Aufgewachsen in Leipzig als Arbeiter- und Bauernkind, entwickelte sich Dieter Dorn zu einer der bedeutenden Persönlichkeiten der jüngeren deutschen Theatergeschichte. Mußte er zu Beginn seiner Karriere - am Staatsschauspiel Hannover - wegen ungebührlichen Verhaltens gehen, so legte sich ein paar Jahrzehnte später der bayerische Kultusminister persönlich ins Zeug, um ihn fürs Münchner Residenztheater zu gewinnen.
Dieter Dorn erzählt in seiner spannenden Biographie von seinen holprigen Anfängen als Schauspielschüler, der Begegnung mit Bertolt Brecht, seiner Flucht aus der DDR, der Arbeit als Regisseur an Bühnen wie Essen, Hamburg und Berlin, an Opernhäusern wie Wien, Salzburg und der New Yorker Met und natürlich von seiner Zeit als Intendant an den Kammerspielen und dem Residenztheater in München. Er beschreibt eindrücklich, wie intensiv und fordernd sich jede Annäherung an einen Bühnenautor und dessen Werk gestaltet, die wie neue Kontinente erschlossen werden wollen. Breiten Raum nehmen in Dieter Dorns Erinnerungen die Ensembles ein, mit denen er versucht hat, gemeinsame künstlerische Visionen zu verwirklichen. So begegnen wir in diesem reich bebilderten Werk vielen seiner Protagonisten und Weggefährten wieder - unter ihnen Gisela Stein, Sunnyi Melles, Heinz Bennent, Helmut Griem, Thomas Holtzmann, Rolf Boysen, aber auch sein Bühnenbildner Jürgen Rose -, von denen einige, wie etwa Cornelia Froboess, auch selbst zu Wort kommen. Kritisch und selbstkritisch berichtet Dieter Dorn schließlich von seinen Konflikten mit Institutionen, Politikern und Kollegen, vom Scheitern und vom künstlerischen Erfolg und immer wieder von der ungebrochenen Freude an einem Leben für das Theater.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Dieter Dorn erzählt in seiner spannenden Biographie von seinen holprigen Anfängen als Schauspielschüler, der Begegnung mit Bertolt Brecht, seiner Flucht aus der DDR, der Arbeit als Regisseur an Bühnen wie Essen, Hamburg und Berlin, an Opernhäusern wie Wien, Salzburg und der New Yorker Met und natürlich von seiner Zeit als Intendant an den Kammerspielen und dem Residenztheater in München. Er beschreibt eindrücklich, wie intensiv und fordernd sich jede Annäherung an einen Bühnenautor und dessen Werk gestaltet, die wie neue Kontinente erschlossen werden wollen. Breiten Raum nehmen in Dieter Dorns Erinnerungen die Ensembles ein, mit denen er versucht hat, gemeinsame künstlerische Visionen zu verwirklichen. So begegnen wir in diesem reich bebilderten Werk vielen seiner Protagonisten und Weggefährten wieder - unter ihnen Gisela Stein, Sunnyi Melles, Heinz Bennent, Helmut Griem, Thomas Holtzmann, Rolf Boysen, aber auch sein Bühnenbildner Jürgen Rose -, von denen einige, wie etwa Cornelia Froboess, auch selbst zu Wort kommen. Kritisch und selbstkritisch berichtet Dieter Dorn schließlich von seinen Konflikten mit Institutionen, Politikern und Kollegen, vom Scheitern und vom künstlerischen Erfolg und immer wieder von der ungebrochenen Freude an einem Leben für das Theater.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2013Alle seine Wundertiere
Dieter Dorn hat eine beglückende Autobiographie geschrieben: Aus dem Regisseursleben eines Figuren- und Menschenfischers.
Von Gerhard Stadelmaier
Damals, im Februar 2011, dachte man gleich: Aus dieser Szene könnte man ein schönes Buch machen. Aus der völlig leeren Bühne des Münchner Residenztheaters. Aus dem hohen, weißen Viereck aus Pappe vor der weißen Brandmauer, auf dem die Umrisse eines Cherubs mit weit gespreizten Flügeln sichtbar wurden. Aus der Gestalt, die den Pappe-Engel zerriss, sich auf die Bühne kämpfte, die Arme ausstreckte, nach allen Seiten hin zu locken schien, um aus verborgenen Luken und Türen und Schlünden Figuren, Schauspieler und ein ganzes Ensemble auf die Bühne zu zaubern.
So begann Dieter Dorns Inszenierung des "Käthchens von Heilbronn", mit dem er nach fünfunddreißig Münchner Jahren als Regisseur und Intendant, fünfundzwanzig in den Kammerspielen, zehn im Staatsschauspiel, Abschied nahm. Das buchens- wie buchwerte an dieser Szene war, dass der Regisseur nicht mit ihr spielte, sondern darin mitspielte. Erst als Figuren-, Menschen- und Ensemblefischer. Dann im Stück als Kaiser, der am Ende eines herzensklugen Abends, einen Brokatmantel um die Schultern, auf einer Kiste sitzend laut "Aus!" rief.
Jetzt hat Dieter Dorn, sozusagen "Auf!" rufend, das wahre Lebens- und Arbeitsbuch zu dieser "Käthchen"-Auftrittsabschiedsgeste geschrieben. Beziehungsweise geplaudert. Sabine Dultz, die langjährige Feuilletonchefin und Theaterkritikerin des "Münchner Merkur", hat es dem Achtundsiebzigjährigen verfassen helfen. Man spürt das Mündliche (leider oft auch Fehleranfällige) in jeder Zeile. Keine große Literatur. Trotzdem ein großes Buch. Der Inhalt macht's.
