Produktdetails
  • Verlag: Steidl
  • Seitenzahl: 368
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 534g
  • ISBN-13: 9783882439854
  • ISBN-10: 3882439858
  • Artikelnr.: 12412154
Autorenporträt
Hans Werner Richter, geb. 1908 in Bansin auf Usedom, gest. 1993 in München, war gelernter Buchhändler, gab 1946 mit Alfred Andersch die Zeitschrift 'Der Ruf' heraus und war Mitbegründer der Gruppe 47.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.05.2004

Der Schnurrbart des gelungenen Lebens
Erinnerung an einen großen Bekannten, dessen Werk man beinahe vergessen hätte: Hans Werner Richter erzählt den Roman seiner Jugend
Beim Namen Hans Werner Richter denkt man heute in erster Linie an den Literaturpolitiker der Gruppe 47, die fast unwidersprochen die ersten zwei Jahrzehnte im kulturellen Leben der Bundesrepublik beherrscht hat. Auch Siegfried Lenz tut es, der Richters autobiografischem Buch ein Nachwort geliefert hat: Er erinnert sich vor allem an den Freund, Förderer und „kumpelhaften Wirt”. Mit dem Autor Richter weiß er, trotz freundlicher Gesinnung, nicht gar so viel anzufangen; und dem Leser ergeht es ähnlich.
Nicht dass „Spuren im Sand”, das zum ersten Mal 1953 aufgelegt wurde, ein eigentlich schlechtes Buch wäre. Es erzählt von Richters proletarischer Kindheit und Jugend als Sohn einer Plättfrau und eines Bademeisters in einem Ort auf der Ostseeinsel Usedom. Richter beginnt mit der Verwunderung darüber, in welche schon damals, vor einem halben Jahrhundert, vollkommen verschollene Vorzeit er trotz seines doch bloß mittleren Lebensalters zurückreicht. Doch tut er es auf wenig überraschende Weise. „Als ich geboren wurde, machte der Kaiser noch seine Nordlandfahrten, trugen die Männer des Dorfes, in dem ich den ersten Schrei ausstieß, den Es-ist-erreicht-Schnurrbart, gab es noch die klingenden Taler und das goldene Zwanzigmarkstück.” Es ist das, was noch zum Zeitpunkt, als das Buch zuerst erschien, schlechterdings „Friedenszeit” hieß. Auch die anderen Epochen, politische und private, die sich nun abzulösen beginnen, werden durch solche einprägsamen Versatzstücke charakterisiert. Im Konfirmationsunterricht tritt Pastor Petermann auf, der einen Sprachfehler hat und stets vom „Heiligen Geicht” redet, wenn er nicht gerade seine Zöglinge mit der Bibel auf den Kopf haut, weil sie die falschen Stellen lesen – solche nämlich, in denen vom „Beischlaf” die Rede ist, worunter sich die Konfirmanden allerdings nichts Rechtes vorstellen können. Der Zwiespalt der Weimarer Republik erscheint als Duett oder eher Duell des deutschnationalen Monokel-Onkels mit dem spartakistischen Bruder, die beide früh beim Rasieren das Fenster aufreißen, um „Stolz weht die Flagge schwarzweißrot an unsres Schiffes Mast” bzw.. die Internationale zu schmettern. Der Protagonist des Buchs fängt eine Buchhändler-Lehre an und blamiert sich, als er ein Porträt Kants bei der Inventur als Friedrich II. in Zivil verzeichnet. Und erste Liebe tut immer weh.
Das alles ist routiniert erzählt, mit viel Dialog; doch wird man bei diesen Episoden das Gefühl nicht los, ihnen schon mal irgendwo begegnet zu sein. Es ist kein Buch, aus dem man Neues erführe. Eher kriegt man es, wie bei einer Revue, noch einmal schmissig auf den Punkt gebracht. Das Personal wird ebenfalls mit bewährten Mitteln typisiert: Der Vater kaut Priem und rettet vornehme Damen vor dem Ertrinken, die Mutter ist die patente Arbeiterfrau, die den Laden schmeißt und der Politik der Männer nicht über den Weg traut, die Halbwüchsigen kippen Schnaps und suchen Händel, die füllige Nachbarin hält dem Kaiser die Treue, denn einmal muss er doch wiederkommen! Im Jahr 1953 hatte das Fernsehen in Deutschland noch nicht Fuß gefasst; aber das Buch wirkt, als habe Richter die mehrteiligen Kostümschinken der öffentlich-rechtlichen Anstalten schon prophetisch vorweggenommen.
BURKHARD MÜLLER
HANS WERNER RICHTER: Spuren im Sand. Roman einer Jugend. Mit einem Nachwort von Siegfried Lenz. Steidl Verlag, Göttingen 2004. 367 S., 19,50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der Rezensent Burkhard Müller kann mit diesem 1953 erstmals aufgelegtem Roman von Hans Werner Richter, der vor allem als "Literaturpolitiker" der Gruppe 47 im kollektiven Gedächtnis verankert ist, nicht viel anfangen - obwohl der Roman eigentlich kein "schlechtes Buch" sei. Routiniert erzählt ist es auf jeden Fall. Doch etwas Unerwartetes, was man in dieser Form noch nicht gelesen hat, steht nach Müllers Meinung eben auch nicht drin. "Es ist kein Buch, aus dem man Neues erführe. Eher kriegt man es, wie bei einer Revue, noch einmal schmissig auf den Punkt gebracht." Ein anderes Bild, das der Rezensent für das Buch findet, ist kaum schmeichelhafter: er hält ihn für eine Vorwegnahme eines "mehrteiligen Kostümschinken der öffentlich-rechtlichen Anstalten".

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