Was haben Sherlock Holmes und Spiritismus gemeinsam?
Conan Doyle kennt man vor allem als Autor der Sherlock Holmes-Geschichten. Sein Werk ist allerdings weitaus umfangreicher und verzweigter: Es umfasst historische Romane, politische Pamphlete, historische Studien, Science-Fiction-Romane und nicht zuletzt zahlreiche Publikationen zum Spiritismus. Die Photographie spielt dabei eine zentrale Rolle und lässt eine höchst eigentümliche Vorstellungswelt erstehen. Sie erlaubt es zugleich, die Welt um 1900 mit all ihren Merkwürdigkeiten in den Blick zu nehmen: Für die Zeitgenossen war Sherlock Holmes eine real existierende Figur, für seinen Autor aber bezeugten Photographien von Elfen, Verstorbenen und Geistern deren Existenz. Ihre Photos und die anderer merkwürdiger Wesen sammelt dieses Buch mitsamt dem Imaginarium, das sich um sie rankt.
»Stiegler holt [...] sein eigenes Fach aus dem Elfenbeinturm hermetischer Textanalysen und demonstriert, was Literaturwissenschaft zu leisten vermag.«
Deutschlandfunk
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Conan Doyle kennt man vor allem als Autor der Sherlock Holmes-Geschichten. Sein Werk ist allerdings weitaus umfangreicher und verzweigter: Es umfasst historische Romane, politische Pamphlete, historische Studien, Science-Fiction-Romane und nicht zuletzt zahlreiche Publikationen zum Spiritismus. Die Photographie spielt dabei eine zentrale Rolle und lässt eine höchst eigentümliche Vorstellungswelt erstehen. Sie erlaubt es zugleich, die Welt um 1900 mit all ihren Merkwürdigkeiten in den Blick zu nehmen: Für die Zeitgenossen war Sherlock Holmes eine real existierende Figur, für seinen Autor aber bezeugten Photographien von Elfen, Verstorbenen und Geistern deren Existenz. Ihre Photos und die anderer merkwürdiger Wesen sammelt dieses Buch mitsamt dem Imaginarium, das sich um sie rankt.
»Stiegler holt [...] sein eigenes Fach aus dem Elfenbeinturm hermetischer Textanalysen und demonstriert, was Literaturwissenschaft zu leisten vermag.«
Deutschlandfunk
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2014Geisterstunde mit Sherlock Holmes
Bernd Stiegler widmet sich dem Fotografen und Spiritisten Arthur Conan Doyle. Aber lässt sich wirklich demonstrieren, dass dessen Meisterdetektiv seine Geburt der Kameralinse verdankt?
Für Geister haben wir keine Verwendung. Das sagt Sherlock Holmes in einem Fall von 1924, bei dem eine Frau in Verdacht gerät, Vampir am eigenen Kind zu sein. Arthur Conan Doyle, der Autor dieser Geschichte, hatte seinerseits aber durchaus Verwendung für übersinnliche Erscheinungen. Seine große Passion war der Spiritismus. Anfangs ablehnend, war er von 1886 an immer mehr in die Welt der Séancen und der Geisterfotografie eingetaucht. Von dem Einfall, Sherlock Holmes zum Geisterglauben konvertieren zu lassen, den Doyle nach seinem öffentlichen Bekenntnis zu dieser Überweltanschauung 1916 zunächst hatte, rückte er zwar wieder ab. Lieber die Einnahmen aus der rationalen Weltsicht nicht gefährden! Zuletzt aber erschien es ihm immer seltsamer, dass seine Fiktion, Sherlock Holmes, für wirklich gehalten wurde, während die Wirklichkeit der Klopfzeichen angezweifelt wurde. Seinen Anhängern gegenüber soll er sich nach 1960 sogar aus dem Jenseits über seinen Nachruhm für das Unwesentliche beschwert haben.
Der Konstanzer Literaturhistoriker Bernd Stiegler wendet sich jetzt diesen beiden Welten bei Doyle in zwei Büchern zu: in einer kulturhistorischen Abhandlung und in einer Edition der Aufsätze Doyles über Fotografie. Acht Jahre lang praktizierte Doyle als Augenarzt und schrieb schon währenddessen kleine Anleitungen für Amateurfotografen ("Drei Tage auf der Suche nach Effekten"). Später kamen solche darüber hinzu, wie man Geister ablichtet, und schließlich ein ganzes Buch über das Fotografieren von Elfen.