Der Titel "Spielt weiter! Mein Leben für das Theater" klingt ja eher nach Aufbruch. Als müsste hinterm Untertitel "Mein Leben für das Theater" auch noch ein Ausrufezeichen stehen. Es ist aber ein Blick zurück, durch den paradoxerweise eine Utopie aufscheint, die schon einmal Gestalt annahm: in Form des Ensembles, das Dorn um sich zu versammeln wusste. In dem es selbst für kleinste Rollen die größten Schauspieler gab und das, abgesehen von Peter Steins viel kürzer existierenden Berliner Schaubühnen-Ensemble, seinesgleichen nicht wieder hatte. Dorns Buch bildet sozusagen das Protokoll einer über drei Jahrzehnte sich erstreckenden Ensembleversammlung von "Wundertieren", wie er sie nennt.
Verluste, Enttäuschungen, Misserfolge, Einbrüche und Zickigkeiten werden dabei nicht verschwiegen. Der "überkritische Mensch" Dorn ist sich und seinem Ensemble gegenüber bei aller Liebe der gnadenloseste Kritiker. Aber der Kern der höheren Harmonie und des überwältigenden kammermusikalisch-könnerischen Aufeinanderhörens und Miteinanderspielens des Dornschen Ensembles lässt sich fabelhaft in eine kleine hübschen Hinterbühnenszene fassen. Die frisch von der Schauspielschule zur Truppe der Münchner Kammerspiele gestoßene Sunnyi Melles wird vom Hausherrn im Vorübergehen belauscht, wie sie in ihrer Garderobe dem noch frischer zur Truppe gestoßenen Nachwüchsler Tobias Moretti die Grundprinzipien des Hauses im Stil einer Hohepriesterin klarmacht: Erst kämen hier die Dichter und ihre Texte, dann die Schauspieler, dann erst der Regisseur.
Dorns Buch ist - abgesehen vom amüsant-distanzierten Abschlendern von Lebensstationen, von klugen Würdigungen dramaturgischer und bühnenbildnerischer Mitarbeiter, von Seitenhieben, sarkastischen Abschweifungen zu Kulturpolitik, Regie-Kollegen, Konkurrenten, Sponsoring-Idiotie und einer Münchner Ober- und Kulturbürgermeisterei ("Ein philosophischer Politiker ist noch schlimmer als ein politischer Philosoph"), die ihn in einer Mischung aus "Politik, Gemeinheit und Dummheit" 2001 aus den Kammerspielen ins Staatsschauspiel vertrieb - die Beschreibung einer Sucht. Nach der "gemischten Raubtierherde".
Das fing wohl an mit dem Ausguck vom Leipziger Küchenfenster, das zum Künstlereingang des Centraltheaters hinausging und aus dem der Gymnasiast die Schauspieler studierte, die dort aus und ein posierten. Dann lässt sich der junge Leipziger Schauspiel- und Regiestudent von der Mutter Courage der Helene Weigel als Proben-Hospitant im Berliner Ensemble zu verfremdungslosester Einfühlung rühren, als sie den stummen Schrei der Courage formt, wenn man ihr den toten Sohn zu Füßen legt. Und der verzweifelt lächelnde Brecht sagt zu ihm: "Hast du auch geweint? Alle weinen an dieser Stelle. Was kann ich bloß dagegen unternehmen?" Auch der Flüchtling, der Ende der fünfziger Jahre den grau existierenden Sozialismus der DDR verlässt und in West-Berlin bei Lucie Höflich studiert, in Hannover erste Rollen spielt, in Essen und Oberhausen inszeniert und schnell nach Hamburg und Berlin zurückkommt, bevor er dann fürs halbe Leben in München landet - macht nichts anderes, als in die Schule der großen "Raubtiere" zu gehen. Die ihn herausfordern. Denen er genügen muss. Denen er Räume schaffen will, hinter denen sich, wenn es gutgeht, immer noch "die ganz andere Welt" oder "die zweite oder dritte Ebene" öffnen.
Selten hat man einen Regisseur mit so viel Respekt, so viel Liebe, so viel Demut (so viel Furcht auch) vor dem Eigensinn, dem Eigenwillen "außerordentlicher Menschen", die Schauspieler sind, so bewundernd sich neigen sehen. Wenn er die Entdeckerwut eines Helmut Griem, die königliche Durchdringungskunst eines Rolf Boysen, den herben Irrsinnswitz eines Thomas Holtzmann, die vibrierende Statuen-Kühle einer Gisela Stein, den Megärenmut einer Cornelia Froboess, die Charmebolzerei eines Michael von Au, das virile Sensibilitätsvibrato eines Stefan Hunstein, die Zartheitspointen eines Peter Lühr, den Elfenzauber einer Maria Nicklisch beschreibt. Und wenn die in Wirklichkeit sterben, die auf der Bühne so oft Sterbende gespielt haben, dann sieht Dorn fromm erschauernd, dass sein großes Ensemble zum Teil auch aus großen Geistern besteht: in einer Gemeinschaft, die mit dem Tod nicht endet.
