Der Sport ist ein Bereich, der in der modernen Gesellschaft immer breitere Kreise umfaßt. Mit der zunehmenden Präsenz in den Medien und der Tendenz zu Kommerzialisierung und Professionalisierung wachsen jedoch auch die Probleme. Dies gilt auch für den Umgang mit dem eigenen Körper im Freizeit- und Fitneßbereich. In diesem Buch werden neben praktischen Problembereichen mit dem Themenschwerpunkt Doping auch grundlegende Fragen nach Regeln und Sinn des Sports, Fairneß und Gerechtigkeit sowie die Frage nach institutioneller Verantwortung und einer adäquaten Sportethik einer kontroversen bis kritischen Reflexion unterzogen. Mit internationalen Originalbeiträgen aus Philosophie und Sportwissenschaft ist dieser Band eine Antwort auf ein offensichtliches Theoriedefizit und ein Angebot für Lehre und Forschung. Es werden darin erstmals auch Beiträge der traditionsreichen amerikanischen Sportphilosophie in deutscher ÜberSetzung zugänglich gemacht.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.01.2005Hochsprung auf dem Mond
Was ist denn nun eigentlich schlimm am Doping? Ein Sammelband sucht Antworten
Ganz Griechenland war gedemütigt, viele Griechen gaben ihre Eintrittskarten zurück, nachdem die gedopten Nationalhelden Kostas Kenteris und Ekaterini Thanou im vergangenen Sommer auf den Start bei den Olympischen Spielen verzichteten. Gleichzeitig wurden Pläne des Leichtathletiktrainers Christos Tzekos bekannt, Doping in Griechenland heimlich mit sechs Millionen Euro staatlich unterstützen zu lassen. Die Athener Zeitung Kathimerini titelte im August: „Doping ist unser neuer Nationalsport.”
Aber was ist an Doping falsch? Das ist die Kernfrage des von Claudia Pawlenka herausgegebenen Sammelbands „Sportethik. Regeln - Fairness - Doping”. Die Antworten auf diese Frage füllen ein Drittel des Buches. Zuvor kann sich der Leser mit dem Wesen von Fairness und mit der Frage „Was ist überhaupt Sport?” befassen. Diese Anordnung ist nicht nur sinnvoll, weil beide Themen für die Beantwortung der Dopingfrage wichtig sind - wird doch das Dopingverbot oft aus dem Gebot sportlicher Fairness abgeleitet. Die drei Themenfelder bezeichnen zudem die Hauptbereiche der in Deutschland unterentwickelten Disziplin Sportethik. Daher liest sich der Band als gewinnbringende Einführung.
„Doping - das tut man nicht”, meint Meinhart Volkamer in seinem Beitrag und will damit eine lange Debatte um Gründe abschneiden. In unserer Alltagspraxis, so Volkamer, sei uns das Dopingverbot evident, und so bringe es nur Verdruss, darüber hinauszugehen. Schon Aristoteles hat mit diesem Schachzug experimentiert, aber die Uhren der Aufklärung lassen sich nur bewusst zurückdrehen, und das zerstört genau die Naivität, die Volkamer retten will. Aber welche Gründe tragen ein Verbot? Gesundheitsbeeinträchtigungen zitiert Dietmar Mieth herbei. Aber am Beispiel von Rekordolympiasieger Carl Lewis, dem die Ärzte für bald ein Leben im Rollstuhl prophezeien, wird klar: Leistungssport fordert heute so oder so seinen Blutzoll, worauf Eugen König hinweist. Was, wenn Doping einmal nicht mehr ungesund wäre? Wir wären immer noch dagegen.
Häufig wird auch die Zerstörung der Chancengleichheit als Argument gegen Doping bemüht. Frans de Wachter schreibt: „Sport ist seinem Wesen nach eine Lobrede auf Demokratie und Chancengleichheit.” Nur die sportliche Leistung soll eine Rangfolge begründen, nicht Geld oder Nationalität - so das olympische Pathos. Aber reiche Nationen haben längst die bessere Sportförderung, wie Konrad Ott anmerkt. Das olympische Pathos ist unrealistisch. Und wäre Chancengleichheit nicht genauso gut ein Argument dafür, Doping freizugeben? Dann wären die Bedingungen wieder für alle gleich.
Ist Doping aber nicht einfach wider die Natur? Claudia Pawlenka meint das emphatisch: „Im Sport wird ,Natur pur verlangt.” Aber was ist im Leistungssport schon natürlich? Wenn man nur soviel spritzt, dass man unter dem erlaubten Hämokritwert von 50 bleibt, ist man dann natürlicher als derjenige, dessen Wert bei 55 liegt? Diesen Einwand macht Heiner Hastedt mit Recht. Und ist das Natürliche auch das Gute? Immerhin feiern wir die Zivilisation als Fortschritt. Das zentrale Argument gegen Doping im Treibsand dieser Kontroverse zu verankern, ist wenig weise.
