Kübra Gümüsay beschreibt wie Sprache unser Denken prägt und unsere Politik bestimmt.
Dieses Buch folgt einer Sehnsucht: nach einer Sprache, die Menschen nicht auf Kategorien reduziert. Nach einem Sprechen, das sie in ihrem Facettenreichtum existieren lässt. Nach wirklich gemeinschaftlichem Denken in einer sich polarisierenden Welt. Kübra Gümüsay setzt sich seit langem für Gleichberechtigung und Diskurse auf Augenhöhe ein. In ihrem ersten Buch geht sie der Frage nach, wie Sprache unser Denken prägt und unsere Politik bestimmt. Sie zeigt, wie Menschen als Individuen unsichtbar werden, wenn sie immer als Teil einer Gruppe gesehen werden - und sich nur als solche äußern dürfen. Doch wie können Menschen wirklich als Menschen sprechen? Und wie können wir alle - in einer Zeit der immer härteren, hasserfüllten Diskurse - anders miteinander kommunizieren?
Dieses Buch folgt einer Sehnsucht: nach einer Sprache, die Menschen nicht auf Kategorien reduziert. Nach einem Sprechen, das sie in ihrem Facettenreichtum existieren lässt. Nach wirklich gemeinschaftlichem Denken in einer sich polarisierenden Welt. Kübra Gümüsay setzt sich seit langem für Gleichberechtigung und Diskurse auf Augenhöhe ein. In ihrem ersten Buch geht sie der Frage nach, wie Sprache unser Denken prägt und unsere Politik bestimmt. Sie zeigt, wie Menschen als Individuen unsichtbar werden, wenn sie immer als Teil einer Gruppe gesehen werden - und sich nur als solche äußern dürfen. Doch wie können Menschen wirklich als Menschen sprechen? Und wie können wir alle - in einer Zeit der immer härteren, hasserfüllten Diskurse - anders miteinander kommunizieren?
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.02.2020Man stelle sich einen
Aufsichtsrat vor
Kübra Gümüşays Essay über „Sprache und Sein“
Sprache hat Macht, sie formt unsere Vorstellungen und unsere Gedanken. Medikamente beispielsweise werden am Menschen erprobt, bevor sie zugelassen werden, und immer noch sind unter den Testpersonen Männer überrepräsentiert, obwohl eigentlich schon lang nachgewiesen ist, dass manche Medikamente bei Männern und Frauen unterschiedlich wirken. Wäre das anders, gäbe es das Wort Mensch gar nicht, und man müsste von vorneherein sagen, ein Medikament wird an Männern und Frauen erprobt? Oder war es andersherum, und wir haben den Begriff Mensch erst im Nachhinein mit der Vorstellung erfüllt, der Normalfall des Menschen sei der Mann?
Die Bloggerin und Journalistin Kübra Gümüşay will in ihrem ersten Buch „Sprache und Sein“ die Sprache als Machtinstrument erforschen: Wie prägen Begriffe unsere Erwartungen, und was hat das mit Diskriminierung zu tun, von Frauen oder Andersgläubigen oder von Menschen, die bloß ein wenig anders aussehen?
Für Kübra Gümüşay ist Deutsch die zweite Sprache, die erste ist Türkisch, und sie beschreibt sehr schön, was das für sie heißt. Es gibt Emotionen, die für sie türkische Namen haben, die sie nicht ins Deutsche übertragen kann. Die Unübersetzbarkeit mancher Begriffe ist ja tatsächlich ein schöner Beleg für die gegenseitige Abhängigkeit von Kultur und Sprache, die beispielsweise dazu führt, dass eine Gesellschaft nicht auszudrücken weiß, was sie für unaussprechlich hält.
Wenn Gümüşay loslegt, dann klingt das nach Heidegger, Herder gar; aber nein. Es geht dann sehr schnell um Narrative und nicht um Sprache; und weniger um theoretische Ansätze als um die anekdotische Sammlung von verfehlter Wahrnehmung, wie Gümüşay sie selbst erfahren hat oder erzählt bekam. V on Ärzten, die sich die falschen Ansprechpartner herauspicken, weil sie die richtigen für Personal halten, und Patienten, die sich unter einem Chirurgen keine Frau vorstellen können.
