New Jersey, 2013. Der Literaturprofessor Tanou Nithap hat zum ersten Mal Besuch von seinem kamerunischen Vater Sakio. Der alte Mann bleibt lange, macht sich vertraut mit dem Land und Tanous Nachbarn. In Gesprächen mit den neuen Freunden hört der Sohn erstmals von Begebenheiten aus dem Leben seines sonst so schweigsamen Vaters. Es ist schließlich das unbekümmerte Spektakel einer nachgestellten amerikanischen Bürgerkriegsschlecht, das den Vater an die eigene Vergangenheit erinnert und endlich erzählen lässt: Mit Tanou hören wir vom Kamerun der späten 50er und frühen 60er Jahre. Von Sakios Zeit als Arzt in Bangwa und der Begegnung mit Tanous Mutter, vom Überfall der Rebellen auf die von Franzosen geführte Klinik und Sakios Position zwischen den Fronten. Von seiner Entscheidung für die Befreiungsbewegung und den Kampf im Untergrund, von Gewalt, Zerstörung und so manchem amourösen Abenteuer. Tanou verwandelt die Erzählung des Vaters in einen Roman. Das Spiel mit der Erzählerfunktion erhöht das Lesevergnügen an dieser mitreißenden Geschichte, die Patrice Nganangs Kamerun-Trilogie zum Abschluss bringt.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ungeduldig und unwirsch wird Rezensentin Christiane Pöhlmann über diesem Roman. Wenn Patrice Nganang die Geschichte eines in die USA ausgewanderten Literaturwissenschaftlers in der Midlife-Crisis mit der postkolonialen Geschichte Kameruns verbindet, verliert sie bald den Überblick. Und wir mit ihr: Kohorten von blassen und unsympathischen Figuren sieht Pöhlmann an sich vorüberziehen, chauvinistische Männer und mordende Bürgerkriegsparteien. Eine Geschichte erkennt sie nicht, aber auch viele Aussagen, Ironien und Konflikte des Romans erschließen sich ihr nicht. Am Ende schimpft sie über "politische Salbaderei" und "raunendem Schmus".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2022Mit der Niederlage per Du
Patrice Nganang kriecht der "Spur der Krabbe" nach zum Bürgerkrieg in Kamerun
Vater und Sohn Nithap sprechen wenig miteinander. Unter Kamerunern sei das nicht ungewöhnlich, heißt es an einer Stelle im Roman "Spur der Krabbe". Als Sakio Nithap seinen Sohn Tanou in den Vereinigen Staaten besucht, erzählt er daher nicht ihm, sondern einem Französisch sprechenden Ehepaar seine Geschichte, die auch, wie es der Klappentext ausdrückt, die "bewegte Historie Kameruns" erhellt.
In der Tat, bewegt ist sie, die Geschichte des afrikanischen Landes. Wie viele ethnische Gruppen in ihm leben, ist fraglich, neben den beiden Amtssprachen Englisch und Französisch sind dort weit mehr als zweihundert Sprachen zu Hause. Sklaverei und tribalistische Auseinandersetzungen prägten die letzten zwei Jahrhunderte ebenso wie die Kolonialherrschaft von Deutschen, Engländern und Franzosen. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann der beschwerliche Weg in die Unabhängigkeit: 1960 wurde mit Ahmadou Ahidjo ein kamerunischer Präsident gewählt, darauf folgte ein zehnjähriger Bürgerkrieg. Mit Paul Biya hat das Land heute seinen zweiten Staatschef, beiden Männern ist eine teils diktatorische Regierungsführung zu bescheinigen.
