Katarina Frostensons Gedichte entwickeln ihre poetische Kraft aus dem Wechselspiel von Sprache und Bedeutung, die unablässig in Bewegung sind. Ob in Paris, Berlin oder Schweden, draußen oder drinnen - alles in der Welt ist im Fluss. Es ist eine Welt, die, so grausam und düster sie ist, große Schönheit besitzt und nach Empathie verlangt. "Katarina Frostenson begibt sich auf die doppelte Suche nach der Sprache und den Dingen. Es ist, als seziere sie die Dinge, um sie aufs Neue und anders beschwören zu können." Jan Wagner
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Heinrich Detering findet die von Verena Reichel "kongenial" übersetzten Gedichte der Schwedin Katarina Frostenson geschliffen. Die Auswahl aus den Jahren 1999 bis 2011 führt ihm eindrucksvoll die Meisterschaft der Autorin beim Verwandeln von Schauplätzen in Klang vor Augen. Wie Frostenson archaische Mythen visionär synästhetisch abbildet, dabei mitunter politisch sensibel aktuelle Kriegsbilder verhandelnd, wie sie die Welt sich auflösen lässt in Sprache, um abermals eine Welt entstehen zu lassen, verfremdet und schön, das hat Detering an den 33 Gedichten des Bandes beeindruckt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2016Dieser Blick auf die Lichtung aus Tönen
Geschliffen in doppelter Hinsicht: Katarina Frostensons seit 1999 entstandene Gedichte
Wer die Verse der schwedischen Dichterin Katarina Frostenson liest, müsse bedenken, "dass sie nicht beschreiben, sondern herstellen. Es sind neugeborene Gegenstände. Sie stellen ein Sprachgeschehen her": So erläutert die Dichterin Monika Rinck in dem schönen Nachwort, das sie dem Auswahlband "Sprache und Regen" beigegeben hat. Es ist das zweite Mal, dass die Gedichte Frostensons auf Deutsch zu lesen sind, nach dem 1999 erschienenen Band "Die in den Landschaften verschwunden sind". Die neue Auswahl, zusammengestellt aus Texten der Jahre 1999 bis 2011, macht abermals begreiflich, warum diese Autorin längst zu den wichtigsten Stimmen der skandinavischen Lyrik gehört.
Sie schreibe nicht in Bildern, hat Frostenson in einem poetologischen Essay erklärt, sondern sie schreibe gegen die Bilder an. Frostensons frühere Gedichte taten das mit den Mitteln der Aussparung, im Abbruch von Sätzen und Metaphern, in kalkulierten Inkonsistenzen und Lücken. Schon früh aber traten neben die Schriftzeichen die Klänge. Die Nymphe Echo, die im griechischen Mythos und in den Metamorphosen des Ovid ganz zum Widerhall wird, erschien im Zeichen einer feministischen Sprachkritik als Verkörperung dieser Poetik und selbst als poetische Figur. In "Sprache und Regen" ist sie nun wieder zu hören, in einem Gedicht von 1999, das "Echos Schlund" überschrieben ist; und diesmal lautet die Frage: "Stimme, was bist du für ein Tier".
Beharrlich verwandeln Frostensons Gedichte ihre Schauplätze in Klang, lösen ihn auf in so dunkle Beschwörungen wie das Gedicht über Marsyas, das den Band programmatisch eröffnet. Der Satyr, der den Musengott Apoll im Sängerwettstreit herausgefordert hat und von ihm zur Strafe bei lebendigem Leibe gehäutet wird, hängt hier auf einer "Lichtung aus Tönen", und auch er selbst ist im Augenblick seines Sterbens ganz zum Klang geworden: "ein Wahnsinnslaut / der ganze Wald dröhnt von dir". Am Ende nimmt Apoll "den Bogen von den Saiten" und gibt Ruhe. Und nun, da sein Opfer verreckt ist, vermerkt der Schlussvers in verbloser Lakonie: "im Augenblick des Tieres das Gedicht". Im Laufe dieser Verse hat sich die Szenerie aus Lauten und Klängen selbst ausgeweitet in eine visionäre Synästhesie: "Der Schein von Marsyas", den die Überschrift angekündigt hat, geht aus vom blutig glänzenden "Rotmund" des Sterbenden, im Lichtschein der verstummenden Stimme leuchtet die mythologische Landschaft vielfarbig auf.