Stieglers Buch ist eine Fundgrube an Belegen dafür, wie die Fotografie Ende des neunzehnten Jahrhunderts in immer neue Bereiche ausstrahlte. Wir lernen, dass Bilder damals tatsächlich "geschossen" werden konnten, mittels der fotografischen Flinte, die ein französischer Arzt erfunden hatte. Sherlock Holmes setzt sich mit der Theorie Bertillons auseinander, man könne Verbrechern an ihren Gesichtern ansehen, dass sie welche sind. Holmes selbst löst den berühmten Fall des Hundes von Baskerville, indem sich in seinem Kopf ein "Kompositbild" herstellt, wie es von Francis Galton zur Identifikation von Verbrechertypen durch Überblenden ihrer wichtigsten Züge vorgeschlagen worden war: Die physiognomische Familienähnlichkeit zwischen dem Mörder und seinen Opfern führt zum Motiv. Ein ganzes Kapitel widmet Stiegler einer mittels Fotografien geführten Kampagne Doyles gegen die belgischen Greueltaten in Kongo, die durch Abbildungen der grausam zugerichteten Opfer das Leugnen schwierig machte. "Die Kodak", sinniert Belgiens König Leopold in einem fiktiven "Selbstgespräch", das Doyles Mitstreiter Mark Twain verfasst hatte, "ist in der Tat der mächtigste Feind, der uns entgegengetreten ist."
Im Anschluss an diesen humanitären Feldzug probierte Doyle die Gattung des Fotoromans aus. In "Die vergessene Welt" wurden 1912 der Geschichte über eine Expedition zu lebenden Dinosauriern gestellte Bilder von Urlandschaften, den Forschern und dem archaischen Getier beigegeben. 1922 verblüffte Doyle sogar durch bewegte Bilder von Dinosauriern in der Verfilmung seines Romans. Erstmals führte er sie auf einem Kongress von Zauberern vor, weil er schon lange in eine Konkurrenz mit dem Magier Houdini eingetreten war, bei der jeder dem anderen nachzuweisen versuchte, dass er in Bezug auf das Übersinnliche irre. "Spiritist verzaubert Magier" titelte die "New York Times" über diesen Coup. In der nächsten Runde war es dann wieder an Houdini, die spiritistischen Belege als Tricks zu entlarven.
Apropos Tricks: Mit manchen Passagen seines Buches hat Stiegler sich das Ehrenabzeichen der Gesellschaft zur Erweiterung philologischer Spielräume verdient. So lässt er Conan Doyle seinen Helden 1891 in die Reichenbachfälle stürzen, weil sie denselben Namen tragen wie der Verfasser der odisch-magnetischen Briefe, Karl von Reichenbach. Der hatte, Chemiker wie Holmes, einst das Paraffin entdeckt, bevor er sich in seinem Spätwerk zu der These verstieg, Magneten strahlten Licht aus, das von besonders sensiblen Menschen wahrgenommen werden könne. Allerdings hatte Conan Doyle die These, von allem Lebendigen gehe eine Kraft namens "Od" aus, schon 1883 kritisiert. Und die Reichenbachfälle heißen so, weil ihr Wasser aus dem Reichenbach kommt. Doch dass der Name den Spiritisten Doyle magnetisiert haben mag, kann nicht ausgeschlossen werden.
Stiegler, der gern etwas annimmt, weil es nicht ausgeschlossen werden kann, erzeugt insofern selbst mitunter eine geisterhafte Atmosphäre. Ob Fotografie wirklich "das Medium des Transfers zwischen den Welten" ist? Klopfzeichen und Einflüsterungen registriert man besser mit dem Tonband. Dass in den Sherlock-Holmes-Geschichten die Fotografie keine Rolle spielt, obwohl es kein Werk gebe, das "photographieaffiner" sei als dasjenige Doyles, wird so gewendet: Holmes sei selbst eine Kamera, die Fiktion in Faktizität verwandeln solle, und noch ein Entwicklungslabor dazu. Im "Photographic Almanach" von 1888 ist die einzige abgebildete Detektiv-Kamera - eine Watson! Und Stiegler hat sogar einen frühen Fotografen namens William Sherlock gefunden, der zusammen mit dem ebenfalls fotografiebegeisterten Arzt und Schriftsteller Oliver Wendell Holmes, der für den Nachnamen Pate gestanden habe, die Geburt des Detektivs aus der Linse abrundet.
Wo aber ist der Houdini dieser kulturwissenschaftlichen Literaturgeschichte? Doktor Watson hat seinen ersten Auftritt 1887. Was sagt dann ein Almanach von 1888 über ihn? Und was belegt es überhaupt, wenn eine Kamera Watson heißt, wo doch Holmes die Kamera sein soll? Außerdem ist Doktor Watson nicht "mit Blindheit geschlagen": Er sieht schon, aber er vermag nicht zu lesen. Oder im Original bei Holmes: "Sie sehen, aber Sie beobachten nicht." Insofern ist auch Holmes kein Fotoapparat, denn auch dieser beobachtet nicht, sondern registriert.