Der Bürgerkrieg nimmt breiten Raum in Patrice Nganangs Roman ein, ist aber nicht das zentrale Thema. Die Midlife-Crisis von Tanou, Rassismus in den USA, Migrationserfahrungen, eine mögliche Alzheimererkrankung von Sakio, verschiedene Varianten einer Amor fou, virtueller Sex, der Kalte Krieg, uralte Auseinandersetzungen zwischen Bamileke und Bamum - all das wird angetupft. Doch was ein komplexes Bild hätte ergeben können, verliert sich rasch in Wirrnis. Das liegt weniger an Orts- und Zeitwechseln als an einem selbstreferenziellen Moment. Da versucht sich der Literaturprofessor Tanou Nithap als Autor: "Satz für Satz, Wort für Wort schrieb er die ersten Kapitel dessen, was genauso seine Geschichte war wie die seines Vaters, ebenso die Geschichte seines Vaters wie die seiner Tochter, ebenso die Geschichte seiner Tante wie die seiner Mutter, ebenso die Geschichte seiner Frau wie die seiner Geliebten und so, vom Kapitel zum Buch, die Chronik seiner eigenen Geburt als Romanautor: Es muss der Tod sein, was sonst?" Selbstverständlich beginnt die "Spur der Krabbe" mit dieser Frage.
Rückblickend erklärt sich nun eine oft konstruiert anmutende Parallelisierung und die Entindividualisierung der Figuren: Jede Generation, jedes politische Lager braucht einen Mann, der eine außereheliche Affäre hat. Auf Nacktfotos ist dann die Frau zu sehen, deren "Körper gekrümmt wie eine Krabbe" ist, wobei das Schalentier namengebend für Kamerun war, einst die Flagge zierte und als Emblem für die UPC diente, die im Bürgerkrieg für die Unabhängigkeit des Landes eintrat.
Nach der "Geburt des Romanautors" warten noch 170 Seiten. Der immer offener auftretende auktoriale Erzähler sorgt nicht unbedingt dafür, dass die blassen Figuren sympathischer wirken. Zerbricht sich Tanou bei einem Besuch in Kamerun noch den Kopf, ob die dortigen Studenten "besser fickten" und ob nach einem Quickie nun der Moment da sei, "sich von dem Kätzchen zu trennen und schnell das Bett in Ordnung zu bringen, das aseptische Dekor für den transkontinentalen Austausch mit Frau und Tochter zu arrangieren", so fragt der Erzähler in einer Anmerkung mit seltsamer Ironie: "Welcher Kameruner will schon eine unabhängige Frau?" Wenn er beim vorgeblich zentralen Thema mit Vieldeutigkeit kokettiert, ist Beliebigkeit das Ergebnis: Als der politische Führer der UPC, Ernest Ouandié, sich 1961 stellt und zehn Jahre später zum Tod verurteilt wird, führt der Erzähler zwei Erklärungen an. "Eine dritte Version - da ist es an euch, liebe Leser, zu zeigen, dass ihr eine ebenso blühende Fantasie wie die Bamileke besitzt."
Patrice Nganang wurde 1970 geboren, lebt heute in den USA und ist vor vier Jahren, im Dezember 2017, wegen Beleidigung Paul Biyas gut drei Wochen in Kamerun inhaftiert gewesen. Mit "Spur der Krabbe" schließt er eine Kameruner Trilogie ab. Sein Roman positioniert sich gegen Tribalismus. Dieser hallt auch im Bürgerkrieg nach, der eingebettet ist in den Kampf gegen (einstige) Kolonialherren. Eine Frau schildert, sie "habe gesehen, wie die Männer des Sultans schwangeren Frauen eine Bananenstaude in die Vagina rammten", wie sie vergewaltigten, Kinder mordeten und Leichen aßen, die "Grausamkeit der Bamum war beispiellos". Doch auch aufseiten der Bamileke kommt es zu Gräueltaten. In politischen Streitgesprächen legt Nganang seinem der realen Figur nachgestalteten Ouandié die Worte in den Mund: "Der Befreiungskrieg schrumpft zusammen, wenn er zum Bürgerkrieg wird, und wenn er zum tribalen Krieg wird, ist er mit der Niederlage per Du."