Es gehört zu Frostensons poetischem Raffinement dass dieses Prologgedicht mit dem letzten Vers nur scheinbar endet. Denn die Fäden seines Motivgewebes werden in den nächsten Texten weitergesponnen. Stimme und Wunde des Marsyas verwandeln sich im zweiten Gedicht in "Echos Schlund", das wiederum gibt seine Überschrift an das dritte weiter und so fort. Mit dem Langgedicht "Schlund" lässt Frostenson zum ersten Mal in diesem Band die Zeitgeschichte einbrechen in die archaischen Mythen; von hier an zeigt sich eine politische Sensibilität, die in der Wahrnehmung ihrer Poesie zuweilen unterschätzt worden ist.
Da stürzt eine "Stimme aus der Nacht", die mit den ersten Worten angerufen wird, in albtraumhaften Wortkaskaden hinab "in die flammende / Halsröhre des Saddampferdes / die Welt bekommt jetzt das rote Tier zu sehen". Weil "das Wort" den Kriegsbildern aus New York und dem Irak ausgesetzt ist, weil es in die "Höllenkreise" einer Bild gewordenen Gewalt gerät, darum muss es nun selbst verstörende Metamorphosen durchlaufen, die an die Komposita des späten Celan erinnern. Da antwortet auf den "Klang aus dem Gebeine- / stapel" der "Laut der Abgrundbäckerei / das Wort das Gallensüße gärt jetzt". Erst im Schlussvers verschmelzen das Sichtbare und das Hörbare, im flüchtigen Triumph der Sprache über das Grauen: "Stimmritze: Welch Licht über der Gruft".
Immer wieder beginnen Frostensons Gedichte so in wiedererkennbaren Landschaften des Mythos und der Geschichte, an Schauplätzen, die so bedeutungsschwere Namen tragen wie "Subotica" oder "Berlin" oder "Austerlitz"; manchmal setzen sie ein mit Meditationen über gemalte Landschaften niederländischer Meister oder die Szenerien einer Fernsehserie. Und immer verwandeln sie diese Orte in ein Sprachgeschehen, in dem die menschliche Stimme um ihr Überleben kämpft.
Eine der letzten Stationen des Bandes ist Tomi: jene in Geschichte und Mythos versunkene letzte Welt, in der ein aus Rom ans Schwarze Meer verbannter Dichter namens Ovid, der einst auch von den Metamorphosen des Marsyas und der Echo gesungen hat, nach und nach seine Sprache verliert. Das Gedicht redet ihn an, der einsam auf einem Felsen sitzt: "übst die harten Laute / die Barbarensprache die du ausspuckst". Doch wie der Fels von der Meeresbrandung, so wird auch der auf ihm sitzende Sänger am Ende "geschliffen", bis er vergessen ist, verschwunden in Raum und Zeit. Selbst das Gedicht, das mit der Erinnerung an einen Namen und eine Inschrift begann, scheint vergessen zu haben, wie er genau lautete; irgendetwas mit "Naso" muss es gewesen sein. In diesem Paradox aber bleibt der Tote gegenwärtig: im abermals flüchtigen Sieg der Wörter über den Tod, im abgeschliffenen Epitaph, das dieses Gedicht selbst ist.
Was Welt war, löst sich in den Gedichten der Katarina Frostenson auf in eine mit sich selbst im Streit liegende, eine verletzte und sich fortwährend selbst verletzende, rastlos bewegte Sprache. Aus deren Strömen und Stauungen aber ersteht wundersam wieder eine Welt, aus lauter "neugeborenen Gegenständen" - nur zeigt sie sich jetzt albtraumhaft und verfremdet, schmerzhaft und schön. Wer "Sprache und Regen" liest, erfährt diese Doppelbewegung in jedem der dreiunddreißig Gedichte. Verena Reichel hat sie kongenial ins Deutsche gebracht.
HEINRICH DETERING
Katarina Frostenson: "Sprache und Regen". Gedichte.
Aus dem Schwedischen von Verena Reichel. Mit einem Nachwort von Monika Rinck. Edition Lyrik Kabinett. Hanser Verlag, München 2016. 96 S., geb., 15,90 [Euro].