Oder versuchen wir es mit einem Gegenbeispiel: Der erste Geschäftsmann, der Alarmanlagen für Wohnungen mit zentralisiertem Warnsystem vertrieb, um danach erster Präsident der Bell Telefongesellschaft zu werden, war 1877 der Amerikaner Edwin Holmes. Sollen wir jetzt einen Aufsatz schreiben, der postuliert, Sherlock Holmes habe von ihm den Nachnamen und sei darum keine Kamera, sondern das Sorgentelefon der englischen Oberschicht jener Jahre? Immerhin hätte solch eine These für sich, dass Telefone, die ja ebenfalls Welten verbinden, in den Detektivgeschichten von Doyle vorkommen.
Die Stärke des flüssig geschriebenen Buches liegt aber gar nicht in seinen Thesen, sondern in seinen Archivfunden und historischen Dokumenten. Stiegler zeigt uns, zu welchen intellektuellen Opfern Doyle bereit war, um sich einer Welt zu versichern, die nicht völlig entzaubert ist. Im Spiritismus meinte er einen Ausgang aus dem naturalistischen Denken zwischen Darwin und Utilitarismus gefunden zu haben. Tatsächlich kam ihm bei den Anhängern der Séancen aber gerade zugute, dass er als Mann der nüchternen Beweisführung auf empirischer Grundlage galt. Wenn Doyle an Gespenster glaubt, muss etwas dran sein. Und tatsächlich: Welcher Glaube wäre materialistischer als derjenige, das Drüben hinterlasse Wolken auf Silberpapier, aus Frauen fließe bei überirdischer Ansteuerung "Ektoplasma", und die Toten dränge es danach, mit uns zu telefonieren?
Stiegler schildert geduldig die vielen Kontroversen um die Geisterfotografien, die zumeist wohl von den langen Belichtungszeiten erzeugt wurden. Besonders anspruchsvoll war Doyles Behauptung, man könne Elfen ablichten. Das war angeblich im Juli 1917 in Cottingley (Yorkshire) geschehen, wo zwei Mädchen einander im Spiel mit zwanzig Zentimeter großen Flügelwesen und auch einem Gnom fotografiert hatten. Dass die kleinen Schwindlerinnen ausgeschnittene Elfenzeichnungen an Pflanzen angeheftet hatten, darauf kam der sich Elfen dringend wünschende Schriftsteller nicht. Was er auf Fotografien sah, war er stets geneigt zu glauben. Es brauchte eine weitere Generation und einen Schuss Katholizismus, damit eine Autorin von Detektivromanen den befreienden Satz formulieren konnte: "Er log wie ein Augenzeuge."
JÜRGEN KAUBE
Bernd Stiegler: "Spuren, Elfen und andere Erscheinungen." Conan Doyle und die Photographie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. 368 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bernd Stiegler widmet sich dem Fotografen und Spiritisten Arthur Conan Doyle. Aber lässt sich wirklich demonstrieren, dass dessen Meisterdetektiv seine Geburt der Kameralinse verdankt?
Für Geister haben wir keine Verwendung. Das sagt Sherlock Holmes in einem Fall von 1924, bei dem eine Frau in Verdacht gerät, Vampir am eigenen Kind zu sein. Arthur Conan Doyle, der Autor dieser Geschichte, hatte seinerseits aber durchaus Verwendung für übersinnliche Erscheinungen. Seine große Passion war der Spiritismus. Anfangs ablehnend, war er von 1886 an immer mehr in die Welt der Séancen und der Geisterfotografie eingetaucht. Von dem Einfall, Sherlock Holmes zum Geisterglauben konvertieren zu lassen, den Doyle nach seinem öffentlichen Bekenntnis zu dieser Überweltanschauung 1916 zunächst hatte, rückte er zwar wieder ab. Lieber die Einnahmen aus der rationalen Weltsicht nicht gefährden! Zuletzt aber erschien es ihm immer seltsamer, dass seine Fiktion, Sherlock Holmes, für wirklich gehalten wurde, während die Wirklichkeit der Klopfzeichen angezweifelt wurde. Seinen Anhängern gegenüber soll er sich nach 1960 sogar aus dem Jenseits über seinen Nachruhm für das Unwesentliche beschwert haben.
