Sprachliche Benachteiligung und Förderung – Problem und Aufgabe kompakt dargeboten
Juliana Goschler: Sprachbildung für alle – Eine Streitschrift
Dudenverlag Berlin 2023, ISBN 978-3-411-75683-4, 82 S., 10 €
Rezension von Dietrich Pukas 25.02.2023
Streiten sollte man für das, was im
vorliegenden Buch steht, weil es vernünftig und angemessen ist sowie als Einsicht weit verbreitet und…mehrSprachliche Benachteiligung und Förderung – Problem und Aufgabe kompakt dargeboten
Juliana Goschler: Sprachbildung für alle – Eine Streitschrift
Dudenverlag Berlin 2023, ISBN 978-3-411-75683-4, 82 S., 10 €
Rezension von Dietrich Pukas 25.02.2023
Streiten sollte man für das, was im vorliegenden Buch steht, weil es vernünftig und angemessen ist sowie als Einsicht weit verbreitet und umgesetzt werden sollte. Als zentrale These des wichtigen, aufschlussreichen Debatten-Bandes geht es darum, dass grundlegende Sprachfähigkeiten die Voraussetzung für eine aktive Teilhabe der Bürger am gesellschaftlichen Leben und beruflichen Erfolg bilden. Dazu müssen allen Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen geeignete Bildungsprozesse ermöglicht werden, die den Erwerb adäquater Sprachkompetenzen sichern. Das erweist sich als schwieriges Komplexvorhaben, das die Beteiligung und Mitwirkung der betroffenen Eltern, Erzieher/-innen, Lehrer/-innen, Sozialarbeiter/-innen sowie politisch Verantwortlichen erfordert. In erster Linie muss dies als gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Bildungsinstitutionen: Kitas, Schulen, Hochschulen, Stätten der Berufsbildung, Einrichtungen der Weiterbildung begriffen, unterstützt, gefördert, nicht zuletzt finanziert werden.
Juliana Goschler beschreibt treffend die Problematik und das sprachliche Erfordernis, sich jeweils in verschiedenen sozialen Situationen, im Familien- und Freundeskreis, Freizeitbereich, in Schule und Berufsausbildung, Geschäfts- und Arbeitswelt passend auszudrücken, um gesellschaftsfähig und beruflich erfolgreich zu sein. Dazu muss man über Alltags- und Vulgärsprache, Jargon und originelle Jugend- bzw. Cliquensprache, Dialekte, lässige Sprechsprache hinaus die gehobene Bildungssprache und das gute Schriftdeutsch beherrschen. Letzteres lernen nicht alle je nach familiärer Herkunft, sozialer Schicht oder mit Migrationshintergrund optimal von klein auf im Elternhaus oder vorschulischen Einrichtungen, sondern oft und lückenhaft erst unter Schwierigkeiten in der Schule. Aber ein differenzierter Sprachgebrauch mit großem Wortschatz, in korrekten Sätzen und Satzgefügen entscheidet über fachlich gute Schul- und Prüfungsleistungen, auch in den zukunftsträchtigen MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik. In der Arbeits- und Berufswelt kommt es ebenfalls auf die Kenntnis domänen- und fachspezifischer Sprache zur Kommunikation unter Fachleuten an. Deshalb fordert sie meines Erachtens streitbar zu Recht, dass Sprachenlernen und Sprachbildung nicht weiter überwiegend als Privatsache und Familienangelegenheit angesehen werden dürfen, sondern dass eine bessere öffentliche Sprachförderung der Benachteiligten durch das Bildungssystem eine dringliche Staatsaufgabe ist.
Und die Autorin als ausgewiesene Expertin lässt keine Ausreden in Bezug auf einen Mangel an Zeit, Personal sowie Geld gelten und unterbreitet einschlägige Vorschläge zur Abhilfe. Trotz derzeit chronischer Unterfinanzierung unseres Bildungswesens verlangt sie z. B., dass Teamteaching mit einer Fach- und einer Sprachlehrkraft in der Lerngruppe zumindest auf längere Sicht zur Normalität an Schulen, Hochschulen und Ausbildungsstätten werden muss. Ebenfalls ist notwendig, dass alle Lehrkräfte als obligatorischen Teil ihrer Ausbildung die Themen „Sprache, sprachliche Heterogenität, Sprache im Fach“ kennenlernen. In Lehrerfortbildungen sollte bereits sofort gezielt der Zusammenhang von sprachlichem und fachlichem Lernen einbezogen werden. Die ständige Integration sprachlicher Aspekte in den eigenen Unterricht erweist sich zwar schwierig, jedoch ansatzweise möglich wie beim Training des Fachwortschatzes oder mit Wortfeld-Übungen. Die Identifizierung typischer grammatischer Strukturen in fachlichen Formulierungen wie „wenn-dann-Beziehungen“ in der Mathematik, Satzgefüge mit logischen Verknüpfungen in der Physik oder von Eigentümlichkeiten der Politiksprache können besprochen, analysiert, sprachlich vertieft werden. Deshalb muss der schulische Deutschunterricht, der vornehmlich die allgemeinen bildungssprachlichen Kompetenzen in Rechtschreibung, Grammatik, Literatur und Mediengebrauch vermitteln soll, durch komplexe fachsprachliche Bemühungen im Fachunterricht, Fachstudium oder in der beruflichen Ausbildung unterstützt, ergänzt und verfeinert werden. Dazu sind die Fachlehrkräfte in allen Fächern, Ausbildungs- und Studiengängen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung unter tatkräftiger Mitwirkung der zuständigen Akteure in Politik und Administration in die Lage zu versetzen.
Insofern darf und soll sich – nicht zuletzt aufgrund der ansprechenden Aufmachung und Präsentation – ein sehr breiter Leserkreis von dem kompakten Buch zum Mitstreiten für den höchst wünschenswerten Fortschritt des Sprachlehrens und -lernens heraus gefordert fühlen und engagieren.