Aber Doping ist Betrug! Es enttäuscht die Erwartungshaltungen vieler. Wäre dies nicht erneut ein Argument, das wegfiele, wenn jeder dopen dürfte? Es scheint, der Versuch einer Begründung des Dopingverbots endet in einer Sackgasse. Das hatte Volkamer ja vorhergesagt. Also zurück zur naiven Sittlichkeit des „Das tut man nicht”? Der Sammelband kommt aus dieser Sackgasse nicht heraus, weil keiner der Autoren radikal fragt, warum Doping falsch ist. Sonst wäre man um die Tabu-Frage nicht herumgekommen: Was spricht dafür, Doping freizugeben?
Die Argumente für die Freigabe sind nicht minder schwach; hier bestünde eine gute Chance, die Dopingbefürworter zu stellen - eine Chance, die der Sammelband verspielt. So kann sich der Leser nur an die immer noch beste Kritik von Doping halten, welche die Herausgeberin aber leider nur kurz zitiert: Damit wir Sportler bewundern können, müssen wir uns mit ihnen identifizieren. Sie müssen uns ähnlich sein, etwas mit ihrem Körper erreichen, was wir prinzipiell auch erreichen könnten. Sonst würde uns „das Leiden der Tour-de-France-Fahrer auf den letzten Metern der Bergetappe ebenso wenig berühren wie Hochsprung auf dem Mond”, schreibt Pawlenka. Wenn das Interesse des Publikums am Sport erlahmt, hat der Sport keine Überlebenschance. Insofern gefährdet Doping tatsächlich die Existenz des Sports - zumindest solange wir nicht alle gedopt oder eugenisch „optimiert” und damit gedopten Sportlern wieder ähnlich geworden sind.
BERNWARD GESANG
CLAUDIA PAWLENKA: Sportethik. Regeln - Fairness - Doping. Mentis Verlag, Paderborn 2004. 328 Seiten, 38 Euro.
Dieses gut gefüllte Kraftpaket gewann 2000 in Sydney den olympischen 200-Meter-Lauf. Vier Jahre später wurde Konstantinos Kenteris ein weiterer Fall der an Siegen, Niederlagen und Betrügereien reichen griechischen Mythologie.
Foto: Getty Images
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Was ist denn nun eigentlich schlimm am Doping? Ein Sammelband sucht Antworten
Ganz Griechenland war gedemütigt, viele Griechen gaben ihre Eintrittskarten zurück, nachdem die gedopten Nationalhelden Kostas Kenteris und Ekaterini Thanou im vergangenen Sommer auf den Start bei den Olympischen Spielen verzichteten. Gleichzeitig wurden Pläne des Leichtathletiktrainers Christos Tzekos bekannt, Doping in Griechenland heimlich mit sechs Millionen Euro staatlich unterstützen zu lassen. Die Athener Zeitung Kathimerini titelte im August: „Doping ist unser neuer Nationalsport.”
Aber was ist an Doping falsch? Das ist die Kernfrage des von Claudia Pawlenka herausgegebenen Sammelbands „Sportethik. Regeln - Fairness - Doping”. Die Antworten auf diese Frage füllen ein Drittel des Buches. Zuvor kann sich der Leser mit dem Wesen von Fairness und mit der Frage „Was ist überhaupt Sport?” befassen. Diese Anordnung ist nicht nur sinnvoll, weil beide Themen für die Beantwortung der Dopingfrage wichtig sind - wird doch das Dopingverbot oft aus dem Gebot sportlicher Fairness abgeleitet. Die drei Themenfelder bezeichnen zudem die Hauptbereiche der in Deutschland unterentwickelten Disziplin Sportethik. Daher liest sich der Band als gewinnbringende Einführung.
„Doping - das tut man nicht”, meint Meinhart Volkamer in seinem Beitrag und will damit eine lange Debatte um Gründe abschneiden. In unserer Alltagspraxis, so Volkamer, sei uns das Dopingverbot evident, und so bringe es nur Verdruss, darüber hinauszugehen. Schon Aristoteles hat mit diesem Schachzug experimentiert, aber die Uhren der Aufklärung lassen sich nur bewusst zurückdrehen, und das zerstört genau die Naivität, die Volkamer retten will. Aber welche Gründe tragen ein Verbot? Gesundheitsbeeinträchtigungen zitiert Dietmar Mieth herbei. Aber am Beispiel von Rekordolympiasieger Carl Lewis, dem die Ärzte für bald ein Leben im Rollstuhl prophezeien, wird klar: Leistungssport fordert heute so oder so seinen Blutzoll, worauf Eugen König hinweist. Was, wenn Doping einmal nicht mehr ungesund wäre? Wir wären immer noch dagegen.