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Geschliffen in doppelter Hinsicht: Katarina Frostensons seit 1999 entstandene Gedichte
Wer die Verse der schwedischen Dichterin Katarina Frostenson liest, müsse bedenken, "dass sie nicht beschreiben, sondern herstellen. Es sind neugeborene Gegenstände. Sie stellen ein Sprachgeschehen her": So erläutert die Dichterin Monika Rinck in dem schönen Nachwort, das sie dem Auswahlband "Sprache und Regen" beigegeben hat. Es ist das zweite Mal, dass die Gedichte Frostensons auf Deutsch zu lesen sind, nach dem 1999 erschienenen Band "Die in den Landschaften verschwunden sind". Die neue Auswahl, zusammengestellt aus Texten der Jahre 1999 bis 2011, macht abermals begreiflich, warum diese Autorin längst zu den wichtigsten Stimmen der skandinavischen Lyrik gehört.
Sie schreibe nicht in Bildern, hat Frostenson in einem poetologischen Essay erklärt, sondern sie schreibe gegen die Bilder an. Frostensons frühere Gedichte taten das mit den Mitteln der Aussparung, im Abbruch von Sätzen und Metaphern, in kalkulierten Inkonsistenzen und Lücken. Schon früh aber traten neben die Schriftzeichen die Klänge. Die Nymphe Echo, die im griechischen Mythos und in den Metamorphosen des Ovid ganz zum Widerhall wird, erschien im Zeichen einer feministischen Sprachkritik als Verkörperung dieser Poetik und selbst als poetische Figur. In "Sprache und Regen" ist sie nun wieder zu hören, in einem Gedicht von 1999, das "Echos Schlund" überschrieben ist; und diesmal lautet die Frage: "Stimme, was bist du für ein Tier".
Beharrlich verwandeln Frostensons Gedichte ihre Schauplätze in Klang, lösen ihn auf in so dunkle Beschwörungen wie das Gedicht über Marsyas, das den Band programmatisch eröffnet. Der Satyr, der den Musengott Apoll im Sängerwettstreit herausgefordert hat und von ihm zur Strafe bei lebendigem Leibe gehäutet wird, hängt hier auf einer "Lichtung aus Tönen", und auch er selbst ist im Augenblick seines Sterbens ganz zum Klang geworden: "ein Wahnsinnslaut / der ganze Wald dröhnt von dir". Am Ende nimmt Apoll "den Bogen von den Saiten" und gibt Ruhe. Und nun, da sein Opfer verreckt ist, vermerkt der Schlussvers in verbloser Lakonie: "im Augenblick des Tieres das Gedicht". Im Laufe dieser Verse hat sich die Szenerie aus Lauten und Klängen selbst ausgeweitet in eine visionäre Synästhesie: "Der Schein von Marsyas", den die Überschrift angekündigt hat, geht aus vom blutig glänzenden "Rotmund" des Sterbenden, im Lichtschein der verstummenden Stimme leuchtet die mythologische Landschaft vielfarbig auf.
Es gehört zu Frostensons poetischem Raffinement dass dieses Prologgedicht mit dem letzten Vers nur scheinbar endet. Denn die Fäden seines Motivgewebes werden in den nächsten Texten weitergesponnen. Stimme und Wunde des Marsyas verwandeln sich im zweiten Gedicht in "Echos Schlund", das wiederum gibt seine Überschrift an das dritte weiter und so fort. Mit dem Langgedicht "Schlund" lässt Frostenson zum ersten Mal in diesem Band die Zeitgeschichte einbrechen in die archaischen Mythen; von hier an zeigt sich eine politische Sensibilität, die in der Wahrnehmung ihrer Poesie zuweilen unterschätzt worden ist.
Da stürzt eine "Stimme aus der Nacht", die mit den ersten Worten angerufen wird, in albtraumhaften Wortkaskaden hinab "in die flammende / Halsröhre des Saddampferdes / die Welt bekommt jetzt das rote Tier zu sehen". Weil "das Wort" den Kriegsbildern aus New York und dem Irak ausgesetzt ist, weil es in die "Höllenkreise" einer Bild gewordenen Gewalt gerät, darum muss es nun selbst verstörende Metamorphosen durchlaufen, die an die Komposita des späten Celan erinnern. Da antwortet auf den "Klang aus dem Gebeine- / stapel" der "Laut der Abgrundbäckerei / das Wort das Gallensüße gärt jetzt". Erst im Schlussvers verschmelzen das Sichtbare und das Hörbare, im flüchtigen Triumph der Sprache über das Grauen: "Stimmritze: Welch Licht über der Gruft".
