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Eine lebende Legende bricht ihr Schweigen: Markus Wolf, der Mann ohne Gesicht. Der Meisterspion des 20. Jahrhunderts erzählt seine persönliche Geschichte. Der ehemalige Chef des Auslandsspionagedienstes der DDR enthüllt in seinen Erinnerungen erstmals die geheimen, die wahren Strategien der Geheimdienste, ihre Tricks, ihre Triumphe und Niederlagen in einem gefährlichen Spiel. Jetzt tritt er aus dem Schatten und zeigt sein Gesicht.

Produktbeschreibung
Eine lebende Legende bricht ihr Schweigen: Markus Wolf, der Mann ohne Gesicht. Der Meisterspion des 20. Jahrhunderts erzählt seine persönliche Geschichte. Der ehemalige Chef des Auslandsspionagedienstes der DDR enthüllt in seinen Erinnerungen erstmals die geheimen, die wahren Strategien der Geheimdienste, ihre Tricks, ihre Triumphe und Niederlagen in einem gefährlichen Spiel. Jetzt tritt er aus dem Schatten und zeigt sein Gesicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.1997

Der letzte wirkliche Repräsentant des DDR-Regimes
"Versinke in Schmutz, umarme den Schlächter, aber ändere die Welt": Markus Wolfs Erinnerungen

Markus Wolf: Spionagechef im geheimen Krieg. Erinnerungen. List Verlag, München 1997. 513 Seiten, 44,- Mark.

Markus Wolf zitiert im Schlußkapitel seiner Erinnerungen den japanischen Philosophen Daisaku Ikeda: "Man darf die einen nicht unreflektiert zu Trägern des Guten machen und die anderen zu Missetätern, indem man sie nach relativ positiven oder negativen Kriterien bewertet. Diese wie jene wechseln je nach historischen Umständen, dem Charakter einer Gesellschaft, des Zeitalters und der subjektiven Ansichten." Man kann diesen Gedanken in einem weiten und in einem engen Sinne auslegen. Im ersten Fall kann er alles rechtfertigen, eng ausgelegt warnt er vor oberflächlichen, moralisierenden Urteilen. Wolf meint sich solchen Urteilen ausgesetzt zu sehen, wenn ihm vorgehalten wird, seine Tätigkeit als langjähriger Chef der DDR-Auslandsaufklärung HVA sei verachtenswert und auch strafwürdig gewesen. Er sieht sich als "Geisel des historischen Geschehens" und zitiert den früheren DDR-Innenminister Diestel zustimmend mit der Bemerkung: "Sie wissen so gut wie ich, daß wir alle der Kriegsgefangenschaft entgegensehen."

Das ist vielleicht ein wenig larmoyant. Vor allem, wenn man sich vorstellt, wie es wohl westdeutschen Geheimdienstchefs ergangen wäre, wenn die Wiedervereinigung unter umgekehrten Vorzeichen stattgefunden hätte. Die DDR machte mit Feinden und Verrätern nicht viel Federlesens, wie das 1981 vollstreckte Todesurteil gegen den Überläufer Teske zeigt, das Wolf in seinem Buch auch erwähnt - ohne es zu billigen, er nennt es "tragisch". Daß Wolf, immer das Gefängnis vor Augen, nach 1989 alten Feindbildern verhaftet geblieben ist, kann man entschuldigen. Aber daß es ihm so schlecht ginge wie in der Kriegsgefangenschaft, wird er im Ernst wohl nicht behaupten wollen.

Worum geht es in seinem Buch? In erster Linie wohl um die persönliche Ehre, um Selbstdarstellung und Selbstrechtfertigung, wenn die Erinnerungen über weite Strecken auch einer historischen Darstellung - ohne Quellenangaben - gleichen. Wolf berichtet über seine Kindheit in Moskau, die Folge der erzwungenen Emigration seines jüdischen und kommunistischen Vaters, des Arztes und Schriftstellers Friedrich Wolf. Markus macht aus seiner Liebe zu "Mütterchen Rußland", dem "zauberischen Märchenreich", als das er die Sowjetunion der dreißiger Jahre empfand, keinen Hehl. Er schreibt, wenn er nach seiner Rückkehr mit der Gruppe Ulbricht nach Berlin oft als halber Russe bezeichnet worden sei, habe er das nie als beleidigend empfunden.