Spielt die Sprache eine Rolle, wenn man sich unter „dem Aufsichtsrat“ eine Gruppe nicht mehr ganz junger Herren vorstellt? Diskriminierung von Frauen, rassistische Ausgrenzung – all das hat viel mit nicht erfüllten Erwartungen zu tun. Da gibt es ein Stereotyp, und daraus leitet sich ab, wie jemand zu sein hat und was er dann für Ansprüche stellen darf. Eine Putzfrau mit Kopftuch in der Schule, schreibt Gümüşay, sei kein Problem; eine Lehrerin schon – als sie beschreibt, wie die dritte Generation von Einwanderern nicht nur einen Platz am Tisch, sondern ein Mitgestaltungsrecht verlangt.
„Sprache und Sein“ ist insgesamt ein hoffnungsvolles Buch – weil Gümüşay davon ausgeht, dass man die unterschiedlichen Erwartungen in Einklang bringen kann mit genug Erfahrungsaustausch und Erklärung. Gümüşay ist oft in Talkshows gewesen, da sollte sie dann den anderen den Islam erklären, obwohl sie ja eigentlich nur für sich selbst sprechen kann – und schon in dem Ansinnen liegt die Vermutung, alle Musliminnen seien irgendwie gleich. Die Beispiele, mit denen Gümüşay versucht zu verdeutlichen, was Verallgemeinerungen bedeuten und wie sie sich anfühlen, sind ganz schön lustig: „Weiße Politikerinnen und Politiker lügen. Sie erschwindeln sich Doktortitel.“
Es gibt, so Gümüşay, Millionen Perspektiven auf die Welt. Dass eine davon dominiert, ist nicht neu – und überhaupt gibt es in „Sprache und Sein“ wenig Überraschungen, bloß eine Reihe ungewohnter Perspektiven. Man lerne in Deutschland eben kein Türkisch, so Gümüşay, sondern „Prestigesprachen“ wie beispielsweise Französisch, und in der Folge lernt man dann etwas über französische Literatur, aber nicht über türkische Autoren. Klar kann man das so sehen. Man kann es allerdings auch so sehen: Eigentlich sollte Französisch in Deutschland nicht eine der wichtigsten, sondern die wichtigste Fremdsprache überhaupt sein, nicht aus Prestigegründen, sondern weil Frankreich der engste Verbündete ist und gleich nebenan.
Es ist ein bisschen schade, dass Gümüşay ihre eigentliche Sprachkritik nicht ein wenig weiter verfolgt. Sie beklagt zwar, dass das Deutsche sogar Möbel und Obst nach Geschlechtern sortiert, aber sie macht sich nicht so recht auf die Suche nach einem Ausweg. Sie hat natürlich vollkommen recht, wenn sie feststellt, dass die Hürde, sich unter einem Chirurgen eine Frau vorzustellen, unendlich viel größer ist, wenn der Begriff ein Geschlecht hat. Aber das Gendersternchen, das sie selbst halbherzig verwendet, löst das Problem auch nicht in nichts auf. Und es macht das Deutsche auch nicht schöner poetischer oder emotionaler.
Die Sprache soll ein Haus für alle sein, schreibt Gümüşay, und das würde man sich ja wirklich wünschen. Aber so einen richtig gut durchdachten Bauplan hat sie dann auch nicht.
SUSAN VAHABZADEH
Kübra Gümüşay: Sprache und Sein. Hanser Berlin 2020, 208 Seiten, 18 Euro.
Wenn Gümüşay loslegt,
klingt das nach Heidegger,
Herder gar; aber nein.
Die Autorin Kübra Gümüşay, geboren 1988 in Hamburg.
Foto: Paula Winkler
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Aufsichtsrat vor
Kübra Gümüşays Essay über „Sprache und Sein“
Sprache hat Macht, sie formt unsere Vorstellungen und unsere Gedanken. Medikamente beispielsweise werden am Menschen erprobt, bevor sie zugelassen werden, und immer noch sind unter den Testpersonen Männer überrepräsentiert, obwohl eigentlich schon lang nachgewiesen ist, dass manche Medikamente bei Männern und Frauen unterschiedlich wirken. Wäre das anders, gäbe es das Wort Mensch gar nicht, und man müsste von vorneherein sagen, ein Medikament wird an Männern und Frauen erprobt? Oder war es andersherum, und wir haben den Begriff Mensch erst im Nachhinein mit der Vorstellung erfüllt, der Normalfall des Menschen sei der Mann?