Und bleibt doch wohltuend sachlich dabei - eben weil das große Sachen sind: in unsterbliche Texte sich staunend hineinbegeben; Stücke als Herausforderung, nicht als Punchingbälle nehmen, auf die man "nach Ibsen", "nach Schiller", "nach usw." in ödester "nach"-Mode draufhaut; Figuren, die "größer sind, als ich es bin", nicht kleinholzen, sie in ihren Abgründen, Widersprüchen und Wahnwitzigkeiten verteidigen; sich zu Giganten wie Kleist, Lessing, Shakespeare liebend erregt bekennen; gegen den Banalitäts- und Alltagston anspielen; der Bühne ihr Geheimnis lassen; Aktualisieren als Betrug, die alten Dichter aber als Zeitgenossen begreifen; dem Publikum eine Haltung zumuten. "Spielt weiter!" ist demnach auch ein theaterherzerwärmendes Bekenntnisbuch.
Wer Dorns Theater gesehen hat, sieht darin vieles wieder: mit anderen Augen, eben den Augen Dorns. Und wer Dorns Theater nie gesehen hat, kann darin lesen wie in einem Lehrbuch: der Würde, des Witzes und des Werts gescheit fühlsamer Menschendarstellung. Wenn man sie denn wagt. Dieter Dorn jedenfalls hat den schönen Mut gehabt. Es war die beste Zeit. Die Utopie ist noch nicht aufgebraucht. Man müsste es ihm nur nachmachen.
Dieter Dorn: "Spielt weiter!" Mein Leben für das Theater. Autobiographie.
Verlag C. H. Beck, München 2013. 400 S., Abb., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dieter Dorn hat eine beglückende Autobiographie geschrieben: Aus dem Regisseursleben eines Figuren- und Menschenfischers.
Von Gerhard Stadelmaier
Damals, im Februar 2011, dachte man gleich: Aus dieser Szene könnte man ein schönes Buch machen. Aus der völlig leeren Bühne des Münchner Residenztheaters. Aus dem hohen, weißen Viereck aus Pappe vor der weißen Brandmauer, auf dem die Umrisse eines Cherubs mit weit gespreizten Flügeln sichtbar wurden. Aus der Gestalt, die den Pappe-Engel zerriss, sich auf die Bühne kämpfte, die Arme ausstreckte, nach allen Seiten hin zu locken schien, um aus verborgenen Luken und Türen und Schlünden Figuren, Schauspieler und ein ganzes Ensemble auf die Bühne zu zaubern.
So begann Dieter Dorns Inszenierung des "Käthchens von Heilbronn", mit dem er nach fünfunddreißig Münchner Jahren als Regisseur und Intendant, fünfundzwanzig in den Kammerspielen, zehn im Staatsschauspiel, Abschied nahm. Das buchens- wie buchwerte an dieser Szene war, dass der Regisseur nicht mit ihr spielte, sondern darin mitspielte. Erst als Figuren-, Menschen- und Ensemblefischer. Dann im Stück als Kaiser, der am Ende eines herzensklugen Abends, einen Brokatmantel um die Schultern, auf einer Kiste sitzend laut "Aus!" rief.
Jetzt hat Dieter Dorn, sozusagen "Auf!" rufend, das wahre Lebens- und Arbeitsbuch zu dieser "Käthchen"-Auftrittsabschiedsgeste geschrieben. Beziehungsweise geplaudert. Sabine Dultz, die langjährige Feuilletonchefin und Theaterkritikerin des "Münchner Merkur", hat es dem Achtundsiebzigjährigen verfassen helfen. Man spürt das Mündliche (leider oft auch Fehleranfällige) in jeder Zeile. Keine große Literatur. Trotzdem ein großes Buch. Der Inhalt macht's.
Der Titel "Spielt weiter! Mein Leben für das Theater" klingt ja eher nach Aufbruch. Als müsste hinterm Untertitel "Mein Leben für das Theater" auch noch ein Ausrufezeichen stehen. Es ist aber ein Blick zurück, durch den paradoxerweise eine Utopie aufscheint, die schon einmal Gestalt annahm: in Form des Ensembles, das Dorn um sich zu versammeln wusste. In dem es selbst für kleinste Rollen die größten Schauspieler gab und das, abgesehen von Peter Steins viel kürzer existierenden Berliner Schaubühnen-Ensemble, seinesgleichen nicht wieder hatte. Dorns Buch bildet sozusagen das Protokoll einer über drei Jahrzehnte sich erstreckenden Ensembleversammlung von "Wundertieren", wie er sie nennt.
Verluste, Enttäuschungen, Misserfolge, Einbrüche und Zickigkeiten werden dabei nicht verschwiegen. Der "überkritische Mensch" Dorn ist sich und seinem Ensemble gegenüber bei aller Liebe der gnadenloseste Kritiker. Aber der Kern der höheren Harmonie und des überwältigenden kammermusikalisch-könnerischen Aufeinanderhörens und Miteinanderspielens des Dornschen Ensembles lässt sich fabelhaft in eine kleine hübschen Hinterbühnenszene fassen. Die frisch von der Schauspielschule zur Truppe der Münchner Kammerspiele gestoßene Sunnyi Melles wird vom Hausherrn im Vorübergehen belauscht, wie sie in ihrer Garderobe dem noch frischer zur Truppe gestoßenen Nachwüchsler Tobias Moretti die Grundprinzipien des Hauses im Stil einer Hohepriesterin klarmacht: Erst kämen hier die Dichter und ihre Texte, dann die Schauspieler, dann erst der Regisseur.