Immer wieder beginnen Frostensons Gedichte so in wiedererkennbaren Landschaften des Mythos und der Geschichte, an Schauplätzen, die so bedeutungsschwere Namen tragen wie "Subotica" oder "Berlin" oder "Austerlitz"; manchmal setzen sie ein mit Meditationen über gemalte Landschaften niederländischer Meister oder die Szenerien einer Fernsehserie. Und immer verwandeln sie diese Orte in ein Sprachgeschehen, in dem die menschliche Stimme um ihr Überleben kämpft.
Eine der letzten Stationen des Bandes ist Tomi: jene in Geschichte und Mythos versunkene letzte Welt, in der ein aus Rom ans Schwarze Meer verbannter Dichter namens Ovid, der einst auch von den Metamorphosen des Marsyas und der Echo gesungen hat, nach und nach seine Sprache verliert. Das Gedicht redet ihn an, der einsam auf einem Felsen sitzt: "übst die harten Laute / die Barbarensprache die du ausspuckst". Doch wie der Fels von der Meeresbrandung, so wird auch der auf ihm sitzende Sänger am Ende "geschliffen", bis er vergessen ist, verschwunden in Raum und Zeit. Selbst das Gedicht, das mit der Erinnerung an einen Namen und eine Inschrift begann, scheint vergessen zu haben, wie er genau lautete; irgendetwas mit "Naso" muss es gewesen sein. In diesem Paradox aber bleibt der Tote gegenwärtig: im abermals flüchtigen Sieg der Wörter über den Tod, im abgeschliffenen Epitaph, das dieses Gedicht selbst ist.
Was Welt war, löst sich in den Gedichten der Katarina Frostenson auf in eine mit sich selbst im Streit liegende, eine verletzte und sich fortwährend selbst verletzende, rastlos bewegte Sprache. Aus deren Strömen und Stauungen aber ersteht wundersam wieder eine Welt, aus lauter "neugeborenen Gegenständen" - nur zeigt sie sich jetzt albtraumhaft und verfremdet, schmerzhaft und schön. Wer "Sprache und Regen" liest, erfährt diese Doppelbewegung in jedem der dreiunddreißig Gedichte. Verena Reichel hat sie kongenial ins Deutsche gebracht.
HEINRICH DETERING
Katarina Frostenson: "Sprache und Regen". Gedichte.
Aus dem Schwedischen von Verena Reichel. Mit einem Nachwort von Monika Rinck. Edition Lyrik Kabinett. Hanser Verlag, München 2016. 96 S., geb., 15,90 [Euro].
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"Es ist eine Bewegung in diesen Gedichten, ein Summen und Klopfen jenseits der bekannten Muster, mit Wegen und Gängen und Linien, die sich kreuzen - 'dass nichts / vergeblich ist'." Nico Bleutge, Süddeutsche Zeitung, 09.08.16
"Was Welt war, löst sich in den Gedichten der Katarina Frostenson auf in eine mit sich selbst im Streit liegende, eine verletzte und sich fortwährend selbst verletzende, rastlos bewegte Sprache. Aus deren Strömen und Stauungen aber ersteht wundersam wieder eine Welt, aus lauter "neugeborenen Gegenständen" - nur zeigt sie sich jetzt albtraumhaft und verfremdet, schmerzhaft und schön." Heinrich Detering, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.08.16
"Was Welt war, löst sich in den Gedichten der Katarina Frostenson auf in eine mit sich selbst im Streit liegende, eine verletzte und sich fortwährend selbst verletzende, rastlos bewegte Sprache. Aus deren Strömen und Stauungen aber ersteht wundersam wieder eine Welt, aus lauter "neugeborenen Gegenständen" - nur zeigt sie sich jetzt albtraumhaft und verfremdet, schmerzhaft und schön." Heinrich Detering, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.08.16