Die Bloggerin und Journalistin Kübra Gümüşay will in ihrem ersten Buch „Sprache und Sein“ die Sprache als Machtinstrument erforschen: Wie prägen Begriffe unsere Erwartungen, und was hat das mit Diskriminierung zu tun, von Frauen oder Andersgläubigen oder von Menschen, die bloß ein wenig anders aussehen?
Für Kübra Gümüşay ist Deutsch die zweite Sprache, die erste ist Türkisch, und sie beschreibt sehr schön, was das für sie heißt. Es gibt Emotionen, die für sie türkische Namen haben, die sie nicht ins Deutsche übertragen kann. Die Unübersetzbarkeit mancher Begriffe ist ja tatsächlich ein schöner Beleg für die gegenseitige Abhängigkeit von Kultur und Sprache, die beispielsweise dazu führt, dass eine Gesellschaft nicht auszudrücken weiß, was sie für unaussprechlich hält.
Wenn Gümüşay loslegt, dann klingt das nach Heidegger, Herder gar; aber nein. Es geht dann sehr schnell um Narrative und nicht um Sprache; und weniger um theoretische Ansätze als um die anekdotische Sammlung von verfehlter Wahrnehmung, wie Gümüşay sie selbst erfahren hat oder erzählt bekam. V on Ärzten, die sich die falschen Ansprechpartner herauspicken, weil sie die richtigen für Personal halten, und Patienten, die sich unter einem Chirurgen keine Frau vorstellen können.
Spielt die Sprache eine Rolle, wenn man sich unter „dem Aufsichtsrat“ eine Gruppe nicht mehr ganz junger Herren vorstellt? Diskriminierung von Frauen, rassistische Ausgrenzung – all das hat viel mit nicht erfüllten Erwartungen zu tun. Da gibt es ein Stereotyp, und daraus leitet sich ab, wie jemand zu sein hat und was er dann für Ansprüche stellen darf. Eine Putzfrau mit Kopftuch in der Schule, schreibt Gümüşay, sei kein Problem; eine Lehrerin schon – als sie beschreibt, wie die dritte Generation von Einwanderern nicht nur einen Platz am Tisch, sondern ein Mitgestaltungsrecht verlangt.
„Sprache und Sein“ ist insgesamt ein hoffnungsvolles Buch – weil Gümüşay davon ausgeht, dass man die unterschiedlichen Erwartungen in Einklang bringen kann mit genug Erfahrungsaustausch und Erklärung. Gümüşay ist oft in Talkshows gewesen, da sollte sie dann den anderen den Islam erklären, obwohl sie ja eigentlich nur für sich selbst sprechen kann – und schon in dem Ansinnen liegt die Vermutung, alle Musliminnen seien irgendwie gleich. Die Beispiele, mit denen Gümüşay versucht zu verdeutlichen, was Verallgemeinerungen bedeuten und wie sie sich anfühlen, sind ganz schön lustig: „Weiße Politikerinnen und Politiker lügen. Sie erschwindeln sich Doktortitel.“
Es gibt, so Gümüşay, Millionen Perspektiven auf die Welt. Dass eine davon dominiert, ist nicht neu – und überhaupt gibt es in „Sprache und Sein“ wenig Überraschungen, bloß eine Reihe ungewohnter Perspektiven. Man lerne in Deutschland eben kein Türkisch, so Gümüşay, sondern „Prestigesprachen“ wie beispielsweise Französisch, und in der Folge lernt man dann etwas über französische Literatur, aber nicht über türkische Autoren. Klar kann man das so sehen. Man kann es allerdings auch so sehen: Eigentlich sollte Französisch in Deutschland nicht eine der wichtigsten, sondern die wichtigste Fremdsprache überhaupt sein, nicht aus Prestigegründen, sondern weil Frankreich der engste Verbündete ist und gleich nebenan.