Die Position seines Gegenübers, des (ebenfalls realen) Martin Singap, wird nur grob umrissen. Damit sich bestimmte Aussagen und Konflikte erschließen, ist daher der Griff zu Nachschlagewerken nötig. Textimmanent löst Nganang nichts. Selbst bei fiktiven Figuren wie Tanou, die er nach Belieben gestalten könnte, arbeitet er mit Aussparungen, verzichtet auf Hinweise, was das Motiv für die Auswanderung in die Vereinigten Staaten sein könnte. Je mehr man liest, je stärker man sich an die mehr als dreißig "Lobnamen" für einen Menschen gewöhnt, desto weniger versteht man von Fakten und Beweggründen. Die Lektüre wird zu einem Mäandern zwischen politischer Salbaderei - "Von Martin Singap hatte er gelernt, dass man die Menschen dort abholen muss, wo sie sich gerade befinden, um sie auf den Weg ihrer Wahl zu führen" - und raunendem Schmus: "Die Worte dieses Buches sind die Geschichte Sakio Nithaps, der es verstehen wird, die Symphonie einer Frau zu komponieren, seiner zukünftigen Frau."
Der Klappentext schürt eine bestimmte Erwartung. Dass sie enttäuscht wird, ist nicht das entscheidende Manko. Das liegt in der Art des Erzählens. Als tausendundkeine Geschichte ist der Roman einfach nur zäh. CHRISTIANE PÖHLMANN
Patrice Nganang: "Spur der Krabbe". Roman.
Aus dem Französischen von Gudrun und Otto Honke. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2021. 488 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Patrice Nganang kriecht der "Spur der Krabbe" nach zum Bürgerkrieg in Kamerun
Vater und Sohn Nithap sprechen wenig miteinander. Unter Kamerunern sei das nicht ungewöhnlich, heißt es an einer Stelle im Roman "Spur der Krabbe". Als Sakio Nithap seinen Sohn Tanou in den Vereinigen Staaten besucht, erzählt er daher nicht ihm, sondern einem Französisch sprechenden Ehepaar seine Geschichte, die auch, wie es der Klappentext ausdrückt, die "bewegte Historie Kameruns" erhellt.
In der Tat, bewegt ist sie, die Geschichte des afrikanischen Landes. Wie viele ethnische Gruppen in ihm leben, ist fraglich, neben den beiden Amtssprachen Englisch und Französisch sind dort weit mehr als zweihundert Sprachen zu Hause. Sklaverei und tribalistische Auseinandersetzungen prägten die letzten zwei Jahrhunderte ebenso wie die Kolonialherrschaft von Deutschen, Engländern und Franzosen. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann der beschwerliche Weg in die Unabhängigkeit: 1960 wurde mit Ahmadou Ahidjo ein kamerunischer Präsident gewählt, darauf folgte ein zehnjähriger Bürgerkrieg. Mit Paul Biya hat das Land heute seinen zweiten Staatschef, beiden Männern ist eine teils diktatorische Regierungsführung zu bescheinigen.
Der Bürgerkrieg nimmt breiten Raum in Patrice Nganangs Roman ein, ist aber nicht das zentrale Thema. Die Midlife-Crisis von Tanou, Rassismus in den USA, Migrationserfahrungen, eine mögliche Alzheimererkrankung von Sakio, verschiedene Varianten einer Amor fou, virtueller Sex, der Kalte Krieg, uralte Auseinandersetzungen zwischen Bamileke und Bamum - all das wird angetupft. Doch was ein komplexes Bild hätte ergeben können, verliert sich rasch in Wirrnis. Das liegt weniger an Orts- und Zeitwechseln als an einem selbstreferenziellen Moment. Da versucht sich der Literaturprofessor Tanou Nithap als Autor: "Satz für Satz, Wort für Wort schrieb er die ersten Kapitel dessen, was genauso seine Geschichte war wie die seines Vaters, ebenso die Geschichte seines Vaters wie die seiner Tochter, ebenso die Geschichte seiner Tante wie die seiner Mutter, ebenso die Geschichte seiner Frau wie die seiner Geliebten und so, vom Kapitel zum Buch, die Chronik seiner eigenen Geburt als Romanautor: Es muss der Tod sein, was sonst?" Selbstverständlich beginnt die "Spur der Krabbe" mit dieser Frage.
Rückblickend erklärt sich nun eine oft konstruiert anmutende Parallelisierung und die Entindividualisierung der Figuren: Jede Generation, jedes politische Lager braucht einen Mann, der eine außereheliche Affäre hat. Auf Nacktfotos ist dann die Frau zu sehen, deren "Körper gekrümmt wie eine Krabbe" ist, wobei das Schalentier namengebend für Kamerun war, einst die Flagge zierte und als Emblem für die UPC diente, die im Bürgerkrieg für die Unabhängigkeit des Landes eintrat.