Dorns Buch ist - abgesehen vom amüsant-distanzierten Abschlendern von Lebensstationen, von klugen Würdigungen dramaturgischer und bühnenbildnerischer Mitarbeiter, von Seitenhieben, sarkastischen Abschweifungen zu Kulturpolitik, Regie-Kollegen, Konkurrenten, Sponsoring-Idiotie und einer Münchner Ober- und Kulturbürgermeisterei ("Ein philosophischer Politiker ist noch schlimmer als ein politischer Philosoph"), die ihn in einer Mischung aus "Politik, Gemeinheit und Dummheit" 2001 aus den Kammerspielen ins Staatsschauspiel vertrieb - die Beschreibung einer Sucht. Nach der "gemischten Raubtierherde".
Das fing wohl an mit dem Ausguck vom Leipziger Küchenfenster, das zum Künstlereingang des Centraltheaters hinausging und aus dem der Gymnasiast die Schauspieler studierte, die dort aus und ein posierten. Dann lässt sich der junge Leipziger Schauspiel- und Regiestudent von der Mutter Courage der Helene Weigel als Proben-Hospitant im Berliner Ensemble zu verfremdungslosester Einfühlung rühren, als sie den stummen Schrei der Courage formt, wenn man ihr den toten Sohn zu Füßen legt. Und der verzweifelt lächelnde Brecht sagt zu ihm: "Hast du auch geweint? Alle weinen an dieser Stelle. Was kann ich bloß dagegen unternehmen?" Auch der Flüchtling, der Ende der fünfziger Jahre den grau existierenden Sozialismus der DDR verlässt und in West-Berlin bei Lucie Höflich studiert, in Hannover erste Rollen spielt, in Essen und Oberhausen inszeniert und schnell nach Hamburg und Berlin zurückkommt, bevor er dann fürs halbe Leben in München landet - macht nichts anderes, als in die Schule der großen "Raubtiere" zu gehen. Die ihn herausfordern. Denen er genügen muss. Denen er Räume schaffen will, hinter denen sich, wenn es gutgeht, immer noch "die ganz andere Welt" oder "die zweite oder dritte Ebene" öffnen.
Selten hat man einen Regisseur mit so viel Respekt, so viel Liebe, so viel Demut (so viel Furcht auch) vor dem Eigensinn, dem Eigenwillen "außerordentlicher Menschen", die Schauspieler sind, so bewundernd sich neigen sehen. Wenn er die Entdeckerwut eines Helmut Griem, die königliche Durchdringungskunst eines Rolf Boysen, den herben Irrsinnswitz eines Thomas Holtzmann, die vibrierende Statuen-Kühle einer Gisela Stein, den Megärenmut einer Cornelia Froboess, die Charmebolzerei eines Michael von Au, das virile Sensibilitätsvibrato eines Stefan Hunstein, die Zartheitspointen eines Peter Lühr, den Elfenzauber einer Maria Nicklisch beschreibt. Und wenn die in Wirklichkeit sterben, die auf der Bühne so oft Sterbende gespielt haben, dann sieht Dorn fromm erschauernd, dass sein großes Ensemble zum Teil auch aus großen Geistern besteht: in einer Gemeinschaft, die mit dem Tod nicht endet.
Und bleibt doch wohltuend sachlich dabei - eben weil das große Sachen sind: in unsterbliche Texte sich staunend hineinbegeben; Stücke als Herausforderung, nicht als Punchingbälle nehmen, auf die man "nach Ibsen", "nach Schiller", "nach usw." in ödester "nach"-Mode draufhaut; Figuren, die "größer sind, als ich es bin", nicht kleinholzen, sie in ihren Abgründen, Widersprüchen und Wahnwitzigkeiten verteidigen; sich zu Giganten wie Kleist, Lessing, Shakespeare liebend erregt bekennen; gegen den Banalitäts- und Alltagston anspielen; der Bühne ihr Geheimnis lassen; Aktualisieren als Betrug, die alten Dichter aber als Zeitgenossen begreifen; dem Publikum eine Haltung zumuten. "Spielt weiter!" ist demnach auch ein theaterherzerwärmendes Bekenntnisbuch.
Wer Dorns Theater gesehen hat, sieht darin vieles wieder: mit anderen Augen, eben den Augen Dorns. Und wer Dorns Theater nie gesehen hat, kann darin lesen wie in einem Lehrbuch: der Würde, des Witzes und des Werts gescheit fühlsamer Menschendarstellung. Wenn man sie denn wagt. Dieter Dorn jedenfalls hat den schönen Mut gehabt. Es war die beste Zeit. Die Utopie ist noch nicht aufgebraucht. Man müsste es ihm nur nachmachen.
Dieter Dorn: "Spielt weiter!" Mein Leben für das Theater. Autobiographie.