Es ist ein bisschen schade, dass Gümüşay ihre eigentliche Sprachkritik nicht ein wenig weiter verfolgt. Sie beklagt zwar, dass das Deutsche sogar Möbel und Obst nach Geschlechtern sortiert, aber sie macht sich nicht so recht auf die Suche nach einem Ausweg. Sie hat natürlich vollkommen recht, wenn sie feststellt, dass die Hürde, sich unter einem Chirurgen eine Frau vorzustellen, unendlich viel größer ist, wenn der Begriff ein Geschlecht hat. Aber das Gendersternchen, das sie selbst halbherzig verwendet, löst das Problem auch nicht in nichts auf. Und es macht das Deutsche auch nicht schöner poetischer oder emotionaler.
Die Sprache soll ein Haus für alle sein, schreibt Gümüşay, und das würde man sich ja wirklich wünschen. Aber so einen richtig gut durchdachten Bauplan hat sie dann auch nicht.
SUSAN VAHABZADEH
Kübra Gümüşay: Sprache und Sein. Hanser Berlin 2020, 208 Seiten, 18 Euro.
Wenn Gümüşay loslegt,
klingt das nach Heidegger,
Herder gar; aber nein.
Die Autorin Kübra Gümüşay, geboren 1988 in Hamburg.
Foto: Paula Winkler
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2020Menschen im Museum
Kübra Gümüsay zelebriert Sprachkritik
"Lassen Sie uns die Sprache als einen Ort denken. Als ein ungeheuer großes Museum, in dem uns die Welt da draußen erklärt wird." So schreibt die Autorin Kübra Gümüsay in einem Essay mit dem höchste Ansprüche signalisierenden Titel "Sprache und Sein". Nun ist ein Bild der Sprache als Museum zwar alles andere als naheliegend. Aber der Autorin schwebt eine effektvolle Verwendung vor. Sie schickt zwei Kategorien von Menschen in dieses Museum. Da sind zum einen "die Unbenannten", eine Bezeichnung für die Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft, um deren Sprache, man darf konkret an Deutsch denken, es geht. Sie sind die Täter, die sich an der anderen Kategorie von Menschen als Opfern vergehen, nämlich an "den Benannten".
Täter sind sie, weil sie das Privileg genössen, sich als selbstverständliche Norm zu fühlen, während ihre Opfer sich darum bemühen müssten, dieser Norm zu entsprechen. Ein Machtgefälle, das sich nicht zuletzt darin manifestiere, dass die Mehrheitsfraktion die diversen Minoritäten mit Benennungen versieht, nämlich mit "Kollektivnamen", was schlimm ist, weil diese damit auf entmenschlichende Weise ihrer Individualität beraubt werden. Zum Beispiel mit Kollektivnamen wie "Ausländer, Jude, Muslim, Homosexueller".
Das gibt immerhin zu denken: Erheben Muslime, Juden und Homosexuelle, ja selbst Ausländer, von sich aus nie den Anspruch, qua Muslime, Juden, Homosexuelle oder Ausländer zu sprechen? Entmenschlichen sie sich dann selbst, indem sie sich einem Kollektiv zuordnen? Und sind sie dabei tatsächlich immer Opfer der "Unbenannten", die ihnen diese fatale Einordnung aufzwingen? Und was ist der Kollektivname "die Unbenannten" anderes als eine ebensolche, sogar noch abstrakter ansetzende Benennung?
Die Konstruktion mag schief sein, was die Autorin aber beherrscht, ist der Wille zur Dramatisierung. Bei der ihr auch niemand dreinreden kann. Sie weiß schließlich, wovon sie redet, denn sie ist "eine Benannte". Stimmt jemand ihren Einschätzungen nicht zu, sticht nur diese ihre Erfahrung, die durch gleitende Übergänge zwischen den für sie angeführten Beispielen in grelles Licht gesetzt wird. Kaum ist davon die Rede gewesen, dass etwa bilinguale türkischstämmige Schülerinnen in deutschen Schulen nicht auch in den türkischen Literaturkanon eingeführt werden - was die Autorin furchtbar findet -, ist man schon auf der nächsten Seite bei der brutalen Repression der Kurden in der Türkei; und etwas weiter hält man dann bei der Perspektive der "Kolonisierenden, der Sklaventreiber und der Entmenschlichung". Und kommt dann noch als Zeuge einer als einengend empfundenen Sprache George Steiner hinzu, fehlt auch der schlimme Schatten der Sprache der deutschen Unmenschen nicht.