Nach der "Geburt des Romanautors" warten noch 170 Seiten. Der immer offener auftretende auktoriale Erzähler sorgt nicht unbedingt dafür, dass die blassen Figuren sympathischer wirken. Zerbricht sich Tanou bei einem Besuch in Kamerun noch den Kopf, ob die dortigen Studenten "besser fickten" und ob nach einem Quickie nun der Moment da sei, "sich von dem Kätzchen zu trennen und schnell das Bett in Ordnung zu bringen, das aseptische Dekor für den transkontinentalen Austausch mit Frau und Tochter zu arrangieren", so fragt der Erzähler in einer Anmerkung mit seltsamer Ironie: "Welcher Kameruner will schon eine unabhängige Frau?" Wenn er beim vorgeblich zentralen Thema mit Vieldeutigkeit kokettiert, ist Beliebigkeit das Ergebnis: Als der politische Führer der UPC, Ernest Ouandié, sich 1961 stellt und zehn Jahre später zum Tod verurteilt wird, führt der Erzähler zwei Erklärungen an. "Eine dritte Version - da ist es an euch, liebe Leser, zu zeigen, dass ihr eine ebenso blühende Fantasie wie die Bamileke besitzt."
Patrice Nganang wurde 1970 geboren, lebt heute in den USA und ist vor vier Jahren, im Dezember 2017, wegen Beleidigung Paul Biyas gut drei Wochen in Kamerun inhaftiert gewesen. Mit "Spur der Krabbe" schließt er eine Kameruner Trilogie ab. Sein Roman positioniert sich gegen Tribalismus. Dieser hallt auch im Bürgerkrieg nach, der eingebettet ist in den Kampf gegen (einstige) Kolonialherren. Eine Frau schildert, sie "habe gesehen, wie die Männer des Sultans schwangeren Frauen eine Bananenstaude in die Vagina rammten", wie sie vergewaltigten, Kinder mordeten und Leichen aßen, die "Grausamkeit der Bamum war beispiellos". Doch auch aufseiten der Bamileke kommt es zu Gräueltaten. In politischen Streitgesprächen legt Nganang seinem der realen Figur nachgestalteten Ouandié die Worte in den Mund: "Der Befreiungskrieg schrumpft zusammen, wenn er zum Bürgerkrieg wird, und wenn er zum tribalen Krieg wird, ist er mit der Niederlage per Du."
Die Position seines Gegenübers, des (ebenfalls realen) Martin Singap, wird nur grob umrissen. Damit sich bestimmte Aussagen und Konflikte erschließen, ist daher der Griff zu Nachschlagewerken nötig. Textimmanent löst Nganang nichts. Selbst bei fiktiven Figuren wie Tanou, die er nach Belieben gestalten könnte, arbeitet er mit Aussparungen, verzichtet auf Hinweise, was das Motiv für die Auswanderung in die Vereinigten Staaten sein könnte. Je mehr man liest, je stärker man sich an die mehr als dreißig "Lobnamen" für einen Menschen gewöhnt, desto weniger versteht man von Fakten und Beweggründen. Die Lektüre wird zu einem Mäandern zwischen politischer Salbaderei - "Von Martin Singap hatte er gelernt, dass man die Menschen dort abholen muss, wo sie sich gerade befinden, um sie auf den Weg ihrer Wahl zu führen" - und raunendem Schmus: "Die Worte dieses Buches sind die Geschichte Sakio Nithaps, der es verstehen wird, die Symphonie einer Frau zu komponieren, seiner zukünftigen Frau."
Der Klappentext schürt eine bestimmte Erwartung. Dass sie enttäuscht wird, ist nicht das entscheidende Manko. Das liegt in der Art des Erzählens. Als tausendundkeine Geschichte ist der Roman einfach nur zäh. CHRISTIANE PÖHLMANN
Patrice Nganang: "Spur der Krabbe". Roman.
Aus dem Französischen von Gudrun und Otto Honke. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2021. 488 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main