Produktdetails
- Verlag: Ammann
- ISBN-13: 9783250601258
- ISBN-10: 325060125X
- Artikelnr.: 23314604
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2008Adieu, du lieblose Muse, ich werde jetzt Schriftsteller
Denn schreiben kann er: Thomas Hürlimann zieht Bilanz
Von Pia Reinacher
In welchem Alter ist ein sinnierender Rückblick angesagt? Thomas Hürlimann offeriert schon jetzt eine Mischung aus Reflexion, Notizen, Memoiren und Anekdoten. Was der achtundfünfzigjährige Schweizer Schriftsteller in seinem neuen Buch "Der Sprung in den Papierkorb. Geschichten, Gedanken und Notizen am Rand" unternimmt, gehört üblicherweise zum Privileg älterer Herren, die damit beginnen, den Blick elegisch über Kühnheiten und Torheiten schweifen zu lassen, bald diesem Karrieresprung nostalgisch nachzuhängen, bald gedankenschwer den Bockssprüngen des Fatums nachzugrübeln. Über den undurchschaubaren Zickzackkurs des eigenen Werdegangs legt man dann abwägend vor einem Publikum Zeugnis ab, das den Weg des Künstlers mit aufgerissenen Mündern mitverfolgt.
Das tut Thomas Hürlimann auch, und ein gewisses Pathos, das dieser Prozess mit sich bringt, grundiert seine Anekdoten: ein diskreter Hang zur bedeutungsschwangeren Literarisierung und Verrätselung der Biographie. Andererseits erlaubt die leichtfüßig und geistreich geschriebene schmale Textsammlung dem interessierten Leser einen Sprung mitten ins wahre Leben, das ihm Glanzpunkte bescherte wie kaum einem anderen zeitgenössischen Schweizer Autor, das aber von Tiefpunkten nicht verschont blieb - wobei "wahr" sinngemäß relativ zu begreifen ist, "wahr" nämlich im Sinne einer literarischen Geschichte.
Die Miniatur etwa über die schicksalhafte Begegnung des Jungtalents mit seinem künftigen Verleger Egon Ammann in einem Berliner Hinterhaus wurde von beiden Protagonisten in unterschiedlichsten Versionen zum Besten gegeben. Hier lesen wir eine moderate Fassung, welche die anfänglich gegenseitige Ablehnung im Treppenhaus der Kreuzberger Mietskaserne in den triumphalen Verlagsabschluss auf einem feuchten Bierdeckel überführt sowie kurz danach den Erfolg des Erstlings "Die Tessinerin" annonciert.
Noch selten gehört hat man dagegen die witzige Episode, die vom Untergang als Liebhabers und der Geburt des Schriftstellers erzählt. Das Schicksal schlug in der Person der Muse Ute zu, die ihn als Liebhaber brüsk verabschiedet, aber den zufällig gelesenen Text mit dem Satz kommentiert: "Du bist ein Riesenarschloch, aber schreiben kannst du!" Überhaupt war der Durchbruch zum Schriftsteller von realen Schmerzen begleitet: Ersatzdeutschlehrer Walafried im Kloster Einsiedeln verdächtigt ihn nämlich des Abschreibens der herrlichen Sätze und bleut ihm die vermeintliche Lüge mit einem vierkantigen Lineal auf die Handflächen ein - ein Dichterschlag der besonderen Art. Wenn diese Miniatur für eines typisch ist, dann für des Autors Sinn für überraschende Effekte und perfekt getimte Pointen.
Selbstverständlich tauchen in Thomas Hürlimanns Textband allerlei Geschichten über prominente Zeitgenossen auf, die seinen Weg kreuzten und Stoff für die eine oder andere Episode abgeben: Stefanie Carp, die wehrhafte ehemalige Dramaturgin des Zürcher Schauspielhauses, tritt auf sowie die Schauspielerin Kathrin Brenk, Multitalent und Musiker Daniel Fueter, der quirlige Wissenschaftler Werner Oechslin, André Heller und Jochen Hieber, die Dichterin Alissa Walser steigt göttinnengleich im Bikini über die gekachelten Stufen des Pools im Dichtergarten von Cadenabbia ins Wasser, alles unter unseren Augen, dieweil Büchnerpreisträger Arnold Stadler gelassen an seiner Zigarre saugt und Dr. Spinnen, ein deutscher Dichter in Tropenuniform, die Vorgänge im Tagebuch festhält.