Unermüdlich wiederholt Gümüsay, dass die Zuordnungen zu Kollektiven, die über den konkreten Menschen hinweggehen, fatal sind. Wobei sie explizit distanzierende, abschätzige oder aggressive Gebrauchsweisen im Visier hat. Aber sie in den Blick zu nehmen genügt dieser Autorin nicht, sie möchte daraus ein "strukturelles" Problem machen. Was bei ihr heißt: Sie schraubt sich in jene Höhen, in die sich der Titel ihres Buches reckt und in denen die "Benannten" und "Unbenannten" ihren Auftritt haben, garniert mit manchem hübschen philosophischen Zitat und unterfüttert mit beschwörender wie klagender salbungsvoller Rede.
So wenig erhellend das auf Buchlänge ist, so interessant ist doch, dass die Autorin damit ein Publikum gefunden hat. Als Symptom verdient das Beachtung. Die fünfzigtausend verkauften Exemplare, die der Verlag anführt, werden wohl ein wenig aufgeschnitten sein, aber zwischendurch reichte es ja tatsächlich für einen dritten Platz auf der Liste bestverkaufter Bücher. Unter den Käufern mögen manche sein, die sich etwas für einen Opferdiskurs mit besonderer Note abspicken wollen. Aber die Mehrheit dürften doch wohl jene stellen, die ihr strahlend gutes schlechtes Gewissen als "Unbenannte" zart bewegt sehen vom Ausblick auf die bessere Welt, in der allen Kollektiven, und Ausländerbehörden auch, die Stunde geschlagen hat. Und das reicht mittlerweile schon dafür, wie es ein Zitat auf dem Umschlag formuliert, ein Buch als "poetisch und politisch zugleich" anzupreisen.
HELMUT MAYER
Kübra Gümüsay: "Sprache und Sein".
Hanser Berlin Verlag,
Berlin 2020. 208 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kübra Gümüsay zelebriert Sprachkritik
"Lassen Sie uns die Sprache als einen Ort denken. Als ein ungeheuer großes Museum, in dem uns die Welt da draußen erklärt wird." So schreibt die Autorin Kübra Gümüsay in einem Essay mit dem höchste Ansprüche signalisierenden Titel "Sprache und Sein". Nun ist ein Bild der Sprache als Museum zwar alles andere als naheliegend. Aber der Autorin schwebt eine effektvolle Verwendung vor. Sie schickt zwei Kategorien von Menschen in dieses Museum. Da sind zum einen "die Unbenannten", eine Bezeichnung für die Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft, um deren Sprache, man darf konkret an Deutsch denken, es geht. Sie sind die Täter, die sich an der anderen Kategorie von Menschen als Opfern vergehen, nämlich an "den Benannten".
Täter sind sie, weil sie das Privileg genössen, sich als selbstverständliche Norm zu fühlen, während ihre Opfer sich darum bemühen müssten, dieser Norm zu entsprechen. Ein Machtgefälle, das sich nicht zuletzt darin manifestiere, dass die Mehrheitsfraktion die diversen Minoritäten mit Benennungen versieht, nämlich mit "Kollektivnamen", was schlimm ist, weil diese damit auf entmenschlichende Weise ihrer Individualität beraubt werden. Zum Beispiel mit Kollektivnamen wie "Ausländer, Jude, Muslim, Homosexueller".
Das gibt immerhin zu denken: Erheben Muslime, Juden und Homosexuelle, ja selbst Ausländer, von sich aus nie den Anspruch, qua Muslime, Juden, Homosexuelle oder Ausländer zu sprechen? Entmenschlichen sie sich dann selbst, indem sie sich einem Kollektiv zuordnen? Und sind sie dabei tatsächlich immer Opfer der "Unbenannten", die ihnen diese fatale Einordnung aufzwingen? Und was ist der Kollektivname "die Unbenannten" anderes als eine ebensolche, sogar noch abstrakter ansetzende Benennung?