Häufig wird auch die Zerstörung der Chancengleichheit als Argument gegen Doping bemüht. Frans de Wachter schreibt: „Sport ist seinem Wesen nach eine Lobrede auf Demokratie und Chancengleichheit.” Nur die sportliche Leistung soll eine Rangfolge begründen, nicht Geld oder Nationalität - so das olympische Pathos. Aber reiche Nationen haben längst die bessere Sportförderung, wie Konrad Ott anmerkt. Das olympische Pathos ist unrealistisch. Und wäre Chancengleichheit nicht genauso gut ein Argument dafür, Doping freizugeben? Dann wären die Bedingungen wieder für alle gleich.
Ist Doping aber nicht einfach wider die Natur? Claudia Pawlenka meint das emphatisch: „Im Sport wird ,Natur pur verlangt.” Aber was ist im Leistungssport schon natürlich? Wenn man nur soviel spritzt, dass man unter dem erlaubten Hämokritwert von 50 bleibt, ist man dann natürlicher als derjenige, dessen Wert bei 55 liegt? Diesen Einwand macht Heiner Hastedt mit Recht. Und ist das Natürliche auch das Gute? Immerhin feiern wir die Zivilisation als Fortschritt. Das zentrale Argument gegen Doping im Treibsand dieser Kontroverse zu verankern, ist wenig weise.
Aber Doping ist Betrug! Es enttäuscht die Erwartungshaltungen vieler. Wäre dies nicht erneut ein Argument, das wegfiele, wenn jeder dopen dürfte? Es scheint, der Versuch einer Begründung des Dopingverbots endet in einer Sackgasse. Das hatte Volkamer ja vorhergesagt. Also zurück zur naiven Sittlichkeit des „Das tut man nicht”? Der Sammelband kommt aus dieser Sackgasse nicht heraus, weil keiner der Autoren radikal fragt, warum Doping falsch ist. Sonst wäre man um die Tabu-Frage nicht herumgekommen: Was spricht dafür, Doping freizugeben?
Die Argumente für die Freigabe sind nicht minder schwach; hier bestünde eine gute Chance, die Dopingbefürworter zu stellen - eine Chance, die der Sammelband verspielt. So kann sich der Leser nur an die immer noch beste Kritik von Doping halten, welche die Herausgeberin aber leider nur kurz zitiert: Damit wir Sportler bewundern können, müssen wir uns mit ihnen identifizieren. Sie müssen uns ähnlich sein, etwas mit ihrem Körper erreichen, was wir prinzipiell auch erreichen könnten. Sonst würde uns „das Leiden der Tour-de-France-Fahrer auf den letzten Metern der Bergetappe ebenso wenig berühren wie Hochsprung auf dem Mond”, schreibt Pawlenka. Wenn das Interesse des Publikums am Sport erlahmt, hat der Sport keine Überlebenschance. Insofern gefährdet Doping tatsächlich die Existenz des Sports - zumindest solange wir nicht alle gedopt oder eugenisch „optimiert” und damit gedopten Sportlern wieder ähnlich geworden sind.
BERNWARD GESANG
CLAUDIA PAWLENKA: Sportethik. Regeln - Fairness - Doping. Mentis Verlag, Paderborn 2004. 328 Seiten, 38 Euro.
Dieses gut gefüllte Kraftpaket gewann 2000 in Sydney den olympischen 200-Meter-Lauf. Vier Jahre später wurde Konstantinos Kenteris ein weiterer Fall der an Siegen, Niederlagen und Betrügereien reichen griechischen Mythologie.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Lange genug ist die Sportethik in Deutschland stiefmütterlich behandelt worden; da ist der von Claudia Pawlenka herausgegebene Sammelband eine längst überfällige Publikation und eine "gewinnbringende Einführung" zudem, meint Rezensent Bernward Gesang. Den Aufbau, in dem zunächst den Fragen nach dem Wesen von Fairness und Sport nachgegangen wird, um dann Antworten auf die Frage zu geben, warum Doping falsch ist, hält Gesang für äußerst sinnvoll. Inhaltlich jedoch übt der Rezensent deutliche Kritik: Jeder der Autoren finde in seinen Beiträgen die unterschiedlichsten Gründe für ein Dopingverbot, für jeden dieser Gründe ließen sich jedoch entkräftende Gegenargumente finden "Der Versuch einer Begründung des Dopingverbots endet in einer Sackgasse", ärgert sich Gesang. Aus der es, wohlgemerkt, einen Ausweg gegeben hätte, wenn man nämlich den Mut aufgebracht hätte, Gründe für die Freigabe von Doping zu finden, um diese dann zu entkräften. Für einen solch fruchtbaren Tabubruch hat es leider nicht gereicht, bedauert Gesang.
© Perlentaucher Medien GmbH
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