Der Sammelband erlaubt also ganz nebenbei eine Art Gesellschaftsspiel im Künstlermilieu, für Leser jedenfalls, die ambitionierte Who-is-who-Denksportaufgaben lieben. Wohltuend konterkariert werden sie von einigen satirischen Porträts, welche zum Beispiel einige der festen Stützen der Zürcher Gesellschaft im Foyer des Zürcher Schauspielhauses - Hosendress, Goldsandaletten und Blondhaarperücke oder versprengte 68er-Intellektuelle mit Wuschelhaarlook im lebenslangen Guerrillakrieg gegen die eigene Bürgerlichkeit - auf die Schippe nehmen. Da geht es dann um Macht, Einfluss und Eitelkeit.
Eine der eindrücklichsten Passagen ist dem Lernprozess des Erkennens der Insignien der Macht gewidmet. Hürlimann studiert sie erstmals als Klosterschüler am Auftritt des herrischen, kaltschnäuzigen Rektors der Stiftsschule und durchschaut ihre Signale im späteren Leben erst recht in der viel heimtückischeren Macht, die sich leise anschleicht und freundschaftlich maskiert. In diesen Erinnerungen verfolgt man haargenau, wie das Leben den Künstler geformt hat und welche Schlüsse er daraus gezogen hat.
- Thomas Hürlimann: "Der Sprung in den
Papierkorb". Geschichten, Gedanken und
Notizen am Rand. Ammann Verlag, Zürich 2008. 137 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Denn schreiben kann er: Thomas Hürlimann zieht Bilanz
Von Pia Reinacher
In welchem Alter ist ein sinnierender Rückblick angesagt? Thomas Hürlimann offeriert schon jetzt eine Mischung aus Reflexion, Notizen, Memoiren und Anekdoten. Was der achtundfünfzigjährige Schweizer Schriftsteller in seinem neuen Buch "Der Sprung in den Papierkorb. Geschichten, Gedanken und Notizen am Rand" unternimmt, gehört üblicherweise zum Privileg älterer Herren, die damit beginnen, den Blick elegisch über Kühnheiten und Torheiten schweifen zu lassen, bald diesem Karrieresprung nostalgisch nachzuhängen, bald gedankenschwer den Bockssprüngen des Fatums nachzugrübeln. Über den undurchschaubaren Zickzackkurs des eigenen Werdegangs legt man dann abwägend vor einem Publikum Zeugnis ab, das den Weg des Künstlers mit aufgerissenen Mündern mitverfolgt.
Das tut Thomas Hürlimann auch, und ein gewisses Pathos, das dieser Prozess mit sich bringt, grundiert seine Anekdoten: ein diskreter Hang zur bedeutungsschwangeren Literarisierung und Verrätselung der Biographie. Andererseits erlaubt die leichtfüßig und geistreich geschriebene schmale Textsammlung dem interessierten Leser einen Sprung mitten ins wahre Leben, das ihm Glanzpunkte bescherte wie kaum einem anderen zeitgenössischen Schweizer Autor, das aber von Tiefpunkten nicht verschont blieb - wobei "wahr" sinngemäß relativ zu begreifen ist, "wahr" nämlich im Sinne einer literarischen Geschichte.
Die Miniatur etwa über die schicksalhafte Begegnung des Jungtalents mit seinem künftigen Verleger Egon Ammann in einem Berliner Hinterhaus wurde von beiden Protagonisten in unterschiedlichsten Versionen zum Besten gegeben. Hier lesen wir eine moderate Fassung, welche die anfänglich gegenseitige Ablehnung im Treppenhaus der Kreuzberger Mietskaserne in den triumphalen Verlagsabschluss auf einem feuchten Bierdeckel überführt sowie kurz danach den Erfolg des Erstlings "Die Tessinerin" annonciert.