Die Konstruktion mag schief sein, was die Autorin aber beherrscht, ist der Wille zur Dramatisierung. Bei der ihr auch niemand dreinreden kann. Sie weiß schließlich, wovon sie redet, denn sie ist "eine Benannte". Stimmt jemand ihren Einschätzungen nicht zu, sticht nur diese ihre Erfahrung, die durch gleitende Übergänge zwischen den für sie angeführten Beispielen in grelles Licht gesetzt wird. Kaum ist davon die Rede gewesen, dass etwa bilinguale türkischstämmige Schülerinnen in deutschen Schulen nicht auch in den türkischen Literaturkanon eingeführt werden - was die Autorin furchtbar findet -, ist man schon auf der nächsten Seite bei der brutalen Repression der Kurden in der Türkei; und etwas weiter hält man dann bei der Perspektive der "Kolonisierenden, der Sklaventreiber und der Entmenschlichung". Und kommt dann noch als Zeuge einer als einengend empfundenen Sprache George Steiner hinzu, fehlt auch der schlimme Schatten der Sprache der deutschen Unmenschen nicht.
Unermüdlich wiederholt Gümüsay, dass die Zuordnungen zu Kollektiven, die über den konkreten Menschen hinweggehen, fatal sind. Wobei sie explizit distanzierende, abschätzige oder aggressive Gebrauchsweisen im Visier hat. Aber sie in den Blick zu nehmen genügt dieser Autorin nicht, sie möchte daraus ein "strukturelles" Problem machen. Was bei ihr heißt: Sie schraubt sich in jene Höhen, in die sich der Titel ihres Buches reckt und in denen die "Benannten" und "Unbenannten" ihren Auftritt haben, garniert mit manchem hübschen philosophischen Zitat und unterfüttert mit beschwörender wie klagender salbungsvoller Rede.
So wenig erhellend das auf Buchlänge ist, so interessant ist doch, dass die Autorin damit ein Publikum gefunden hat. Als Symptom verdient das Beachtung. Die fünfzigtausend verkauften Exemplare, die der Verlag anführt, werden wohl ein wenig aufgeschnitten sein, aber zwischendurch reichte es ja tatsächlich für einen dritten Platz auf der Liste bestverkaufter Bücher. Unter den Käufern mögen manche sein, die sich etwas für einen Opferdiskurs mit besonderer Note abspicken wollen. Aber die Mehrheit dürften doch wohl jene stellen, die ihr strahlend gutes schlechtes Gewissen als "Unbenannte" zart bewegt sehen vom Ausblick auf die bessere Welt, in der allen Kollektiven, und Ausländerbehörden auch, die Stunde geschlagen hat. Und das reicht mittlerweile schon dafür, wie es ein Zitat auf dem Umschlag formuliert, ein Buch als "poetisch und politisch zugleich" anzupreisen.
HELMUT MAYER
Kübra Gümüsay: "Sprache und Sein".
Hanser Berlin Verlag,
Berlin 2020. 208 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Inspirierend und wegweisend: Eine durchweg bereichernde Lektüre, von der man sich nur wünschen kann, Entscheidungsträger:innen in Politik, Medien und Co. würden sie lesen, verstehen und beherzigen." Janine Napirca, Frankfurter Neue Presse, 04.08.23
"Gümüsays Thesen sind ein Weckruf." Ciani-Sophia Hoeder, Die Dame, 08.10.20
"Ein hochaktuelles Buch, unbedingt lesenswert." Tilmann Warnecke, Tagesspiegel, 23.06.20
"Ein persönliches und frisches Plädoyer dafür, den eigenen Blick auf die Welt nicht als gegeben hinzunehmen und andere Perspektiven weder abzulehnen noch zu fürchten." Bettina Baltschev, MDR Kultur, 20.05.20
"Ein Pamphlet für eine Gesellschaft, deren Mitglieder trotz wachsender Unterschiede miteinander reden können." Jury der Sachbuch-Bestenliste Die Zeit, 26.03.20
