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... hinaus in einen weißblühenden Frühling, ein 1972, in dem Tibor und ich durch ein wahres Meer von Obstbäumen auf den Spinnentempel zufahren, ich auf seinem Fahrrad, er auf meinem Velosolex, schwarz das eine, chromglänzend das andere - aus den Seitentüren des Spinnentempels heraus auf den Spinnentempel zu, im Traum ist das kein Paradox ...

Produktbeschreibung
... hinaus in einen weißblühenden Frühling, ein 1972, in dem Tibor und ich durch ein wahres Meer von Obstbäumen auf den Spinnentempel zufahren, ich auf seinem Fahrrad, er auf meinem Velosolex, schwarz das eine, chromglänzend das andere - aus den Seitentüren des Spinnentempels heraus auf den Spinnentempel zu, im Traum ist das kein Paradox ...
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2023

Unreif? Ach was!
Friedrich Kröhnkes Roman einer Jugend

Die Achtundsechziger-Revolution - wenn es eine war - hat eine Sturzflut von Texten ausgelöst, in denen Akteure und Sympathisanten Rechenschaft ablegen über Sinn und Unsinn des Jugendprotests, der die westliche Welt umkrempelte im Sinne von William Wordsworth' Vers: "Bliss was it in that dawn to be alive / and to be young was very heaven" - diese Morgenröte zu erleben war ein Segen, und jung zu sein war himmlisch! So begeistert feierte der Dichter den Sturm auf die Bastille, bevor die Euphorie umschlug in Depression. Auch nach 1968 degenerierte der Tsunami zum Shitstorm: Gerd Koenen und andere zeigten auf, dass die studentische Kulturrevolution antidemokratisch war und den Keim des Faschismus in sich trug - der Amoklauf der RAF und Horst Mahlers Wandlung zum Neonazi zeugen davon.

Es gibt zwei Typen von Schriftstellern: Diejenigen, die mit wenigen Worten viel sagen, und andere, die Lesende mit einem Redeschwall überschütten, um wenig bis gar nichts zu sagen. Friedrich Kröhnke gehört zur ersten Kategorie: Er schreibt wortkarge Bücher, die, prägnant und lakonisch, Lebenswelten sichtbar machen, für deren Darstellung an Logorrhö leidende Autoren Hunderte Seiten benötigen.

Anders als viele, die kein gutes Haar lassen an ihrer linksradikalen Vergangenheit, bekennt Kröhnke sich zu den Illusionen seiner Jugend und ist stolz auf sie. Das fällt ihm nicht schwer, weil er keiner linken Betonfraktion angehörte und seinem Idol, dem von Stalins Schergen ermordeten Trotzki, die Treue hielt. Auch der hatte Leichen im Keller: Von der Erschießung der Zarenfamilie bis zur Niederschlagung des Aufstands der Kronstädter Matrosen; aber während Trotzki im Panzerzug zu den Fronten des Bürgerkriegs eilte, fand er Zeit "Literatur und Revolution" zu schreiben. Er war ein besserer Redner als Stalin und verstand mehr von Literatur als Lenin. Siehe seine im Exil verfasste Kritik von Célines Roman "Reise ans Ende der Nacht".

Die "Vierte Internationale", wie die Trotzkisten sich großspurig nannten, war eine selbst proklamierte Elite, deren Affinität zur modernen Kunst sie der dogmatischen Linken verdächtig machte; dass Trotzki sich mit Freud beschäftigte, sei nur am Rande vermerkt. So besehen ist es kein Zufall, dass Fips, der Icherzähler in Kröhnkes Buch, sich in seinen Mitschüler Tibor verliebt. Zusammen mit seinem Zwillingsbruder mischt Fips das Bensberger Gymnasium auf, das beide rausschmeißt, und rekrutiert Tibor für die Trotzkisten. "Von mir wird nicht zu Papier gebracht, dass diese Jugendlichen unreif waren und mit dem, was sie taten, das Unheil späterer Jahrzehnte mitvorbereiteten, totalitär und intolerant und eigentlich lächerlich. Hier gibt es nur zu lesen, dass das Megaphon etwas so sehr Schönes war."

Kröhnkes Text ist weder Abrechnung mit noch Lobpreisung von 1968, sondern ein persönlich-intimer Erfahrungsbericht nach dem Motto des Türmers Lynkeus in Goethes "Faust II": "Es sei, wie es wolle, / es war doch so schön." Kein Sachbuch, das apodiktische Urteile fällt, sondern Literatur - ein Unterschied, der zunehmend in Vergessenheit zu geraten droht. Es genügt, den schmalen Band irgendwo aufzuschlagen, um auf Sätze zu stoßen, wie man sie in politischen Pamphleten vergeblich sucht: "Heute denke ich, dass Michael Kohlhaas der erste Trotzkist gewesen sein muss, der sogenannte Kohlhaasische Mandate verfasste und verbreitete. Gegeben auf dem Sitz unserer provisorischen Weltregierung . . . Drunter machten sie es nicht." Ein paar Seiten weiter heißt es: "Stalin, Thälmann, Honecker: üble Typen, doch auch Tölpel. Rachsüchtig gegenüber denen, die weniger schwerfällig dachten und redeten als sie."

Genauer und bösartiger lässt sich das Scheitern der Menschheitsbeglückung nicht auf den Punkt bringen. Der einzige Einwand, der sich gegen dieses feine Buch erheben lässt: Es ist zu kurz. Die Leser erfahren weder, was aus Tibor, der Jugendliebe des Icherzählers, geworden ist, noch was diesen nach Paris, nach Thailand und Kambodscha trieb und was er dort getrieben hat. Vielleicht ist das auch besser so. HANS CHRISTOPH BUCH

Friedrich Kröhnke: "Spinnentempel". Roman.

Rimbaud Verlag, Aachen 2023. 132 S., br., 20,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

"Leicht und  pointiert" findet Rezensent Dirk Fuhrig Friedrich Kröhnkes Buch über die radikal-linke Jugend des Autors. Der Ich-Erzähler, von dem der Rezensent annimmt, er sei mit Kröhnke "in eins zu setzen", wächst in Darmstadt auf, rebelliert gegen das spießige Bürgertum in seinen Reihenhäusern und wendet sich radikal linken Ideen zu, wobei er auch seine Liebe zu einem Jungen namens Tibor entdeckt, fasst Fuhrig zusammen. Der Ich-Erzähler ist schnell von den linken Idealen desillusioniert, durch eine Erbschaft kann er sich aber auf eine Reise in den Mittleren Osten auf Sinnsuche statt auf den "Marsch durch die Institutionen" begeben - und auf die Suche nach seiner ersten großen Liebe. Der Rezensent ist begeistert von diesem Buch, das gleichzeitig frisch, kraftvoll und mit sympathischer Selbstironie von den Utopien der 68er-Generation und ihrem Scheitern erzähle.

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