»Eine Arbeit im Cinemascope-Format, an der die weitere Beschäftigung mit der internationalen Lyrik des 20. Jahrhunderts nicht wird vorbeigehen können.« (Dieter Burdorf)In den Studien zu Wechselbeziehungen zwischen Literatur und Film im 20. Jahrhundert wurde die Gattung »Lyrik« bis jetzt wenig berücksichtigt. Warum versäumte man es, Spuren filmischer Rezeption in Gedichten nachzugehen? Dabei war es die Lyrik, in deren Metaphern- und Formexperimenten sich die Weltrepräsentation des Films niederschlug. Um der kulturenübergreifenden Dimension des Mediums gerecht zu werden, untersucht Jan Röhnert Filmrezeption in der französischen, amerikanischen und deutschsprachigen Lyrik anhand von Einzelstudien zu Blaise Cendrars, John Ashbery und Rolf Dieter Brinkmann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.2007Der Film schreibt mit
Erst unlängst hat der Lyriker Albert Ostermaier in "Polar" gezeigt, was für wunderbare Bild- und Sinnmuster entstehen, wenn sich die Sprache von Gedichten mit der Bildsprache des Films einlässt und aus dem Repertoire des Kinos ihre Blickrichtungen borgt. Jetzt legt der Literaturwissenschaftler Jan Röhnert eine Studie vor, die solchen intermedialen Durchkreuzungen nachgeht. Röhnert, geboren 1976 in Gera, hat außerdem selbst mehrere Lyrikbände veröffentlicht (zuletzt, in diesem Jahr, "Metropolen"), in denen das hier theoretisch Untersuchte für die poetische Praxis fruchtbar gemacht wird. Was für die Erzählliteratur der Moderne und ihre Montagetechnik bereits vielfach nachgewiesen worden ist, gilt nämlich auch für die Lyrik: Der Film schreibt mit. In welcher Weise sich das Anregungsverhältnis jeweils zeigt, wird an drei Autoren beispielhaft und ganz im Stil deutscher Qualifikationsarbeiten dargestellt: dem Französisch-Schweizer Blaise Cendrars aus der Pariser Zeit der Avantgarde, dem Amerikaner John Ashbery und seinen postmodernen Vexiertexten sowie dem bundesdeutschen Rebellen der frühen Siebziger, Rolf Dieter Brinkmann. In einem seiner Gedichte schrieb er: "Ich erzähl / dir einen / Film, von rückwärts / gesehen und immer / nahe dran zu reißen. / Der Tod flitzt / darauf als ein / kleines helles Körnchen um / die Ecke." Wenige Jahr später kam Brinkmann als Fußgänger im ungewohnten Linksverkehr zu Tode. Von rückwärts gesehen, erscheint dieses Dichterleben selbst wie auf der Leinwand: seitenverkehrt und viel zu früh gerissen. "Die Fortsetzung", schrieb Brinkmann weiter, "geht mich persönlich / nichts mehr an."(Jan Röhnert: "Springende Gedanken und flackernde Bilder". Lyrik im Zeitalter der Kinematographie. Cendrars, Ashbery, Brinkmann. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 424 S., br., 32,- [Euro].) todö
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erst unlängst hat der Lyriker Albert Ostermaier in "Polar" gezeigt, was für wunderbare Bild- und Sinnmuster entstehen, wenn sich die Sprache von Gedichten mit der Bildsprache des Films einlässt und aus dem Repertoire des Kinos ihre Blickrichtungen borgt. Jetzt legt der Literaturwissenschaftler Jan Röhnert eine Studie vor, die solchen intermedialen Durchkreuzungen nachgeht. Röhnert, geboren 1976 in Gera, hat außerdem selbst mehrere Lyrikbände veröffentlicht (zuletzt, in diesem Jahr, "Metropolen"), in denen das hier theoretisch Untersuchte für die poetische Praxis fruchtbar gemacht wird. Was für die Erzählliteratur der Moderne und ihre Montagetechnik bereits vielfach nachgewiesen worden ist, gilt nämlich auch für die Lyrik: Der Film schreibt mit. In welcher Weise sich das Anregungsverhältnis jeweils zeigt, wird an drei Autoren beispielhaft und ganz im Stil deutscher Qualifikationsarbeiten dargestellt: dem Französisch-Schweizer Blaise Cendrars aus der Pariser Zeit der Avantgarde, dem Amerikaner John Ashbery und seinen postmodernen Vexiertexten sowie dem bundesdeutschen Rebellen der frühen Siebziger, Rolf Dieter Brinkmann. In einem seiner Gedichte schrieb er: "Ich erzähl / dir einen / Film, von rückwärts / gesehen und immer / nahe dran zu reißen. / Der Tod flitzt / darauf als ein / kleines helles Körnchen um / die Ecke." Wenige Jahr später kam Brinkmann als Fußgänger im ungewohnten Linksverkehr zu Tode. Von rückwärts gesehen, erscheint dieses Dichterleben selbst wie auf der Leinwand: seitenverkehrt und viel zu früh gerissen. "Die Fortsetzung", schrieb Brinkmann weiter, "geht mich persönlich / nichts mehr an."(Jan Röhnert: "Springende Gedanken und flackernde Bilder". Lyrik im Zeitalter der Kinematographie. Cendrars, Ashbery, Brinkmann. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 424 S., br., 32,- [Euro].) todö
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main