"Ein lebendiges Plädoyer für mehr Verständnis und eine gerechtere Gesellschaft." WDR Westart, 07.03.20
"'Sprache und Sein' entschlüsselt unsere Gegenwart und macht deutlich, was uns verbindet, nämlich die Sehnsucht danach, so frei sprechen zu können, wie als wir die ersten Worte lernten." Nils Minkmar, Der Spiegel, 07.03.20
"Wer Gümüsays Buch ... liest, sieht manches eigene Verhaltensmuster, manche Gedankenlosigkeit anders. Die Stärke des Buches leigt in dieser Zumutung einer anderen Perspektive und der Erschütterung der eigenen." Martin Ebel, Tages-Anzeiger, 22.02.20
"Kübra Gümüsay erzählt, argumentiert, zitiert 'Sprache und Sein' mit solch einer Dringlichkeit, Fantasie und furchtloser analytischer Schärfe, dass jede Seite ein Hochgenuss ist. Man hört, spricht anders danach und will das Buch in die Schulen tragen." Barbara Weitzel, WELT am Sonntag, 16.02.20
"Ein kluges, klares, sehr persönliches Buch ... mit einer wichtigen Botschaft." Pascal Fischer, SWR lesenswert, 12.2.20
"Eine Streitschrift für eine neue Sprache im öffentlichen Diskurs. Eine Streitschrift allerdings, die dem Kampfgetöse entgegenwirkt durch einen persönlichen Ton und eine zum Dialog einladende Geste." Paul Stoop, Deutschlandfunk, 10.02.20
"Eine leidenschaftliche Verteidigungsrede kultureller Vielfältigkeit. ... 'Sprache und Sein' ist frisch wie der Morgentau. Das liegt daran, dass es den Versuch unternimmt, mit guten Argumenten und anschaulichen Beispielen um eine bessere Welt zu ringen." Katharina Teutsch, Die Zeit, 30.01.20
"Der Kampf um Individualität, um die eigene Sprache, der Kampf darum, den Graben zu schließen, zwischen dem, was sie sich entschieden hat zu sein, und dem, worauf sie festgelegt wird - und zwar der kollektive Kampf aller Marginalisierten und im Speziellen ihrer Generation: Kübra Gümüsays Buch ist dafür ein kraftvolles, mit vielen interessanten Verweisen und Zitaten gespicktes Manifest." Ambros Waibel, taz, 29.01.20
"'Sprache und Sein' ist aufschlussreich und engagiert. ... Es wäre wünschenswert, dass sich möglichst viele Leserinnen und Leser, die möglichst verschieden von Gümüsay sind, autobiografische Berichte wie ihren möglichst genau durchlesen und eine Inventur dessen vornehmen, was sie als selbstverständlich erleben dürfen." Hanna Engelmeier, Zeit Online, 29.01.20
"Am stärksten, wenn die Autorin am eigenen Beispiel zeigt, wie sie als Benannte unter Unbenannten an ihrem Traum von einer Gesellschaft, in der' alle gleichberechtigt sprechen und sein können' festhält. ...Ihr demokratisches Anliegen, die Sprache zu einem Zuhause für alle zu machen, vertritt sie klug und leidenschaftlich." Ralph Gerstenberg, Deutschlandfunk, 27.01.2020
"Der Buchtitel 'Sprache und Sein' klingt nach Heidegger, handelt aber keinesfalls vom Geworfensein in unsere sprachliche Gegenwart, sondern vom Auftrag, sie zu gestalten." Marc Reichwein, Die Welt, 27.01.20
"Die von Gümüsay angesprochenen Themen sind wichtig: das Bewusstsein für die Macht der Sprache, die gegenwärtige Diskursverschiebung nach Rechts, das Plädoyer dafür, Menschen auch außerhalb von Kategorien sprechen zu lassen." Azade Pesmen, Deutschlandfunk Kultur, 27.01.20
"Dieses Buch ist ein Befreiungsschlag - und ein kluger Essay von literarischer Qualität und politischer Kraft."