Das unterscheidet sich im Kern nicht von der Haltung mancher Deutscher, welche die Hitlerjahre mit liebgewordenen persönlichen Erinnerungen verbinden. Daß in beiden Fällen ein Regiment des Terrors waltete, steht auf einem anderen Blatt, denn den Maßstab für jedweden Terror halten seine Opfer bereit, nicht die verschont Gebliebenen. Wolf nennt seine damalige Hoffnung naiv, die Deutschen würden die Rote Armee 1945 als Befreier begrüßen; daß sie es nicht taten, war aber wohl nicht nur "Ressentiment und Duckmäusertum" zuzuschreiben, wie Wolf es unverändert naiv tut. Zwar erwähnt er später auch die Schandtaten der Rotarmisten in Deutschland, aber mehr nebenhin. Und diese Art des ungleichmäßigen Gewichtens prägt das ganze Buch.

Umfängliche Enthüllungen sind nicht dabei. Was in seiner Wirkung am weitesten reicht, die Darstellung des Falles Wehner, der ein eigenes Kapitel gewidmet ist, haben Vorabveröffentlichungen schon bekanntgemacht (siehe F.A.Z. vom 22. Mai). Wolf achtet streng darauf, aus dem geheimdienstlichen Spektrum nur solche Fälle und Einzelheiten zu veröffentlichen, die entweder durch Buchveröffentlichungen, die sich auf die Aktenbestände der Gauck-Behörde stützen, oder durch die zahlreichen Gerichtsverfahren gegen westdeutsche Mitarbeiter der HVA bereits öffentlich geworden sind, wenn die sogenannte "breite" Öffentlichkeit dabei auch längst nicht alles mitbekommen hat. Allerdings ergibt sich durch Wolfs Buch die Möglichkeit, das alles einmal im Zusammenhang nachzulesen, wobei man nicht vergessen sollte, woher es stammt.

Es muß fachkundigen Historikern überlassen bleiben, die Darstellung im einzelnen zu bewerten. Daß Wolfs Buch als Quelle in die historische Forschung eingehen wird, leidet keinen Zweifel, aber als Quelle minderen Ranges, weil die meisten Behauptungen nicht belegt werden. Soweit Wolf Quellen nennt, handelt es sich um private Tagebuchaufzeichnungen. Freilich wirft seine Darstellung auf manche Vorgänge ein neues Licht, etwa auf die bei Gauck gut dokumentierte deutsch-deutsche Wanderung Kurt Viewegs 1957, den Fall John oder die Unterredungen Wehners mit Ost-Berliner Emissären im West-Berlin des Jahres 1956 und überhaupt auf das Agieren Wehners: keine bahnbrechenden Enthüllungen, aber beachtliche Details. Interessant sind auch seine Ausführungen zur Finanzierung der "Generäle für den Frieden" in den achtziger Jahren, die deren Sekretär Kade, der später auch eine Verbindung zum KGB knüpfte, sich über die HVA besorgte.

Wolf achtet angeblich sorgfältig darauf, frühere Agenten, die noch nicht aufgeflogen sind, nicht zu enttarnen. Da mutet es seltsam an, daß er an einigen Stellen die Betreffenden mit einigen wenigen Angaben so deutlich charakterisiert, daß ein gründlicher Ermittler wenig Mühe haben dürfte, deren Namen herauszufinden. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang, allerdings nicht von solchen Angaben begleitet, sind Wolfs wiederholte Hinweise auf eine hochrangige Quelle der HVA in der FDP-Führung, die es dort seit dem Ende der sechziger und bis in die achtziger Jahre hinein gegeben haben soll. Der zeitweilige FDP-Ehrenvorsitzende Borm, über dessen Verstrickung Wolf ausführlich berichtet, kann damit schwerlich gemeint gewesen sein. Und so wird hier zwischen den Zeilen ein Drohpotential sichtbar, von dem Wolf da und dort in seinem Buch diskret, aber für Eingeweihte wohl schmerzhaft fühlbar Gebrauch zu machen versteht: eine Wissensmacht, die sich erhält, indem sie sparsam genutzt wird.