Der Konstanzer Literaturhistoriker Bernd Stiegler wendet sich jetzt diesen beiden Welten bei Doyle in zwei Büchern zu: in einer kulturhistorischen Abhandlung und in einer Edition der Aufsätze Doyles über Fotografie. Acht Jahre lang praktizierte Doyle als Augenarzt und schrieb schon währenddessen kleine Anleitungen für Amateurfotografen ("Drei Tage auf der Suche nach Effekten"). Später kamen solche darüber hinzu, wie man Geister ablichtet, und schließlich ein ganzes Buch über das Fotografieren von Elfen.
Stieglers Buch ist eine Fundgrube an Belegen dafür, wie die Fotografie Ende des neunzehnten Jahrhunderts in immer neue Bereiche ausstrahlte. Wir lernen, dass Bilder damals tatsächlich "geschossen" werden konnten, mittels der fotografischen Flinte, die ein französischer Arzt erfunden hatte. Sherlock Holmes setzt sich mit der Theorie Bertillons auseinander, man könne Verbrechern an ihren Gesichtern ansehen, dass sie welche sind. Holmes selbst löst den berühmten Fall des Hundes von Baskerville, indem sich in seinem Kopf ein "Kompositbild" herstellt, wie es von Francis Galton zur Identifikation von Verbrechertypen durch Überblenden ihrer wichtigsten Züge vorgeschlagen worden war: Die physiognomische Familienähnlichkeit zwischen dem Mörder und seinen Opfern führt zum Motiv. Ein ganzes Kapitel widmet Stiegler einer mittels Fotografien geführten Kampagne Doyles gegen die belgischen Greueltaten in Kongo, die durch Abbildungen der grausam zugerichteten Opfer das Leugnen schwierig machte. "Die Kodak", sinniert Belgiens König Leopold in einem fiktiven "Selbstgespräch", das Doyles Mitstreiter Mark Twain verfasst hatte, "ist in der Tat der mächtigste Feind, der uns entgegengetreten ist."
Im Anschluss an diesen humanitären Feldzug probierte Doyle die Gattung des Fotoromans aus. In "Die vergessene Welt" wurden 1912 der Geschichte über eine Expedition zu lebenden Dinosauriern gestellte Bilder von Urlandschaften, den Forschern und dem archaischen Getier beigegeben. 1922 verblüffte Doyle sogar durch bewegte Bilder von Dinosauriern in der Verfilmung seines Romans. Erstmals führte er sie auf einem Kongress von Zauberern vor, weil er schon lange in eine Konkurrenz mit dem Magier Houdini eingetreten war, bei der jeder dem anderen nachzuweisen versuchte, dass er in Bezug auf das Übersinnliche irre. "Spiritist verzaubert Magier" titelte die "New York Times" über diesen Coup. In der nächsten Runde war es dann wieder an Houdini, die spiritistischen Belege als Tricks zu entlarven.
Apropos Tricks: Mit manchen Passagen seines Buches hat Stiegler sich das Ehrenabzeichen der Gesellschaft zur Erweiterung philologischer Spielräume verdient. So lässt er Conan Doyle seinen Helden 1891 in die Reichenbachfälle stürzen, weil sie denselben Namen tragen wie der Verfasser der odisch-magnetischen Briefe, Karl von Reichenbach. Der hatte, Chemiker wie Holmes, einst das Paraffin entdeckt, bevor er sich in seinem Spätwerk zu der These verstieg, Magneten strahlten Licht aus, das von besonders sensiblen Menschen wahrgenommen werden könne. Allerdings hatte Conan Doyle die These, von allem Lebendigen gehe eine Kraft namens "Od" aus, schon 1883 kritisiert. Und die Reichenbachfälle heißen so, weil ihr Wasser aus dem Reichenbach kommt. Doch dass der Name den Spiritisten Doyle magnetisiert haben mag, kann nicht ausgeschlossen werden.
Stiegler, der gern etwas annimmt, weil es nicht ausgeschlossen werden kann, erzeugt insofern selbst mitunter eine geisterhafte Atmosphäre. Ob Fotografie wirklich "das Medium des Transfers zwischen den Welten" ist? Klopfzeichen und Einflüsterungen registriert man besser mit dem Tonband. Dass in den Sherlock-Holmes-Geschichten die Fotografie keine Rolle spielt, obwohl es kein Werk gebe, das "photographieaffiner" sei als dasjenige Doyles, wird so gewendet: Holmes sei selbst eine Kamera, die Fiktion in Faktizität verwandeln solle, und noch ein Entwicklungslabor dazu. Im "Photographic Almanach" von 1888 ist die einzige abgebildete Detektiv-Kamera - eine Watson! Und Stiegler hat sogar einen frühen Fotografen namens William Sherlock gefunden, der zusammen mit dem ebenfalls fotografiebegeisterten Arzt und Schriftsteller Oliver Wendell Holmes, der für den Nachnamen Pate gestanden habe, die Geburt des Detektivs aus der Linse abrundet.