Martina Läubli, Neue Zürcher Zeitung, 26.01.20
"Gümüsays Thesen sind ein Weckruf." Ciani-Sophia Hoeder, Die Dame, 08.10.20
"Ein hochaktuelles Buch, unbedingt lesenswert." Tilmann Warnecke, Tagesspiegel, 23.06.20
"Ein persönliches und frisches Plädoyer dafür, den eigenen Blick auf die Welt nicht als gegeben hinzunehmen und andere Perspektiven weder abzulehnen noch zu fürchten." Bettina Baltschev, MDR Kultur, 20.05.20
"Ein Pamphlet für eine Gesellschaft, deren Mitglieder trotz wachsender Unterschiede miteinander reden können." Jury der Sachbuch-Bestenliste Die Zeit, 26.03.20
"Ein lebendiges Plädoyer für mehr Verständnis und eine gerechtere Gesellschaft." WDR Westart, 07.03.20
"'Sprache und Sein' entschlüsselt unsere Gegenwart und macht deutlich, was uns verbindet, nämlich die Sehnsucht danach, so frei sprechen zu können, wie als wir die ersten Worte lernten." Nils Minkmar, Der Spiegel, 07.03.20
"Wer Gümüsays Buch ... liest, sieht manches eigene Verhaltensmuster, manche Gedankenlosigkeit anders. Die Stärke des Buches leigt in dieser Zumutung einer anderen Perspektive und der Erschütterung der eigenen." Martin Ebel, Tages-Anzeiger, 22.02.20
"Kübra Gümüsay erzählt, argumentiert, zitiert 'Sprache und Sein' mit solch einer Dringlichkeit, Fantasie und furchtloser analytischer Schärfe, dass jede Seite ein Hochgenuss ist. Man hört, spricht anders danach und will das Buch in die Schulen tragen." Barbara Weitzel, WELT am Sonntag, 16.02.20
"Ein kluges, klares, sehr persönliches Buch ... mit einer wichtigen Botschaft." Pascal Fischer, SWR lesenswert, 12.2.20
"Eine Streitschrift für eine neue Sprache im öffentlichen Diskurs. Eine Streitschrift allerdings, die dem Kampfgetöse entgegenwirkt durch einen persönlichen Ton und eine zum Dialog einladende Geste." Paul Stoop, Deutschlandfunk, 10.02.20
"Eine leidenschaftliche Verteidigungsrede kultureller Vielfältigkeit. ... 'Sprache und Sein' ist frisch wie der Morgentau. Das liegt daran, dass es den Versuch unternimmt, mit guten Argumenten und anschaulichen Beispielen um eine bessere Welt zu ringen." Katharina Teutsch, Die Zeit, 30.01.20
"Der Kampf um Individualität, um die eigene Sprache, der Kampf darum, den Graben zu schließen, zwischen dem, was sie sich entschieden hat zu sein, und dem, worauf sie festgelegt wird - und zwar der kollektive Kampf aller Marginalisierten und im Speziellen ihrer Generation: Kübra Gümüsays Buch ist dafür ein kraftvolles, mit vielen interessanten Verweisen und Zitaten gespicktes Manifest." Ambros Waibel, taz, 29.01.20
"'Sprache und Sein' ist aufschlussreich und engagiert. ... Es wäre wünschenswert, dass sich möglichst viele Leserinnen und Leser, die möglichst verschieden von Gümüsay sind, autobiografische Berichte wie ihren möglichst genau durchlesen und eine Inventur dessen vornehmen, was sie als selbstverständlich erleben dürfen." Hanna Engelmeier, Zeit Online, 29.01.20
"Am stärksten, wenn die Autorin am eigenen Beispiel zeigt, wie sie als Benannte unter Unbenannten an ihrem Traum von einer Gesellschaft, in der' alle gleichberechtigt sprechen und sein können' festhält. ...Ihr demokratisches Anliegen, die Sprache zu einem Zuhause für alle zu machen, vertritt sie klug und leidenschaftlich." Ralph Gerstenberg, Deutschlandfunk, 27.01.2020
"Der Buchtitel 'Sprache und Sein' klingt nach Heidegger, handelt aber keinesfalls vom Geworfensein in unsere sprachliche Gegenwart, sondern vom Auftrag, sie zu gestalten." Marc Reichwein, Die Welt, 27.01.20
"Die von Gümüsay angesprochenen Themen sind wichtig: das Bewusstsein für die Macht der Sprache, die gegenwärtige Diskursverschiebung nach Rechts, das Plädoyer dafür, Menschen auch außerhalb von Kategorien sprechen zu lassen." Azade Pesmen, Deutschlandfunk Kultur, 27.01.20
"Dieses Buch ist ein Befreiungsschlag - und ein kluger Essay von literarischer Qualität und politischer Kraft."
Martina Läubli, Neue Zürcher Zeitung, 26.01.20