Verlag C. H. Beck, München 2013. 400 S., Abb., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Keine Selbstbeweihräucherung, sondern vor allem Theater- und Schauspielerbeweihräucherung schnuppert Dirk Pilz in Dieter Dorns umfangreicher Biografie. Der Privatmann Dorn tritt im Buch zwar auch auf, aber nur in einer Nebenrolle, meint Pilz, der den Band nicht zuletzt wegen seiner programmatischen Ausrichtung verschlungen hat: Mahnruf eines Theaterliebestollen. Pilz zählt die vielen Theaterstationen des Regisseurs und Intendanten, den sich der Rezensent als glücklichen Theatermann vorstellt, wenn auch nicht als großen Dichter, wie manche Phrase und die etwas holprige Sprache des Textes beweisen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.04.2013Glück gehabt
Noch nie hat Dieter Dorn sein Theater so dezidiert veranschaulicht, erklärt und auf den Punkt gebracht wie nun in seiner
Autobiografie. Sie ist ein Glaubensbekenntnis – und eine Liebeserklärung an seine Schauspieler, diese „Wunderwesen“
VON CHRISTINE DÖSSEL
Man muss sich Dieter Dorn als einen glücklichen Menschen vorstellen. Nicht nur, weil er sich im Alter von 77 Jahren bester Gesundheit erfreut, in Genf gerade erfolgreich „Rheingold“, den ersten Teil seiner „Ring“-Inszenierung mit Ingo Metzmacher am Pult, herausgebracht hat und auf eine erfolgreiche Biografie zurückblicken kann, welche nun in Buchform vorliegt, sodass man seinen Werdegang vom kunstsinnigen Sprössling eines Elektrotechnikers aus Leipzig hin zu einem bedeutenden Regisseur und Intendanten in schöner Ausführlichkeit nachlesen kann. Als einen glücklichen Menschen muss man sich den Theatermann Dieter Dorn vor allem auch deshalb vorstellen, weil er in seinem Leben tatsächlich viel Glück gehabt hat. Dorn gehört zu jenen Sonnenkindern, die zur richtigen Zeit mit den richtigen Menschen am richtigen Ort sind und, sofern sie mal stolpern, statt auf die Schnauze auf die Beine fallen. Ein Götterliebling.
Das fängt schon damit an, dass die Mutter, wiewohl aus einer niedersächsischen Bauernfamilie stammend, „geradezu fanatisch kunstbesessen“ war, sodass die drei Kinder sehr musisch erzogen wurden. Sie gingen ins Schauspiel, zu den Thomaskirchen-Konzerten, lernten Klavier spielen und Partituren lesen – und ergriffen alle drei einen musischen Beruf. Der Bruder wurde Trompeter, die Schwester, die sich 1991 umbrachte, war ausgebildete Tänzerin. Dieter wollte Dirigent werden, lenkte aber, als er merkte, dass sein Freund besser war, seinen Fokus aufs Theater.
Die Wohnung der Dorns in der Gottschedstraße 1 lag gleich um die Ecke vom Centraltheater. Von der Küche aus konnte man den Bühneneingang sehen, und als Dieter Dorn einem hungrigen Schauspieler eines Tages ein Stückchen Butter runterbrachte, war das seine „Eintrittskarte in die Kantine“ – und damit in die Theaterwelt, in der sein großes Idol Bertolt Brecht war. Und es erstaunlicherweise noch immer ist. Dorn hat von Brecht, dem er am Berliner Ensemble in den Fünfzigerjahren die „größten Theatereindrücke“ seines Lebens verdankt, nur als Anfänger in Essen und Oberhausen etwas inszeniert, später nichts mehr; auch setzte er in seiner langen Zeit als Oberspielleiter und Intendant in München – erst 25 Jahre an den Kammerspielen (1976–2001), dann weitere zehn Jahre am Bayerischen Staatsschauspiel (2001–2011) – kaum ein Brecht-Stück auf den Spielplan. Umso verwunderlicher, wie oft er Brecht nun in seiner Autobiografie zitiert und sich auf ihn beruft. Als junger Mann trug er sogar die Haare wie er.
1956, da war er noch keine 21 Jahre alt, setzte sich Dorn über Eisenach nach WestBerlin ab und nahm Schauspielunterricht an der Max-Reinhardt-Schule – kein Wort über die familiären Implikationen dieser „Flucht“, über private Gefühle. Als Besucher kam er erst 1978 wieder in die DDR, zur Beerdigung des Vaters. Wer gehofft hatte, mehr über den Privatmenschen Dorn zu erfahren, wird hier nicht fündig. Es gilt, was Cornelia Froboess in einem Beitrag für das Buch schreibt: dass Dorn immer nur „der künstlerische Freund“ sei; „er lässt niemanden an sich ran“. In den 35 Jahren, in denen sie zusammengearbeitet haben, sei sie nicht ein einziges Mal bei ihm, der „unglaublich komisch“ sein könne, zu Hause gewesen. Immerhin: Mit Helmut Griem, der für ihn sogar Hollywood absagte, saß Dorn früher auf Mykonos am Strand, und dann grübelten sie, was das eigentlich sei, „Regie führen“ (nämlich ganz einfach: „den Schauspielern Spuren legen“).
Zwar erzählt Dorn natürlich auch von den Zicken und Allüren seiner Schauspieler – Sunnyi Melles erscheint da als Ober-Diva –, würdigt Mitarbeiter und Weggefährten, erwähnt seine zwei Söhne und seine Frauen, bekennt sich zu seiner Jazz-Liebe und Porsche-Lust. Doch alles in allem ist „Spielt weiter! Mein Leben für das Theater“ weniger ein saftiger Memoiren- und Anekdotenschatz, gespickt mit Klatsch und Tratsch à la Zadek, als ein in glanzlosem Sprechdeutsch niedergeschriebenes Glaubensbekenntnis: das Buch zum Dorn-Theater, mit nachgereichten Theorien, (Liebes-)Erklärungen und Reflexionen zu dem, was Dorn sein „Theater der sinnlichen Aufklärung“ nennt. „Keine Bilanz“, sondern ein „Spaziergang am Flussufer meines Theaterlebens entlang“, begleitet von der Journalistin Sabine Dultz.