Wo aber ist der Houdini dieser kulturwissenschaftlichen Literaturgeschichte? Doktor Watson hat seinen ersten Auftritt 1887. Was sagt dann ein Almanach von 1888 über ihn? Und was belegt es überhaupt, wenn eine Kamera Watson heißt, wo doch Holmes die Kamera sein soll? Außerdem ist Doktor Watson nicht "mit Blindheit geschlagen": Er sieht schon, aber er vermag nicht zu lesen. Oder im Original bei Holmes: "Sie sehen, aber Sie beobachten nicht." Insofern ist auch Holmes kein Fotoapparat, denn auch dieser beobachtet nicht, sondern registriert.
Oder versuchen wir es mit einem Gegenbeispiel: Der erste Geschäftsmann, der Alarmanlagen für Wohnungen mit zentralisiertem Warnsystem vertrieb, um danach erster Präsident der Bell Telefongesellschaft zu werden, war 1877 der Amerikaner Edwin Holmes. Sollen wir jetzt einen Aufsatz schreiben, der postuliert, Sherlock Holmes habe von ihm den Nachnamen und sei darum keine Kamera, sondern das Sorgentelefon der englischen Oberschicht jener Jahre? Immerhin hätte solch eine These für sich, dass Telefone, die ja ebenfalls Welten verbinden, in den Detektivgeschichten von Doyle vorkommen.
Die Stärke des flüssig geschriebenen Buches liegt aber gar nicht in seinen Thesen, sondern in seinen Archivfunden und historischen Dokumenten. Stiegler zeigt uns, zu welchen intellektuellen Opfern Doyle bereit war, um sich einer Welt zu versichern, die nicht völlig entzaubert ist. Im Spiritismus meinte er einen Ausgang aus dem naturalistischen Denken zwischen Darwin und Utilitarismus gefunden zu haben. Tatsächlich kam ihm bei den Anhängern der Séancen aber gerade zugute, dass er als Mann der nüchternen Beweisführung auf empirischer Grundlage galt. Wenn Doyle an Gespenster glaubt, muss etwas dran sein. Und tatsächlich: Welcher Glaube wäre materialistischer als derjenige, das Drüben hinterlasse Wolken auf Silberpapier, aus Frauen fließe bei überirdischer Ansteuerung "Ektoplasma", und die Toten dränge es danach, mit uns zu telefonieren?
Stiegler schildert geduldig die vielen Kontroversen um die Geisterfotografien, die zumeist wohl von den langen Belichtungszeiten erzeugt wurden. Besonders anspruchsvoll war Doyles Behauptung, man könne Elfen ablichten. Das war angeblich im Juli 1917 in Cottingley (Yorkshire) geschehen, wo zwei Mädchen einander im Spiel mit zwanzig Zentimeter großen Flügelwesen und auch einem Gnom fotografiert hatten. Dass die kleinen Schwindlerinnen ausgeschnittene Elfenzeichnungen an Pflanzen angeheftet hatten, darauf kam der sich Elfen dringend wünschende Schriftsteller nicht. Was er auf Fotografien sah, war er stets geneigt zu glauben. Es brauchte eine weitere Generation und einen Schuss Katholizismus, damit eine Autorin von Detektivromanen den befreienden Satz formulieren konnte: "Er log wie ein Augenzeuge."
JÜRGEN KAUBE
Bernd Stiegler: "Spuren, Elfen und andere Erscheinungen." Conan Doyle und die Photographie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. 368 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Ein ganz neues Bild vom Schöpfer Sherlock Holmes' erhält Sylvia Staude bei Bernd Stiegler. Lauter schöne Gedanken macht sich der Autor, findet Staude, sammelt kuriose Details und schreibt genauestens auf, was es mit Arthur Conan Doyles Faible für den Spiritismus auf sich hat. Dass ausgerechnet der Erfinder des Vernunftmenschen Holmes sich für Lichtbildtechnik interessierte, aber so, dass er damit seinen Aberglauben nährte, lässt Staude staunen. Gnome, Geister und Elfen aber, auch das erfährt die Rezensentin bei Stiegler, bewegten sich damals noch "am Rand des common sense".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Ein spannendes kulturgeschichtliches Porträt des Arztes Sir Arthur Conan Doyle Katrin Hillgruber Der Tagesspiegel 20141206