Der Fall Guillaume wird ausführlich behandelt, wobei Wolf nachvollziehbar versichert, ein Sturz des Kanzlers Brandt durch diesen Mann sei zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt gewesen. Eher von anekdotischem Rang ist seine Eröffnung, die Dokumente aus dem Kanzlerbüro, die Guillaume an die HVA weitergereicht haben soll - was bei seiner Verurteilung eine entscheidende Rolle spielte -, hätten den DDR-Nachrichtendienst durch ein Mißgeschick nie erreicht.

Viel Raum nehmen die Konflikte in der DDR-Führung ein. Interessant ist die Beschreibung des Machtwechsels von Ulbricht zu Honecker, wobei Honecker, anders, als eine Legende es will, zur Bonner Ostpolitik zunächst die abweisendere Haltung einnahm - wie Moskau es sich auch von dem zu dieser Zeit nachdenklich gewordenen Ulbricht wünschte, um ungestört von etwaigen deutsch-deutschen Übereinkünften seine Interessen durchsetzen zu können. Erst nach dem Ost-Berliner Machtwechsel profilierte sich Honecker dann als der scheinbar beweglichere Mann. Bei alldem bleibt von Anbeginn ungeklärt, wie Wolf, der offenbar nie so ganz dafür und nie so richtig dagegen war, seinen schon in jungen Jahren in der Sowjetunion einsetzenden exorbitanten Aufstieg in hohe und schließlich höchste Positionen schaffen und sich diese Stellung bis zum Schluß, dem freiwilligen Rückzug aus seinem Amt, bewahren konnte. Schon ein solcher Rückzug aus freiem Entschluß stellte unter den Verhältnissen des real existierenden Sozialismus eine seltene Ausnahme dar. Das alles bleibt eigentlich unerklärlich, wenn man nicht als Erklärung gelten lassen will, daß Wolf über diesen Teil seiner Rolle schweigt oder den Zufall verantwortlich macht. Kein Wort darüber, wie Wolf im Apparat der DDR seine sachlichen und persönlichen Interessen durchzusetzen wußte. Daß es Auseinandersetzungen und Machtkämpfe gab, wird dargelegt, wie es aber zuging, daß Wolf solche Konflikte unbeschadet überstehen und sogar über Jahrzehnte eine nahezu reichsunmittelbare Stellung zur Staats- und Parteiführung einnehmen konnte, bleibt dem Leser zur Spekulation aufgegeben. Man kann davon Gebrauch machen, indem man bis zum Nachweis des Gegenteils annimmt, daß Wolf kein heimlicher Widerstandskämpfer, sondern eine der maßgeblichen, stützenden Figuren des auch von Mißtrauen und persönlichen Animositäten geprägten Regimes war, in dem er sich Macht zu verschaffen und nachhaltig Einfluß zu nehmen wußte.

Gewiß bleibt er eine Ausnahmeerscheinung unter den proletarisch geprägten Figuren, ein gebildeter Generaloberst mit bürgerlichen Formen und musischen Neigungen, der auch in der Lage ist, sich auszudrücken. Das macht ihn als Menschen und es macht auch die Lektüre seines Buches angenehmer, für manche allerdings auch unangenehmer, weil sie gerade diesen Umstand als bedrohlich oder perfide empfinden. Wolf selbst hält sich zugute, den Werten seiner Kindheit und Jugend treu geblieben zu sein. Am Ende seines Buches beschwört er den "guten alten Marx" und kaum verhüllt eine Renaissance des Marxismus, dem er immer noch zutraut, die richtigen Antworten auf die Sinnfragen der Gesellschaft und des einzelnen zu geben. Immer wieder beschwört Wolf in seinem Buch den Wert seiner Ideale, versteigt sich sogar zu der Behauptung, Spione für den Osten hätten aus idealistischen, solche für den Westen aus materialistischen Motiven gehandelt: Da wird zugleich auf die Gräber nicht weniger Sozialdemokraten gespuckt, die als angebliche "Spione und Diversanten" ihren Kampf gegen den Kommunismus in der DDR mit dem Leben bezahlten. Sie erwähnt Wolf nicht, nur, mit beträchtlichem Hohn, das Berliner Ost-Büro der SPD.