Spaziert man mit Dorn nüchtern-gemächlich durch dieses Berufsleben, das ihn 1976 als leuchtende Regiehoffnung vom Berliner Schiller-Theater unter Hans Lietzau an die Münchner Kammerspiele führte – wo er schon 1983 Hans-Reinhard Müller als Intendant beerbte –, dann entsteht der Eindruck von Mühelosigkeit und Erfolgsgewissheit in einer exklusiven Männer(freundschafts)welt. Dorn, dieser eher scheu wirkende, aber doch auch eitle, strenge, sehr selbst- und zielbewusst seinen Weg gehende Sachse, bürgerlich „präsentabel“ und alles andere als ein 68er-Rebell, erscheint darin wie ein Überflieger, dem vieles leicht- und so manches zugefallen ist. Der Glückskind-Effekt.
Dorn weiß allerdings, wem er sein Glück im und mit dem Theater zu verdanken hat, nämlich seinen Schauspielern, denen sein Buch im Geiste gewidmet ist. Es ist ein Schauspielerglücksbuch, eine Eloge auf diese „Wunderwesen“, die stellvertretend für uns alle spielen, eine Liebeserklärung an Dorns Ensemble, diese „gemischte Raubtiergruppe“. Umgekehrt werden diejenigen, die ihn verlassen oder enttäuscht haben, nur kurz oder gar nicht gewürdigt.
Dorn ist ein zürnender, nachtragender Theatergott, das ist bekannt. Man versteht bei der Lektüre aber auch, warum er so verletzbar ist. Weil sein Herz in geradezu existenzieller Begeisterung und demütiger Bewunderung (und ein bisschen auch mit Neid) ganz für seine Schauspieler, schlägt. Sie sind sein „künstlerisches Kapital“; ihnen, schreibt er, gehöre die Aufführung; nur mit ihnen sei die Utopie möglich, „durch das Spiel vorzudringen in eine andere Welt, in das Unbewusste, in etwas, das über die eigene Existenz hinausreicht, zurück in die Schattenhallen der Evolution, der frühen Menschwerdung“.
Man kann in diesem Buch viel lernen über das Wesen des Theaters, seine Machbarkeit und seine Magie. Dorn schwärmt nicht nur von „Supertalenten“ wie Helmut Griem, Thomas Holtzmann, Rolf Boysen oder Gisela Stein. Er reflektiert auch über den Beruf im technischen Sinn, beschreibt Probenerfahrungen, macht sich Gedanken über „Handwerk“ und „Begabung“ und „Erotik auf der Bühne“. Seine Ausführungen, die Seitenhiebe auf die Kulturpolitik und das moderne Regietheater nicht aussparen, gehen bis hin zu Besetzungsfragen, Spielplanpolitik und jene „Ensemblekultur“, in der große Schauspieler auch kleine Rollen spielen, wie das an den Kammerspielen immer der Fall war.
Es gibt eine Stelle in dem Buch, in der vielleicht am schönsten herauskommt, wie Dorn tickt und wie er zu dem Schauspielertheaternarren wurde, als der er sich mit seinen großen Shakespeare-, Antiken- und Botho Strauß-Inszenierungen sein Kapitel in der Theatergeschichte gesichert hat. Da erzählt Dorn von dem Erweckungserlebnis, das er 1971 am Hamburger Schauspielhaus hatte, als er, aus der Provinz kommend, Christopher Hamptons „Der Menschenfreund“ inszenierte. Mit Top-Schauspielern wie Griem und Gisela Stein, die ihn so umhauten, dass er, als er die Außenalster entlanglief, glaubte, „ich würde nur noch fliegen“. Wie herrlich! Der beglückte, beseelte Dorn, abhebend in sein Theater-Utopia, wissend, es ist möglich. Dorn schreibt: „Die Begegnung mit diesen Schauspielern war wie eine Initiation, sie machten mich zum Regisseur, und ich merkte plötzlich, dass ich diesen Wunderkindern irgendwie gewachsen war.“
Ja, er war ihnen gewachsen, und er brach mit ihnen auf, gemeinsam zu erforschen, was hinter den Texten liegt, denn um „dieses Dahinter“, um die Möglichkeit einer Gegenwelt, geht es Dorn im Theater. Deshalb ist der Text für ihn keine Spielwiese für Eingriffe, Aktualisierungen und Besserwisserei.
„Wir schlagen keine Schneise durch den Wald, sondern wir wollen den Wald“: So dezidiert veranschaulicht, erklärt und auf den Punkt gebracht wie in diesem Buch, das auch ein Plädoyer für das „Stadttheater“ im eigentlichen Sinne ist, hat Dieter Dorn sich und seinen theatralisch-literarischen Wahrheitsanspruch noch nie. Das macht die Lektüre so aufschluss- wie lehrreich und auch für jene empfehlenswert, die einer anderen Ästhetik anhängen und wissen, dass die goldene Ära des Dorn-Theaters ihren Ort und ihre Zeit hatte. Dorns Autobiografie ist ein Theaterbegeisterungsbuch, geschrieben von einem Theaterglückspilz und Theaterbeglücker.
Dieter Dorn: Spielt weiter! Mein Leben für das Theater. Verlag C. H. Beck, München 2013. 416 Seiten, 60 Abbildungen, 22,95 Euro.
Nur als Anfänger hat Dorn Stücke
von Brecht inszeniert – aber er
beruft sich erstaunlich oft auf ihn
„Wir schlagen keine Schneise
durch den Wald, sondern
wir wollen den Wald.“
Was heißt Regie führen? Den Schauspielern Spuren legen. Dieter Dorn, als Sohn eines Leipziger Elektrotechnikers geboren, tat dies vor allem in München.
