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Mit diesem Buch tritt ein Autor, der mit der sprachanalytischen Philosophie ebenso vertraut ist wie mit den modernen Entwicklungen der theoretischen Sprachwissenschaft, der gängigen Meinung entgegen und versucht zu zeigen, daß die Wittgensteinsche Auffassung von der Sprache, der zufolge die Sprache eine Form sozialen Lebens ist, nicht unverträglich ist mit einer kognitiven Sprachtheorie, der zufolge die Sprache eine Form biologischen Lebens ist und in Analogie zu einem Organ gesehen werden kann. Bei dem Versuch, die scheinbar konträren Sprachauffassungen Chomskys und Wittgensteins miteinander…mehr

Produktbeschreibung
Mit diesem Buch tritt ein Autor, der mit der sprachanalytischen Philosophie ebenso vertraut ist wie mit den modernen Entwicklungen der theoretischen Sprachwissenschaft, der gängigen Meinung entgegen und versucht zu zeigen, daß die Wittgensteinsche Auffassung von der Sprache, der zufolge die Sprache eine Form sozialen Lebens ist, nicht unverträglich ist mit einer kognitiven Sprachtheorie, der zufolge die Sprache eine Form biologischen Lebens ist und in Analogie zu einem Organ gesehen werden kann. Bei dem Versuch, die scheinbar konträren Sprachauffassungen Chomskys und Wittgensteins miteinander zu versöhnen, werden der Erklärungsanspruch Chomskys und der Beschreibungsanspruch Wittgensteins auf komplementäre Problemstellungen und unterschiedliche wissenschaftliche Verfahren relativiert.
Autorenporträt
Noam Chomsky, geboren 1928, ist emeritierter Professor für Linguistik und Philosophie am Massachusetts Institute of Technology. Er ist Träger zahlreicher Ehrendoktorwürden und Auszeichnungen wie dem Kyoto-Preis und der Helmholtz-Medaille.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.1995

Wittgensteins Kopfschütteln
Günther Grewendorf hält die Rätsel der Sprache für lösbar / Von Manfred Geier

Was ist Sprache? Auf diese Rätselfrage haben nicht nur die Philosophen seit je unterschiedliche Antworten zu geben versucht, auch der Alltagsverstand hat viele Meinungen dazu parat. Wir sind alle mit der Sprache als unserem täglichen Kommunikationsmittel vertraut und glauben irgendwie zu wissen, was es damit auf sich hat. Wir scheinen, wie Günther Grewendorf, Linguist in Frankfurt, bemerkt, mit der Sprache auf gutem Fuß zu stehen "wie mit dem runden Leder, dessen samstäglicher Gebrauch uns in kompetenter Runde vor der Sportschau versammelt. Und so, wie in jedem von uns schon immer ein verkannter Bundestrainer steckt, so entfalten wir auch gerne das verkannte Talent eines Linguisten, wenn es um Sprache geht". Doch gibt es bei der Sprache Zusammenhänge, die dem nichtwissenschaftlichen Auge, auch dem philosophischen, unzugänglich sind. Für sie will Grewendorf den Blick schärfen.

Er bietet einen sachkundigen Einblick in neue Fragen und Antworten einer "kognitiven Linguistik", die vor allem mit Noam Chomskys "Prinzipien- und Parametertheorie" entscheidend vorangekommen ist. Chomsky selbst hat sein "P & P-Modell" als Abkehr von einer zweieinhalbtausendjährigen Tradition charakterisiert, und Grewendorf folgt ihm dabei. Für ihn handelt es sich um eine linguistische Revolution, die endlich zu erklären vermag, worin menschliche Sprachfähigkeit wirklich besteht. Er plädiert dafür, sie als ein biologisches Phänomen oder System zu verobjektivieren, das zur biologischen Grundausstattung der Spezies gehört. Linguistik im Sinne von Chomskys kognitiver Strukturtheorie ist letztlich ein Teil der Humanbiologie, und Sprache ist eine Art "Organ", das in Analogie zum Herzen oder zum visuellen System zu betrachten ist.

Im Mittelpunkt von Chomskys Entwurf steht das P & P-Modell: es nimmt abstrakt allgemeine (universalgrammatische) Prinzipien der genetisch determinierten Sprachfähigkeit an und eine endliche Anzahl von Parametern, gleichsam von offenen Stellen, deren Optionen durch die Konfrontation mit einer (einzelsprachlichen) Umgebung fixiert werden. So kann die provozierende Redeweise von der Sprache als Organ eine wissenschaftliche Systematisierung erfahren, die nicht nur Einblick in die strukturellen Gemeinsamkeiten natürlicher Sprachen eröffnet und zugleich ihre Verschiedenheiten zu erklären vermag. Auch für die Rätsel des Spracherwerbs wird eine Lösung angeboten. Er wird theoretisch begreifbar als Fixierung von Parametern jener universellen Prinzipien, durch die sich die angeborene Sprachfähigkeit charakterisieren läßt.

"Würde Wittgenstein hier nicht den Kopf schütteln?" fragt Grewendorf. Die Anwendung abstrakter theoretischer Konzepte einer erklärenden Wissenschaft, die sich an den Strategien der Naturwissenschaften orientiert, war nicht Wittgensteins Sache, wenn es um Sprache und Geist ging. Gegen die "organische" Konzeption der Sprache erinnert Grewendorf an dessen Vorstellung, daß der Sprachgebrauch Teil einer "Lebensform" ist. Also doch Sprachspiele statt Biologie, Sprachgebrauch statt Sprachsystem, Tätigkeit statt Organ, soziales Leben statt biologische Ausstattung, Reflexion statt Modellbau?

Grewendorf trägt diesen Widerstreit nicht wirklich aus. Ihm zufolge sind die unterschiedlichen Sprachauffassungen Chomskys und Wittgensteins nur scheinbar konträr. Gegen die gängige Meinung plädiert er für Versöhnung und Verträglichkeit, jedoch mit einer folgenreichen Pointe: was philosophische Untersuchungen des sozialen Sprachgebrauchs als ungelöste Rätsel hinterlassen, kann durch eine Sprachtheorie à la Chomsky wissenschaftlich gelöst werden. Chomskys Schüler läßt keinen Zweifel daran, auf welcher Seite er steht. Fasziniert und sachkundig plädiert er für die theoretische Abstraktheit der kognitiven Sprachtheorie. Darin ist sein Buch äußerst erhellend und informativ. Aber es mangelt ihm jedes Gespür für die besondere Qualität einer sprachphilosophischen Tätigkeit à la Wittgenstein, für ihre unsystematischen, beunruhigenden und oft auch heilsam verwirrenden Wanderungen durch das Labyrinth der sprachlichen Rätsel.

Wer sich für die linguistisch lösbaren Probleme einer kognitiven Organtheorie interessiert, findet in Grewendorfs Buch Material und Anregungen. Er lernt die Regeln des linguistischen Sprachspiels und wird eingeübt in die hochspezialisierte Theoriesprache abstrakter Modelle. Wer jedoch die philosophischen Rätsel sprachlicher Lebensformen liebt, kann nur den Kopf schütteln und wird sich vielleicht an Nestroy erinnern, dessen Skepsis Wittgenstein zum Motto seiner "Philosophischen Untersuchungen" gewählt hat: "Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer ausschaut, als er wirklich ist."

Günther Grewendorf: "Sprache als Organ - Sprache als Lebensform". Mit einem Interview mit Noam Chomsky "Über Linguistik und Politik". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. 255 S., geb., 40,- DM.

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