Es wäre anmaßend, Markus Wolf, wenn er denn in seinem Buch und seinen sonstigen Äußerungen nicht beständig lügen sollte, den Willen zur moralischen Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie und dem System, dem er nicht nur diente, sondern das er mitgeschaffen hat, einfach abzusprechen. Und der Rezensent ist ihm schon gar nicht zum Richter gesetzt. Doch ist es wohl zu einfach, wenn einer sein eigenes Handeln an dem von ihm selbst festgesetzten Wert seiner Ideale messen will, einmal davon abgesehen, was denn die Umsetzung dieser Ideale in der Wirklichkeit bedeutete. Man könnte es nachvollziehen, wenn Wolf es ablehnte, sich dieser persönlichsten Aufgabe, dem wahrhaftigen Blick in den Spiegel, öffentlich zu unterziehen. An einer Stelle schreibt Wolf: "Leute wie Hans Modrow und ich warteten weitgehend passiv auf einen ,Erlöser', der uns dazu bringen sollte, das System zu ändern, in das wir eingebunden waren. Wir begriffen nicht, daß der Anstoß von uns selbst hätte kommen müssen." An einer anderen Stelle wirft er die Frage nach seiner Mitverantwortung auf, aber es folgt keine Antwort. Das könnte eine Weigerung im Stile Ernst Jüngers sein, und diese Weigerung hat den Preis, daß man sich überheblichen Urteilen so stolz wie achtlos anheimgibt. Auch bei Wolf spielt der Stolz eine Rolle, doch scheint er mehr auf die Ehre zu schielen.

Nein, Wolf führt, aus defensiver Haltung, die moralische Auseinandersetzung durchaus öffentlich. Er ist damit in gewisser Weise zu einer Symbolfigur für viele geworden, die sich in ähnlicher Lage befinden oder die das zumindest von sich glauben. Manche Historiker vertreten die These, daß Wolfs Ausscheiden aus dem Staatssicherheitsdienst der Vorbereitung eines weiteren Karrieresprunges diente: dem an die Spitze der DDR, abgefedert und begleitet durch die sozialistischen "Reformer" in der DDR und der Sowjetunion. Auch wenn es so gewesen sein sollte, ist es dazu nicht gekommen. Doch die Geschichte hat gefügt, daß aus Markus Wolf der letzte wirkliche Repräsentant des DDR-Regimes geworden ist und nicht aus Mielke, Modrow, Heym, Krenz oder Gysi.

Und das scheint ihm bewußt zu sein, denn er handelt und bewegt sich, spricht und schreibt repräsentativ in diesem Sinne. Nicht von ungefähr nimmt Wolf im Zuge seiner moralischen Selbstbewertung Zuflucht zu einem Vers von Brecht aus der "Maßnahme": "Welche Niedrigkeit begingest du nicht, um / Die Niedrigkeit auszutilgen? / Könntest du die Welt endlich verändern, wofür / Wärest du dir zu gut? / Wer bist du? / Versinke in Schmutz, / Umarme den Schlächter, aber / Ändere die Welt: sie braucht es!"

Das ist eine von vielen ähnlichen Hervorbringungen des großen Dichters Brecht im Dienste des großen Schreibtischtäters Brecht. Vordergründig ist die Sprache schlicht und einfach, doch der moralische Frage- und Bitt- und Droh- und Befehlsstuck dieser wenigen Zeilen verhüllt wie eine Barockfassade ein klägliches Motto: Der Zweck heiligt die Mittel. VOLKER ZASTROW

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