Noch selten gehört hat man dagegen die witzige Episode, die vom Untergang als Liebhabers und der Geburt des Schriftstellers erzählt. Das Schicksal schlug in der Person der Muse Ute zu, die ihn als Liebhaber brüsk verabschiedet, aber den zufällig gelesenen Text mit dem Satz kommentiert: "Du bist ein Riesenarschloch, aber schreiben kannst du!" Überhaupt war der Durchbruch zum Schriftsteller von realen Schmerzen begleitet: Ersatzdeutschlehrer Walafried im Kloster Einsiedeln verdächtigt ihn nämlich des Abschreibens der herrlichen Sätze und bleut ihm die vermeintliche Lüge mit einem vierkantigen Lineal auf die Handflächen ein - ein Dichterschlag der besonderen Art. Wenn diese Miniatur für eines typisch ist, dann für des Autors Sinn für überraschende Effekte und perfekt getimte Pointen.
Selbstverständlich tauchen in Thomas Hürlimanns Textband allerlei Geschichten über prominente Zeitgenossen auf, die seinen Weg kreuzten und Stoff für die eine oder andere Episode abgeben: Stefanie Carp, die wehrhafte ehemalige Dramaturgin des Zürcher Schauspielhauses, tritt auf sowie die Schauspielerin Kathrin Brenk, Multitalent und Musiker Daniel Fueter, der quirlige Wissenschaftler Werner Oechslin, André Heller und Jochen Hieber, die Dichterin Alissa Walser steigt göttinnengleich im Bikini über die gekachelten Stufen des Pools im Dichtergarten von Cadenabbia ins Wasser, alles unter unseren Augen, dieweil Büchnerpreisträger Arnold Stadler gelassen an seiner Zigarre saugt und Dr. Spinnen, ein deutscher Dichter in Tropenuniform, die Vorgänge im Tagebuch festhält.
Der Sammelband erlaubt also ganz nebenbei eine Art Gesellschaftsspiel im Künstlermilieu, für Leser jedenfalls, die ambitionierte Who-is-who-Denksportaufgaben lieben. Wohltuend konterkariert werden sie von einigen satirischen Porträts, welche zum Beispiel einige der festen Stützen der Zürcher Gesellschaft im Foyer des Zürcher Schauspielhauses - Hosendress, Goldsandaletten und Blondhaarperücke oder versprengte 68er-Intellektuelle mit Wuschelhaarlook im lebenslangen Guerrillakrieg gegen die eigene Bürgerlichkeit - auf die Schippe nehmen. Da geht es dann um Macht, Einfluss und Eitelkeit.
Eine der eindrücklichsten Passagen ist dem Lernprozess des Erkennens der Insignien der Macht gewidmet. Hürlimann studiert sie erstmals als Klosterschüler am Auftritt des herrischen, kaltschnäuzigen Rektors der Stiftsschule und durchschaut ihre Signale im späteren Leben erst recht in der viel heimtückischeren Macht, die sich leise anschleicht und freundschaftlich maskiert. In diesen Erinnerungen verfolgt man haargenau, wie das Leben den Künstler geformt hat und welche Schlüsse er daraus gezogen hat.
- Thomas Hürlimann: "Der Sprung in den
Papierkorb". Geschichten, Gedanken und
Notizen am Rand. Ammann Verlag, Zürich 2008. 137 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Als gleichermaßen vergnüglich wie erhebend gestaltet sich für Martin Krumbholz die Lektüre von Thomas Hürlimanns jüngstem Buch, in dem Gedanken zum Schreiben, über die Liebe und über den Fußball versammelt sind. Während der Schweizer Autor Liebesdinge doch eher in "Randnotizen" verbannt hat, allerdings "wunderschöne", wie der Rezensent versichert, und das Thema Schreiben naturgemäß die Hauptsache dieser Reflexionen ausmacht, erklärt er seinen Lesern höchst faszinierend den Fußball mithilfe platonischer Philosophie, freut sich Krumbholz, der in Hürlimann einen "exzellenten" Schriftsteller bewundert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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