekonstruktivismus nichts als Nuancen hinzufügen zu können, verführt einige Beiträger dazu, den theoretischen Gestus zu zelebrieren. Sie hat ein wahrer Sprachschöpfungstaumel erfaßt, der Anlaß gibt, über die Sprache der Literaturwissenschaft selbst nachzudenken. "Zweifel" werden da "invisibilisiert", "postmoderne Fluchtpunkte mit Nietzsche bilanziert", "Ich- und Autor-Geltungen als Vergleichsmatrix der Selbstkonstruktion neu topographiert", es geht um die "Adressabilität" eines Autors, um die Frage, ob er "empor-degradiert" werde, oder darum, wie es mit seiner "eigenen Reputationslage" aussehe.
Es ist nicht unfair, solche Wörter aus dem Zusammenhang zu reißen, wenn sie, wie hier, einem Imponiergehabe entspringen, das bemerkt werden will. Manche Beiträger tun so, als schrieben sie für Orchideenliebhaber, die auf ihre Neuzüchtungen neugierig sind. Der Wildwuchs, der statt dessen unter ihren Händen sprießt, ist symptomatisch für die unselige Rücksichtslosigkeit der Literaturwissenschaft dem gebildeten Publikum gegenüber. Die Vieldeutigkeit der Alltagssprache, so geben die Theoriegewaltigen vor, tauge nichts mehr, sobald die Wissenschaft eine derartige Klarheit über Poesie und Sprache gewonnen habe. Das Wortungeheuer ist das Familienwappen dieser Elite, der letzte Triumph einer antibürgerlichen Opposition in den Universitäten.
HANNELORE SCHLAFFER.
"Spielräume des auktorialen Diskurses". Herausgegeben von Klaus Städtke und Ralph Kray. Akademie Verlag, Berlin 2003. 277 S., geb., 49,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit der Frage, inwieweit ein Autor mit seinem Text identifiziert werden kann, beschäftigt sich der auktoriale Diskurs, der Thema dieses Sammelbands ist, erklärt Hannelore Schlaffer. Die naive Auffassung des Lesers, der den Autor für seinen Roman verantwortlich macht, unterscheide sich insofern von der analytischen Rezeption der Literaturwissenschaftler. In den meisten Beiträgen wird die Auffassung vom "Tod des Autors", die von Roland Barthes stammt, vertreten, berichtet Schlaffer. Hier verschwindet der Autor selbst hinter seinen Figuren, wie sie erklärt. Einige Texte gehen der Rezensentin in der ausufernden Anwendung eigener Sprachschöpfungen allerdings zu weit. So äußert sie ihren Unmut über "invisibilisierte" Zweifel, die "Adressabilität" eines Autors" oder "ob er empor-degradiert" werde. Solche verbalen Auswüchse deutet sie als "Imponiergehabe" und vergleicht ihre Urheber mit Orchideenzüchtern, die den "Wildwuchs" nicht bemerken, der "unter ihren Händen sprießt".
© Perlentaucher Medien GmbH
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