FOTO: STEFAN MOSES/ABB. AUS DEM BESPR. BUCH
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Noch nie hat Dieter Dorn sein Theater so dezidiert veranschaulicht, erklärt und auf den Punkt gebracht wie nun in seiner
Autobiografie. Sie ist ein Glaubensbekenntnis – und eine Liebeserklärung an seine Schauspieler, diese „Wunderwesen“
VON CHRISTINE DÖSSEL
Man muss sich Dieter Dorn als einen glücklichen Menschen vorstellen. Nicht nur, weil er sich im Alter von 77 Jahren bester Gesundheit erfreut, in Genf gerade erfolgreich „Rheingold“, den ersten Teil seiner „Ring“-Inszenierung mit Ingo Metzmacher am Pult, herausgebracht hat und auf eine erfolgreiche Biografie zurückblicken kann, welche nun in Buchform vorliegt, sodass man seinen Werdegang vom kunstsinnigen Sprössling eines Elektrotechnikers aus Leipzig hin zu einem bedeutenden Regisseur und Intendanten in schöner Ausführlichkeit nachlesen kann. Als einen glücklichen Menschen muss man sich den Theatermann Dieter Dorn vor allem auch deshalb vorstellen, weil er in seinem Leben tatsächlich viel Glück gehabt hat. Dorn gehört zu jenen Sonnenkindern, die zur richtigen Zeit mit den richtigen Menschen am richtigen Ort sind und, sofern sie mal stolpern, statt auf die Schnauze auf die Beine fallen. Ein Götterliebling.
Das fängt schon damit an, dass die Mutter, wiewohl aus einer niedersächsischen Bauernfamilie stammend, „geradezu fanatisch kunstbesessen“ war, sodass die drei Kinder sehr musisch erzogen wurden. Sie gingen ins Schauspiel, zu den Thomaskirchen-Konzerten, lernten Klavier spielen und Partituren lesen – und ergriffen alle drei einen musischen Beruf. Der Bruder wurde Trompeter, die Schwester, die sich 1991 umbrachte, war ausgebildete Tänzerin. Dieter wollte Dirigent werden, lenkte aber, als er merkte, dass sein Freund besser war, seinen Fokus aufs Theater.
Die Wohnung der Dorns in der Gottschedstraße 1 lag gleich um die Ecke vom Centraltheater. Von der Küche aus konnte man den Bühneneingang sehen, und als Dieter Dorn einem hungrigen Schauspieler eines Tages ein Stückchen Butter runterbrachte, war das seine „Eintrittskarte in die Kantine“ – und damit in die Theaterwelt, in der sein großes Idol Bertolt Brecht war. Und es erstaunlicherweise noch immer ist. Dorn hat von Brecht, dem er am Berliner Ensemble in den Fünfzigerjahren die „größten Theatereindrücke“ seines Lebens verdankt, nur als Anfänger in Essen und Oberhausen etwas inszeniert, später nichts mehr; auch setzte er in seiner langen Zeit als Oberspielleiter und Intendant in München – erst 25 Jahre an den Kammerspielen (1976–2001), dann weitere zehn Jahre am Bayerischen Staatsschauspiel (2001–2011) – kaum ein Brecht-Stück auf den Spielplan. Umso verwunderlicher, wie oft er Brecht nun in seiner Autobiografie zitiert und sich auf ihn beruft. Als junger Mann trug er sogar die Haare wie er.
1956, da war er noch keine 21 Jahre alt, setzte sich Dorn über Eisenach nach WestBerlin ab und nahm Schauspielunterricht an der Max-Reinhardt-Schule – kein Wort über die familiären Implikationen dieser „Flucht“, über private Gefühle. Als Besucher kam er erst 1978 wieder in die DDR, zur Beerdigung des Vaters. Wer gehofft hatte, mehr über den Privatmenschen Dorn zu erfahren, wird hier nicht fündig. Es gilt, was Cornelia Froboess in einem Beitrag für das Buch schreibt: dass Dorn immer nur „der künstlerische Freund“ sei; „er lässt niemanden an sich ran“. In den 35 Jahren, in denen sie zusammengearbeitet haben, sei sie nicht ein einziges Mal bei ihm, der „unglaublich komisch“ sein könne, zu Hause gewesen. Immerhin: Mit Helmut Griem, der für ihn sogar Hollywood absagte, saß Dorn früher auf Mykonos am Strand, und dann grübelten sie, was das eigentlich sei, „Regie führen“ (nämlich ganz einfach: „den Schauspielern Spuren legen“).
Zwar erzählt Dorn natürlich auch von den Zicken und Allüren seiner Schauspieler – Sunnyi Melles erscheint da als Ober-Diva –, würdigt Mitarbeiter und Weggefährten, erwähnt seine zwei Söhne und seine Frauen, bekennt sich zu seiner Jazz-Liebe und Porsche-Lust. Doch alles in allem ist „Spielt weiter! Mein Leben für das Theater“ weniger ein saftiger Memoiren- und Anekdotenschatz, gespickt mit Klatsch und Tratsch à la Zadek, als ein in glanzlosem Sprechdeutsch niedergeschriebenes Glaubensbekenntnis: das Buch zum Dorn-Theater, mit nachgereichten Theorien, (Liebes-)Erklärungen und Reflexionen zu dem, was Dorn sein „Theater der sinnlichen Aufklärung“ nennt. „Keine Bilanz“, sondern ein „Spaziergang am Flussufer meines Theaterlebens entlang“, begleitet von der Journalistin Sabine Dultz.
