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Produktdetails
  • Verlag: Agora
  • ISBN-13: 9783870081416
  • ISBN-10: 3870081414
  • Artikelnr.: 36614078
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.2013

Wohin mit rostigen Reifen?

Gefangen am Rand der Dinge: In Jochen Winters Lyrikband "Spuren im Unermesslichen" geraten natürliche und menschliche Kräfte aneinander.

Wir schmecken das höhere Wort, Essenz / Aus nächtlichen Blüten, läuterndem Blitz, / Sind überall, nirgendwo, sphärisch geeint" - Jochen Winters funkelnde Sprache ist mehr als nur Verständigungsmittel, ihr wohnt Metaphysik und Sinngebung inne, sie formt sich kosmisch aus Raum und Zeit. Der Titel seines aktuellen Bandes "Spuren im Unermesslichen" ist dabei zugleich Programm.

"Etwas Unfassbares, übernatürlich fast, / Entworfen aus Vorstellung" tut sich in seinen luziden Gedichten auf. Es gilt, sich darin auf die Suche nach einer inneren Ordnung hinter den sichtbaren Dingen zu begeben. Wer sich ihr anschließt, tritt in Zwischenräume leuchtender Phantasmagorien ein, in denen um nicht mehr und nicht weniger als um Einheit und Zerwürfnis des Daseins gerungen wird. Im "Mythos der Spaltung" steht die Welt entzwei. Gräben zwischen "Denken und Körper", "Mensch und Natur", "Ich und Du" offenbaren einen Lebensraum im Zeichen des Widerspruchs. Diesen schlicht hinzunehmen, hieße, wie Jochen Winter es in dem Text "Irdisch" pointiert, "Gefangen am Rand der Dinge" zu bleiben. Erst der Betrachter vermag den Bogen ins Metaphysische zu schlagen, und wird so zum Erkennenden. "Wärst du nicht dies Auge im Zentrum, / Gefasst das Band knüpfend zwischen dir / und dem, was dich übersteigt", so lautete die Ansprache an den Leser, wäre ihm alles nur als Schein und bruchstückhaft.

In den sphärischen Gedichten ist unterdessen alles in Bewegung. Das kosmische Dasein gleicht einem imaginativen Biotop, das sich permanent selbst erneuert. Zahlreiche Vexierbilder beschwören Elementarkräfte herauf, die das scheinbar Unzusammenhängende, die "erloschene Essenz", wieder in ein Ganzes einzufügen wissen. In dem Gedicht "Ding" wird ein "rostiger Reifen" letztlich von der Natur zurückgewonnen und geht in den "mineralischen Kreis" wieder ein. Gleiches gilt für die eruptierte Lava, deren Zerstörungskraft nie ganz das Leben auslöschen kann. Denn sobald sie erstarrt, wird sie bald zum "Nährboden", wo mit der Zeit "Moose" aufs Neue das Terrain überziehen.

In diesem lyrischen Geschehen geraten natürliche wie auch menschliche Kräfte immer wieder aneinander, und doch ergeht sich das scheinbar Unversöhnliche in einem ständigen und wohltuenden "Übergang des Fließen[s]". Die Grenzen zwischen Zivilisation und Natur verschwimmen. Besonders die zauberhafte Beschreibung des Wachstums der Weinrebe zeigt, wie aus der bloßen Fauna eine kulturelles Konstrukt geboren wird. Der Weinstock entzieht dem Boden das "Wasser unter vibrierender Haut / Und wirkt das Wunder, wandelt es um in Geist".

Darin offenbart sich eine geheime Macht, die Winter pathetisch umschreibt, ohne das ihr inhärierende, mirakulöse Rätsel aufzulösen: Von einem "Reine[n] Medium zwischen Erde und All" ist die Rede - womöglich eine Art romantischer Weltgeist, der durchaus auch Anklänge an Traditionsmuster von Buddhismus und Pantheismus enthält. Nur wenige Worte genügen Jochen Winter in seinen Abbreviaturen, um uns hinter den Äonen des Universums eine Idee vom Ganzen vermuten zu lassen. Ein Schöpfer ist hier am Werk. Wunderbar: Es ist, als hätte er die Sprache mit Magie beseelt.

BJÖRN HAYER

Jochen Winter: "Spuren im Unermesslichen". Gedichte.

Agora Verlag, Berlin 2013. 70 S., br., 14,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sprache mit Magie beseelt findet Björn Hayer in den Gedichten von Jochen Winter. Wie der Autor, "gefangen am Rand der Dinge", dem Leser die "Spuren im Unermesslichen" entdeckt, wie er hinter dem Sichtbaren eine innere Ordnung vermutet, Elementarkräfte, ein Fließen, das die Grenzen zwischen Natur und Kultur einreißt, wie Hayer staunt, das hat den Rezensenten sichtlich beeindruckt. An die geheime Macht, etwa im Weinstock, der aus Wasser Geist schöpft, verwiesen, fühlt sich Hayer an Buddhismus und Pantheismus erinnert und bekommt vom Autor als Geschenk eine Idee vom Ganzen.

© Perlentaucher Medien GmbH