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Die Studie schließt eine Lücke im Diskurs über Erinnerung. Im interdisziplinären Gespräch von psychoanalytischen, soziologischen und kulturwissenschaftlichen Ansätzen (Freud, Mead, Halbwachs, Durkheim, Assmann) werden weiterführende Einsichten über Erinnerung als intersubjektive Praxis gewonnen. Spur, Umschrift und Nachträglichkeit stellen die zentralen Konzepte der Erinnerungstheorie Sigmund Freuds dar. Als leibliche Einschreibungen des Erlebens verbindet das Konzept der Erinnerungsspur die drei grundlegenden Dimensionen der Psychoanalyse: das Somatische, das Soziale und das…mehr

Produktbeschreibung
Die Studie schließt eine Lücke im Diskurs über Erinnerung. Im interdisziplinären Gespräch von psychoanalytischen, soziologischen und kulturwissenschaftlichen Ansätzen (Freud, Mead, Halbwachs, Durkheim, Assmann) werden weiterführende Einsichten über Erinnerung als intersubjektive Praxis gewonnen. Spur, Umschrift und Nachträglichkeit stellen die zentralen Konzepte der Erinnerungstheorie Sigmund Freuds dar. Als leibliche Einschreibungen des Erlebens verbindet das Konzept der Erinnerungsspur die drei grundlegenden Dimensionen der Psychoanalyse: das Somatische, das Soziale und das Unbewusste.

Die konstitutive Bedeutung von Erinnerung für das Verständnis von Zeitlichkeit und Subjektivität erschließt sich aus einer erneuten Lektüre der Freudschen Verführungstheorie im Anschluss an Jean Laplanche. Damit lenkt diese Arbeit die Aufmerksamkeit auf die Spuren und Umschriften unbewusster vergangener Erfahrungen in individuellen und gesellschaftlichen Erinnerungsprozessen.
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Autorenporträt
Ilka Quindeau, Prof. Dr. phil. habil., ist Diplom- Psychologin, Diplom-Soziologin und Psychoanalytikerin (DPV / IPV). Sie lehrt als Professorin für Klinische Psychologie und Psychoanalyse an der Fachhochschule Frankfurt und unterhält eine eigene Praxis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.2006

Wie war das doch gleich?
Ilka Quindeau zeigt, warum der Erinnerung nicht zu trauen ist

Nietzsche verdeutlicht die Kräfte, die an der Bildung einer Erinnerung mitwirken: ",Das habe ich gethan' sagt mein Gedächtniss. Das kann ich nicht gethan haben - sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich - giebt das Gedächtniss nach."

Tatsächlich nimmt Nietzsches Aphorismus drei Momente der Freudschen Erinnerungstheorie vorweg, wie sie die Frankfurter Psychoanalytikerin Ilka Quindeau in ihrer Habilitationsschrift "Spur und Umschrift" aus seinen Frühschriften entwickelt: Erinnerungen werden unter den Geboten der Gegenwart stets aufs neue umgeschrieben, das heißt konstruiert; dabei ist der Anteil des Kollektivs, aus dessen Perspektive sich der einzelne wahrnimmt und in dessen Urteil er sich spiegelt, erheblich; folgerichtig entfalten Erinnerungen ihre Kraft nachträglich, sie werden in wechselnden Konstellationen stets aufs neue vergegenwärtigt. Freud glaubte schließlich an eine phylogenetisch ererbte "Urphantasie", in welcher der einzelne "erinnert", was in der prähistorischen Urhorde tatsächlich der Fall gewesen war.

Quindeau dagegen sieht im Anschluß an Jean Laplanche diese Ursache in der ungleichen "Begegnung eines/r Erwachsenen mit einer ausgebildeten psychischen Struktur und eines Säuglings mit einer im Entstehen begriffenen psychischen Struktur", die sie als eigentliche "Verführungsszene" bezeichnet. Sowohl die Ansprüche der anderen wie des anderen, der Sprache, werden also immer schon dagewesen sein. Es ist diese Asymmetrie, die in den Augen von Quindeau ihre traumatische Wirkung nachträglich in der Erinnerungsarbeit entfaltet, in der sich unsere psychische Struktur als Antwort auf diese Ansprüche herausbildet. Quindeaus Versuch, unsere Erinnerungen und damit unser Wesen in dieser verzweifelten Ausgangslage gründen zu lassen, könnte weitreichende Folgen haben. Nietzsche wußte, daß man das Menschenbild durch Gedächtnispolitik prägt, wie sie zur Zeit durch die Hirnforschung betrieben wird. Bemißt sich unser Selbstverständnis doch weniger an dem, was wir erinnern, als daran, wie wir es erinnern.

Hier kränken Quindeaus tiefer schürfende Einsichten in die psychische Entwicklungsgeschichte, wie wir werden, was wir sind, unser autonomes Selbstempfinden verletzender als neuronale Befunde: Kein materielles biologisches Substrat ist unserer Handlungsfähigkeit und unserer Selbstbestimmung vorgängig, sondern die symbolische Ordnung, daß wir als vielfältig bedürftige und hinfällige Wesen nur auf dem Umweg über alle anderen, allen voran die Eltern, zu uns "selbst" finden - gerade in der Erinnerungsarbeit, während diese symbolische Ordnung selbst sich allen Mitgliedern des Gesellschaftsverbandes, der aus ihr hervorgeht, entzieht.

Die Psychoanalyse stellt sich unter diesen Voraussetzungen als Ringen zwischen dem Analytiker und dem Analysanden um die angemessene Form der Erinnerung dar. Hier tut sich die ganze Widersprüchlichkeit in Freuds Gedächtniskonzeption auf, gilt ihm die Konstruktion in der Analyse therapeutisch doch ebenso viel wie die "korrekte" Erinnerung des Verdrängten, wiewohl er an letzterer noch 1937 festhalten zu wollen scheint.

MARTIN STINGELIN

Ilka Quindeau: "Spur und Umschrift". Die konstitutive Bedeutung von Erinnerung in der Psychoanalyse. Wilhelm Fink Verlag, München 2005. 244 S., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Aufschlussreich findet Rezensent Martin Stingelin diese Habilitationsschrift über die "Bedeutung von Erinnerung in der Psychoanalyse", die Ilka Quindeau vorgelegt hat. Er bescheinigt der Psychoanalytikerin, anhand einer an den Freud'schen Frühschriften entfalteten Erinnerungstheorie aufzuzeigen, warum Zweifel an unseren Erinnerungen angebracht sind. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht für ihn Quindeaus Blick auf die ursprünglich ungleiche Begegnung eines Erwachsenen und eines Säuglings. Diese Asymmetrie betrachte die Autorin als traumatische Erfahrung, die ihre Wirkung nachträglich in der Erinnerungsarbeit entfaltet, die wiederum für die Ausbildung unserer psychischen Struktur verantwortlich ist. Die Psychoanalyse erscheint nach Auskunft Stingelins dementsprechend als ein Ringen um die "angemessene Form der Erinnerung".

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