Spaziert man mit Dorn nüchtern-gemächlich durch dieses Berufsleben, das ihn 1976 als leuchtende Regiehoffnung vom Berliner Schiller-Theater unter Hans Lietzau an die Münchner Kammerspiele führte – wo er schon 1983 Hans-Reinhard Müller als Intendant beerbte –, dann entsteht der Eindruck von Mühelosigkeit und Erfolgsgewissheit in einer exklusiven Männer(freundschafts)welt. Dorn, dieser eher scheu wirkende, aber doch auch eitle, strenge, sehr selbst- und zielbewusst seinen Weg gehende Sachse, bürgerlich „präsentabel“ und alles andere als ein 68er-Rebell, erscheint darin wie ein Überflieger, dem vieles leicht- und so manches zugefallen ist. Der Glückskind-Effekt.
Dorn weiß allerdings, wem er sein Glück im und mit dem Theater zu verdanken hat, nämlich seinen Schauspielern, denen sein Buch im Geiste gewidmet ist. Es ist ein Schauspielerglücksbuch, eine Eloge auf diese „Wunderwesen“, die stellvertretend für uns alle spielen, eine Liebeserklärung an Dorns Ensemble, diese „gemischte Raubtiergruppe“. Umgekehrt werden diejenigen, die ihn verlassen oder enttäuscht haben, nur kurz oder gar nicht gewürdigt.
Dorn ist ein zürnender, nachtragender Theatergott, das ist bekannt. Man versteht bei der Lektüre aber auch, warum er so verletzbar ist. Weil sein Herz in geradezu existenzieller Begeisterung und demütiger Bewunderung (und ein bisschen auch mit Neid) ganz für seine Schauspieler, schlägt. Sie sind sein „künstlerisches Kapital“; ihnen, schreibt er, gehöre die Aufführung; nur mit ihnen sei die Utopie möglich, „durch das Spiel vorzudringen in eine andere Welt, in das Unbewusste, in etwas, das über die eigene Existenz hinausreicht, zurück in die Schattenhallen der Evolution, der frühen Menschwerdung“.
Man kann in diesem Buch viel lernen über das Wesen des Theaters, seine Machbarkeit und seine Magie. Dorn schwärmt nicht nur von „Supertalenten“ wie Helmut Griem, Thomas Holtzmann, Rolf Boysen oder Gisela Stein. Er reflektiert auch über den Beruf im technischen Sinn, beschreibt Probenerfahrungen, macht sich Gedanken über „Handwerk“ und „Begabung“ und „Erotik auf der Bühne“. Seine Ausführungen, die Seitenhiebe auf die Kulturpolitik und das moderne Regietheater nicht aussparen, gehen bis hin zu Besetzungsfragen, Spielplanpolitik und jene „Ensemblekultur“, in der große Schauspieler auch kleine Rollen spielen, wie das an den Kammerspielen immer der Fall war.
Es gibt eine Stelle in dem Buch, in der vielleicht am schönsten herauskommt, wie Dorn tickt und wie er zu dem Schauspielertheaternarren wurde, als der er sich mit seinen großen Shakespeare-, Antiken- und Botho Strauß-Inszenierungen sein Kapitel in der Theatergeschichte gesichert hat. Da erzählt Dorn von dem Erweckungserlebnis, das er 1971 am Hamburger Schauspielhaus hatte, als er, aus der Provinz kommend, Christopher Hamptons „Der Menschenfreund“ inszenierte. Mit Top-Schauspielern wie Griem und Gisela Stein, die ihn so umhauten, dass er, als er die Außenalster entlanglief, glaubte, „ich würde nur noch fliegen“. Wie herrlich! Der beglückte, beseelte Dorn, abhebend in sein Theater-Utopia, wissend, es ist möglich. Dorn schreibt: „Die Begegnung mit diesen Schauspielern war wie eine Initiation, sie machten mich zum Regisseur, und ich merkte plötzlich, dass ich diesen Wunderkindern irgendwie gewachsen war.“
Ja, er war ihnen gewachsen, und er brach mit ihnen auf, gemeinsam zu erforschen, was hinter den Texten liegt, denn um „dieses Dahinter“, um die Möglichkeit einer Gegenwelt, geht es Dorn im Theater. Deshalb ist der Text für ihn keine Spielwiese für Eingriffe, Aktualisierungen und Besserwisserei.
„Wir schlagen keine Schneise durch den Wald, sondern wir wollen den Wald“: So dezidiert veranschaulicht, erklärt und auf den Punkt gebracht wie in diesem Buch, das auch ein Plädoyer für das „Stadttheater“ im eigentlichen Sinne ist, hat Dieter Dorn sich und seinen theatralisch-literarischen Wahrheitsanspruch noch nie. Das macht die Lektüre so aufschluss- wie lehrreich und auch für jene empfehlenswert, die einer anderen Ästhetik anhängen und wissen, dass die goldene Ära des Dorn-Theaters ihren Ort und ihre Zeit hatte. Dorns Autobiografie ist ein Theaterbegeisterungsbuch, geschrieben von einem Theaterglückspilz und Theaterbeglücker.
Dieter Dorn: Spielt weiter! Mein Leben für das Theater. Verlag C. H. Beck, München 2013. 416 Seiten, 60 Abbildungen, 22,95 Euro.
Nur als Anfänger hat Dorn Stücke
von Brecht inszeniert – aber er
beruft sich erstaunlich oft auf ihn
„Wir schlagen keine Schneise
durch den Wald, sondern
wir wollen den Wald.“
Was heißt Regie führen? Den Schauspielern Spuren legen. Dieter Dorn, als Sohn eines Leipziger Elektrotechnikers geboren, tat dies vor allem in München.
FOTO: STEFAN MOSES/ABB. AUS DEM BESPR. BUCH
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